Senioren-Europameister 2023 in Italien: John Nunn und Zurab Sturua

von Thorsten Cmiel
07.06.2023 – Mit John Nunn und Zurab Sturua setzten sich bei den Senioren-Europameisterschaften die Favoriten durch, aber es war kanpp. Gisela Fischdick holte Gold bei den Frauen Ü65, Olga Birkholz Silber bei den Frauen Ü50 und Mira Kierzek Bronze. | Auf dem Bild: Sieger Ü65 John Nunn, Jose Luis Fernandez und Lubomir Ftacnik (Fotos: European Chess Union)

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Senioren-Europameister 2023 in Italien: John Nunn und Zurab Sturua

Am Ende setzten sich die Topfavoriten durch: Der Engländer John Nunn ist amtierender Weltmeister 65+ und wurde durch die beste Wertung gekrönt. Lubomir Ftacnik wurde punktgleich Dritter.

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Bei den jüngeren Senioren gewann der Georgier Zurab Sturua vor sechs punktgleichen Spielern.

Sturua gewinnt den Titel Ü50

Aus deutscher Sicht gab es für Gisela Fischdick den Titel 65+ und für Olga Birkholz den zweiten Platz bei den jüngeren Frauen.

Gisela Fischdick gewinnt den Titel der Frauen Ü 65

Zweiter Platz für Olga Birkholz Frauen Ü 50

Mit Wolfgang Polster und Peter Wacker kamen zwei Spieler zudem punktgleich mit den Siegern ins Ziel.

Nach der Seniorenweltmeisterschaft 2018 und der Senioren-Team-WM 2022 fanden diesmal die Europameisterschaften (EM) der Senioren 2023 ebenfalls in Acqui Terme in Italien statt. Die letzten beiden EM auf Sardinien 2021 und im polnischen Lublin 2022 hatten nur wenig Teilnehmer angelockt. In der jüngeren Altersgruppe war beispielsweise in Polen nur ein Großmeister am Start. Die Besetzung diesmal war ordentlich. Bei den Jungsenioren waren fünf Großmeister und acht Internationale Meister (IM) unter den achtzig Teilnehmern. In der älteren Gruppe waren bei 90 Teilnehmern vier Großmeister und fünf IM dabei. Neun Frauen in der Altersgruppe 50+ spielten ein eigenes Rundenturnier während die älteren Frauen im Open mitspielten.

Dramen, Fehler und viele gute Leistungen

In der ersten Runde sind bei der Europameisterschaft wie bei Open-Turnieren die in der Vergangenheit gemessenen Unterschiede in der Spielstärke erheblich. Favoriten mit einem K-Faktor von zehn, also Spieler mit Elozahl 2400 in der Vergangenheit, können 0,8 Elopunkte gewinnen. Ein Unentschieden kostet für diese Spieler etwa vier Punkte und eine Niederlage doppelt so viel. Die meisten Spieler spielen mit einem Faktor von zwanzig und für die geht es jeweils um die doppelte Punktzahl. Beginnend in der ersten Runde kam es zu manchem spannenden Duell und die vermeintlich schwächeren Akteure wehrten sich erkennbar mit viel Energie. Die Underdogs hatten in der ersten Runde alleine an den jeweils ersten drei Brettern Chancen auf zusammen mindestens zweieinhalb Punkte. Letztlich blieb es nur ein halber Punkt. Letztlich setzten sich die Favoriten in den Folgerunden allerdings immer deutlicher durch.

Es gab sie erneut, die persönlichen Dramen und Aussetzer. Mark Dvoretskij nannte ein ganzes Buch „Tragikomödien im Endspiel“. Mindestens ein Beispiel aus Runde 2 hätte Chancen in einem Fortsetzungsband erwähnt zu werden.

Schwarz steht vor seinem 53. Zug. Weiß hat nur noch eine letzte Drohung. Er will seinen König nach d6 ziehen und den d-Bauern mit Hilfe des Springers durchdrücken. Was also tun?

Tragisches

Turmendspiele waren erneut ein wichtiges Thema und kamen zahlreich auf das Brett. Von elementaren Endspielen bis hin zu missglückten Übergängen in Bauernendspiele. Für ausreichendes Trainingsmaterial ist in jedem Fall gesorgt.

Schwarz ist hier im 38. am Zuge. Ich empfehle bei Endspielen wie diesem eine Schnelleinschätzung zu geben. Kann Schwarz bei bestem Spiel gewinnen? Diese Einschätzung sollte man mit dem Verlauf und einer Analyse abgleichen. Am besten zunächst die eigene Meinung fundieren.

Turmendspiele

Zahlreiche Endspiele unter Beteiligung von Leichtfiguren sind kompliziert und führten zu immer wieder neuen spannenden Momenten. Gelegentlich sind in den Beispielen noch Türme auf dem Brett.

In dieser Stellung spielte der Anziehende 30.h4. Wie ist die Stellung danach einzuschätzen?

Weiß schlug im 53. Zug mit dem Springer auf d5. Was ist von dem Zug zu halten?

Leichtfigurenendspiele

Manchmal ist es schwierig zu entscheiden, ob schon ein Endspiel vorliegt. Oft sind es die Damen auf dem Brett, die durch ihr Angriffspotential den Partien eher den Charakter von Mittelspielen geben. Hier gibt die ungewöhnliche Materialverteilung Rätsel auf. Die Frage lautet zunächst, ob Weiß gewinnen kann. Ihre Einschätzung und welche Verteidigungsstrategie soll der Nachziehende, hier vor seinem 43. Zug, verfolgen?

Komplexe Endspiele

Nachdem wir bisher sozusagen leichte bis schwere Kost betrachtet haben, kommen wir zu einem Thema, das viele Schachspieler immer wieder beschäftigt. Gut vorbereitete Eröffnungen versprechen im besten Fall einen leichten Punkt. Manchmal machen die Gegner leider nicht mit. Es gab in Italien einige wenige Partien mit dem Wolga-Benkö-Gambit, die mich interessierten. Besondere Aufmerksamkeit kann man den Weißpartien von John Nunn widmen. Der spielt immer noch eine scharfe offene Klinge. In der folgenden Stellung ist Weiß am Zuge. Zweimal hatten Weißspieler hier 13.Lc4 gezogen. Was würden Sie spielen?

Eröffnungen

Es gab neben den Endspielen noch viele komplexe Stellungen zu sehen. Ein Beispiel sei herausgegriffen. Weiß steht hier vor seinem 16. Zug. Wie ist die Stellung zu bewerten und was sollte er spielen?

Komplexes

Neben den anonymen Dramen gab es die persönlichen Highlights und Niederschläge. Zwei Spieler sollen hier kurz mit einem Teil ihrer Werke herausgehoben werden. Terry Chapman hatte zweimal bereits auf dem Podium bei Europameisterschaften der Senioren gestanden. Es gibt eine mir bisher unbekannte Regel, die solche Ergebnisse sozusagen als IM-Norm wertet. Bei drei Podiumsplätzen bekäme Chapman den IM-Titel verliehen. Und er war erneut nah dran. Zunächst lief es gut für den Engländer, der gegen die drei stärksten Großmeister im Feld gespielt hat. Chapman und Lubomir Ftacnik lagen mit sechseinhalb Punkten einen halben Zähler vor dem Feld und spielten gegeneinander. Etwas überraschend für einen Außenstehenden wählte Chapman eine sehr passive Spielweise, einen Stonewall. Der Großmeister würde seinen Gegner stundenlang quälen. Aber selbst erfahrene Spieler lassen gelegentlich ihre Chancen liegen. Genau so hier. Dennoch: Das Remis ließ für den slowakischen Großmeister die Chancen auf den Titel intakt.

Chapman

Am Brett daneben spielte Matthias Kierzek. Dieser hatte mit Nona Gaprindashvili im Verlauf einen Großmeister geschlagen und gegen John Nunn verloren. In der achten Runde war es nach optimistischem Spiel seines Gegners zu folgender unübersichtlichen Stellung gekommen. Kierzek hatte sich während des Turniers als Beauftragter für zu weit vorgepreschte Springer etabliert.

Weiß ist hier am Zuge. Die erste Frage lautet, ob er auf c3 die Qualität nehmen soll. Der Schwede entschied sich recht schnell für 20.Sd2. Was ist davon zu halten? Tatsächlich gab es noch die Züge 20.Sd4 und sogar den kreativen Zug 20.Sb5 mit der Idee nach 20...Lxb5 21.Sd4 folgen zu lassen. Das eine ist was später die Engine aus diesen ähnlich bewerteten Varianten macht und etwas anderes ist wie man sich in dem Dschungel an Varianten zurecht findet. Kierzeks Gegner verhedderte sich schnell.

Kierzek

In der Schlussrunde gab es einen dramatischen Moment und der entschied Einiges. Matthias Kierzek hatte den König seines spanischen Gegners ins Freie gelockt und die Frage war wie er weiter vorgehen sollte. Tatsächlich überlegte der Deutsche hier längere Zeit.

Noch deckt die Dame den Bauern f4, ist allerdings auf der vierten Reihe angegriffen. 35.g4+ Ke6 ist wegen des danach folgenden Damentauschs nicht zielführend. Matthias Kierzek gab daher zunächst ein Schach mit seinem Turm auf f8. Nach dem Königszug nach e6 kann Weiß entweder die Damen tauschen oder aus prinzipiellen Gründen die Dame nach b2 zurück ziehen und weiter den gegnerischen König jagen. Matthias Kierzek fand einen dritten Weg, der vermutlich genau durch diese Unentschiedenheit im Kopf entstanden ist. Er gab sofort auf e8 ein Turmschach und sein Gegner nahm das Geschenk an. Autsch.

Für Terry Chapman hatte das Malheur ebenfalls dramatische Auswirkungen. Der dritte Podiumsplatz war weg und damit der IM-Titel. Sieger wurde wegen der besseren Ergebnisse seiner Gegner am Schlusstag John Nunn. Fünf Spieler teilten sich den ersten Platz mit sieben Punkten aus neun Partien. Da John Nunn Nona Gaprindashvili klar schlug gewann Gisela Fischdick, die in der Schlussrunde gewann, den europäischen Titel. 

65 Plus

Bei den Jungsenioren (50+) waren zur finalen Runde fünf Spieler mit sechs Punkten unterwegs. Keiner konnte gewinnen, weshalb am Ende sogar sieben Spieler punktgleich durch das Ziel liefen. Der Kölner Peter Wacker hatte mit der Spitze erst später im Turnier gleichgezogen, gehörte jedoch im Verlauf der letzten Runde zu den Spielern mit Chancen auf den Titel.

Zuletzt hatte der Italiener mit seinem Springerzug von b3 nach a5 den Bauern c6 attackiert. Schwarz eröffnete sich hier die goldene Möglichkeit, indem er ein Standardmotiv nutzt. Welches Motiv und wie? Als Randnote sei erwähnt, dass Wacker das Motiv bereits in der siebten Runde nicht ausreichend gewürdigt hatte. Peter wird mich nach diesem Hinweis vermutlich nie wieder auf eine Orientierungstour in Italien mitnehmen.

50 Plus

Letztlich gewann der Georgier Zurab Sturua verdient das Turnier nach Wertung. Sturua ist ein Dauerfavorit für vordere Plätze bei Seniorenwelt- und Europameisterschaften. 2014 war er bereits Weltmeister und 2015 Europameister der Senioren.

Endstand Ü50 

Rg. Name Pkt.  Wtg1 
1 Sturua, Zurab 6,5 0
2 Bellia, Fabrizio 6,5 0
3 Lacasa Diaz, Jose Antonio 6,5 0
4 Arkell, Keith C 6,5 0
5 Van Der Werf, Mark 6,5 0
6 Mrva, Martin 6,5 0
7 Wacker, Peter 6,5 0
8 De Santis, Alessio 6 0
9 Dishman, Stephen 6 0
10 Atalik, Suat 6 0
11 Vinter-Schou, Uffe 6 0
12 Katzir, Moshe 6 0
13 Melikhov, Evgeny V. 6 0
14 Contin, Daniel 5,5 0
15 Berend, Fred 5,5 0
16 Sigfusson, Sigurdur 5,5 0
17 Vehi Bach, Victor Manuel 5,5 0
18 Lasinskas, Povilas 5 0

Endstand Ü65

Rg. Name Pkt.  Wtg1 
1 Nunn, John D M 7 0
2 Fernandez Garcia, Jose Luis 7 0
3 Ftacnik, Lubomir 7 0
4 Chapman, Terry P D 7 0
5 Polster, Wolfgang Dr. 7 0
6 Renman, Nils-Gustaf 6,5 0
7 Schulz, Michael 6,5 0
8 Kierzek, Matthias Dr. 6 0
9 Rooze, Jan 6 0
10 Ubezio, Marco 6 0
11 Brongers, Henk 6 0
12 Fischdick, Gisela 6 0
13 Serra Olives, Tomas 6 0
14 Furman, Boris 6 0
15 Pomes Marcet, Joan 5,5 0

90 Spieler

Endstand Frauenmeisterschaft Ü50

Rg. Name Pkt.  Wtg1 
1 Makropoulou, Marina 6,5 0
2 Birkholz, Olga 5 1
3 Ni, Polina 5 0
4 Baliuniene, Margarita 4,5 0
5 Dubois, Martine 4 0
6 Sirletti, Sonia 3,5 0,5
7 Baglay, Kseniya 3,5 0,5
8 Novak, Simona 2,5 0
9 Urbanc, Suzana 1,5 0

80 Spieler

Ausblick

Es gab Gerüchte, dass die diesjährige Senioren-Weltmeisterschaft in Buenos Aires stattfinden könnte. Das erledigte sich durch eine Bekanntmachung der Fide, welche die Senioren-Weltmeisterschaft nach Sizilien, also erneut Italien, vergeben hat. Vielleicht findet die Seniorenweltmeisterschaften 2024 in Argentinien statt.

FIDE World Senior Championships 2023: Registration is open

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Thorsten Cmiel ist Fide-Meister lebt in Köln und Milano und arbeitet als freier Finanzjournalist.