Rilton
Cup-Stockholm: Eine Rückblick
Von Alina
L'Ami
10-9-8…3-2-1-Gott
Nytt Ar!!!, wie die Schweden zu Beginn eines neuen Jahres sagen, immer mit der
Hoffnung, dass dieses Mal alles klappt. Wahrscheinlich wurden einige der ganz
ehrgeizigen und leidenschaftlichen Vorsätze bereits vergessen und die alten
Gewohnheiten schwingen wieder das Zepter… dennoch, vor ein paar Tagen, um
Mitternacht, verband uns alle ein unsichtbares Band: 2012 werde ich ___ und was
hier bei Ihnen steht, entscheiden Sie selbst. Was mich betrifft: neues Jahr,
gleiches Ziel. Aber dieses Mal habe ich mir das Versprechen gegeben, gleich
etwas zu verändern, wenn die guten Ideen in meinem Kopf zu sprudeln beginnen.
Gesagt, getan: als
wirkliche Schachspielerin habe ich die Nacht zum 1. Januar ‘gefeiert’ und mich
ein bisschen mit Nimzo-Indisch beschäftigtJ. Ein Grund
dafür ist meine Liebe zum Spiel, aber der Hauptgrund war der, dass am 1. Januar
die fünfte Runde des Rilton Cups, der vom 27. Dezember 2011 bis 6. Januar in
Stockholm ausgetragen wurde, auf dem Programm stand.
Gleich am 1. Januar war
GM Ulf Andersson schon zur Stelle und kommentierte Partien fürs dankbare
Publikum.
Wenn es um die Bretter zu
eng wurde, dann konnte man die Partien
auch live auf diesem riesigen Bildschirm verfolgen, und glauben Sie mir,
manchmal wurde es wirklich eng, vor allem in der Zeitnotphase.
Bevor Sie jetzt
die Augenbrauen hochziehen und sich fragen, welches Vergnügen denn darin liegt,
an einem Tag Schach zu spielen, an dem jeder ‘normale’ Mensch sich nach einer
denkwürdigen Party Ruhe gönnt, sollten Sie intuitiv wissen, dass es für die
seltene Spezies der Schachspieler kein größeres Vergnügen als eine Partie Schach
gibt – vorzugsweise eine gewonnene :-). Doch was passiert, wenn eine fette Null
zum Thema wird?! Geschieht das bei diesem wunderbaren Turnier, das in Stockholm
jedes Jahr zur gleichen Zeit ausgetragen wird, dann ist das nicht allzu schlimm.
Monika Socko vor der
Partie gegen ihren Ehemann Bartosz. Immerhin bleiben die Punkte so in der
Familie :-)
Sergey Ivanov gegen Juan Bellon
Und Grzegorz Gajewski gegen Axel Smith
Erwin l'Ami
Die Stadt, das
Hotel, der Turniersaal, die Organisation, all das hat dazu beigetragen, eine
einzigartige Schachatmosphäre zu schaffen. Und hat mir sehr geholfen. Zu Beginn
lief zwar nicht alles glatt, aber nach der Ergebnisfolge 1-0-1-0-1-0-1 (was mehr
wie Tic Tac Toe und weniger wie Schachergebnisse aussieht) konnte ich den
Negativtrend in Runde 8 mit einem Remis stoppen, um anschließend in der letzten
Runde zu gewinnen. Dank dieses Schlussspurts konnte ich mit meiner dritten
IM-Norm im Gepäck nach Holland zurückreisen und das trägt natürlich auch zu dem
guten Gefühl bei, das ich für dieses Turnier hege.
Aber das ist nicht
alles: Hätte ich mich in Stockholm nicht wohl gefühlt, hätte ich mich nicht
immer wieder von Rückschlägen erholen und immer wieder mein Gleichgewicht finden
können. Der Rilton Cup ist einfach ein wunderbares Turnier – kein Wunder, dass
er zum 41. Mal stattfindet! Dieses Mal gingen mehr als 200 Spieler an den Start
und traten in drei Rating-Gruppen an: Rilton Cup, Rilton Elo und Rilton Open.
Die Kinder der GMs haben
das Turnier ebenfalls genossen: oben Szymon und Weronika Socko; unten Anna
Cramling Bellon
Der Rilton Cup ist
das Hauptturnier, an dem man teilnehmen kann, wenn man eine nationale oder
internationale Wertungszahl über 2200 hat – mithin war das Turnier alles andere
als ein Spaziergang. In diesem starken Feld wurde Aleksandr Shimanov aus
Russland mit 7,5 aus 9 alleiniger Erster!
Aber sein Sieg
verlief nicht so glatt und leicht, wie man denken könnte. Im Gegenteil, zur
Freude des Publikums gab es dabei jede Menge Spannung und Drama. Besonders
kritisch für ihn war Runde sechs, in der Aleksandr mit Schwarz gegen …Erwin
l’Ami spielte, meinen Mann. Ich verfolgte die Partie frohen Mutes online – bis
ich irgendwann fast vom Stuhl fiel: nach einer langen und schönen Partie kam es
in der sechsten Stunde zum entscheidenden Fehler: Erwin übersah eine teuflische
Mattdrohung seines Gegners und verlor am Ende noch.
Hier hätte Weiß
mit 66.d6 einen Bauern verwandeln oder eine Menge Material und die Partie
gewinnen können; stattdessen entschied sich Erwin für 66.De6??, wonach
Schwarz mit 66…Txf3 tödlich Matt auf a3 drohen konnte. In der Partie
folgte 67.Dxe5+ Kg8 und hier hätte sich Weiß immer noch mit Dauerschach
ins Remis retten können: 68.De6+ Kf8 69.Dc8+ Kf7 70.De6+ und der schwarze König
kann nicht entkommen, da auch der Turm auf f3 gefährdet steht. In Zeitnot und
konsterniert von den letzten beiden Zügen gab Weiß das falsche Schach: 68.De8+,
wonach Schwarz mit seinem König fliehen und die Partie gewinnen konnte.
Kein glücklicher
Moment für unsere Familie, aber Müdigkeit war und ist ein Teil des Spiels, ganz
zu schweigen von dem Glück, das man einfach braucht, wenn man Erster werden
will. Das Wichtigste ist natürlich die Spielstärke und in den folgenden Partien
hat Aleksandr seine Klasse bewiesen und das Turnier überzeugend gewonnen.
Wir hatten außerdem das
Vergnügen, eins von Aleksandrs verborgenen Talenten zu entdecken: das Singen
:-). Die Abschlussfeier verlief am Ende ziemlich informell und wir kamen in den
Genuss eines wunderbaren Songs, vorgetragen von keinem Geringeren als dem
Turniersieger. Ein schöner Moment.
Endstand
Rg. |
|
Name |
FED |
Elo |
EloI |
EloN |
Verein/Ort |
Pkt. |
Wtg1 |
Wtg2 |
Rp |
K |
rtg+/- |
1 |
GM |
Shimanov Aleksandr |
RUS |
2549 |
2549 |
2626 |
Sollentuna SK |
7.5 |
40.5 |
0.0 |
2793 |
0 |
0.0 |
2 |
GM |
Cicak Slavko |
SWE |
2566 |
2566 |
2581 |
Eksjö SK |
6.5 |
36.5 |
0.0 |
2669 |
0 |
0.0 |
3 |
GM |
Solak Dragan |
TUR |
2629 |
2629 |
0 |
|
6.5 |
34.0 |
0.0 |
2647 |
0 |
0.0 |
4 |
GM |
Rozentalis Eduardas |
LTU |
2586 |
2586 |
0 |
|
6.5 |
34.0 |
0.0 |
2589 |
0 |
0.0 |
5 |
GM |
Ivanov Sergey |
RUS |
2537 |
2537 |
2615 |
Sollentuna SK |
6.5 |
34.0 |
0.0 |
2591 |
0 |
0.0 |
6 |
GM |
Socko Bartosz |
POL |
2635 |
2635 |
0 |
|
6.5 |
32.5 |
0.0 |
2591 |
0 |
0.0 |
7 |
GM |
Gajewski Grzegorz |
POL |
2616 |
2616 |
0 |
|
6.0 |
33.0 |
0.0 |
2582 |
0 |
0.0 |
8 |
GM |
Tikkanen Hans |
SWE |
2586 |
2586 |
2662 |
Lunds ASK |
6.0 |
32.5 |
0.0 |
2576 |
0 |
0.0 |
9 |
GM |
Brynell Stellan |
SWE |
2486 |
2486 |
2555 |
Limhamns SK |
6.0 |
32.0 |
0.0 |
2574 |
0 |
0.0 |
10 |
GM |
L'Ami Erwin |
NED |
2594 |
2594 |
0 |
|
6.0 |
31.5 |
0.0 |
2552 |
0 |
0.0 |
11 |
GM |
Bakre Tejas |
IND |
2509 |
2509 |
0 |
|
6.0 |
31.0 |
0.0 |
2536 |
0 |
0.0 |
12 |
GM |
Volkov Sergey |
RUS |
2626 |
2626 |
0 |
|
6.0 |
30.5 |
0.0 |
2511 |
0 |
0.0 |
13 |
FM |
Sipilä Vilka |
FIN |
2316 |
2316 |
2395 |
|
6.0 |
30.0 |
0.0 |
2505 |
0 |
0.0 |
14 |
IM |
Nithander Victor |
SWE |
2423 |
2423 |
2494 |
SS Manhem |
6.0 |
29.0 |
0.0 |
2483 |
0 |
0.0 |
15 |
GM |
Karlsson Lars |
SWE |
2485 |
2485 |
2541 |
SK Rockaden |
6.0 |
28.0 |
0.0 |
2471 |
0 |
0.0 |
16 |
IM |
Smith Axel |
SWE |
2480 |
2480 |
2560 |
Lunds ASK |
5.5 |
31.5 |
0.0 |
2531 |
0 |
0.0 |
17 |
IM |
Lindberg Bengt |
SWE |
2415 |
2415 |
2466 |
Solna SS |
5.5 |
30.0 |
0.0 |
2427 |
0 |
0.0 |
18 |
GM |
Socko Monica |
POL |
2479 |
2479 |
0 |
|
5.5 |
27.0 |
0.0 |
2403 |
0 |
0.0 |
19 |
WGM |
L'Ami Alina |
ROU |
2364 |
2364 |
0 |
|
5.5 |
26.0 |
0.0 |
2459 |
0 |
0.0 |
20 |
IM |
Nielsen Fries Jens Ove |
DEN |
2387 |
2387 |
2404 |
|
5.5 |
25.5 |
0.0 |
2357 |
0 |
0.0 |
.. 77 Spieler
Quelle: Chess-results
Ob man am Brett
Erfolge feiert oder nicht, in anderer Hinsicht kann man nur gewinnen. Stockholm
ist eine phantastische Stadt und ich versichere Ihnen, wenn man einmal da war,
will man immer wieder dorthin zurück, am besten zu verschiedenen Jahreszeiten.
Dieser Winter war ziemlich warm, kein Schnee und keine 20° Minus, aber dafür gab
es die kurzen nordischen Wintertage, in denen es schon um 15 Uhr dunkel wird!
13 Uhr, da ist es noch immer hell.
Stockholm ist auf
14 Inseln (ich würde sie ‘Schatzinseln’) erbaut und hat mich immer wieder mit
seinem spinnenartigen Infrastrukturnetz fasziniert, mit seinen Zügen, Bussen,
Straßenbahnen, Brücken in allen Formen und Größen, die Wasser und Land zu einer
großen Einheit verbinden. Ich wusste nie genau, ob ich von einer Insel zur
anderen ging, ich wusste nicht, wo das Meer beginnt und wo es endet – und dann
noch die Kanäle… mit ihren vielen Booten und Schiffen sind sie wirkliche
Wasseralleen.
Und dann wurde
Stockholm 2010 auch noch der Titel der ersten grünen Hauptstadt Europas
verliehen! Warum das so ist, verstehe ich sofort, ich muss nur an die immer
wiederkehrenden Worte denken, die man in Stockholm überall sieht:
umweltfreundlich, Öko, organisch, grün usw. Für viele Länder ist das ein Ziel,
das sie erreichen wollen, doch in Schweden ist das eine Lebenseinstellung, eine
grünere. Und eine ziemlich teure, wenn Sie mich fragen.
Schwedens
Hauptstadt in Stichworten: es gibt nicht nur ABBA und IKEA, sondern in Stockholm
öffnen einem die Taxifahrer die Tür (für 60 Euro allerdings fast
selbstverständlich); die Leute sind ziemlich groß (manchmal habe ich mich
gefühlt wie Gulliver im Land der Riesen); alles ist sauber und die Straßen sind
eng; viele Araber und Asiaten leben in Stockholm; jeder spricht Englisch (was
phantastisch ist); die Autofahrer lassen einen auch bei Rot über die Strasse
gehen (und hupen nicht einmal!); die Leute sind direkt und positiv (zumindest
meiner Erfahrung nach); allerdings wollte ich noch etwas anderes erwähnen, denn
all das können Sie leicht im Reiseführer nachlesen.
Die Altstadt, Gamla Stan, bildet ein kompaktes Gewirr enger Strassen,
die offensichtlich für dünne Leute mit robusten Knöcheln gebaut wurden!
Das Rathaus, das am 31.
Dezember, unserem spielfreien Tag, eider nicht besichtigt werden konnte.
Rechts sieht man das
Nobel-Museum, das Sylvester ebenfalls geschlossen war.
Vorsicht vor dem Troll!
Sonnenlicht auf Wasser
Fischmarkt
Geschichte,
Tradition, Architektur, das zeichnet jede Nation aus und macht sie einzigartig.
Man fährt nicht nach Stockholm, um Adidas oder Mc zu sehen, das findet man
überall. Was habe ich bei meinen Spaziergängen durch Stockholm gesucht?
Irgendetwas Neues. Und die Architektur dort ist einfach erstaunlich! Ich wusste
gar nicht, was ich fotografieren sollte, alles ist so anders, so originell, so
alt, so hübsch – so habe ich Schwedens Hauptstadt in den zehn Tagen des Rilton
Cups erlebt.
Schach und
Schachturniere bieten einem so viel, ob das nun direkt mit dem Spiel zu tun hat
oder nicht. Und mir wurde oft gesagt, dass Stockholm im Sommer sogar noch
schöner ist. Das können Sie im Juni selbst herausfinden, denn dann organisiert
der Stockholmer Schachverband zur Erinnerung an die Olympiade 1912 ein weiteres
Schachturnier. In genau der Stadt, die Sie in den Bildern oben gesehen haben.
Alina L'Ami
Ich wünsche Ihnen
ein phantastisches 2012! Wir sehen uns beim nächsten Turnier!