Die "Corona"-Pandemie ist nach wie vor das beherrschende Thema. Eines ist bei allen Nachrichten klar, nämlich, dass nichts klar ist.
Virologen, Mediziner und Pathologen sind die gefragtesten Gesprächspartner für die Medien und widersprechen sich in ihren Einschätzungen. Die Pessimisten befürchten Todesraten wie bei der Spanischen Grippe, die zum Ende des Ersten Weltkrieges von 1918-1920 in drei Wellen eine unbekannte Anzahl von Toten gefordert hat - man schätzt aber 100 Millionen. Die Optimisten vermuten, dass die an oder mit dem Corona-Virus Gestorbenen sowieso in nächster Zeit gestorben wären. Der Virus hätte den Prozess nur beschleunigt. Nach dem Verdoppelungszeitraum ist der R-Faktor nun in aller Munde.
Die Webseite der John Hopkins-Universität ist vermutlich die in den letzten Wochen weltweit am meist aufgerufene Internet-Seite. Die dort gesammelten Statistiken und Fallzahlen werden allerdings in jedem Land ganz anders ermittelt, in einigen auch gar nicht oder höchst zufällig. Ein Übersicht über die Fälle in Deutschland liefert die "Zeit"-Karte. Schaut man auf die Statistiken, dann sind wir derzeit mit etwa 700 neuen Erkrankungen pro Tag dort, wo wir zu Anfang der Pandemie waren, Mitte März in etwa, als die Infektionszahlen begannen zu explodieren.
Deutschland ist im Vergleich zu anderen Ländern bisher einigermaßen gut weggekommen. Warum, weiß man nicht so genau. Das deutsche Gesundheitssystem mag in den letzten Jahren infolge von Privatisierungsparmaßnahmen schlechter geworden sein, ist aber im Vergleich zu anderen Ländern immer noch sehr gut. In New York möchte man jetzt lieber nicht wohnen. Außerdem hat man in Deutschland schnell reagiert - nicht nur zentral durch die Regierungsanweisungen, auch an den meisten anderen Entscheidungsstellen. Der öffentliche Betrieb wurde schon eingestellt, noch bevor die Bundesregierung und die Landesregierungen dies angeordnet haben.
Aber der angeordnete "Lock down" kann nicht mehr lange dauern, da er die Strukturen in der Wirtschaft jeden Tag mehr zerstörte und in vielen Bereichen Existenzen finanziell ruiniert. Auch viele Schachprofis sind betroffen.
Im Schach ruht der Spielbetrieb seit Anfang März. Die Corona-Krise hat das Schach an sich sogar zum neuen Star des Sports gemacht. Überall sonst passierte nichts mehr, aber das Schach lebt im Internet einfach weiter, als wäre nichts gewesen. Das Online-Schach gibt es ja schon seit etwa 20 Jahren und es existierte neben dem "normalen" Schach immer nebenher. Was fehlte, waren die großen offiziellen Online-Turniere. Mit Beginn des weltweiten "Lock downs" sind die Strukturen dafür nun blitzschnell entstanden. Die FIDE, einzelne Landesverbände, organisieren nun offizielle Turniere im Internet.
Der Deutsche Schachbund war übrigens der erste, der eine offizielle Meisterschaft im Internet, auf dem Playchess-Server durchführte. Sie war nämlich sowieso schon geplant - lange bevor man etwas von einem Corona-Virus wusste. Der Österreichische Schachbund folgte dem Beispiel blitzschnell und hat seine Vorrunden und Zwischenrunde auf Playchess auch schon ausgetragen. Magnus Carlsen organisierte sich auf Chess24 eine eigenes Weltklasse-Turnier und die FIDE zog mit dem Nationscup auf chess.com nach. Diese Woche startet dann noch das russische Charity-Turnier auf Lichess.
Nicht nur die großen Namen spielen online, viele Vereine richten ebenfalls für ihre Mitglieder oder für Freunde online-Turniere aus. Auf Playchess finden oder fanden beispielsweise Turniere von Werder Bremen, dem Hamburger SK, von den Schachfreunden Berlin oder dem Erfurter SK statt, sicher noch viele mehr, mit weniger offiziellem Charakter.
Die private britische 4NCL hat es übrigens geschafft, ihren kompletten Spielbetrieb mit allen Divisionen ins Internet zu transportieren, was eine gewaltige organisatorische Leistung ist.
Das Schach lebt auch mit einem "Lock down". Und gar nicht so schlecht.
Aber trotzdem: Der normale Spielbetrieb muss auch weitergehen. Überall liegen die Enden der unterbrochenen und abgebrochenen Saisons der Ligen herum und warten darauf, dass es weiter geht. Die Spitzenreiter der einzelnen Ligen möchten aufsteigen und das erfordert, dass "von oben" auch Mannschaften absteigen. Das ganze System ist miteinander verzahnt. Eine Gesamtlösung ist nötig.
Der Schachbund hatte schon versucht, Nägel mit Köpfen zu machen und für die Zweiten Ligen, die Ligen für die der Deutsche Schachbund zuständig ist, eine Regelung zu finden, nämlich das Saisonende auf das nächste Jahr zu verlegen. Diese Regelung hätte den Vorteil, dass die Ligen - vermutlich - alle einen "normalen" Abschluss finden würden und dass es keine Terminprobleme gäbe. Doch in den Verbänden, zuständig für die regionalen Ligen, und bei der Bundesliga, die sich als Verein selber organisiert, wollte man noch abwarten. Der Schachbund nahm seinen Vorschlag wieder zurück.
Jetzt hat der Schachbund aber in einem Beitrag auf seiner Webseite gleich mehrere Varianten vorgestellt. Neben dem Plan A - Verlängerung der Sasion- auch noch einen Plan B: Abbruch der Saison mit Wertung des jetzigen Tabellenstandes. Es gibt aber auch noch einen Plan C: Abbruch der Saison ohne Wertung. Der Schachbund ist aber offen weitere Vorschläge.
Vielleicht könnte man die erzwungene Pause dazu nutzen, einmal grundsätzlich über den Spielbetrieb nachzudenken, zum Beispiel mit folgenden Fragen:
- Macht es heutzutage noch Sinn, eine Liga, wie die Bundesliga, über ein ganzes Jahr mit unregelmäßigen Terminen hinzuziehen? Ist das System mit den Reisepartnerschaften noch zeitgemäß? Gibt es nicht attraktivere Systeme?
- Macht es Sinn die unteren Ligen mit zumeist zehn Mannschaften, also neun Spieltagen, ebenfalls über das ganze Jahr zu ziehen?
- Warum werden die Ligen immer über zwei Kalenderjahre gespielt? Warum nicht in einem Kalenderjahr?
- Wäre es nicht zeitgemäßer, die Partiedauer zu verkürzen?
In vielen unteren Ligen wird noch mit antiken Bedenkzeiten gespielt. In Hamburg dauert eine Partie in der Hamburger Stadtliga (und darunter) im ungünstigsten Fall fünf Stunden: zwei mal zwei Stunden für 40 Züge, zweimal 30 Minuten für den Rest. Oft wird mitten in der Woche gespielt, d.h. für Berufstätige: Antreten bald nach Dienstschluss um 19 Uhr. Spielen bis 24 Uhr. Evtl. Material wegräumen. Unter Umständen längere Fahrt nach Hause. Am nächsten Tag wieder früh zur Arbeit.
- Sind Mannschaften mit acht Brettern noch zeitgemäß? Auch Sechser- und Vierermannschaften wären gut denkbar.
- Man könnte sich auch gut Kombimannschaften vorstellen: In jeder Mannschaft muss mindestens eine Frau spielen. Und/oder: In jeder Mannschaft muss mindestens ein Jugendlicher spielen (aber nicht bis Mitternacht).
So viele Fragen, über die es sich nachzudenken lohnt!
Am letzten Wochenende haben die Bundesliga-Vertreter in einer Konferenz über die Fortsetzung des Spielbetriebes beraten und sind zum gleichen Ergebnis gekommen wie der Schachbund bei seiner ersten Entscheidung. Eine Erweiterung der Saison auf das nächste Jahr hinaus hätte einige Vorzüge. Die endgültige Entscheidung darüber soll am 21. Juni fallen.
Wahrscheinlich ist dies aber der einzige machbare Weg. Die Alternative wäre ja, die Saison 2019/2010 für alle Ligen zu annullieren, was für viele Mannschaften, die bisher erfolgreich waren sehr schmerzhaft wäre. In einigen zweiten und dritten Ligen gibt es ja auch schon Profimannschaften, in die Sponsoren Geld für einen Aufstieg investiert haben.
Warten wir es also ab. Bis dahin können wir noch schön Online-Schach spielen und uns aber schon darauf freuen, bald unsere Schachfreunde auch am Brett wiederzusehen. Zum Genuss einer erfolgreichen Partie gehört es einfach dazu, dass man sieht, wie der Gegner sich in schlechter Stellung windet, Grimassen zieht und einem dann zum Erfolg gratuliert.
Mitteilung der Schachbundesliga...
Beitrag beim Schachbund...