Taktik, Tests und Transformationen

von ChessBase
14.04.2015 – Ein Glücksfall ist es, wenn eine Erwartung sich nicht nur bestätigt, sondern positiv übertroffen wird. So erging es Dr. Mark Arenhövel, der die DVD "Magic of Chess Tactics 2" für uns rezensiert hat. Liefert der erste Teil der DVD noch die erwartete Taktiksammlung, so verlässt der zweite Teil mit dem Titel "Transformationen" den "engen Bereich der Schachtaktik und öffnet sich auch strategischen Fragen". Mehr...

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"Magic of Chess Tactics 2" von C.D. Meyer und Karsten Müller

Rezension von Dr. Mark Arenhövel

Die Erwartungshaltung an eine Trainings-DVD mit dem Titel „Magic of Chess Tactics“ ist recht eindeutig. Wer dächte hier nicht an eine Sammlung von mehr oder weniger kniffligen Taktikaufgaben, bei denen Stellungen präsentiert werden mit dem Hinweis: „Weiß gewinnt“, „Schwarz kann eine Figur gewinnen“ oder „Setzen Sie in vier Zügen matt“, etwa so wie in Oliver Reehs (wunderbar betreuter) Taktikkolumne im Chessbase Magazin. Durch das Lösen solcher Taktikaufgaben lässt sich sicherlich der taktische Blick schulen, das Berechnen von Varianten wird geübt, ebenso wie die Visualisierung von Stellungen mit einem Horizont von 3-5 Zügen im Voraus.

Die Trainings-DVD „Magic of Chess Tactics 2“, vorgelegt von Claus Dieter Meyer und Karsten Müller, hat jedoch noch einen unscheinbaren Untertitel, der schon andeutet, dass es bei dieser DVD der beiden deutschen Spitzentrainer um mehr als reine Taktik geht: Sie nennen ihre DVD: „Angriffstechniken und Transformationen“ und gerade der Abschnitt über Transformationen macht dieses Trainingsmaterial zu etwas ganz Besonderem. Ist der Abschnitt über Angriffstechniken noch mehr oder weniger konventionell in dem Sinne, dass einzelne – zum Teil mehr oder weniger bereits bekannte – Angriffspartien präsentiert, kommentiert und mit Fragen zum Selberlösen vorgeführt werden und weiterhin eine Datenbank mit einer Vielzahl einschlägigen Materials die DVD komplettiert und stundenlanges Selbstlösen ermöglicht, verlässt der zweite Abschnitt – eben mit Transformationen überschrieben – diesen engen Bereich der Schachtaktik und öffnet sich auch strategischen Fragen, denn der Begriff der Transformation wird hier sehr weit ausgelegt.

Es geht hier um den richtigen (oder eben auch falschen) Abtausch zur richtigen Zeit, um das Kontern statischer Vorteile mit dynamischen durch das Öffnen der Stellung oder eine radikale Stellungsveränderung, um das Ausnutzen von Freibauern im fortgeschrittenen Mittelspiel, um Bauerndurchbrüche usw. Geht es beim reinen Lösen von Taktikaufgaben darum, eine Kombination zu erspähen, wobei meist die Abschätzung der Stellung am Ende der Sequenz leicht ist, da es entweder matt wird oder viel Material gewonnen wird, ist es beim Lösen der Transformationsaufgaben lebenswichtig, die Stellung insgesamt richtig einzuschätzen und zu verstehen. Obwohl es hier also stets um Taktik geht, ist die Verbindung zum strategischen Denken fließend und im Bereich von DWZ 1800 bis 2050 wird sich beim Durcharbeiten der Aufgaben die eine oder andere schachliche Bewusstseinserweiterung einstellen, was aber nicht heißen soll, dass schwächere oder stärkere Spieler keinen Nutzen aus der Arbeit mit dieser DVD ziehen sollten.

Beispielvideo ansehen

Karsten Müller kommentiert im Fritztrainerformat anhand sehr gut gewählter Videobeispiele in seiner aus dem Chessbase-Magazin bekannten launigen Weise und führt durch Testfragen genau zu dem Aspekt, auf den es jeweils ankommt, wobei er Teststellungen präsentiert, in denen sich die Lösung förmlich aufdrängt (etwa im Eingangsbeispiel aus der Partie Sokolov-Ivanchuk, Wijk aan Zee 2006), oder andere, bei denen Müller selbst fairerweise anmerkt, er sei sich unsicher, ob er selbst am Brett die Lösung gefunden hätte.

Einige Beispiele gefällig?

Die folgende Stellung ergab sich in einer Bundesligapartie zwischen Gerhard Schebler und Uwe Bönsch.

Weiß hat gerade 22. f3 gezogen und steht bereit, auf b6 zu schlagen. Wie soll sich Schwarz verteidigen?

Nach 22. … b5 steht Weiß strategisch (fast) auf Gewinn, der Springer auf c5 garantiert eine langanhaltende Initiative und Schwarz fehlt jegliches Gegenspiel. Hat man sich jedoch die Überlegungen von Müller zur Transformation zu eigen gemacht, wird man einen Zug wie c5 schnell verwerfen und nach dynamischeren Lösungen Ausschau halten. In der Partie fand Bönsch 22. … Tfc8 und nach 23. Kd2 Lc6 hatte Schwarz zum Ausgleich genügend Gegenspiel; die Partie endete im 55. Zug mit Remis. Karsten Müller zeigt hier im Videobeispiel auch Alternativen zum Spielverlauf und hilft so, die Stellung zu verstehen.

Ähnliches lässt sich vom folgenden Beispiel sagen. Das folgende Fragment stammt aus der Partie Nakamura- Karjakin (Tal Memorial 2013):

Der Freibauer auf d7 ist ein riesiger Trumpf für Weiß, aber wie soll er durchbrechen?

Auch hier gilt es, nach Transformationen Ausschau zu halten. Wie lässt sich die Stellung öffnen, wie kann der Läufer seine Dynamik gegenüber dem passiven schwarzen Springer zur Geltung bringen. Der Hebel 45. a5 führt zu nichts, aber alle Einbruchsfelder scheinen von Schwarz leicht verteidigt werden zu können. Hier gibt es eine taktische Idee und ein schönes Motiv, das man sehen (und sich merken) sollte.

Nakamura spielte 45. f4 und nach 45. … gf4: kam 46. g5+ mit der Pointe, dass der Bauer nicht genommen werden kann, da nach 46. … Kg5: 47. Lg8! folgt. Der Läufer kann nicht geschlagen werden wegen 48. Tg1+, nun aber ist der Turm abgeschnitten und Weiß bringt den Bauern durch. In der Partie folgte 46. … Kg6, aber nach 47. Te5 dominierte Weiß total und Schwarz konnte mit den beiden Bauern auf Dauer nicht fertig werden; Weiß gewann im 52. Zug. Mit solchen Motiven im Arsenal lässt sich ganz anders spielen und wer die Beispiele auf dieser DVD sorgfältig durchgeht, die Fragen zu lösen versucht und die Analysen von C.D. Meyer studiert, sollte einiges an Schachverständnis gewonnen haben. Dabei ist die Mischung der Schwierigkeiten so gewählt, dass mit ein bisschen Mühe (und Zeit) viele Herausforderungen erfolgreich bestanden werden können.

Hier noch eine harte Nuss aus einer Schnellpartie zwischen Kramnik und Leko (Budapest 2001):

Weiß ist am Zug, doch hat er mehr als Kompensation?

Hier gibt es eine Reihe von Motiven, doch irgendwie scheint sich Schwarz immer soweit verteidigen zu können, dass er zwar einen Bauern verliert, aber dennoch mit heiler Haut davon kommt. Kramnik spielte 21. e4 und die Partie wurde remis. Der Gewinnzug ist der nicht gerade naheliegende Zug 21. Da1! oder auch – wenn auch nicht so schön - 21. Da3 und Schwarz gelingt es nicht, aus den Fesselungen zu kommen, ohne entscheidendes Material zu verlieren.

Was bleibt als Fazit? Bei Magic of Chess Tactics 2 handelt es sich um eine Trainings-DVD im wahrsten Sinne des Wortes. Wer nur am ästhetischen Reiz vollendeten Angriffsschachs interessiert ist, sollte die Finger von dieser DVD lassen, denn hier ist Selbstdenken angesagt. Nur wer die Bereitschaft mitbringt, wirklich in die Stellungen einzudringen und nach der jeweiligen Lösung zu suchen, wird vom dargebotenen Trainingsmaterial profitieren. Die Art der Präsentation jedoch, Videos, interaktive Teststellungen und eine Datenbank mit ca. 400 Fragen, ist so abwechslungsreich gestaltet, dass sich Ermüdung oder Langeweile nie einstellt. Mein Resümee: Das höchste Lob an die beiden Autoren für die Auswahl und Präsentation des Materials und die Hoffnung auf Magic of Chess Tactics 3.

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