
Rezension von Melik Kramer
Zum ersten Mal sah ich Stefan Kindermann Ende der 80er Jahre. Er spielte damals für den FC Bayern München und auch bei den jährlich stattfindenden Turnieren im Münchner Garden Hotel in Schwabing. Zusammen mit Klaus Bischoff, Johann Hjartarson (inzwischen wieder aktiv) und natürlich auch Arthur Jussupow (damals noch für Russland spielend).
Die Züge wurden zu Fuß vom Spielsaal in den Analyseraum „übertragen“, wo sie von Gerald Hertneck und Klaus Klundt am Demobrett fachkundig erläutert wurden. Wer hätte damals gedacht, dass man sich heute einfach per Internet eine DVD bestellen oder herunterladen kann, um sich dann bequem zu Hause von Experten stundenlang eine Eröffnung erklären zu lassen?
Kann der Freund der Alliteration, Stefan Kindermann, mit seinem neuesten Werk „Triumphieren mit Trompowsky“ an seine sehr guten DVDs anknüpfen?
Ausgangspunkt war, dass Kindermanns Kollegin in der Münchner Schachakademie, Dijana Dengler, ein schlagkräftiges Weißrepertoire für ein wichtiges Turnier benötigte. Nachdem er sich dann intensiv mit der Eröffnung beschäftigte, war er von ihren Möglichkeiten so fasziniert, dass er sie selbst öfter und auch mit Erfolg einsetzt.
Ich finde es immer lustig, wenn jemand eine Eröffnungs-DVD veröffentlicht und dann bereits im Einleitungsvideo darauf hinweist, dass der Vorteil dieser Eröffnung ist, dass man bereits nach wenigen Zügen aus der gängigen Theorie raus ist. Aber so paradox dies im Allgemeinen erscheint, so glaub- und ernsthaft ist das von Stefan Kindermann gemeint. Natürlich sind konkrete Zugfolgen manchmal wichtig. Aber der Autor legt sehr großen Wert darauf, dem Zuseher die unterschiedlichen Zentrumsstrukturen und grundsätzlichen Ideen und Strategien mit an die Hand zu geben. Wenn man die verstanden hat, erinnert man sich in einer Stellung doch eher an bestimmte Grundsätze, als an den 19. Zug in der x-ten Variante. Und vor allem das macht doch gerade Spaß oder?
Zuerst zeigt Kindermann anhand von sechs Modellpartien, was im Trompowsky so möglich ist. Dabei geht er gleich auf die unterschiedlichen Zentrumsstrukturen ein und erläutert verschiedene Pläne und Vorgehensweisen. Exemplarisch und wirklich beeindruckend ist folgende Partie:
Danach geht es zum Theorieteil. Zuerst werden diejenigen Abspiele intensiv behandelt, die in der Praxis am häufigsten vorkommen. Und das ist wirklich zuerst 3….Se4. Ich habe mich an Kindermanns Empfehlung gehalten und nach der ersten Durchsicht der Clips die Eröffnung geblitzt. Dort habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Antworten der Gegner in der Tat fast genauso gespielt werden, wie in der DVD angegeben. Nach 3….Se4 folgt oft entweder 3….c5 oder 3….e6 und danach 3….d5. Außerdem habe ich beim Blitzen auch gemerkt, dass viele Spieler (bis Elo 2200) nicht wirklich wissen, wie sie genau spielen müssen. Sie sind ziemlich schnell „out of book“. Was ich aber an der Körpersprache meiner Gegner schon gemerkt habe ist, dass 2. Lg5 nicht gerade zu ihren Lieblingseröffnungen zählt.
Natürlich verweist Stefan Kindermann immer wieder auf das Standardwerk zum Thema von Richard Pert „Playing the Trompowsky“, das ihm als Grundlage diente. Was mir sehr gut gefällt ist, dass er zwar meist verschiedene grundsätzliche Möglichkeiten der Stellungsbehandlung aufzeigt, sich abschließend dann aber auf die aus seiner Sicht beste Fortsetzung festlegt. Oft gelangte er aufgrund eigener Partien und anschließender Analysen zu dem von ihm empfohlenen Abspiel.
Obwohl der Trompowsky-Angriff eher eine aggressive Eröffnung ist, vertritt Kindermann sehr wohl auch einen eher positionellen Ansatz. Er empfiehlt beispielsweise in der Variante 1.d4 Sf6 2.Lg5 d5 3.e3 c5 4.Lxf6 gxf6 5.Sc3 Sc6 6.Dh5 e6 für Weiß die kurze Rochade. Er verweist auch immer wieder auf Partien und Fortsetzungen von Trompowsky-Kennern wie z.B. Nakamura. Präferiert Kindermann jedoch einen anderen Zug, begründet er diesen gewohnt sachlich und überzeugend. Er versucht in jedem Abspiel explizit auf die Ideen und Strategien einzugehen und die Zuschauer mit dem Stellungstyp vertraut zu machen. Wenn man über ein besseres Stellungsverständnis als der Gegner verfügt, kommt es bis auf wenige Ausnahmen nicht so sehr auf konkrete Zugfolgen an. Wenn es sein muss (wie z.B. beim Vaganian-Gambit) wird aber auch das genau besprochen.
Wie überrascht muss Sergey Karjakin geschaut haben, als er in der ersten WM-Partie gegen Carlsen genau diese Eröffnung serviert bekam? Und wenn selbst der supersolide Boris Gelfand manchmal den Trompowsky auspackt, kann er so schlecht nicht sein.
Abschließend kann ich sagen, dass man mit der DVD viele neue Ideen an die Hand bekommt und die Möglichkeit, in seinen Partien interessante und gut spielbare Stellungen zu erhalten. Wunderwaffen gibt es auch im Schach nicht. Und ab und zu wird man auch auf einen Gegner treffen, der total überrascht von der Eröffnung sein wird. Oder wer hätte gedacht, dass Peter Leko nach scheinbar normalen Zügen so schnell verlieren kann?
Ein zusätzliches Schmankerl bieten die mitgelieferten PGN-files, die eine Unmenge an instruktiven Partien bieten. Also ich kann die Eingangs gestellte Frage nur bejahen und die DVD allen Schachfans mit Hang zu Theoriekenntnissen wärmstens empfehlen!