Der heimliche Star des Tegernsee Masters ist vielleicht der See und die Landschaft drumherum. Der Tegernsee liegt ca. 50 km südlich von München in den Bayrischen Alpen und gehört dem Freistaat Bayern. Umgeben von Bergen ist der See am Ende der letzten Eiszeit entstanden. Der Ausläufer eines großen Gletschers, des Inn-Gletschers schob sich weit nach Norden und schuf eine Grube, die sich um Zuge der Klimawende vor etwa 10.000 Jahren mit Wasser füllte. Zahlreiche Zuflüsse sorgten dafür, dass das so blieb. Allerdings war der See ursprünglich doppelt so groß und der Wasserspiegel lag 15 Meter höher. Schon in den 1950er Jahren sorgte man mit dem Bau einer Ringkanalisation um den See herum dafür, dass der See stets sauber bleibt.
Der See
Für die Region hat der Tegernsee und der mit ihm verbundene Tourismus eine große wirtschaftliche Bedeutung. Im letzten Jahr nahmen die fünf Gemeinden am Tegernsee knapp 300 Mio. Euro ein. Zum Tourismus-Angebot gehören auch die Schachturniere im Rahmen der Offenen Internationalen Bayrischen Meisterschaften. Die Covid-19-Pandemie machte den Organisatoren in diesem Jahr einen dicken Strich durch die Rechnung. Mit dem Tegernsee Masters hat man aber einen schönen und machbaren Ersatz gefunden. Das Turnier ist für den unmittelbaren Tourismus zwar bei Weitem nicht so interessant wie ein großen Open, aber es hat einige Strahlkraft und die Spieler sorgen mit ihren interessanten Partien für einige Aufmerksamkeit.
Matthias Blübaum ist die aktuelle deutsche Nummer Eins und damit per se einer der Favoriten auf den Turniersieg. Er folgte vor der sechsten Runde mit einem halben Punkt Vorsprung dem führenden Alexander Donchenko, aber: Matthias Blübaum hat schon ausgesetzt, also eine Partie weniger gespielt, auch im Vergleich zu seinem Tabellennachbarn Pier Luigi Basso.
Blübaum-Parvanyan
In der sechsten Runde traf er auf Ashot Parvanyan. Dieser verteidigte sich mit der Königsindischen Verteidigung und sah sich mit der Modevariante mit 5.h3 und 6.Le3 konfrontiert. Gegen eine anrollende weiße Bauernlawine wehrte Parvanyan sich mit einem Figurenopfer für drei Bauern. Schließlich stand folgende Stellung auf dem Brett.
23.Sb5 [23.Sxd5! exd5 24.Lxd5+ Kh8 25.Le6 war eine gute Abwicklung.]
23...Db8? [Lässt den Ld7 ungeschützt. Spielbar war 23...a6 oder 23...De7 mit offenem Ausgang.
24.Se4 [Die weiße Kavallerie reitet nun mit Macht ein. Es droht Sc5 oder Lg3.]
24...Se5 [24...b6 25.Lg3]
25.Sc5 Lc8 26.Lg3 [Und Schwarz hatte genug.] 1–0
Spitzenreiter Alexander Donchenko hatte es mit dem belgischen Talent Daniel Dardha zu tun und spielte mit den schwarzen Steinen.
Dardha gegen Donchenko
Weiß war gegen die gefährliche Caro-Kann-Verteidigung in einen mörderischen Königsangriff geraten, überlebte diesen mit knapper Not und musste nun dieses schlechte Endspiel verwalten.
Hier warf Weiß noch eine kleine Nebelbombe, mit...
39.Sf5 Sxd2 [Oder gleich 39...exf5 40.gxf5 Kc6 und der a-Bauer wird die Partie entscheiden.]
40.Kxd2 exf5 41.gxf5 [Wenn Weiß mehrmals hintereinander ziehen dürfte, bekäme er mit 41...-- 42.f6 -- 43.Lg6 -- 44.Lxf7 Gegenspiel.] 41... Le7 [41...a5!? 42.Ld1 Kc6 z.B.: 43.f6 Lb2 44.Kc2 Sa4] 42.f6 Lxf6 ["Keep it easy", dachte sich wohl Schwarz. 42...Ld8 kann auch nicht verkehrt sein.]
43.exf6 Ke6 44.Th5 Sd7 [Oder auch 44...a5 45.Txg5 a4 46.Ld1 a3 47.Kc1 Tb8 48.Tg2 Kxf6 49.Ta2 Ta8]
45.Txg5 Th8 46.Kc1 a5 47.Ld1 Th1 48.Kc2 Th2+ 49.Kc1 Th1 50.Kc2
50... Sb6 [50...Sxf6!? und nach 51.Te5+ Kd6 52.Tf5 gewinnt 52... Se4 53.Txf7 Th2+ 54.Kc1 Sxc3. Die schwarze Gewinnführung wirkt in den nächsten Zügen nicht besonders gradlinig, führt aber dennoch Ziel.]
51.Tg8 Kxf6 52.Te8 Sa4 53.Te3 Th2+ 54.Kc1 Sb6 55.Te8 Th6 56.Kd2 Kg5 57.Lc2 a4 58.Tg8+ Kf4 59.Tf8 Tf6 60.Tb8 Te6 61.Tb7 f6 62.Ta7 Sc8 63.Ta5 a3 64.Txa3 Sd6 65.Ld1 f5 66.Ta5 Se4+ 67.Kc2
67... Th6 68.Txd5 Th2+ 69.Kc1 Sxc3 70.Tc5 Sa2+ 71.Kb1 Sc3+ 72.Kc1 Th1 73.Txc4 Sxd1 0–1
Pier Luigi Basso, der sich mit Matthias Blübaum den zweiten Platz teilt, mit einer Partie mehr, bekämpfte Dan Van Ngyuens Grünfeld-Verteidigung mit der Variante 3.f3.
Basso-Nguyen
Wer sich für diese aggressive Eröffnung interessiert, findet hier reichlich Stoff:
Basso,Pier Luigi (2570) - Nguyen,Thai Dai Van (2571) [D70]
Tegernsee Masters 2020 Bad Wiessee (6.1), 05.11.2020
1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.f3
3... d5 4.cxd5 Sxd5 5.e4 Sb6 6.Sc3 Lg7 7.Le3 0–0 8.Dd2 e5 9.d5 c6 10.h4 cxd5 11.exd5 S8d7 12.h5 Sf6 13.hxg6 fxg6 14.0–0–0 Ld7 15.Kb1 Tc8 16.d6 e4 17.fxe4 Sg4 18.Lg5 De8 19.Sf3 Tf7 20.Le7 [20.Ld3 1–0 (44) So,W (2767)-Mamedyarov,S (2767) chess.com INT 2019] 20...Txc3 21.bxc3 Dc8 22.Tc1
Die Spieler sind einer langen forcierten Variante gefolgt, für die es einige hochkarätige Vorbilder gibt.
22... Dc5?
[22...Sa4 23.Sg5 Dc5 24.Sxf7 Sxc3+ 25.Txc3 Lxc3 26.Sh6+ Kg7 27.Dd5 Db4+ 28.Db3 Dxe4+ 29.Dc2 De1+ 30.Dc1 De4+ 31.Dc2 De1+ 32.Dc1 De4+ 33.Dc2 ½–½ (33) Grischuk,A (2779)-Dominguez Perez,L (2723) Thessaloniki 2013. Der erste "eigene" Zug in einer taktisch gehaltreichen Position führt zu einer Verluststellung.]
23.Db2! [23.Sg5 Sa4=]
23...Sf2 [23...Sa4 24.Db3]
24.Sg5? [Weiß gibt das Geschenk zurück. 24.Th4 mit der Idee 25.Db3 und 26.Sg5]
24...Sxh1 25.Db3
25... Le8? [Erlaubt dem d-Bauern zu ziehen. Die richtige Verteidigung war 25...Df2=]
26.d7 Dxe7 27.dxe8D+ Dxe8 28.Lb5 [Die Pointe. Der weiße Turm kommt mit Tempo nach f1. Weiß behält eine Mehrqualität.]
28...De7 29.Tf1 Lf6 30.Dxf7+ Dxf7 31.Sxf7 Sg3 32.Txf6 Sxe4 33.Sh6+ Kg7 34.Tf7+ Kxh6 35.c4 1–0
Basso bleibt also weiter dran.
Die vierte Partie zwischen Liviu-Dieter Nisipeanu und Alexandr Fier endete remis.
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