No shake hands in Wijk
- Wenn Bobby das wüsste…
Von Dagobert Kohlmeyer
Schachspieler sind manchmal eigenartige
Menschen. Nicht immer konzentrieren sie sich auf ihre Partien, sondern sorgen
dafür lieber für Ärger außerhalb des Bretts. Mitunter machen sie überhaupt
keinen Zug. Arbeitsverweigerungen gab es auch früher schon, man denke nur an
Bobby Fischers spektakuläre Abreise beim Interzonenturnier 1967 in Sousse. Auch
in Wijk aan Zee wollte am Sonntag ein Großmeister nicht spielen. Die Gründe
waren allerdings andere als damals beim Amerikaner.
Kaum hat sich hier im Corus Turnier die
Aufregung um Bobby Fischers Tod gelegt, gibt es seit heute neue Unruhe. Im
B-Turnier verweigerte Veselin Topalovs Sekundant Iwan Cheparinov dem Engländer
Nigel Short den üblichen Handschlag vor dem Spiel und wurde daraufhin vom
Hauptschiedsrichter genullt. Laut Turnierleiter Jeroen van den Berg folgte der
Referee damit einer neuen FIDE-Regel, die da besagt, dass der Handschlag vor
einer Turnierpartie obligatorisch ist.
Wer ihn verweigert, läuft Gefahr, eine Null
zu kassieren. Was dann auch mit Cheparinov geschah. „Eine Tatsachenentscheidung
wie beim Fußball, wenn der Schiedsrichter ein Tor gibt“, sagte van den Berg zu
uns.
Ist die Regel schon angenommen oder nicht,
war die Frage des Tages.
Nigel Short kam nach der Entscheidung
aufgeregt ins Pressezentrum und erzählte uns die Geschichte. „Ich wollte
Cheparinow die Hand geben. Er tat so, als sieht er es nicht. Bei meinem zweiten
Versuch reagierte er wiederum nicht, schüttelte nur kaum merklich den Kopf. Da
realisierte ich, er will den Handschlag nicht. Ich ging zum Schiedsrichter und
reklamierte auf Gewinn der Partie“.
Dem Anliegen des Engländers wurde
entsprochen.
Flugs wurden Shorts Erklärungen auf Video
aufgenommen und sein Statement auf diversen Webseiten weltweit verbreitet. Ich
fragte Nigel, ob ihm schon jemals in seiner langen Karriere ein Gegner den
Handschlag verweigerte. „Never!“ war die Antwort. Nicht einmal bei seinem
WM-Kandidatenmatch gegen Gata Kamsky 1994 kam das vor. (Dort hatte Kamskys
Vater Rustam Short mit den Worten „I kill you“ mehr als ernsthaft bedroht.)
Jede Medaille hat zwei Seiten. Uns
interessierte auch die Meinung der anderen. Dass es zwischen Nigel Short und dem
Topalov-Team Differenzen gibt, wissen wir seit langem. Aber hatte Cheparinov auf
Anweisung von Manager Silvio Danailow gehandelt? „Nein“, wehrte Letzterer auf
meine Frage hin ab, „es war Iwans eigene Entscheidung, aber ich unterstütze sie
natürlich.“ Der Manager erinnerte daran, dass der Streit mit Short schon zwei
Jahre schwelt. „Bei der WM 2005 in San Luis haben wir mit dem Engländer
gemeinsam Mittag gegessen, und er hat erklärt, unser Freund zu sein. Wenige
Monate später haut er uns weltweit in allen Medien (auch bei ChessBase) die
Betrugsgeschichte um die Ohren, dass Veselin während des Turniers fremde Hilfe
in Anspruch genommen hat. Damit hat er unser ganzes Team und auch die Arbeit
Cheparinovs als Trainer verunglimpft“.
Was würde Bobby Fischer dazu sagen? Dem
Amerikaner wurde trotz aller Eigenheiten von seinen früheren Gegnern große
Korrektheit am Brett bescheinigt. Lajos Portisch, einer der Veteranen beim
hiesigen Ehrenturnier, schüttelte über den heutigen Vorfall seinen grauen Kopf.
„Ich verstehe die jungen Schachspieler nicht. So etwas ist zu meiner großen Zeit
nicht vorgekommen“.
Schachveranstalter Hans Walter Schmitt,
Vater der Chess Classic, ereiferte sich: „Das ist Antiwerbung für Schach. Im
Tennis gibt es auch kein Match ohne Handschlag.“ (Dort allerdings nach dem
Spiel).
Hans-Walter Schmitt, Vlastimil Hort
Die Danailov-Seite, seit der Toilettenaffäre
von Elista im Formulieren von Protesten mehr als geübt, verfasste flugs einen
solchen, in dem darauf gepocht wird, dass besagte Regel noch nicht vom
FIDE-Kongress angenommen wurde, sondern nur eine Empfehlung sei. Leicht
zurückrudernd, wird vorgeschlagen, dass Cheparinov bereit wäre, Short doch noch
die Hand zu schütteln und die Partie gegen ihn an einem Ruhetag nachzuspielen.
Nun muss das Appellationskomitee
entscheiden. Es besteht hier in Wijk aus Michael Adams, Wladimir Kramnik und
Judit Polgar. Werden Sie dem Antrag der Bulgaren entsprechen oder ihn ablehnen?
Pikanterweise ist Kramnik Mitglied des Komitees -und seine Partie gegen Topalow
steht noch bevor. Beide Erzrivalen spielen laut Auslosung am Dienstag nach dem
morgigen Ruhetag. Im vorigen Jahr hatten sie sich beide in Wijk nicht die Hand
gegeben. (Die Vorfälle von Elista waren noch ganz frisch.) Keiner wurde dafür
gescholten bzw. bestraft. Wenn es dieses Jahr auch so sein wird, läuft keiner
Gefahr, die Partie zu verlieren“, meint Turnierdirektor Jeroen van den Berg.
Streckt aber Kramnik beispielsweise die Hand aus, und Topalow ergreift sie
nicht, wird er genullt. Absurdes Theater…
Wir fragten Nigel Short noch, ob er seine
Partie gegen Cheparinov am morgigen Ruhetag nachspielen würde, wenn das Komitee
es so festlegt: „Dazu habe ich keine Lust“, sagte der Engländer mit Wohnsitz in
Athen.
Ach so, Schach wurde heute doch noch
gespielt.
Ivanchuk liest das Bulletin
Es war ein schlechter Tag für Bulgarien. Im
A-Turnier verlor Veselin Topalow seine Partie gegen Vishy Anand. Mit dem zweiten
Sieg in Folge hat der Weltmeister aus Indien hier den Turbo aufgedreht und einen
großen Sprung in der Tabelle nach vorn gemacht.
Tagessieger
Es war die einzige Gewinnpartie des Tages.
Kramnik remisierte trotz Mehrbauern gegen Judit Polgar. Magnus Carlsen, der mit
Boris Gelfand den Punkt teilte, bleibt Spitzenreiter.
Spitzenreiter Carlsen
Text
und Fotos: Dagobert Kohlmeyer
Anlage:
Behavioural norms of players in chess events.
PB
decision
|
Behavioural norms of players in chess events
Having discussed several
recent cases in different chess tournaments where the attitude of players
toward their opponent or officials, journalists etc. was not acceptable
under conventional social behaviour, the FIDE Presidential Board –at the
suggestion of President Ilyumzhinov- decided on setting up strict rules
regarding such behaviour.
Any player who does not shake hands with the opponent (or greets the
opponent in a normal social manner in accordance with the conventional rules
of their society) before the game starts in a FIDE tournament or during a
FIDE match (and does not do it after being asked to do so by the arbiter)
or deliberately insults his/her opponent or the officials of the event,
will immediately and finally lose the relevant game.
Regarding a more comprehensive set of behavioural and ethical norms to be
followed, FIDE Ethics Commission and the Arbiter’s Council are to elaborate
guidelines for the players. The guidelines will be published on the FIDE
website.
Read full
Press release.
in pdf format. |
To the Appeal Committee January
20th,2008
Corus chess tournament 2008
Mr.Adams
Mr.Kramnik
Mrs.Polgar
APPEAL
Dear All,
Today during the start of the round the following accident happened.
Mr. Cheparinov refused to shake hands with Mr. Short before the game.
The reason was: some time ago in one of his interviews Mr. Short insulted
him and our team gravelly.
After that, Mr.Short complained to the Chief Arbiter of the Tournament ,who
without previous warning immediately decide to put defeat to Mr.Cheparinov.
According to the rules of FIDE, this decision is illegal.
There is a recommendation from the FIDE Presidential Board in Tallin June
2007about the Behavioural norms of players in chess events : http://fide.com/news.asp?id=1391
First of all, this is only recommendation ,not an official FIDE rule because
this recommendation must be approved on FIDE congress during the chess
Olympiad in Dresden, November 2008.
Even more, if the Arbiter would like to follow the recommendation of the
FIDE PB in Tallin ,he made a big mistake ,because obviously he did not even
check carefully the recommendation.
Before to defeat the player he must ask him officially on the stage, that if
he does not shake hand again he will be defeated.
Instead of this ,the Chief Arbiter call Mr.Cheparinov to the private room
and told him that he lost the game.
Mr.Cheparinov replay ,that according to the recommendation (!) of FIDE he
should ask him to shake hands ,before to take any decision.
Even more ,Mr.Cheparinov told him very clearly that if he oblige him to do
this ,he is ready to do it.
Unexpectedly, the Arbiter did not pay any attention to his explanations and
took the decision to defeat him.
We protest this illegal decision ,and kindly ask to replay the game in one
of the following rest days.
Best regards,
Silvio Danailov
Manager GM Ivan Cheparinov
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