23.01.2024 – Fünf Teilnehmer des Tata Steel Masters werden im April auch das Kandidatenturnier mitspielen und möchten als Sieger Weltmeister Ding herausfordern, der in Wijk aan Zee auch mitspielt. Thorsten Cmiel hat sich die Leistungen der fünf Kandidaten angeschaut und zieht eine Zwischenbilanz. | Fotos: Jurriaan Hoefsmit, Lennart Ootes – Tata Steel Chess Tournament 2024
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Aufwärmen für Toronto (Teil 1)
Im April 2024 kann die Schachwelt sich auf ein spannendes Kandidatenturnier in Toronto freuen. Erstmals treten gleich mehrere Jungstars an: Alireza Firouzja, 20, hat bereits in Madrid 2022 Erfahrungen gesammelt. Praggnanandhaa, Pragg, ist zwei Jahre jünger und spielt wie der 17jährige Gukesh sein erstes Kandidatenturnier. So viel Jugend bei dem Qualifikationsturnier für die Weltmeisterschaft war noch nie. Der jüngste Teilnehmer bei einem Kandidatenturnier bleibt jedoch Bobby Fischer, der 1959 das Kandidatenturnier in Bled/Belgrad mit 16 Jahren bestritt.
Das Tata Steel Masters in Wijk ist in jedem Fall ein guter Test für die erste Form der Spitzenspieler in einem Jahr mit Kandidatenturnier. Wijk kommt mit seinen 13 Runden nah an ein kräftezehrendes Kandidatenturnier mit acht Spielern, die doppelrundig gegeneinander antreten, heran. Die Historie zeigt, dass ein gutes Turnier in Wijk einen Trend bestimmen, aber genauso ein Weckruf für einen Spieler sein kann: 2013 gewann Magnus Carlsen in den Niederlanden, später in London und anschließend gegen Anand den Weltmeistertitel. 2018 wiederum lief es bei Fabiano Caruana gar nicht in Wijk und er wurde mit einem Ergebnis von minus drei Elfter. Zwei Monate später gewann er in Berlin das Kandidatenturnier und anschließend gestaltete er den WM-Kampf im gleichen Jahr in London ausgeglichen und verlor im Schnellschach.
Turnierplanung 2024
Es gibt gar nicht so viele Möglichkeiten für Topspieler ihre Form zu Jahresbeginn in einem etablierten Rundenturnier zu testen. Gukesh und Firouzja spielen zudem vom 9. bis 16. Februar 2024 an der Ostsee ein Showevent im 960er-Schach mit. Fabiano Caruana wird dort ebenfalls antreten. Ende Februar folgt noch Prag. In Prag sind die drei indischen Kandidaten erneut im Einsatz. Hinzu könnten noch einige Partien von Kandidaten in der ersten und zweiten Bundesliga kommen.
Schaut man über Toronto hinweg, dann dürfen Schachfans sich auf das Norway Chess Masters freuen. Sowohl bei den Frauen als auch im Open gibt es gute Chancen, dass hier erstmals die Herausforderer auf die chinesischen Titelverteidiger Ding Liren und Yu Wenjun treffen. Neben dem Weltmeister spielen Magnus und vier Kandidaten: Fabiano, Hikaru, Alireza und Pragg. Das Turnier wird mit sechs Teilnehmern doppelrundig ausgetragen.
Der erste Test: Tata Steel Masters 2024
Fünf Kandidaten sind in Wijk 2024 dabei und liefern erste Hinweise auf ihre Spielweise und ihr mögliches Eröffnungsrepertoire - oder sie legen einfach Finten für ihre Gegner. Sämtliche Kandidaten variierten ihren Weißaufschlag regelmäßig und wählten vor allem einen Doppelschritt ihres Königs- oder Damenbauern. Es sah keineswegs so aus als hielten die Spieler ihre Eröffnungsvorbereitung zurück. Die einzige sichtbare Ausnahme könnte Alireza Firouzja gewesen sein, der zunächst mit der Französischen Verteidigung experimentierte und dann gegen den Inder Vidit auf Najdorf umstieg.
Ian Nepomniachtchi
Der Herausforderer von 2021 und 2023 startete mit einer flotten Partie gegen den Niederländer Max Warmerdam ins Turnier.
Schwarz steht bereits angenehm. Weiß muss hier seinen 20. Zug und eine Aufstellung finden. Der Niederländer sollte hier mit dem Damenzug nach e4 beginnen und nach dem gegnerischen Damenrückzug nach e4 seine Dame nach c2 zurückziehen und verbessern. Stattdessen wählte Max eine Schwächung der eigenen Rochadestellung und wählte proaktiv eine Verteidigungsaufstellung mit 20.g3, gefolgt vom Turmschwenk von d4 nach h4. Dieses Manöver schwächte die weiße Stellung jedoch. Nach einigen genauen Zügen mit h5 und Tg4 gewann „Nepo“ recht leicht. Diese Partie erinnerte in ihrem Verlauf an die erste Partie aus dem Welmeisterschaftskampf 2023 gegen Ding Liren.
Es folgten bis ins Endspiel ausgekämpfte Remispartien gegen Ju Wenjun und Vidit ohne echte Gewinnchancen für Nepo. In der vierten Runde konfrontierte Alexander Donchenko den Russen mit einem Dragondorf, also einem Mix aus Drachen und Najdorf, und zeigte sich gut vorbereitet. Das erste Highlight der Partie setzte der deutsche Großmeister in dieser Stellung.
Schwarz hatte zuvor mit 27.Tdc8 die gegnerische Dame von c4 vertrieben und der Weißspieler nahm auf b4 einen Bauern mit. Hier folgte der für die Drachenvariante nicht unübliche und hübsche taktische Einschlag auf c2. Zwei Halbzüge danach war Ian erneut dran und musste einen schwierigen Verteidigungszug finden.
Weiß sollte sich hier in das Remis fügen und mit seinem König nach d3 oder d2 ziehen. Nach Schlagen auf d5 folgt Ke3 und trotz des weißen Königs in der Mitte kann ihn der Gegner bei bestem Spiel nicht bezwingen. Die Partie ginge allerdings nach Wegzug der Dame munter weiter. Stattdessen zog Ian seinen Springer zurück nach c3, hattenach dem Damenzug nach f3 keine befriedigende Antwort und stand auf Verlust. Nepo gelang es etwas mirakulös und mit Hilfe seines Gegners die Partie später zu remisieren. Ein erster Warnschuss. In der fünften Runde hieß der Gegner Gukesh und der hatte vor dem Ruhetag nach der vierten Runde zwei Niederlagen hinnehmen müssen. Erneut erwischte es Ian nachdem er mit einer Figur nach b4 zog.
In dieser Stellung hatte Gukesh den taktischen Schlag auf c6 vorbereitet, der den Läufer b4 ins Visier nahm. Gukesh gewann mit einer starken Kombination gegen seinen Konkurrenten in Toronto und fand wieder ins Turnier zurück. Es folgte ein sehr interessanter Kampf gegen Pragg. Beide Spieler blitzten in der Eröffnungsphase und landeten letztlich in einer weiteren bemerkenswerten Stellung, die sehr komplex war und weitere Kampfhandlungen versprach.
Hier spielte Pragg etwas merkwürdig weiter, indem er seinen Läufer nach g5 zog. Einige Züge später übernahm Ian das Kommando, nutzte später eine taktische Chance und erlangte deutlichen Vorteil. Die Partie endete nach kreativer Verteidigung des jungen Inders mit Remis. Gegen den Iraner Parham Maghsoodloo verteidigte Ian mit seiner heimischen Verteidigung (Petroff). Die Partie war hart umgekämpft und endete fehlerfrei mit Remis. In seiner Partie gegen den Co-Leader Nodirbek Abdusattorov, der in der Runde zuvor Anish Giri geschlagen hatte, kam es zum 18. Zug zu folgender Situation.
Diese Stellung stammt nicht aus einem Lb5-Sizilianer, sondern aus einer klassischen offenen Eröffnung der Partie. Mit leichter Hand spielte der zweimalige Herausforderer hier das Bauernopfer 18.c5 und beorderte nach dem überraschenden Zurückschlagen (Tad8 war möglich) mit dem Bauern seinen Springer via b2 nach c4. Weiß steht sofort angenehmer und hatte den Spaß. Der Usbeke kam mit der Stellung nicht zurecht und stand bereits wenige Züge später positionell und taktisch auf Verlust. Ein schickes Comeback.
Mit 4,5 aus acht Partien liegt Ian Nepomniachtchi bei einer Niederlage bisher einen halben Punkt hinter den Führenden. Sein Spiel war im bisherigen Turnierverlauf eher wechselvoll, wirkte aber immer kämpferisch.
Alireza Firouzja
Das größte Fragezeichen war vor gar nicht so langer Zeit noch der Franzose mit iranischen Wurzeln. Nach zwei Jahren Pause ist Alireza wieder zurück in Wijk. Vor Madrid und danach hatte er sich noch rar gemacht und den World Cup als möglichen Qualifikationsweg für Toronto ausgelassen. Beim Grand Swiss lief es nicht gut und auch in Saint Louis hatte Alireza Ratingpunkte und seine sicher geglaubte Qualifikation für Toronto verspielt. Im Dezember dann kam die Wende: zunächst folgte ein umstrittener Wettkampf in Chartres, den die FIDE letztlich nicht anerkannte und der rein rechnerisch nicht zur Qualifikation gereicht hätte. Alireza verzichtete auf die Rapid- und Blitzweltmeisterschaft in Samarkand. Stattdessen spielte er erneut in Frankreich ein Open gewann das Turnier mit sieben Punkten aus sieben Partien und 700 Euro. Das genügte diesmal. Alireza trat also bestens eingespielt in den Niederlanden an. Tatsächlich gewann er die ersten zwei Partien: Gegen Jorden van Foreest entschied sich die Partie erst nach einem groben Fehler des Niederländers im Endspiel. Seinem ehemaligen Landsmann Maghsoodloo unterlief in einer bekannten Stellung aus der Berliner Mauer ein spielentscheidender Fehler.
Schwarz muss in dieser Stellung mit 18...c6 fortsetzen wie beispielsweise in einer Blitzpartie von Sam Sevian gegen Alireza 2019 und in 19 weiteren Partien laut Megadatabase 2024 geschehen. Der Iraner setzte stattdessen auf Entwicklung mit dem Läuferzug nach e6, Alireza stellte seinen Läufer nach c4 und wenige Züge später zeigte Alireza seine taktische Aufmerksamkeit und Weitsicht in der folgenden Stellung.
Alireza nahm hier den Bauern auf h7 weg. Nach dem Schlagen auf c4 spielte Alireza seinen Turm nach e1 und deckte den Springer auf e7. Parham musste die Dame geben, verlor aber nach späterem Damenschach auf e4 den Läufer und kämpfte letztlich für eine verlorene Sache. Es folgten zwei Remis gegen Max Warmerdam und Nodirbek Abdusattorov bei denen Alireza in der Eröffnung überrascht schien. Insbesondere die Partie gegen den jungen Niederländer hätte bei etwas energischem Spiel seines Gegners anders ausgehen können.
In der fünften Runde stand das Duell mit der Weltmeisterin Ju Wenjun an. Alireza bot die Französische Verteidigung an und die Chinesin akzeptierte. Ihre Wahl der Abtauschvariante erwies sich als richtig, da Alireza sich kaum auf ein Unentschieden ohne echten Kampf einlassen würde. Tatsächlich überzog Alireza und musste lange Zeit ein schwieriges Endspiel verteidigen. Er bekam später mindestens eine Chance.
In dieser Stellung konnte Alireza seinen König nach c6 ziehen, um nach Schlagen auf e4 den Springer zu fesseln. Stattdessen zog er seinen Turm nach f3 und landete nach Nehmen auf e4 und dem Königszug nach g2 in einem verlorenem Turmendspiel, das die Chinesin überzeugend gewann. In der nächsten Runde verwertete Alireza in einem stark gespielten Endspiel gegen Wei Yi seinen materiellen Vorteil. In der Runde danach kam es zum Aufeinandertreffen mit einem anderen Kandidaten, Vidit.
Hier folgte ein bekannter Einschlag mit dem Springer auf c2. Die eigentliche Pointe folgt nach Zurückschlagen auf c2 im 13. Zug mit dem stillen Zug der Dame nach c6. Nach Sxd2 sollte eigentlich der Gegenschlag im Zentrum (d6-d5) folgen mit unklaren Folgen. Alireza scheint diesen Zug jedoch vergessen zu haben und investierte vierzig Minuten, um ein unglückliches Schachgebot auf a4 zu geben.
Anders als Ian Nepomniachtchi in seiner Partie gegen Alexander Donchenko entschied sich der Inder nach dem Einschlag auf c2 für den Fluchtweg nach d3, Alireza musste eine Qualität hinterher opfern und hatte einen ganzen Turm weniger. Vidits König fand kurze Zeit später auf e1 einen sicheren Unterschlupf.
Es spricht für die mentale Stärke von Alireza, dass er sich in der Folgerunde erneut mit einem Sieg zurückmeldete. Sein Gegner war kein Geringerer als der Weltmeister Ding Liren, der in seinem ersten Turnier seit Monaten bisher noch nicht im Flow ist.
In dieser Stellung hatte Alireza in einer Schnellschachpartie in Saint Louis 2022 Nepo auf d4 den Bauern geschlagen und nach 11.Sxd4 Dxd4 12.Sd5 gespielt. Schwarz sollte dann zunächst auf e5 mit der Dame ein Zwischenschach bieten und erst danach auf d5 mit dem Springer zurückschlagen. Der Unterschied besteht darin, dass Weiß nicht gut mit dem König nach f1 ausweichen kann. Ding kannte das offenbar nicht und sah sich nach seinem Zug mit dem Läufer nach b7 nach 11.d5 mit einem aussichtsreichen Bauernopfer konfrontiert.
Alireza hatte auf e7 eine Qualität hinterher gegeben und dem Weltmeister eine taktische Frage gestellt. Der sollte hier einen Springer nach d5 ziehen und es sollte zum Ausgleich genügen. Stattdessen zog Ding seine Dame nach c7 und verlor. Alireza erläutert die Situation in seinem Interview nach der Partie.
Es ist erfreulich, dass Alireza Firouzja wieder Spaß am Schach gefunden zu haben scheint. Seine früh ausgeprägte Stärke – er begann viele Turniere mit einer Startniederlage - sich von Niederlagen nicht beeindrucken zu lassen ist zurück. Mit fünf Punkten aus acht Partien teilt sich der Franzose die Führung mit Anish Giri und Gukesh.
Gujrathi Vidit
Der älteste indische Kandidat, Jahrgang 1994, spielte bis auf seine Gewinnpartie gegen Alireza ein eher unauffälliges Turnier. Zumal die Auslosung bestimmte, dass er in den ersten acht Runden fünfmal Weiß hatte. Gegen Alireza war er auf die gespielte Variante im Najdorf gut vorbereitet. Von den Indern ist bekannt, dass alle Spieler von ihrem Verband mit einer großzügigen Unterstützung von umgerechnet 80.000 US-Dollar pro Spieler ins Kandidatenrennen geschickt werden. Davon sind 50.000 Dollar für Unterstützungsleistungen wie Sekundanten gedacht. Vidits bisheriges Team ist bekannt. Neben dem ehemaligen Sekundanten von Anand, Großmeister Surya Ganguli ist der italienische Großmeister Daniele Vocaturo in seinem Team von Unterstützern. Daniele ist in Wijk vor Ort dabei.
Vidit liegt mit viereinhalb Punkten aus acht Partien in Lauerstellung. In den nächsten Runden spielt Vidit zunächst mit Schwarz gegen Gukesh und dann mit Weiß gegen Pragg. Auf diese Begegnungen dürfte das Hauptaugenmerk gerichtet sein.
Praggnanandhaa
Pragg hat vor einiger Zeit seinen Spielstil etwas anders, adulter ausgerichtet. Er spielt vor allem geduldige Partien und bevorzugt kleine Vorteile zu sammeln. Mit Weiß spielt er weiterhin gelegentlich scharf ausgerichtete Varianten. So zu sehen in den ersten zwei Weißpartien gegen den Iraner Parham Maghsoodloo und den Chinesen Wei Yi. In beiden Partien opferte der Junge aus Chennai einen Bauern und rochierte lang. Seine Gegner konnten allerdings später ausgleichen.
Dieser Moment aus der Partie gegen Wei Yi scheint mir bemerkenswert zu sein. Der Chinese widersteht dem Drang, seinen König mit der Rochade in die Ecke zu ziehen und spielte an dieser Stelle den besseren Turmzug nach f8. Der König verbleibt im Endspiel im Zentrum. Pragg hatte keine Chance auf Vorteil.
Das bisherige Meisterwerk gelang Pragg in seiner Partie gegen Ding Liren. Lange Zeit sah es danach aus als hätte der Inder den Weltmeister einfach geduldig an die Wand gespielt. Einige wenige kleinste Ungenauigkeiten gaben dem Chinesen eine Chance wieder zurück in die Partie zu kommen.
In dieser überlegenen Stellung nahm Pragg auf b2 den Bauern weg. Er hatte stattdessen die Chance hier mit 30...g6 zunächst dem Gegner das Feld f5 zu nehmen und mit späterem h6-h5 die gegnerische Aufstellung des Springers zu hinterfragen. Ding wirkte zermürbt und verlor in der folgenden Situation völlig überraschend die Nerven.
Ding hatte zuvor mehrfach auf den Zug g2-g4 mit Ausgleich verzichtet und will hier plötzlich den Tausch zweier Bauern mit 43.f3-f4 erzwingen und greift daneben. Der Zug des Weltmeisters schwächt dauerhaft das Feld g4 und damit den eigenen h-Bauern. Danach musste Pragg noch etwas aufpassen, aber der Sieg war ihm nicht mehr zu nehmen.
In dieser Stellung zog der Inder gegen Anish Giri seine Dame nach a3 und bot den Damentausch an. Der Zug für sich genommen ist gar nicht spektakulär, Schwarz verzichtete natürlich auf das Angebot, aber vielleicht sind solche Züge Stil erklärend für den „neuen Pragg“ (Anand).
Pragg hatte Anish Giri langsam ausmanövriert und konnte hier mit Dc1 die c-Linie endgültig unter Kontrolle bekommen. Der Inder zog jedoch zunächst seinen Turm nach c5, um seine Dame aktiver nach c2 stellen zu können. Dieser leichte Umweg ermöglichte es dem Niederländer mit seiner Dame nach f6 zu ziehen und mit Turmschwenk nach d8 und d6 die sechste Reihe gegen den Turmzug nach c6 zu verteidigen. Mit dem Turm auf der d-Linie ist der Vorstoß des d-Bauern kräftiger weswegen Pragg die Türme tauschte und kurze Zeit später ins Remis einwilligte.
Gegen seinen Mitkandidaten Ian Nepomniatchichi hatte sich Pragg etwas in Schwierigkeiten manövriert und war in dieser Stellung mit Schwarz am Zug. Der Springertausch auf c3 ist möglich, aber Schwarz hat Probleme seinen schwarzfeldrigen Läufer zu aktivieren, Weiß wird den Bauern auf b6 belagern und dem Inder bliebe nur passives Abwarten. Pragg entschied sich daher auf d4 den Springer zu geben und so seinen Läufer zu aktivieren. Er erreichte nach baldigem Damentausch dadurch ein recht unspektakuläres Remis.
Gegen Jorden Van Foreest hatte der Inder erneut eine feine Klinge geschlagen und geriet hier mit seinem 25. Zug vom richtigen Pfad ab. Statt seinen Läufer nach a4 zu ziehen und später wieder nach c2 zurück zu kommen war hier der sofortige Zug des Springers nach e5 richtig, um nach etwas weiterer Vorbereitung mit f3-f4 anzugreifen. In der Partie wählte Pragg später den Zug g4-g5 und der Niederländer konnte ausgleichen.
In der achten Runde gab es einen kurzen Schreckmoment für die indischen Fans, da Pragg gegen Max Warmerdam eine kleine Unaufmerksamkeit in der Eröffnung beging. Der Inder hatte seinen Springer auf e4 ungedeckt gelassen und gab seinem Gegner in der folgenden Stellung die Chance davon zu profitieren.
Pragg hatte zuletzt seinen e-Bauern vorgeschickt. Max Warmerdam konnte hier mit 11.d5 fortsetzen und nach Springerwegzug auf e5 nehmen. Schwarz sollte danach auf f2 schlagen, um nicht in Materialnachteil zu geraten, aber es folgt Damentausch auf e5 oder nach Schlagen auf e5 mit dem Bauern via Damenzug nach a3. In jedem Fall stand der Niederländer danach deutlich besser. Max entschied sich jedoch dagegen und spielte den vorsichtigen Bauernzug 11.e3. Auch so gelang es dem dreiundzwanzigjährigen Niederländer einen ordentlichen Vorteil herauszuarbeiten, den er aber nicht verwerten konnte. Die Partie endete nach 43 Zügen und einer weiteren sehr kritischen Situation für Pragg mit Remis.
Es scheint, dass Pragg noch an seinem schwarzen Eröffnungsrepertoire einige Feinheiten abstimmen muss. In Wijk sind seine Mutter und sein langjähriger Coach Ramesh dabei. Dieser hatte angekündigt, in Zukunft eine andere, mehr leitende Rolle zu spielen. Es wird interessant sein zu sehen wer im Team Pragg in Zukunft den Eröffnungspart übernimmt. An den Finanzen und Großmeistern in Tamil Nadu dürfte der Aufbau eines schlagkräftigen Teams nicht scheitern. Anfang Januar gab die Adani-Gruppe, ein indischer Milliarden-Konzern, eine Sponsoring-Vereinbarung mit dem Youngster bekannt. Ziel ist es den Weg zur Weltmeisterschaft zu bereiten. Bereits im letzten September hatte die Mahindra Gruppe Praggs Familie mit einem SUV-Elektroauto ausgestattet. Die Sponsoren stehen scheinbar Schlange bei dem 18jährigen Jungen aus Chennai.
Pragg folgt offenbar einer Agenda, die darin besteht aus kleinen Vorteilen Siege herauszuspielen. Mit viereinhalb Punkten ist der Inder knapp hinter der Spitze gut im Rennen. Anders als sein Landsmann Vidit hatte er bisher mehr aussichtsreiche Stellungen.
Gukesh
Das größte Auf und Ab kann man bei Gukesh beobachten. Sein Turnier begann mit einer langen Variante gegen Nodirbek Abdusattorov. Nach zwanzig Zügen hatten die beiden Youngster diese epische Stellung auf dem Brett. Diese Partie zusammen mit der frühen Mittelspielstellung von Nepo gegen Pragg könnte uns zeigen was wir in Toronto erwarten dürfen.
Die Partie endete Remis, aber beide Spieler mussten bis dahin die eine oder andere Klippe umschiffen. In dieser Stellung ist laut Maschinenraum der Zug Tdg1 mit Angriff auf g7 die beste Option. Gukesh nahm auf den Bauern auf f5 und Nodirbek opferte mit d6-d5 einen Bauern, um seinen Turm zu aktivieren. Zieht Schwarz seinen Läufer nach b3 zurück, statt auf d5 zu nehmen, kann Schwarz auf f5 schlagen, da die Fesselung durch den Läufer auf e6 nicht möglich ist.
In der zweiten Runde folgte zunächst ein Sieg gegen Wei Yi. Gukesh ist bekanntermaßen nicht ängstlich und ein guter Rechner. Gegen den Chinesen hatte er seine Bauern vor seinem König aggressiv nach vorne geschoben. Weiß war in der folgenden Stellung am Zuge.
Nach dem natürlichen Schlagen mit dem Springer auf d4 zog Gukesh seinen Läufer nach c5 und attackierte den Bauern a2. Deckt Weiß diesen mit seinem Turm von e2 aus beispielsweise, folgt c6 und die Dame ist mit der Deckung des Springers auf d4 und einem sich nach a4 zurück ziehenden Läufers überfordert.
Es folgten zwei schmerzhafte Niederlagen: Zunächst verlor Gukesh gegen Ding nach einer etwas zu optimistischen Eröffnungsbehandlung. Wer hat in der Italienischen Partie jemals einen weißen König lang rochieren gesehen? Gukesh versucht es und es ging schief. Der Chinese gewann letztlich eine überzeugende Partie mit den schwarzen Steinen.
Der entscheidende Moment der Partie: Weiß muss seinen 19. Zug ausführen. Der Inder zog seinen Turm nach d2 und verlor wertvolle Zeit. Richtig war es mit dem Läufer nach d3 zu ziehen und eine Besonderheit der Stellung auszunutzen und den Zug des Springers nach g6 folgen zu lassen.
In dieser Stellung sollte Gukesh als Schwarzspieler mit dem Turm nach a5 ziehen und die Türme tauschen. Danach wäre die Partie wohl schnell beendet gewesen. Stattdessen zog der Inder seinen Turm passiv nach d7 und bekam von Anish Giri eine Lektion erteilt. Der anschließende Ruhetag kam für Gukesh offenbar zum richtigen Zeitpunkt.
Wie ausgewechselt kam der jüngste Spieler in Wijk und Kandidat aus der Pause. Es folgten drei Siege nacheinander. Zunächst gewann der aktuell laut Ratingliste drittbeste Spieler aus Chennai – hinter Anand und Pragg - gegen Nepomniachtchi. Es folgten weitere zwei Siege gegen niederländische Spieler.
ie Partie gegen Ian Nepomniachtchi wurde durch eine taktische Ungenauigkeit des Russen entschieden. Gegen Jorden Van Foreest rochierte Gukesh im 28. Zug in der obigen Stellung lang und erlangte klaren Vorteil. Die Partie hat eine ganze Reihe von spannenden taktischen Momenten zu bieten. Eine echte Meisterleistung von Gukesh in der Schottischen Partie.
Max Warmerdam hatte zuvor mit einem Bauern weniger eine sehr gut Defensivleistung gebracht. In dieser Stellung galt es vor allem den Schwenk des Turmes nach g5 zu verhindern. Schwarz sollte seinen König nach f6 ziehen. Es passierte etwas Tragisches: Max Warmerdam spielte stattdessen den schrecklichen Turmzug nach g1. Nach Kf2 und Kg3 war die Stellung sofort verloren. Letztlich wurde die Ausdauer und der Wille von Gukesh belohnt.
In der achten Runde folgte ein hart umkämpftes Remis gegen Ju Wenjun, die ein weiteres Endspiel mit Turm und Springer gegen Turm und Springer verteidigte. Letztlich hatte Gukesh diesmal keinen Erfolg. Mit dem geteilten ersten Platz und einem Ergebnis von plus zwei ging es diesmal in die Pause. Von Gukesh ist bekannt, dass er seit einem Jahr regelmäßig mit dem Grzegorz Garjewski zusammen arbeitet. Der Pole war Sekundant von Anand und arbeitet für die WACA, die Westbridge Anand Chess Academy, eine indische Kaderschmiede. Garjewski ist ebenfalls in Wijk dabei. Unbekannt ist derzeit welche der langjährige Heimtrainer von Gukesh, der fünfunddreißigjährige Vishnu Prassana, spielt. Etwas überraschend ist, dass Gukesh bislang anders als andere Talente wie Arjun Erigaisi und Nihal Sarin, keine Sponsorendeals bekannt gegeben hat.
Partien
Zwischenfazit
Acht Partien sind zum Einschätzen der Chancen und der aktuellen Form der Spieler natürlich zu wenig. Die fünf Kandidaten in Wijk hatten bereits ihre ersten Schwankungen und im Falle von Ian Nepomniachtchi und vor allem Alireza Firouzja und Gukesh bereits erste starke Comebacks während des Turniers. Praggnanandhaa hat viele kleinere Chancen auf Mehr ausgelassen, aber sich auch selbst in Bedrängnis gebracht. In den Duellen der Kandidaten liegt Ian nach drei Partien gegen die indischen Kandidaten hinten. Am wenigsten Schwankungen, aber auch Risikobereitschaft in seinem Spiel zeigte Vidit, der bisher fünf Weißpartien gespielt hat. Seine einzige Gewinnpartie erzielte er ausgerechnet gegen ein Mitwettbewerber in Toronto: Alireza Firouzja. In den Runden 9 und 10 muss Vidit sich der Angriffe seiner Landsleute erwehren. In den drei Schlussrunden spielt Pragg, Gukesh und Alireza ihre Partien. Zuschauer dürfen gespannt sein welcher der drei Youngster von den Kandidaten dann die Nase vorne hat. Können Ian oder Vidit noch mithalten?
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