Tausendsassa Hans Müller

von Julian Wnuck
01.12.2017 – Der am 1. Dezember 1896 geborene Wiener Schachmeister Hans Müller war bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges einer der besten Spieler Österreichs. Er war aber auch ein bedeutender Eröffnungstheoretiker und machte sich zudem mit seinen Lehrbüchern und Biographien über Aljechin und Botvinnik einen Namen als Autor. (Foto: Nationaal Archief NL)

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Eine Erinnerung an den Tausendsassa Hans Müller

Eine bemerkenswerte Persönlichkeit, an die wir heute erinnern möchten, war der österreichische Internationale Meister Hans Müller. Seine aktive Phase begann in den 1920er Jahren und umfasst die Dezennien bis 1970. Im Jahr 1932 gewann er die erste inoffizielle Fernschachweltmeisterschaft und schuf sich später einen bleibenden Namen als Autor beliebter Schachwerke.

Hasn Müller, Neues Wiener Tageblatt 1939

Hans Müller kam am 1. Dezember 1896 in Wien als Sohn des Militär-Kapellmeisters Johann Müller zur Welt und zunächst wurden die Musik und das Militär zu seinen großen Lieben. Er kehrte 1918 mit Verwundungen und Ehrenabzeichen aus dem Ersten Weltkrieg heim, wo der Zusammenbruch der alten Ordnung auch vom bescheidenen Wohlstand seiner Familie nicht mehr viel zurückließ.

Hans Müller, der sein Maschinenbaustudium aufgab, um „das tägliche Brot zu verdienen“, schlug sich in verschiedensten Berufen durch. Er arbeitete als Hilfsarbeiter, Bankbeamter, Schach-, Sprach-, Musik-, Tennis- und Skilehrer. Nachdem er seine Existenz wieder gesichert hatte, widmete er sich außerdem der Graphologie, der Gärtnerei, der Meteorologie, der Fischzucht und dem Sport.

Seine Schachkarriere begann er Anfang der 1920 Jahre. 1921 gewann er in Wien sein erstes Turnier, 1922 errang er mit seinem Sieg im Wiener Hauptturnier den österreichischen Meistertitel, 1925 siegte er in Debrecen, wo er den ungarischen Meistertitel gewann und 1927 gemeinsam mit Albert Becker im Wiener Gästeturnier.

 
 

Die 1930er Jahre waren Müllers erfolgreichste Schachzeit: er siegte in Ebensee 1933 vor Spielmann und Eliskases (sein bester Turniererfolg), beim Trebitsch-Turnier 1933 in Wien mit Grünfeld vor Spielmann, in Klosterneuburg 1934 gemeinsam mit Gilg. Daneben standen zahlreiche gute Platzierungen in verschiedenen internationalen Wettbewerben.

Hans Müller vertrat Österreich bei den Schacholympiaden in Den Haag 1928, Hamburg 1930, Folkstone 1933, Warschau 1935, dem inoffiziellen Schach-Olympia München 1936 und in Dubrovnik 1950. Für sein Einzelergebnis in Folkstone 1933 (+6 –1 =6 am 4. Brett) wurde ihm die Bronzemedaille verliehen.

 

Sehr erfolgreich spielte er Fernschach. In den Jahren 1932-33 gewann er vor Eduard Dyckhoff und Erich Eliskases die später als erste inoffizielle Weltmeisterschaft bezeichnete sehr stark besetzte Bundesmeisterschaft des IFSB (Internationaler Fernschachbund), dem Vorläufer des ICCF, des heutigen Internationalen Fernschachbundes. Anschließend vertrat Müller in den Jahren 1937-39 die österreichische Nationalmannschaft bei der ersten Fernschacholympiade des IFSB und erzielte mit 4½ Punkte aus 5 Partien ein herausragendes Ergebnis am dritten Brett in der Finalrunde.

 
 

Die sehr stark besetzte Mannschaft (E.Grünfeld 2½/5; E.Eliskases 3; H.Müller 4½; A.Becker 3½; K.Poschauko 3½ H.Haberditz 2½), die das Turnier als „Deutsche Ostmark“ beendete, führte die Finalrunde lange Zeit an, wurde schließlich aber im dramatischen Fotofinish von Ungarn auf den zweiten Platz verwiesen.

Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 wurde das österreichische Schachleben neu organisiert und dem Großdeutschen Schachbund (GSB) angegliedert.

Müller-Palda, 1939

Fink-Müller, Neues Wiener Tageblatt, 21 Juni 1939

 

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Müller-Schwarzbach, 1939

Während zahlreiche jüdische österreichische Schachspieler (der „Arierparagraph“ des GSB verbot ihnen die Aufnahme) und Nichtschachspieler (die nun überall ähnliche Paragraphen und Schikanen vorfanden) ins unsichere Exil gingen oder ganz auswanderten, wurde Hans Müller 1939 in Aachen der neugeschaffene Titel „Reichsschachmeister“ verliehen, nachdem er das erste offizielle Meisterschafts-Turnier der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ gewonnen hatte. (Er wiederholte diesen Erfolg im Jahr 1944 in Posen, beim letzten dieser jährlich ausgetragenen Turniere. 1943 in Wien wurde er Zweiter hinter Grünfeld.)

 
 
 

Während der Zeit der Nazi-Diktatur wurde Müller drei Mal Sieger bei der stets stark besetzten Wiener Stadtmeisterschaft (u. a. beteiligte sich auch Ernst Grünfeld), nämlich 1938, 1939 und 1941. Zudem nahm er an mehreren Großdeutschen Meisterschaften teil (1939, 1941 bis 1943). Seinen besten Erfolg verbuchte er im Jahr 1942, als er Zweiter hinter Ludwig Rellstab wurde.

Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges vermochte der Wiener allerdings nicht mehr, an seine früheren Erfolge anzuknüpfen. Auf nationaler Ebene blieben dem mittlerweile in die Jahre gekommenen Meister weitere Triumphe versagt (1947 wurde er bei der Staatsmeisterschaft nur Dritter) – und auch international fiel es ihm immer schwerer, mit den stärker gewordenen Jüngeren mitzuhalten, wie seine Platzierungen in mehreren Nachkriegsturnieren der späten 1940er und 1950er Jahre dokumentieren.

1950, dem Jahr, in welchem ihm die FIDE für seine Erfolge den Titel „Internationaler Meister“ verlieh, nahm er an einem Eliteturnier in Venedig teil. Kotow siegte vor Smyslow und Rossolimo; Müllers drittletzter Platz bei 16 Teilnehmern muss ihm eine große Enttäuschung bereitet haben. 1954 gewann er im italienischen San Benedetto del Tronto zum letzten Mal ein internationales Turnier und gab dem fast 30 Jahre jüngeren Turnierfavoriten Janošević das Nachsehen.

Hans Müller, der zwar noch bis Ende der 1960er Jahre an Mannschaftskämpfen und Wiener Stadtmeisterschaften teilnahm (er wurde 1964 Dritter, gewann den Titel aber nie wieder), beendete etwa Mitte der 1950er Jahre seine aktive Turnierlaufbahn und spezialisierte sich auf das Verfassen von instruktiven Schachbüchern, die sich großer Beliebtheit erfreuten.

Seinen pädagogischen und auch heute noch sehr lesenswerten Stil erarbeitete er sich bereits während seiner schachjournalistischen Tätigkeit, die in den 1920ern einsetzte. Müller leitete über Jahrzehnte Schachspalten in verschiedenen österreichischen Tageszeitungen (Reichspost, Neues Wiener Tagblatt, Illustrierte Kronen-Zeitung und andere), schrieb regelmäßig Artikel für zahlreiche Schachzeitungen und war zudem als angesehener Trainer und Schachlehrer tätig.

Hans Müller, 1971 (Foto: Nationaal Archif NL)

Hans Müller galt in den 1930er Jahren neben dem Österreicher Albert Becker als wichtiger Eröffnungstheoretiker. Er verfasste in dieser Zeit Monographien über die Englische Partie (1928) und die Caro-Kann-Verteidigung (1931).

Zu seinen bekanntesten Werken zählen die 1953 gemeinsam mit Adolf Pawelczak verfasste Aljechin-Biographie (Schachgenie Aljechin), seine Botwinnik-Biographie (Botwinnik lehrt Schach!; Erstauflage 1949 sowie spätere aktualisierte Auflagen) und die vier klassischen Lehr- und Trainingswerke Praktische Schachstrategie (1947), Angriff und Verteidigung (1960), Das Zentrum in der Schachpartie (1963) und Vom Element zur Planung (1970), die Generationen von deutschsprachigen Schachspielern zur Erhöhung ihrer Spielstärke dienten. Alle diese Bücher sind auch heute noch mit Gewinn zu lesen.

 

Hans Müller starb 74-jährig am 28. Februar 1971 in seiner Geburtsstadt.

 


Julian Wnuck spielt Schach aus Leidenschaft und beschäftigt sich mit Schachgeschichte.

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