"Der heutige Freitag, der 13.,
war ein trauriger Tag für das Schach."
Veselin Topalov trug die Schachkrone des Weltverbandes FIDE
genau ein Jahr: vom 13. Oktober 2005 bis zum 13. Oktober 2006. In Elista musste
er sich Vladimir Kramnik knapp geschlagen geben. Nach Beendigung der letzten
Tiebreak-Partie stellte auch er sich den Fragen der Journalisten.
Wie fällt Ihr Resümee über das Duell in der Steppe aus?
Ich schäme mich nicht, dieses Match verloren zu haben. Es
wird als eines der besten in die Geschichte des Schachs eingehen. Alle Partien
waren interessant, es gab kein einziges kurzes Remis. Doch leider ist das
Schnellschach nicht mein Ding. Es klingt paradox, aber im normalen Schach spiele
ich schnell und gut, im Schnellschach gelingt mir das nicht so. Ich gebe zu,
dass ich es vorher gar nicht trainiert habe. Auf einen Tiebreak waren wir nicht
vorbereitet.
Worin war Kramnik Ihnen bei diesem Match überlegen?
Nur darin, dass er seine Chancen nutzte. Ich jedoch habe meine
ausgelassen. Wenn man einen Vergleich zum Fußball herstellt, so erzielte er
sechs Tore von sechs möglichen, ich aber nur vier von zehn. Bekanntlich ist es
so: wenn du sie nicht hineinschießt, dann tun es die anderen.
Sie treffen auch künftig bei Turnieren wieder auf Kramnik
und werden ihm dort sicher, wie es die Etikette erfordert, die Hand schütteln.
Sind Sie nach dem Verlauf des Duells von Elista jetzt Feinde?
Zwischen uns besteht, sagen wir mal, ein Interessenkonflikt.
Er denkt, Weltmeister ist derjenige, der alle paar Jahre einmal gut spielt. Ich
aber bin der Ansicht, dass der Stärkste in Turnieren antreten und dort seine
Klasse beweisen soll. Warten wir deshalb einmal ab, wie er künftig abschneiden
wird, zum Beispiel im kommenden Jahr beim WM-Turnier in Mexiko.
Mit welchen Gefühlen verlassen Sie Elista?
Mit sehr guten. Seit 1998 mag ich diese Stadt, hier ist immer
eine sehr gute Organisation. Ich danke der FIDE und ihrem Präsidenten dafür
sowie allen, die damit beschäftigt waren. Die Eröffnungszeremonie im Stadion
werde ich niemals vergessen.
Wir schauten am Wochenende auch in die führende bulgarische
Zeitung "Trud", in der sich Topalov nach dem Match ebenfalls
äußerte. Diesmal war Veselins Tonfall schon schärfer. Der bulgarische
Journalist, der das Interview führte, beklagte zu Beginn, dass er erst nachts
um 1.30 Uhr an die Reihe kam, weil vorher noch viele russische Journalisten vom
Topalov-Team bedient wurden.
Der Extrakt des Gesprächs liest sich so:
Ist Freitag, der 13. ein trauriger Tag für das Schach?
Ja, es ist wohl so. Ich meine damit weniger die Tatsache, dass
ich verloren habe. Viel mehr habe ich das Gefühl, dass das Chaos in der
Schachwelt neu beginnt. Ich habe Angst um die Zukunft der Schachföderation,
nicht um mich. Man hört schon, dass Kramnik das Reglement verändern und nicht
bei der nächsten Weltmeisterschaft in Mexiko spielen will.
Können Sie das so genau vorhersagen?
Nicht 100prozentig, aber ich zweifle daran. Ich bin fast
sicher, dass es so kommen wird.
Heißt das, es gibt keine Vereinigung im Schach?
Vereinigung ja, aber der einzige, der Schwierigkeiten macht,
ist Kramnik. Das ist seit langem bekannt. Früher war es Kasparov, jetzt ist er
es. Bald wird sich zeigen, wem das Chaos nützt. Die Leute die am meisten über
die Einhaltung der Regeln reden, brechen sie am häufigsten.
Kramnik hat gesagt, dass er sie im Falle Ihres Sieges nicht
als Weltmeister anerkennen wird. Erkennen Sie ihn an?
Ich vergebe den Titel nicht, das tut die FIDE. Aber wenn die
FIDE ihn anerkennt… Ich habe das Match offiziell verloren. Ob jemand als
Champion anerkannt wird, hängt nicht von mir ab. Die Föderation leitet und
entscheidet alles, nicht ich.
Würden Sie Kramnik gern zu einem Titelkampf herausfordern,
wenn sich ein solider Sponsor findet?
Wie ich Kramnik kenne, wird er sich kaum damit einverstanden
erklären. Die gleiche Situation hat es mit Kasparov gegeben. Sie hatten einen
Sponsor, aber Kramnik erklärte, dass er auf keinen Fall gegen Kasparow ein
Revanchematch spielt.
Sie sind hier angetreten und haben sich nicht noch ein Jahr
lang an Ihrem Titel erfreut. Würden Sie ein solches Risiko noch einmal
eingehen?
Ich glaube, ja. Einmal war ich mit den finanziellen
Bedingungen zufrieden, zum anderen darf sich ein Champion nicht verstecken. Ich
habe einfach nicht das Recht dazu. Das hätte ich nicht gekonnt.
Silvio Danailov: "So ist das Leben"
Der Manager von Veselin Topalov hat sich während des Matchs
mit seinen Attacken gegen Wladimir Kramnik zu weit aus dem Fenster gelehnt. Mit
den absurden Verdächtigungen gegenüber dem Moskauer erwies Danailov sich und
seinem Schützling keinen guten Dienst. Nachdem der Kriegsschauplatz vom
Schachbrett auf die Toilette verlegt worden war, gingen viele Sympathien der
Schachöffentlichkeit binnen weniger Tage vom bulgarischen FIDE-Weltmeister fast
gänzlich auf Wladimir Kramnik über. Unser Kollege Juri Wassilev(Sport Express,
Moskau) hat Danailov nach dem letzten Schachzug von Elista dazu befragt.
Ihren Namen wird man jetzt immer mit dem Toilettenskandal
in Verbindung bringen. Beunruhigt Sie dieser "Ruhm" nicht?
Wir wollten keinen Skandal verursachen, sondern haben nur das
Appellationskomitee offiziell in schriftlicher Form gebeten, uns die
Videobänder mit Kramniks Toilettenbesuchen zu geben. Wir bekamen sie und die
schriftliche Erlaubnis, sie anzuschauen. Neun Stunden lang wurden die
Videobänder angesehen. Wir hinterlegten dafür 5000 Dollar Kaution. Und danach
haben wir angemerkt, dass es genügend Verdachtsmomente gibt. Vorher waren wir
der Kramnik-Seite in vielem entgegengekommen. So erklärten wir uns
einverstanden mit der Glaswand auf der Bühne, die im WM-Vertrag nicht
vorgesehen war. Und als die Jury festlegte, die persönlichen WCs in eine
Toilette zu verlegen, die sich vier Meter näher am Schachtisch befand, erhob
sich ein solcher Lärm.
Wie sieht das weitere sportliche Schicksal von Veselin aus?
Er wird spielen. Was ist denn passiert? Er ist 31 Jahre, nimmt
den ersten Platz in der Weltrangliste ein und erhält viele Einladungen. Er wird
spielen, wie er es in vielen Turnieren getan hat: scharf und interessant. Da hat
er keinerlei Probleme. Probleme bekommt jetzt Herr Kramnik. Er ist verpflichtet
zu spielen und nachzuweisen, dass er der Champion ist. Man muss Turniere
gewinnen, aber das fällt ihm, wie alle wissen, schwer. Ein Remis in einem Match
ist ein gutes Ergebnis, aber mit +1 belegst du in einem Turnier nicht den ersten
Platz.
Laden Sie Kramnik nach Sofia ein?
Natürlich!
Findet das geplante Match zwischen Topalov und Radjabov um
eine Million Dollar jetzt nicht statt?
Hm, es findet jetzt nicht statt. Da kann man nichts machen. So
ist das Leben.
Bilderbogen Elista:

Danailov, Iljumschinov, Topalov

Die Freude des Siegers

In kalmückischer Tracht

Jorge Vega, Georgios Makropoulos - suspendiert und blieben trotzdem

Kalmückische Schachfans

Kramnik, Manager Hensel

Siegerehrung

Skepsis

Topalov mit Weiß in der zweiten Partie
(Fotos: Dagobert Kohlmeyer)