Spiele, Zahlen, Rätsel

von Karsten Müller
20.10.2014 – Der Inhalt des Buches "Spiele, Zahlen, Rätsel" erklärt sich von selbst. Auch das Schach wird darin in einigen Facetten beleuchtet, beim Thema "Betrug mit Computerhilfe" oder mit der Idee, die Remisbreite durch Einführung eine Pattsieges (0,75:0,25) zu verringern, was eine Neufassung der gesamten Endspieltheorie nach sich ziehen würde. Rezension von Karsten Müller...

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Logik die begeistert

Eine Rezension des Buches Spiele, Rätsel, Zahlen von Ingo Althöfer und Roland Voigt, Springer Spektrum 2014


0) Kurzvorstellung der beiden Autoren:

Ingo Althöfer, Professor für Mathematische Optimierung an der Universität Jena seit 1994

Roland Voigt; Mathematiker an der Universität Leipzig mit abgeschlossener Doktorarbeit, FIDE-Meister im Schach, Starker Bridgespieler und Rätselexperte; (Webseite: hochhausigel.de - auch mit
Rätsel des Tages)

1) Das ewige Duell Mensch gegen Maschine

Im Schach gilt dieser ungleiche Zweikampf als entschieden. Es begann mit Kasparows legendärer Niederlage gegen den Supercomputer Deep Blue, New York 1997, um die sich bis heute einige Mythen ranken, ging mit Hydras gewaltigem 5.5:0.5 Sieg gegen Adams in London 2005 weiter und allerspätestens seit dem Sieg von Deep Fritz 10 gegen Kramnik in Bonn 2006 gilt diese Frage als entschieden und wir werden die Maschinen aller Voraussicht nach auch niemals wieder einholen können. Das ist aber zum Glück nicht in allen Bereichen der logischen Spiele und Rätsel der Fall. Die Autoren streifen diese spannende Gebiet auf ihrer Reise durch die faszinierende Welt der logischen Spiele und Rätsel immer wieder.

2) Das perfekte Programm verliert

Besonders fasziniert hat mich das Match im Mühle, das am 30. September 1994 an der ETH Zürich zwischen Mühle-Großmeister Manfred Nüscheler und dem Programm Bushy II stattfand, wobei hier dazu gesagt werden muss, dass es kein vorwärtssuchendes Spielprogramm war, sondern eine Datenbankabfrage. Denn Programmierer Ralph Gasser hatte alle Stellungen erzeugt und per Rückwärtsanalyse das Spiel vollständig gelöst. Weil Mühle allerdings eine hohe Remisbreite hat und für das Programm alle Remisstellungen gleich gut sind, wurde im Vorhinein mit 10 Remisen aus 10 Partien gerechnet, zumal Nüscheler auch noch von 3 weiteren starken Spielern beraten werden durfte. Doch dann gab es eine gewaltige Sensation. Das vermeintlich unbesiegbare Programm verlor 2 Partien und Nüscheler keine, so dass Nüscheler das Match mit 6:4 gewann. Später konnte Gasser die Hardwarefehler finden, welche ihm das letzte groß angelegte Mensch vs Maschine- Mühlematch gekostet hatten.

Solche Wettkämpfe gegen einen unbesiegbaren Gegner machen für Menschen natürlich keinen Sinn. Zwei spannende Problemstellungen, an denen bis heute geforscht wird, schließen sich hier allerdings direkt an.

Wie kann ein perfektes Spielprogramm in Remisstellungen Druck gegen nicht perfekt spielende Gegner Druck aufbauen, was ja auch im Schach im Bereich der 5- und 6-Steiner interessant ist;

und

wie können die Spielregeln ggf. so geändert werden, dass die Essenz des Spieles erhalten bleibt, sich aber die Remisbreite verringert. Optionen dafür wären zum Beispiel Lasker-Mühle und Lasker-Schach (siehe unter Punkt 3 unten), welche beide im Buch besprochen werden.

3) Havannah oder die verlorene Wette des Christian Freeling

Zum Glück gibt es auch noch Spiele, bei denen die Menschen überlegen sind. Eines davon ist Havannah. Das Brett hat 6 Seiten und ist bienenwabenförmig angeordnet. Die Brettgröße kann variieren, üblich sind Größen von 4 bis 10. Die Spieler sind Weiß und Schwarz und ziehen abwechselnd. Das Ziel des Spiels ist es, entweder 3 Seiten oder 2 Ecken mit eigenen Steinen zu verbinden oder einen Ring zu schließen, der mindestens ein Feld im Inneren enthalten muss. Die Ecken zählen bei den jeweiligen Seiten nicht mit. Das Spiel kann natürlich auch remis ausgehen.

Christian Freeling hat das Spiel Ende der 1970er Jahre erfunden und es erwies sich als für die Computerprogramme überraschend schwierig. Zwar konnte Timo Ewalds im Rahmen seiner Masterarbeit beweisen, dass der Anziehende auf dem 4er Brett einen Gewinn erzwingen kann, aber das vollständige Durchrechnen ist natürlich für die größeren Brett nicht mehr durchführbar. Die vorwärtsrechnenden Spielprogramme waren jedoch so schwach, dass Freeling eine 10-Jahres-Wette anbot: Er würde ein Match über 10 Partien 10:0 gewinnen.

Eine aufgrund der bekannten menschlichen Schwächen extrem riskante Wette, was sich auch zeigen sollte. Freeling ist zwar besser als die Programme und gewann am Ende das Match auch 7:3, aber die Wette verlor er. Von den 3 Programmen spielte Lajkonik von Marcin Ciura, der in Krakau lebt und für Google arbeitet. In der ersten Partie hatte er ungünstige Parameter gewählt und chancenlos verloren. Danach hatte er sie in Partie 2 verbessert und eine gute Stellung erreicht und die Partie musste wegen eines Internetkommunikationsproblems abgebrochen werden. Das bessere Spiel hätte Freeling warnen sollen, doch er lief am nächsten Morgen dem Programm ins Messer und verlor Partie und Wette. Das Match gewann er allerdings, so dass der Tag, an dem die Computer dem Menschen auch hier überlegen sein werden noch nicht gekommen ist, ebenso wie im Brettspiel Go.

4) Lasker-Schach, um die Remisbreite im Schach zu verringern

Der sehr starke Berliner Fernschachspieler Arno Nickel hat vorgeschlagen, einen Pattsieg neu einzuführen, um die Remisbreite im Schach zu verringern. Die pattsetzende Seite soll danach 0,75 Punkte und die pattgesetzte Seite nur 0,25 Punkte erhalten. Weil Weltmeister Emmanuel Lasker einen ähnlichen Vorschlag gemacht hatte, schlägt Nickel als Namen Lasker-Schach vor. Besonders die Endspieltheorie würde dadurch natürlich revolutioniert werden. So wären beispielsweise alle Endspiele mit König und Bauer gegen König, bei denen der Bauer nicht verloren geht, mindestens Pattsieg gewonnen.

Die "vollen Gewinnstellungen" bleiben natürlich gleich, so dass die konventionelle Theorie in soweit gültig bleiben würde. Ich schlage dennoch vor, alles so zu belassen wie es ist, denn im Nahschach gibt es zumindest im Moment und in absehbarer Zukunft kein Problem mit den Remisen. Von einem Remistod des Schachs könnte wohl erst gesprochen werden, wenn in Spitzenturnieren im Schnitt z.B. mehr als 80 % der Partien remis ausgehen. Das ist jedoch nicht der Fall. Im Fernschach mag es hier Handlungsbedarf geben, doch ich würde für eine drastische Verkürzung der Bedenkzeit plädieren, um durch den erhöhten Zeitdruck mehr Fehler zu provozieren. Denn die Untersuchungen von Lasker-Schach Endspielen durch Marco Bungart im Rahmen seiner Masterarbeit deuten laut Althöfer und Voigt daraufhin, dass sich die Remisbreite nicht in ausreichender Weise verringert, um das Spitzenfernschach auf diese Weise vor dem Remistod zu retten.

Rätsel

Für diesen Teil des Buches zeichnet der Leipziger FM Roland Voigt verantwortlich. Sein älterer Bruder Ulrich Voigt ist übrigens mehrfacher Rätsellöseweltmeister. Voigt untersucht unter anderem lateinische Quadrate, Graphen- und Fäbungsrätsel und Sudokus. Hier findet sich übrigens ein weiterer Aspekt, bei dem Menschen noch überlegen sind. Computergenerierte Sudoks werden als nicht so "schön" empfunden, weil eine rein logisch motivierte Lösungsstrategie wichtig ist. Man will nicht zufällig herumprobieren, um ein Sudoku zu lösen, sondern es soll immer Schritt für Schritt aufeinander aufbauen. Solche Sodukos werden zur Zeit noch von Menschen generiert und der Computer prüft dann die Korrektheit.

Zahlenrätsel

Auf ein Problem aus der Welt der Zahlen möchte ich noch eingehen. Der Fundamantalsatz der Algebra besagt ja, dass jedes komplexe Polynom vom Grad n im Körper der komplexen Zahlen n Nullstellen hat (jeweils mit Vielfachheiten gezählt). Seine Ableitung hat nun n-1 Nullstellen, so dass quasi eine Nullstelle verloren geht. Dazu hatte der überragende Mathematiker Carl Friedrich Gauß 1836 eine Behauptung formuliert, welche Felix Lucas 1879 beweisen konnte: Die Nullstellen der Ableitung liegen alle in der konvexen Hülle der Nullstellen des Polynoms. Der Jenaer Mathe-Student Hauke Rehr vermutete nun 2012, dass sich der Satz von Gauß-Lucas verschärfen lässt, wenn sich mindestens eine der Nullstellen des Polynoms echt im Inneren der konvexen Hülle befindet.

Die genaue Formulierung der Rehrschen Vermutung lautet: Es gibt einen geschlossenen Kantenzug, dessen Eckpunkte genau
die Nullstellen des Polynoms P sind, so dass alle Nullstellen
der Ableitung im Inneren des Kantenzugs liegen.

 




Der Lektor des Buches, Dr. Andreas Rüdinger, konnte für den Spezialfall, dass sich genau eine Nullstelle von P in der konvexen Hülle befindet, die Rehr-Vermutung beweisen.

Vielleicht gelingt Ihnen ja ein Beweis für den allgemeinen Fall.

Fazit

Im Rahmen dieser Rezension konnte ich nur einige der vielen Facetten des Buches anreißen. Weitere wichtige Themen sind etwa Betrug im Schach durch Computerhilfe, das 3-Hirn, weitere Rätsel und Spiele wie das faszinierende "EinStein würfelt nicht". Insbesondere ist der Rätselteil in der Rezension zu kurz gekommen. Alles in allem eine sehr lohnende Lektüre, um einen ersten Einblick in die Welt der Spiele, logischen Rätsel und in faszinierende Fragen rund um das Reich der Zahlen zu erhalten.


Schlussbemerkung: Buch ist in deutscher Sprache. Ich könnte mir vorstellen, dass auch eine englische Version viele Käufer finden würde.

Es gibt zwei verschiedene Kaufversionen:

auf Papier (298 Seiten) für 14,99 Euro
und elektronisch für 9,99 Euro.

********************
Auf einer Webseite des Springer-Verlags kann man in die einzelnen
Kapitel des Buchs hineinschnuppern:

http://link.springer.com/book/10.1007/978-3-642-55301-1

Verlag: Springer Spektrum; Auflage: 2014, Softcover, 296 Seiten
ISBN-10: 3642553001
ISBN-13: 978-3642553004

14,99 Euro

 


Karsten Müller gilt als einer der größten Endspielexperten weltweit. Dazu hat sein zusammen mit Frank Lamprecht verfasstes Buch „Grundlagen der Schachendspiele“ ebenso beigetragen wie seine Kolumnen auf der Webseite ChessCafe sowie im ChessBase Magazin. M.s ChessBase-DVDs im Fritztrainer-Format über Endspiele sind Bestseller. Der promovierte Mathematiker lebt in Hamburg, wo er auch für den HSK viele Jahre in der Bundesliga auf Punktejagd ging.

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