ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan
von Phillip Hillebrand
Die Spiralen der Eröffnungstheorie drehen sich immer schneller und immer tiefer. Das bedeutet sowohl für Profis, als auch für Amateure eine neue Herausforderung, bietet aber zugleich Schürfpotenziale für neue Abspiele und Ideen dank der neuen Engines. Man kann sicher sagen, dass in den letzten zwei Jahren so viele Onlinepartien gespielt wurden wie nie zuvor, beispielweise in der DSOL Liga oder auf anderen Plattformen. Mithin ist das Feld der Eröffnungsexperimente groß und jeder ambitionierte Spieler wünscht sich besser vorbereitet zu sein, als sein nächster Spielpartner. Allerdings stehen grundsätzlich allen die neuen Engines zur Verfügung, was bedeutet, die Informationen, die man gewinnen bzw. finden kann sind relativ vergleichbar, weswegen man sich erhofft, den Spielpartner am Brett vor neue Probleme zu stellen. Dadurch entsteht die Frage wie? Es ist sicher kein Geheimnis, dass starke GMs und insbesondere der Weltmeister Eröffnungstrends setzt. Durch die Tatsache, dass Carlsen in Partien mit verkürzter Bedenkzeit wirklich ALLES spielt, ist an dieser Stelle momentan kein Trend auszumachen. Er beginnt seine Partien mit 1.a4, 1.c3, 1.d3 oder auch schon mal 1.h4 und erlangt nicht einmal schlechte Stellungen per se damit. Daraus schließe ich, dass es immer schwieriger wird, seine Kollegen bzw. Spielpartner in den „traditionellen Varianten“ zu überraschen oder zu überrumpeln. Dazu gehören meines Erachtens das Marshall Gamit, die Botwinnik Variante im Damengambit, die Grünfeldindische Verteidigung, die vielen Abspiele und Spezialisierungen in den Sizilianischen Hauptvarianten u.v.m. Hier stoßen vor allem GMs auch immer öfter auf junge und oder aufstrebende Spieler, welche „bis an die Zähne bewaffnet“ sind, sie mit der neuesten Theorie aufwarten und wenn nach 30 Zügen Theorieabgleich ein steriles Endspiel auf dem Brett steht kann auch ein GM nicht immer einen Gewinn herauspressen.
Top Choice Repertoire: Play the French Defence Vol.1 & 2
In diesem zweibändigen Videokurs zeigt Ihnen der ehemalige Weltmeister und Startrainer Rustam Kasimdzhanov, was es mit dieser äußerst komplexen Eröffnung auf sich hat.
An dieser Stelle setzt der Autor auf folgenden Ansatz. Es geht ihm darum in zwar bekannten theoretischen Abspielen „gesunde Hauptvarianten“ zu spielen, diese aber jedoch um neue Konzepte zu erweitern. Es geht ihm also nicht darum in einem Abspiel im 35 Zug in der Seiten-Neben-untervariante eine Nuance zu erspähen, sondern es sollen grundlegend neue Wege erforscht werden. Dies ist freilich ein anspruchsvoller Vorgang. Dieser Aufgabe nahm sich der usbekische Ex Weltmeister bereits zwei Mal in der jüngeren Vergangenheit an, als er auch im Nimzo Inder oder der Ben Oni Verteidigung relativ neue Pfade erkundete, und das meines Erachtens sehr erfolgreich. Der Vorliegende Fritztrainer zur Französischen Verteidigung knüpft an diese Herangehensweise an. Hinzu kommt, dass der Autor über ein insgesamt sehr fundiertes Wissen in Bezug auf die Französische Verteidigung zurückgreifen kann. Wenn er mit 1.e4 konfrontiert wird, greift er gerne zu 1…e6 gegen leicht schwäche Gegner aus seiner Sicht. Das zeigt, dass es ihm darum geht strategisch gesunde, jedoch sehr anspruchsvolle Strukturen zu erhalten. 2011 verpflichtete ihn der DSB als Eröffnungstrainer. Die Tatsache, dass die GMs Georg Meier, Matthias Blübaum und Daniel Fridman recht erfolgreich die Französische Verteidigung spielen, könnte auf den Kontakt zu Rustam Kasimdzhanov zurückzuführen sein.
Zum Inhalt des ersten Fritztrainers:
Neben zwei Appetit machenden Musterpartien gibt es drei große Kapitel.
1) Seine Hauptempfehlung ist die Steinitz- Variante, welche nach 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.e5 Sfd7 5.f4 c5 6.Sf3 Sc6 7.Le3 entsteht
2) 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.Lg5 und nun 4…Le7
3) Nebenvarianten nach 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6
Zum ersten Block.
Dieser ist mit Abstand der arbeitsintensivste, aber auch sehr lohnenswert, denn wenn man sich die Manöver, Strukturen und taktischen Aspekte klar gemacht hat, dann kann man seinen Spielpartner nicht selten in vermeintlich ausgeglichenen Stellungen noch überspielen, gerade durch die Tatsache, dass ungleichfarbige Läufer und Türme auf dem Brett sind. Der Autor begründet seine Wahl mit 3…Sf6 damit, dass er den Zug 3…Lb4 zwar für vollwertig hält, aber sich zu viele konkrete Abspiele ergeben, welche hin und wieder bis zum sterilen Ausgleich auspräpariert werden können durch jemanden, der mit den weißen Steinen ein Remis wünscht. Insbesondere Abspiele mit dem weißen Zug Dg4 unterstreichen die Anfälligkeit des geschwächten Feldes g7 nach dem Läuferzug. Mit 3…Sf6 ergeben sich Stellungen, welche auch taktisch forciert und wild erscheinen mögen, aber es bleibt oftmals mehr Raum für Kreativität. Das ist es, wonach der Autor sucht, Kreativität und Stellungen, welche auch nicht immer klar zugänglich für eine Engineanalyse sind. Er setzt also eine gewisse Risikobereitschaft voraus, aber wer mit den schwarzen Steinen um den vollen Punkt kämpfen möchte, der ist mit solch einer Herangehensweise bestens versorgt. Insbesondere Alexander Grischuk und Alexander Morozevich werden oft von ihm genannt und deren Partien zur Grundlage seiner Überlegungen genommen, wenn es um seine Empfehlungen der vorliegenden Fritztrainer geht.
In insgesamt 15 Clips geht der ehemalige Weltmeister von den frühen Abweichungen bis zur „knallharten Hauptvariante“ welche in einigen Zügen und Strukturen der Bauernraubvariante der Najdorf Verteidigung in der sizilianischen Verteidigung nicht selten ist. Es handelt sich um die Route der schwarzen Lady, welche über b6 auf b2 einen Bauern schnappt und dann über a3 wieder in das eigene Hinterland zwecks Verteidigung überführt werden soll. Wie immer gibt es gute Gründe von den Nebenvarianten zur Hauptvariante voranzuschreiten und ich empfinde es als absolut gerechtfertigt, denn mit diesem Vorgehen kann man die Strategischen Ideen in ihrer Entstehung und Anwendung besser nachvollziehen, als würde man sich erst die Hauptvariante nach 16 Zügen anschauen um sich dann zu sagen: „das gefällt mir bzw. gefällt mich nicht“. Durch dieses didaktische Aufbereiten des Materials, also von Nebenvarianten zu Hautvarianten, werden die Ideen dieser Abspiele auch besser verdaulich.
Nach 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.e5 Sfd7 5.f4 c5 6.Sf3 Sc6 7.Le3 hat der Anziehende die Absicht seine imposante Bauernkette und den damit verbunden Raumvorteil ausnutzen zu wollen. Mittels 7…a6 und 7…cxd4 stehen dem Anziehenden nahezu gleichwertige Wege zur Verfügung, aber mittels 7…cxd4 und 8…Db6 (8…Lc5 ist fast 5 Mal beliebter) wird dem Anziehenden die Pistole auf die Brust gesetzt:
Der letzte Zug der schwarzen Dame stellt eine sehr konkrete und auch unangenehm zu beantwortende Frage. Wie soll der weiße Bauer b2 verteidigt werden, oder muss er überhaupt verteidigt werden? Der Fakt, dass 11 der 15 Clips dieser Frage nachgehen, zeigt, wie tief der Autor diese Stellung auslotet. Er findet dabei eine Balance aus komplexen Computervarianten und dem Faktor Mensch, sprich wie denkt ein starker Schachspieler über diese oder jene Stellung nach und welcher Zug sieht human aus? Die reine Repertoireempfehlung fällt geringer aus als diese 11 Clips, aber durch das Aufzeigen von (spielbaren!) Alternativen werden die wesentlichen Ideen dieses Abspiel wiederum besser verständlich, wodurch die Verarbeitungstiefe steigt und somit auch eine Verstehens- und Behaltensrate erweitert werden.
Dies erkennt man insbesondre am folgenden „Drilling“:
Diese Stellung entsteht nach den Zügen 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.e5 Sfd7 5.f4 c5 6.Sf3 Sc6 7.Le3 cxd4 8.Sxd4 Db6 9.Db2 Dxb2 10.Tb1 Da3 11.Lb5 Sxd4 12.Lxd4 a6 13.Lxd7+ Lxd7 14.Tb3 De7 15.Txb7.
Der Autor legt dar, wie es um die spielbaren Züge 15…Dd8, 15…Tc8 und 15..Dh4+ bestellt ist. Der Turmzug sieht attraktiv aus, ist aber eben nicht ganz so flexibel wie die Damenzüge, weshalb auch das Schachgebot mit der Dame und dann 16…Dd8 seine Hauptempfehlung ist. Das eingestreute Damenschach bringt nicht nur etwas mehr Bedenkzeit, sondern ist auch objektiv sehr sinnvoll. Der Zug 16.g3 schwächt zum einen die weiße Stellung leicht, insbesondere die weißen Felder können anfällig werden und zum anderen ist auch der Schwenk eines weißen Turmes via b7-b3-g3 aus der Stellung genommen. Allein diese Idee ist schon viel wert! Steht die Lady dann auf d8 kann entweder sie nach c8 ziehen, oder auch der Turm, je nach Bedarf. Genau solche Feinheiten hebt der Autor immer wieder hervor. Zwar klickt er sich an vielen Stellen schnell durch die varianten und verliert nicht zu viele Worte, aber die Kerngedanken und abschließenden Bewertungen teilt er stets offen und ehrlich mit, auch dass ihm hin und wieder Stellungen über den Kopf wachsen. Wer jedoch einen offenen Kampf ohne Furcht sucht, muss auch dazu bereit sein. Dafür kann man als Leser bzw. Zuschauer die zur Verfügung gestellten Analysen aufrufen, denn die Abspiele der Videos sind 1:1 in Datenbankeinträge umgewandelt, so dass auch dem Käufer „harte Arbeit“ ins Haus steht, welche aber wie gesagt sehr wohl Früchte tragen dürfte, wenn man sich intensiv mit dem Material auseinander gesetzt hat.
Das Damenschach kann anstatt mit g3 auch mit Lf2 oder Df2 beantwortet werden. Gerade ein Endspiel ohne Damen mag viele Spieler davon abhalten die Französische Verteidigung zu spielen, drohen doch die notorischen Endspiele „guter Springer gegen schlechter Läufer“. Allein der Autor beeindruckt mit einer kleinen aber wichtigen Erkenntnis, dass dem nicht so ist:
In Stellungen dieser Art kann der Nachziehende einerseits auf ein ungleichfarbiges Läuferendspiel Hinspielen und andererseits, selbst nach einem Turmtausch und dem Abtausch der schwarzfeldrigen Läufer ist der Nachziehende nicht zur endlosen Passivität verurteilt. Der Tausch der b-Bauern führt dazu, dass der Läufer mehr Bewegungsfreiheit besitzt und nicht durch einen fixierbaren schwarzen Bauern b5 eingekerkert werden kann und das Fehlen des weißen Bauern b2 macht den Damenflügel sehr anfällig, insbesondere das Feld a3 sieht einladend aus. Mithin kann der Anziehenden nicht einseitig in Richtung Königsflügel agieren. Solch kleine erläuternde Einschübe machen die Clips wiederum besonders wertvoll!
Der zweite Block bespricht die Abspiele nach 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.Lg5.
Hier wird immer wieder auf Alexander Morozevichs Interpretation des Franzosen verwiesen mit der Hauptvariante 4…dxe4 5.Sxe4 Le7 6.Sxf6+ gxf6. Wieder sprechen 8 von 12 Clips eine eindeutige Sprache, wer sich hier auskennt, ist gut gewappnet für einen Kampf um den vollen Punkt. Die wohl mögliche, aber dennoch leicht schwächere Alternative 4…h6!? Wird besprochen vor dem Hintergrund der Überraschung um wirklich neuen Stellungsbilder zu kreieren. Der Zug 6…Lxf6 wird überzeigend zum Ausgleich analysiert, aber mehr ist in dieser Struktur auch nicht zu erwarten. Das Zurücknehmen mit dem Bauern hat stets einen roten Faden: Eigene Strukturschwächen eingehen für eine erhöhte Zentrumskontrolle durch die schwarzen Bauern und das Läuferpaar. Es geht dem Autor abermals darum Stellungen zu produzieren, die originell, anspruchsvoll und dynamisch sind, damit drei mögliche Ergebnisse für einen Partieausgang offenbleiben:
Die Stellung entsteht nah den Zügen 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.Lg5 dxe4 5.Sxe4 Le7 6.Lxf6 gxf6 7.Sf3 a6. Dieser kleine Bauernzug bereitet die Expansion seiner Kollegen vor (ähnlich dem Sizilianer) denn mit…b5 entsteht die Drohung …b4, was den Bauern oder das Feld e4 erobern soll. Gerade dieses Szenario und ein starker Lb7 veranlassen einen besonnenen Anziehenden dazu, mittels g3 und Lg2 den mächtigen Lb7 abtauschen zu wollen. Hier werden überzeugende Abspiele präsentiert, die zu sicherem Ausgleich führen, aber keinem sterilen, sondern einem mit vollem Brett und gegenseitigen Möglichkeiten!
Ein aggressiver Ansatz des Anziehenden kann in der langen Rochade liegen, aber dagegen ist der Zug 7…a6 auch bestens geeignet:
Zugegeben, die schwarze Bauernstruktur ist keine Zierde, aber ausgebeutet werden kann sie auch nicht durch den Anziehenden, denn insbesondere die Kontrolle der schwarzen Felder durch den Nachziehenden, sowie die Bauern f5 und b5, welche zentrale Felder unter Beschuss nehmen wirken sich langfristig positiv aus für den Nachziehenden. Der GM aus Usbekistan wird nicht müde zu betonen, wie strategisch gefährdet die Lage ist, allerdings für den Anziehenden! Wer dies nicht glaubt, dem sind diese Fritztrainer ans Herz gelegt J
Der dritte Block schließlich behandelt die Züge 4.exd5 und 4.Ld3 nach den nunmehr üblichen Anfangszügen 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6.
Diese Stellung kann schärfer werden, als sie aktuell ausschaut. Dies liegt an der Absicht des Anziehenden lang zu rochieren, denn mit einer kurzen Rochade erhält man doch sehr symmetrische Stellungen, welche die meisten 1.e4 Spieler eher nicht anstreben, wenn sie einen vollen Punkt haben möchten. Nach ein paar weiteren Zügen entsteht folgende Stellung, die es gilt zu verstehen:
Es hat den Anschein, als würde der Anziehende zuerst Mahlen, aber der Kniff …Sh5 hält alles unter Kontrolle. Es war auch wichtig den schwarzen Läufer nach h7 zu stellen, anstatt nach g6, was zunächst sinnvoller erscheint mit der Absicht die g-Linie zu versperren, aber abermals präsentiert der Autor sehr wichtige Details und belegt, wie verteidigungsfähig die Stellung des Anziehenden ist.
Die andere Nebenvariante verspricht sogar einen ästhetischen Anblick:
Diese Stellung entsteht nach den Zügen 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.Ld3 c5 5.Sf3 c4 6.e5 cxd3 7.exf6 Dxf6 8.Dxd3 Ld7 9.Se5. Hier ist es angemessen, den Stier bei den Hörnern zu packen und mittels 9…Sc6! auf das Rochaderecht zu verzichten, denn der schwarze Monarch kann ziemlich unbehelligt zu Fuß nach b8 wandern und der Nachziehende besitzt eine angenehme und gut spielbare Stellung.
Zwischenfazit: Der Kern der Empfehlung von Kasimdzanov liegt darin, dass er Stellungen mit Gewinnpotential erreichen möchte, wo das Läuferpaar ein wesentlicher Trumpffaktor ist, zumal es nicht selten die Option beinhaltet in ein Endspiel mit ungleichfarbigen Läufern zu wechseln. Solange sich noch Türme auf dem Brett befinden verspricht dieses Merkmal oft, dass sich der relativ stärkere Spieler durchsetzt im Endspiel:
Dieses Diagramm ist die letzte aus dem ersten Block, also DIE Stellung bzw. der Stellungstyp, welcher einem zusagen muss, wenn man der Empfehlung von GM Kasimdzanov folgen möchte!
Zum zweiten Teil der Reihe, in dem die Vorstoßvariante 3.e5, die Tarraschvariante 3.Sd2, die Abtauschvariante 3.exd5 und weitere Nebenvarianten beleuchtet werden!
Erneut präsentiert der ehemalige Weltmeister ansprechende Modellpartien, wo Anand keinen geringeren als Garry Kasparov besiegte. Dies war eine der drei Partien, welche das russische Schachgenie mit 1.e4 e6 in wichtigen Turnierpartien verlor. Gegen Ivanchuk spielte er später 3.Sc3 statt 3.Sd2 und gegen Radjabov kam die Steinitz Variante aufs Brett!
Diese Stellung entstand nach den Zügen 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sd2 c5 4.exd5 Dxd5 5.dxc5 Lxc5 6.Sgf3 Sf6 7.Ld3 0-0 8.De2 Sbd7 9.Se4. Es sieht so aus, als habe Kasparov erhalten, was ihm vielversprechend erschien, ein freies Figurenspiel, die Möglichkeit mit heterogenen Rochaden auf Angriff setzen zu können und die Aussicht das gegnerische Läuferpaar zu erobern. Aber der indische Star setzt unbeirrt mit 9…b6 fort. Die Preisgabe des Läuferpaares mit der Idee verstärkt mit seinen Springern operieren zu können, wurde später zu einer Art Markenzeichen von Anand.
Nunmehr fand Anand mit dem Zug 16…Le4! Ein schönes Manöver um den eigenen König beschützen zu können.
Diese Partie hebt hervor, worauf es dem Autor in den Abspielen der Tarraschvariante ankommt, aktives Figurenspiel bei gesunder Bauernstruktur, also 3…d5 anstatt 3…c5. Hier lautet seine Hauptempfehlung 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sd2 d5 4.exd5 Dxd5 5.Sgf3 cxd4 6.Lc4 Dd6 7.0-0 Sf6 8.Sb3 Sc6 9.Sbxd4 Sxd4 10.Sxd4 Le7! Die ungleichverteilte Bauernstruktur verspricht wieder einen strategisch anspruchsvollen Weitergang der Partie und die Mehrheit des Nachziehenden um die Bauern in der e- und f- Linie sind nicht zu unterschätzen. Ebenfalls wird so auch ein Aufmarsch gegen den weißen König ermöglicht.
Gemessen am Live Book von ChessBase ist der Zug 4.Sgf3 zwar nicht so oft gespielt wie das Nehmen auf d5, aber mit einer Erfolgsquote von 58% für den Anziehenden schneidet der Springerzug deutlich besser ab, als der Tausch mit 53%.
Diese Stellung entsteht nach den Anfangszügen 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sd2 c5 4.Sgf3 cxd4 5.Sxd4 Sf6 6.e5 Sfd7 7.S2f3. Das Nehmen auf b2 ist wie im ersten Teil der Serie sicherlich riskant, aber bekanntlich gilt, je höher das Risiko, desto höher die Dividende.
Leider kann der Anziehende etwas steriler vorgehen in den Abspielen nach 4.Sgf3:
Diese Stellung ist alles andere als dramatisch für den Nachziehenden, aber im Vergleich zu oben, wurden schon mehrere Leichtfiguren getauscht, wo der Nachziehende nicht gut ausweichen konnte. Aber solche Abspiele kann man nun einmal nicht gut vermeiden, denn wenn ein Spieler mit den weißen Steinen eine überschaubare Stellung herbeiführen möchte, dann kann man ihn daran meistens nicht wirklich hindern, ohne seiner eigenen Stellung viel aufzubürden, sprich ein übertriebenes Risiko einzugehen.
Ein wahrlich kritischer Test ist das Kapitel um die Vorstoßvariante, welche vor der Tarrasch Variante vom Autor besprochen wird. Ich habe die Tarraschvariante deshalb vorher besprochen, da sie an die o.a. Modellpartie anknüpft und keine wirkliche Schnittmenge zur Tarraschvariante aufweist, sprich man kann auch selektiv schauen, was einen brennender interessiert.
Auch hier bleibt der Autor der Methode treu, sich von den Nebenvarianten zur Hauptvariante vorzuarbeiten. Von besagten Nebenvarianten bewertet er die Stellung nach 1.e4 e6 2.d4 d5 3.e5 c5 4.Ld3 als jene, welche für den Nachziehenden die größte objektive Gefahr beinhaltet, denn in vielen Abspielen erscheint die weiße Dame in der Region g4/h5, wodurch Opferangriffe in Verbindung mit dem Ld3 sehr stichhaltig werden. Dagegen bekommt man das folgende Verteidigungsmanöver präsentiert:
Der Anziehende hat einen Zentrumsbauer geopfert und seine Figuren in Stellung gebracht. Das letzte Zugpaar lautete 12…f6 13.Lf4, also der stetige Kampf um den Punkt e5 ist entbrannt durch den Hebel …f7-f6. Der Hebel setzt aber nicht nur den Brückenkopf e5 unter Druck, sondern gestattet auch die Entlastungsidee 13…De8!
Ein unter angriffslustigen Spielern beliebtes Gambit ist das nach Millner Barry benannte Gambit, welches u.a. nach den Zügen 1.e4 e6 2.d4 d5 3.e5 c5 4.c3 Sc6 5.Sf3 Db6 6.Ld3 cxd4 7.cxd4 Ld7 8.0-0 Sxd4 entsteht:
Die wesentliche Idee eines Gambits liegt in der schnellen Entwicklung der Figuren, oft in solchen Situationen, in denen der gegnerische König noch nicht rochiert hat. So auch hier, bevor der Nachziehende an eine kurze Rochade überhaupt denken kann, benötigt er noch mindestens drei Züge, aber die Frage lautet, wohin mit den Leichtfiguren, welche noch auf der Seite des Königflügels schlummern. Das Feld e7 ist für zwei schwarze Leichtfiguren attraktiv, was bedeutet, sie können nicht beide zur selben Zeit dort stehen und nutzt man das Feld e7 als Rangierfeld für den Sg8, damit dieser nach c6 kommt, dauert es noch länger bis zur Rochade. Es ist also Sorgfalt geboten! Die angebotenen Analysen greifen auf gut bewährte Methoden zurück, also Rückgabe des Materials im Gegenzug für andere Vorteile. Indem beide Züge besprochen werden, also 9.sxd4?! und Sbd2! Ist man als Nachziehender gut gerüstet für diesen Überfallversuch.
Dem Zug 6.a3 wird mit 5 Clips eingehend Beachtung gewidmet und mit dem Zug 6…Sh6 bleibt der Autor dem Hauptanliegen treu, das Ungleichgewicht zwischen zerrütteter Bauernstruktur für das Läuferpaar in Kaufzunehmen, damit man als Nachziehender Gewinnpotential generieren kann:
Die Ideen um den Zug a2-a3 können auch mit 6.Le2 kombiniert werden, und abermals spielt der weiße Bauer auf b2 eine wichtige Rolle:
Solche Stellungsbilder bzw. Risikoabwägungen kommen den Lesern bekannt vor, welche auch den ersten Teil des Fritztrainers besitzen. Allein die Stellung des schwarzen Monarchen und der freie a-Bauer machen klar, hier geht es Spitz auf Knopf zur Sache.
Vielen Anziehenden behagt das Schlagen auf b2 nicht in der Vorstoßvariante, und sie greifen deshalb zu dem Zug b2-b4. In diesem Falle wandert der schwarze Königsspringer in der Regel nach f5, entweder via e7 oder h6. Oft entsteht ein Stellungstyp folgender Art:
Der schwarze Damenläufer mag wie ein großer Bauer auf e6 wirken, aber der Lb2 reißt auch keine Bäume aus in der aktuellen Lage. Nicht zu unterschätzen sind die dynamischen Möglichkeiten um …h6, …g5 und Sturm auf die weiße Königsfestung, was in Verbindung mit …f4 schnell zu einer Bauernlawine werden kann. Erneut ist ein strategisch anspruchsvoller Kampf im Sinne des Nachziehenden im Gange.
In der Abtauschvariante setzt der Autor auf eine weitestgehende Symmetrie und fragt damit den Anziehenden, was er sich von dieser Struktur verspricht.
Sofern der Anziehende doch gewillt ist mit dem Zug c2-c4 mehr Würze ins Spiel zu bringen, entstehen in der Regel Stellungen mit einem isolierten weißen d-Bauern. „Mehr braucht man nicht um auf Gewinn spielen zu können“ dank dieses Ungleichgewichtes. Freilich ist Akkuratesse geboten, aber diese bekommt man souverän vom Autor erklärt.
Von der Spiegeltaktik weicht der Nachziehende aber besser doch ab, alleine der Unterhaltung wegen:
Diese Stellung entsteht nach den Zügen 1.e4 e6 2.d4 d5 3.exd5 exd5 4.Sf3 Sf6 5.Ld3 Ld6 6.0-0 0-0 7.Lg5 Lg4 8.Sbd2.
Nun lässt der Nachziehende die Katze aus dem Sack und setzt mit dem Plan …h7-h6 und kurz später g7-g5 (!) fort, abermals mit der Aussage, so leicht bekommst du kein Remis!
Ein weiterer Punkt ist, dass wenn man den schwarzen Damenspringer auf b8 belässt, dass dieser nach weißem c2-c4 auf c6 auftauchen kann, um einen weißen d4 Bauern unter Druck zu setzen:
Diese Stellung entsteht in der weiteren Folge des obigen Abspiels und diese Lage lässt nicht vermuten, dass es sich um die französische Abtauschvariante handelt, wo sonst fast alles entlang der e-Linie getauscht wird und die Partie mit einem sanften shake Hands endet.
Zu guter Letzt folgen die weiteren „Nebenvarianten“ um 2.d3, 2.f4, 2.De2, 2.Sc3 2.b3 und 2.Sf3. Dieser ganze Strauß wird ins zwei Clips betrachtet und hier erhält der sogenannte Königsindische Angriff (1.e4 e6 2.d3 d5 3.Sd2 Sf6 4.Sgf3) die meiste Aufmerksamkeit, und hier schlägt der Autor einen Zug vor, welcher sich immer mehr als Hauptabspiel etabliert hat und zwar hat der Zug 4…Sc6 den Zug 4…c5 in Punkto Popularität überholt. Statistisch betrachtet ist dies auch gerechtfertigt, denn der Springerzug erzielt eine bessere Quote als 4…c5.
Fazit über beide Teile:
Generelles zur Art des Autors. Er ist zwar an einigen Stellen schnell mit der Maus unterwegs, aber an den Stellen, wo Erläuterungen notwendig oder hilfreich sind, werden diese auch geliefert. Sein Redetempo ist im Gegensatz dazu deutlich langsamer und er spricht klare und deutliche Sätze, weswegen die englische Sprache kein Hinderungsgrund darstellen dürfte für potentielle Käufer.
Inhaltlich ist die Arbeit auf einem absolut hohem Niveau, sowohl von der Struktur, als auch die Qualität der Analysen betreffend, wobei der Autor nicht verheimlicht, dass die neuesten Engines dazu genutzt wurden, seine Ideen zu kontrollieren. Durch Zufall stöberte ich die Tage noch im neuesten Eröffnungslexikon 2022 von Chessbase, wo die untersuchte Hauptvariante aus Teil 1 noch als schlecht galt, zur Erinnerung:
Diese Stellung bewertete GM Leonid Kritz 1995 noch als „absolut schrecklich für den Nachziehenden“. Zugegeben, dies ist fast 30 Jahre her, zeigt aber das gerade in konkreten Abspielen generelle Aussagen, auch jene starker GMs, von früher überprüft werden sollten. Dies schließt an meine Einleitung an, dass es immer schwerer wird in den gängigen (aktuellen) Hauptvarianten den Gegner überraschen zu können. Folglich ist es eine gute Idee im wahrsten Sinne des Wortes nach alten vergrabenen Schätzen zu suchen, und genau das macht GM Kasimdzanov!
Diese beiden Teile bieten zwar keine Datenbank mit Musterpartien (was ein kleiner Wehrmutstropfen ist), aber wie gewohnt gibt es interaktive Teststellungen und die Möglichkeit das gelernte Wissen entweder gegen eine Engine zu nutzen im Form des Auszuspielen oder sich „Drillen“ zu lassen mit Hilfe der Apps. Mithin heißt es für einen interessierten Jünger die Ärmel hoch zu krempeln und selbst einiges an Fleißarbeit zu investieren, damit die gezeigten Varianten verstanden und erfolgreich eingesetzt werden können. Eine uneingeschränkte Kaufempfehlung meinerseits, welche einen dazu bringe kann frei nach GM Wolfgang Uhlmann zu sagen „Ein Leben lang Französisch!“.
Top Choice Repertoire: Play the French Defence Vol.1 & 2
In diesem zweibändigen Videokurs zeigt Ihnen der ehemalige Weltmeister und Startrainer Rustam Kasimdzhanov, was es mit dieser äußerst komplexen Eröffnung auf sich hat.
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