Das „Special“ von CBM #212: Anthony Miles
Nach Erlangung des GM-Titels im Jahr 1976 reifte Anthony Miles – Spitzname „the Beast of Birmingham“ –zu einem absoluten Weltklassespieler heran, der sich u. a. durch besondere Originalität in der Eröffnung auszeichnete – so besiegte er 1980 nach den Zügen 1.e4 a6 mit den schwarzen Steinen keinen Geringeren als den amtierenden Weltmeister Karpov.
Einer von Miles’ größten Turniererfolgen war der Sieg 1984 in Tilburg mit anderthalb Punkten Vorsprung. Sogar noch mehr in Erinnerung blieb seine Teilnahme im Jahr darauf, als er aufgrund einer Rückenverletzung viele seiner Partien auf dem Bauch liegend bestreiten musste. 1986 war der Engländer mit einer Elozahl von 2635 und Platz 9 der Weltrangliste auf dem Höhepunkt seiner Karriere. In den Folgejahren hatte Miles mit mentalen Problemen zu kämpfen, die möglicherweise auch auf seine immense schachliche Aktivität zurückzuführen waren. Aber auch in den 90ern gewann er noch diverse große Turniere, darunter viermal das Capablanca Memorial. Im November 2001 verstarb Anthony Miles im Alter von nur 46 Jahren in der Folge einer Diabeteserkrankung.
Nach Miles benannt ist die Damenindisch-Variante 1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 b6 4.Lf4, die er in der folgenden spektakulären Partie erfolgreich zur Anwendung brachte.
Anthony Miles – Boris Spassky (Montilla (2), 1978)
Robert Ris kommentiert
1.d4 Sf6 2.Sf3 b6 3.c4 e6 4.Lf4
Eine Spezialität von Miles. Dieser natürliche Entwicklungszug war nie so populär wie die Hauptvarianten, die sich aus 4.g3 oder 4.a3 ergeben, aber Miles hatte in der Zeit von 1978–1980 einige große Erfolge damit.
4...Lb7 5.e3 Le7 6.h3 Bewahrt den schwarzfeldrigen Läufer, ist aber ein bisschen langsam.
Ein moderner Ansatz ist 6.Sc3 ohne Angst vor 6...Sh5 7.Ld3!? mit interessantem Spiel.
6...0–0 7.Sc3 d5
8.cxd5?! Alternativen sind 8.Tc1 und; 8.Le2 aber in beiden Fällen scheint es Schwarz trotzdem gut zu gehen.
8...exd5?! 8...Sxd5! 9.Sxd5 Dxd5! ist für Schwarz völlig in Ordnung. Insbesondere der weiße Zug h2–h3 erweist sich als Zeitverschwendung. 10.a3 (10.Lxc7? Tc8! fragt nach Problemen. 11.Lg3 Lb4+ 12.Sd2 Sc6 mit ausgezeichnetem Spiel, z.B. 13.a3 Lxd2+ 14.Dxd2 Sa5! und Weiß ist in Schwierigkeiten.) 10...c5=
9.Ld3 c5 10.0–0 Sc6 11.Se5 c4 Schwarz hätte die Bauernformation mit 11...cxd4 12.Sxc6 Lxc6 13.exd4 verändern können, aber Weiß kann mit einem sehr stabilen Vorteil rechnen, da der schwarze Läufer auf c6 nicht großartig platziert ist.
12.Lc2 a6 13.g4
Der Beginn eines sehr interessanten Plans, aber er ist zu optimistisch.
Gesünder ist 13.Df3! b5 14.a3 gefolgt von Tad1 (was Schwarz davon abhält, auf e5 zu schlagen).
13...b5 14.g5 Se8 14...Sd7 ist eine wichtige Alternative. 15.Sxc6!? (15.Sxd5 Scxe5 16.dxe5 Sxe5 17.Lxe5 Dxd5 18.Dxd5 Lxd5 und Schwarz geht es gut.; 15.Dg4? Sdxe5 16.dxe5 Sb4! 17.Lb1 d4! und Schwarz ergreift die Initiative.; 15.Dh5 g6 16.Sxg6 fxg6 17.Lxg6 hxg6 18.Dxg6+ und Weiß hat nichts weiter als ein Remis.) 15...Lxc6 16.Dg4 ist wahrscheinlich die beste Chance für Weiß. Eine Idee ist, den Springer über e2 nach g3 und f5 umzuleiten.
15.Dg4 15.h4 ist offenbar ein besserer Zug, so dass im Falle von 15...Sxe5 Weiß mit dem Läufer zurückschlagen kann.
15...g6
Eine spätere Partie sah 15...b4! 16.Se2 g6 (16...Sxe5! 17.dxe5 g6 gefolgt von ...Sg7, wonach der Angriff von Weiß gestrandet ist.) 17.h4 Sg7 18.Sg3 Sxe5 19.Lxe5 Lc8 20.Df3 f6! 21.gxf6 Lxf6 22.Lxf6 Txf6 und Schwarz übernahm das Ruder in Burkart-Berg (2003).
16.Tad1 16.Dd7!? leitet eine Zwangssequenz ein. 16...Sxe5 (16...Dxd7? 17.Sxd7 verliert die Qualität.) 17.Dxb7 Sf3+ 18.Kg2 Sh4+ 19.Kh1 Lxg5 20.Lxg5 Dxg5 21.Dxd5 Dxd5+ 22.Sxd5 Auf den ersten Blick scheint Weiß besser zu stehen (Läufer gegen Springer bewegliche Bauernformation), aber die Maschine sagt, dass Schwarz okay ist nach 22...Td8
16...Sg7 16...b4! 17.Se2 Sxe5 18.dxe5 Db6 Wie im 15. Zug wäre noch immer eine gute Idee für Schwarz gewesen.
17.h4 17.Dd7!? kommt wieder in Betracht.
17...Lb4? Wahrscheinlich handelt es sich um ein taktisches Versehen.
17...Sxe5? 18.dxe5 kann nicht empfohlen werden, da Weiß taktische Ideen gegen den Bauern auf d5 hat. 17...b4! wäre stattdessen einen Versuch wert gewesen.
18.Sd7! Wahrscheinlich war es Spasskys Plan, ein paar Leichtfiguren abzutauschen, z.B. 18.a3 Lxc3 19.bxc3 Sxe5 20.Lxe5 Lc8! gefolgt von ...Lf5, wonach es Schwarz gut geht, wie es scheint. Seine dunklen Felder um seinen König herum sind ernsthaft geschwächt, aber zumindest im Moment scheint Weiß nicht in der Lage zu sein, seine Dame ins Spiel zu bringen.
18...Lc8 18...Te8 19.Sf6+ ist hoffnungslos.
19.Sxd5! Ein schöner taktischer Schlag. Hat Spassky das vielleicht übersehen?
19...Kh8 Der schwarze König entkommt dem Schach auf f6, gerät aber in eine sehr gefährliche Diagonale a1–h8.
19...Lxd7 wird mit 20.Dxd7! begegnet (20.Sf6+? ist schlecht wegen 20...Dxf6! 21.gxf6 Lxg4–+) 20...Dxd7 21.Sf6+ Kh8 22.Sxd7, und Weiß gewinnt.
20.S5f6! Ta7 21.d5 Eine weitere vielversprechende Idee ist 21.h5! Sxh5 22.Sxh5 Lxd7 23.Dh4 gxh5 (Sonst kommt der Springer zurück nach f6). 24.d5! (24.Dxh5? wird stark begegnet mit 24...f5! und die Dinge werden nur noch schlimmer im Fall von 25.gxf6? Tg8+ 26.Kh2 Lg4–+ und der Turm auf a7 ist ein großartiger Verteidiger!) 24...Se7 25.Le5+ f6 (25...Kg8 trifft auf 26.Lxh7+! Kxh7 27.Dxh5+ Kg8 28.Dh8#) 26.gxf6 Sg6 und Weiß gewinnt. 27.Ld4!? (27.Dxh5+– reicht ebenfalls aus.) 27...Sxh4 28.f7+
21...Se7 21...Lxd7 22.Sxd7 Txd7 23.dxc6 ist für Schwarz einfach verloren.
22.Le5?
Der Beginn eines schönen Plans, die schwarze Stellung über die dunklen Felder zu infiltrieren. Das Silikonmonster weist hier jedoch darauf hin, dass Weiß mit 22.a3! hätte beginnen sollen, um ihm die Möglichkeit zu nehmen, im 23. Zug den Läufertausch anzubieten. 22...La5 23.Le5+–
22...Txd7! Die Pointe des vorherigen Zuges von Weiß ist, dass 22...Lxd7 mit 23.Dd4! begegnet werden kann – mit Angriff auf den ungeschützten Turm auf a7. Zieht dieser, gibt es mit 24.Sxd7 einen Abzugsangriff auf den Springer auf g7.
23.h5?! 23.Dd4? ist nicht mehr sinnvoll angesichts von 23...Sc6! 24.dxc6 Txd4 25.Txd4 De7–+ und Schwarz steht mehr als ordentlich. 23.Df4! ist objektiv gesehen der beste Zug, aber hätte Miles ihn in Betracht gezogen? Offenbar ist der einzige Zug, um im Spiel zu bleiben, jetzt 23...Sg8! (23...Sxd5? 24.Sxd5 Txd5 25.Txd5 Dxd5 26.Df6 Tg8 27.Td1 Ld2 (27...De6 28.Dxg7+!! Txg7 29.Td8+ und Matt.) 28.h5 Lh3 Was sonst? 29.f3!! und Weiß gewinnt.) 24.d6 Sxf6 25.Lxf6 Db6 26.h5! Txd6 27.Txd6 Dxd6 (27...Lxd6 28.Lxg7+ Kxg7 29.Df6+ Kg8 30.h6 Lh2+! 31.Kxh2 Dxf6 32.gxf6+– und Weiß steht wahrscheinlich auf Gewinn, da der schwarze König in der Ecke eingeschlossen ist.) 28.h6 Kg8 29.hxg7 Te8 30.Dxd6 Lxd6 31.Td1 Lc7 und Schwarz kämpft immer noch um sein Leben...
23...Txd5? Schwarz unterschätzt die Gefahr. Auf jeden Fall hätte Schwarz versuchen müssen, den schwarzfeldrigen Läufer von Weiß loszuwerden.
23...Ld6! 24.Ld4 (24.Lc3!? ist vielleicht genauer, aber mir scheint es nicht natürlich, Schwarz die Chance zu geben, den Läufer mit ...b5–b4 ein weiteres Mal zu attackieren.) 24...Tc7 25.h6 (25.Dg2?! Sef5! 26.h6 Sxd4 27.hxg7+ Kxg7 28.Txd4 Th8 gefolgt von 29...h6 und Schwarz ist fein raus!) 25...Lxg4 26.hxg7+ Kxg7 27.Sh5+ Kg8 28.Sf6+ ist ein schönes Remis. 28...Kh8 29.Sxg4+ f6 30.gxf6 Sf5 31.Lxf5 Lc5 (31...gxf5?? 32.f7+ führt zum Matt.) 32.Le5 (32.Lc3) 32...Ld6 33.Ld4 Lc5=
24.Df4! Jetzt ist Schwarz einfach verloren, denn es stellt sich heraus, dass er nicht in der Lage ist, die gefährlichste Figur von Weiß zu beseitigen: den Läufer auf e5.
24...Txd1 25.Txd1 Da5
26.Se8! Weiß hat mehrere Gewinnzüge, aber es spricht für Miles, dass er den elegantesten Weg zur Umwandlung seines Vorteils wählte.
26...f6 26...Txe8 27.Dxf7 Tg8 (27...gxh5 28.Dxg7#; 27...Sef5 28.Dxe8+) 28.h6 und Matt ist unvermeidlich.
27.gxf6 Kg8 27...Sxe8 28.f7+ Sg7 29.Lxg7+ Kxg7 30.h6+ Kh8 31.Df6#
28.Sxg7 und Spassky hatte hier genug gesehen und gab auf.
1–0
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Spyridon Kapnisis stellt das Schottische Gambit vor: 1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.d4 exd4 4.Lc4 Lc5 5.Sg5!? Nach 5...Sh6 6.Sxf7 Sxf7 7.Lxf7+ Kxf7 8.Dh5+ gewinnt Weiß die Figur auf c5 zurück und hat auf jeden Fall bereits einen Teilerfolg erzielt.
Eröffnungsvideos
Alle drei Eröffnungsvideos greifen aktuelle Ideen vom Topturnier in Wijk aan Zee auf! Rustam Kasimdzhanov untersucht Spanisch mit 8.a4 b4 9.a5, das gleich zweimal beim Masters aufs Brett kam. Nico Zwirs untersucht Carlsens Idee 7...Lg4 in der Abtauschvariante des Damengambits. Mihail Marin stellt das Evans-Gambit aus der Partie Beerdsen-Pechac vom Challengers auf den Prüfstand.
Rustam Kasimdzhanov: Spanisch
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lb5 a6 4.La4 Sf6 5.0-0 Le7 6.Te1 b5 7.Lb3 0-0 8.a4 b4 9.a5
Mihail Marin: Evans-Gambit
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Lc4 Lc5 4.b4 Lxb4 5.c3 La5 6.d4 d6 7.Db3 Dd7 8.0-0 Lb6 9.Sbd2
Nico Zwirs: Damengambit Abtauschvariante
1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sc3 Sf6 4.cxd5 exd5 5.Lg5 Le7 6.e3 h6 7.Lh4 Lg4
Neue Ideen für Ihr Repertoire
Von Reti bis Königsindisch – das ChessBase Magazin #212 bietet 11 Eröffnungsartikel mit neuen Ideen für Ihr Repertoire!
Vogel: Reti-Eröffnung 1.Sf3 d5 2.g3 b6
Kuzmin: Englisch 1.c4 e5 2.Sc3 Sf6 3.Sf3 e4 4.Sg5 c6
Sumets: Caro-Kann Abtausch 4.c4 Sf6 5.Sc3 e6
Papp: Najdorf 6.Lg5 e6 7.f4 h6 8.Lh4 Db6 9.a3
Santiago: Französisch 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 a6!?
Schandorff: Schottisch mit 4...Lc5 und 7...a5!?
Ris: Italienisch Ulvestad-Variante 5...b5!?
Srinath: Offener Spanier Teil II
Postny: Nimzo-Indisch 4.Sf3 0-0 5.Lg5 c5 6.Tc1
Grigoriants: Katalanisch 6...dxc4 7.Dc2 b5 8.a4
Szabo: Königsindisch 5.Le2 0-0 6.Le3 e5 7.d5
Aktuelle Eröffnungsfallen
„Von Englisch bis zum Damengambit“ – Rainer Knaak nimmt acht Fallen aus der aktuellen Turnierpraxis unter die Lupe, drei davon stellt er zudem im Videoformat vor.
Zug für Zug
Martin Breutigam spielt Vincent Keymers „Unvollendete“ von der Schnellschach-WM 2022 gegen Maxime Vachier-Lagrave mit Ihnen durch!
„Anthony Miles' Positionsspiel“
Mihail Marin stellt die Legende aus England als einen Universalspieler vor und erläutert, wie Strategie und Taktik in seinen besten Partien harmonisch zusammenwirkten. Inkl. ausführlicher Videoeinleitung und erstmals auch mit zwei interaktiven Trainingseinheiten mit Videofeedback!
Moderne Klassiker
Dorian Rogozenco zeigt eine der spektakulärsten Partien vom Match „Sowjetunion gegen den Rest der Welt“ aus dem Jahr 1970: Bent Larsen kam am ersten Brett der Weltauswahl in nur 17 Zügen gegen Weltmeister Boris Spassky unter die Räder! Teil 3 der neuen Videoreihe mit dem früheren Bundestrainer.
Taktik: „Damenlos glücklich“
Oliver Reehs Artikel enthält 32 Partien, gespickt mit reichlich Trainingsaufgaben. Plus drei interaktive Videos mit den Lieblingskombinationen unseres Autors und Chefredakteurs.
Endspielreihe „Basiswissen“ u.v.m.
Endspielexperte Dr. Karsten Müller setzt seine Trainingsreihe „Basiswissen“ mit dem Thema „Turm + Bauer gegen Turm“ fort. Außerdem: die besten Endspiele von Anthony Miles und die Rubrik „Leserbriefe“.
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