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Wolga-Gambit: Erstaunlich gut
Alejandro Ramirez: Angreifen mit dem Wolga-Gambit, Teil 1
Eine Rezension von Johannes Fischer
Anfang der 90er Jahre habe ich gerne Wolga-Gambit gespielt. In Schnell- und Blitzpartien, aber auch in Turnieren. Vor allem die Hauptvarianten, in denen Weiß das Bauernopfer mit 1.d4 Sf6 2.c4 c5 3.d5 b5 mit 4.cxb5 a6 5.bxa6 annimmt, um den Bauern dann zu verteidigen, gefielen mir. Schwarz hat in diesen Stellungen zwar einen Bauern weniger, aber bekommt dafür langfristigen Druck, der oft bis ins Endspiel anhält. Außerdem ist die schwarze Stellung leicht zu spielen, denn Schwarz hat klare Pläne: Er stellt seine Türme auf die a- und die b-Linie, die Dame geht nach a5, b6 oder a6, dann wird der Springer f6 über e8 und c7 nach b5 überführt – irgendwann bricht dann der weiße Damenflügel zusammen, Schwarz erobert den Gambitbauern zurück und gewinnt im Endspiel.
Der größte Anhänger des Benkö-Gambits war damals GM Lev Alburt. Alburt stammte aus der UdSSR, war aber in die USA ausgewandert und gehörte zu jenen Spielern, die mit beinahe religiöser Inbrunst stets die gleichen Eröffnungen spielten. Auf 1.e4 griff er mit 1…Sf6 zur Aljechin-Verteidigung, 1.d4 konterte er mit dem Wolga-Gambit. Alburt bereicherte die Eröffnung mit zahllosen Ideen und inspirierte Wolga-Anhänger mit phantastischen Partien. Eine seiner bekanntesten spielte er 1977 in Decin gegen Vlastimil Hort:
Doch trotz solcher Vorbilder verlor ich irgendwann das Vertrauen ins Wolga-Gambit. Weiß schien einfach zu viele attraktive Möglichkeiten zu haben, das Bauernopfer abzulehnen oder es erst gar nicht zum Wolga-Gambit kommen zu lassen. Außerdem wirkte die schwarze Kompensation für den Bauern in den Hauptvarianten manchmal doch recht dünn. Spielten solide Spieler wie Kramnik oder Karpov mit Weiß, dann schien Schwarz fast keine Kompensation zu haben. Weiß machte ein paar Konsolidierungszüge, um die schwarzen Drohungen am Damenflügel zu parieren, tauschte anschließend die schwarzfeldrigen Läufer und verwertete dann seinen Mehrbauern.
Die Wolga-DVD von Alejandro Ramirez machte mich allerdings wieder neugierig: Hatte er wirklich etwas anzubieten, um das Wolga-Gambit zu einer verlässlichen Eröffnung zu machen? Oder gehörte Ramirez doch zu den Spielern, die von den taktischen Möglichkeiten eines Gambits so begeistert sind, dass sie alle Nachteile der jeweiligen Variante vergessen?
Bevor ich mir die DVD anschaute, bereitete ich mich deshalb ein wenig auf Ramirez und sein Wolga-Gambit vor. Und wurde schon vom Eröffnungsreport in der Megabase 2012 überrascht: Während ich das Wolga-Gambit für keine wirklich vollwertige Eröffnung hielt, waren Spieler wie Magnus Carlsen, Vassily Ivanchuk, Veselin Topalov, Viktor Bologan oder Fabiano Caruana offensichtlich anderer Meinung, denn sie wendeten und wenden diese Variante in Top-Turnieren regelmäßig an.
Starke Großmeister, die Wolga spielen oder gespielt haben. (Screenshot des Eröffnungsreports der Megabase 2012)
Zum Beispiel gewann Carlsen beim Amber-Rapid-Turnier 2011 mit dem Wolga-Gambit eine hübsche Partie gegen Boris Gelfand:
Die Datenbank verrät auch, dass Ramirez seit Jahren Wolga spielt und die Eröffnung ihm gute Dienste geleistet hat. Ramirez ist eines der größten Talente des zentralamerikanischen Schachs. Er wurde am 21. Juni 1988 in Costa Rica geboren und war bereits mit 15 Großmeister. Heute lebt er in den USA, wo er mit Hilfe eines Schachstipendiums an der University of Texas in Dallas studiert und seinen Master in „Arts & Technology / Design and Production of Video Games“ gemacht hat.
Im Schach feierte Ramirez dieses Jahr eine Reihe von Erfolgen. Im Mai wurde er zusammen mit Gata Kamsky geteilter Erster bei der US-Meisterschaft und unterlag Kamsky im fälligen Stichkampf erst im Armageddon-Blitz. Im Juni teilte er bei einem starken Open in Las Vegas den ersten Platz und im August versucht er sein Glück im World Cup.
Die DVD über das Wolga-Gambit war Ramirez’ erste ChessBase-DVD. Mittlerweile hat er zwei weitere DVDs produziert: Angreifen mit dem Wolga-Gambit, Teil 2 (auf dieser DVD zeigt Ramirez, wie Schwarz reagieren kann, wenn Weiß dem Wolga-Gambit aus dem Weg geht) und Flexibel angreifen mit der Réti-Eröffnung, ein Eröffnungsrepertoire für Weiß, das auf dem Zug 1.Sf3 basiert.
Doch bereits bei seinem Debüt beeindruckt der junge Großmeister. Durch die klare Struktur der DVD, die souveräne Art seines Vortrags, die überzeugend ausgewählten Beispiele und nicht zuletzt, weil er immer weiß, wovon er redet. Ramirez spricht frei und kennt sich in den Strukturen und Varianten des Wolga-Gambits so gut aus, dass er es sich leisten kann, auf Notizen und Unterlagen zu verzichten.
Ramirez spricht deutlich, nicht zu schnell, ohne Stockungen, Pausen, „Ähs“, „Ahs“ und „Ohs“. Auch die Struktur der DVD überzeugt durch Klarheit und Übersichtlichkeit. In 26 Videoclips präsentiert Ramirez ein komplettes Wolga-Repertoire. Er beginnt mit einer Einleitung, in der er die typischen Ideen, Manöver und Strukturen des Wolga-Gambits erklärt, dann folgen Repertoirevorschläge gegen die Varianten, mit denen Weiß auf das Wolga-Gambit reagieren kann.
Bei der Erläuterung der jeweiligen Varianten geht Ramirez auf die Idee hinter den jeweiligen Zügen ein, verweist kurz auf Geschichte und Bedeutung der jeweiligen Variante, um anschließend ein oder zwei Repertoirevorschläge für Schwarz zu machen.
Im Anschluss an die Videos mit den Repertoirevorschlägen folgen kürzere Videoclips mit Tests, in denen man prüfen kann, ob man die typischen Muster und Motive des Wolga-Gambits beherrscht.
Den Abschluss bildet schließlich die ausführlich kommentierte Partie Bareev-Kasparov – für Ramirez DIE Modellpartie zum Wolga-Gambit und zugleich die Partie, die ihn dazu gebracht hat, das Wolga-Gambit mit Schwarz zu spielen.
Dabei ist Ramirez sachlich, doch angenehm parteiisch. Er glaubt an das Gambit und erklärt: „Seit 15 Jahren bin ich glücklicher Wolga-Spieler.“ Er räumt zwar ein, dass Wolga „nicht die solideste aller Eröffnungen“ ist, aber meint auch „in der Hand eines Experten ist die Variante tödlich“.
Beispielvideo
Alles in allem ist Ramirez mit seiner ersten DVD ein kleines Kunststück gelungen. Er zeigt, wie ein Großmeister denkt und wie man Ideen, Strukturen und Muster einer Eröffnung anschaulich präsentiert. Zugleich bietet er ein klar strukturiertes, aggressives und umfassendes Repertoire an, mit dem Schwarz gegen 1.d4 gerüstet ist. Ramirez’ Vortrag ist dabei so überzeugend und sein Glaube an das Wolga-Gambit so ansteckend, dass man Lust bekommt, die Variante zu spielen.
Über den Autor der Rezension:
Johannes Fischer wurde 1963 geboren und ist FIDE-Meister. 1978 wurde er Deutscher Meister U15, 1981 und 1982 gewann er die Hamburger Jugendmeisterschaft. Nach Abitur und Zivildienst in Hamburg studierte er in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft. Er lebt in Nürnberg, spielt für den Schachverein Schwarz-Weiß Nürnberg Süd und arbeitet als freiberuflicher Übersetzer, Lektor, Redakteur und Autor.
Er schreibt regelmäßig für ChessBase und die Schachzeitschrift KARL und bloggt unter dem Titel „Schöner Schein“ über Literatur, Film und Schach.