Der
Schach-Krieg geht weiter
Von Dagobert Kohlmeyer
In Sofia
erschien am heutigen Freitag das Buch „Toilettenkrieg“ des bulgarischen
Journalisten Zhivko Ginchev. Die Auflage beträgt 20 000, der Untertitel lautet
„Ein Schachdrama in 13 Akten“. Das Buch beschreibt die 12 WM-Partien zwischen
Kramnik und Topalow in Elista und den anschließenden Tiebreak. Um Schach geht es
darin weniger (lediglich die Notation der Partien ist abgedruckt), den Autor
interessieren mehr die ominösen Begleitumstände des Duells in der Steppe sowie
die heftigen Auseinandersetzungen der Protagonisten.
Das Herausgabedatum wurde nicht zufällig gewählt. Einen Tag vor der brisanten
Partie Topalow – Kramnik im Corus Turnier von Wijk aan Zee starten die Bulgaren
damit ihre nächste Aktion außerhalb des Bretts. Auch in den Tagen davor war
besonders Manager Silvio Danailow in Holland nicht untätig. Wir beobachteten die
Aktivitäten des Topalow-Teams in Wijk aan Zee.


17.
Januar: Ruhetag
beim Corus Turnier. Teimur Radjabow führt das Feld an, die Favoriten Topalow,
Kramnik und Anand haben noch nicht zur Verfolgungsjagd angesetzt. Derweil sitzen
die Organisatoren der großen Schachturniere zusammen und geben danach die
Gründung der Grand Slam Chess Association bekannt. Diese möchte ähnlich wie im
Tennis eine Turnierserie etablieren. Die drei Sieger der Wettbewerbe in Wijk aan
Zee, Linares und Sofia sollen dann zusammen mit einem weiteren Spieler im Herbst
2008 Masters Turnier austragen. Dieses Superfinale soll im spanischen Bilbao
gespielt werden.
Nach
Informationen von Silvio Danailow findet das „Mobitel Masters“ in Sofia dieses
Jahr vom 9.- 20. Mai statt. Bisher sind vier Spieler unter Vertrag: Topalow,
Adams, Kamsky und Mamedjarow. Zwei Hochkaräter fehlen noch. Es gibt Probleme mit
den Top-Spielern, weil etliche wegen der WM-Kandidatenkämpfe, die Ende Mai in
Elista beginnen, nicht zur Verfügung stehen. Kramnik und Anand kommen auch
nicht, so dass Sofia wohl nicht den Glanz der ersten Jahre haben wird.
18. Januar:
In Runde 5 macht Weselin Topalow positive Schlagzeilen, auch außerhalb der 64
Felder. Er erscheint vor Spielbeginn mit einer Schleife am Jackett. Auch
Danailow und ein anderer Landsmann tragen eine solche. Damit unterstützen sie
die Initiative zur Rettung bulgarischer Krankenschwestern, die in Libyen im so
genannten HIV-Prozess zum Tode verurteilt worden sind. Seit Jahren sitzen sie
dort im Gefängnis. In dem Krankenhaus, wo die Schwestern arbeiteten, gab es eine
HIV-Epidemie, in der nach libyschen Angaben 393 Kinder infiziert wurden, etwa 40
seien schon an den Folgen von Aids gestorben.

Während von Libyen der
Verdacht erhoben wurde, dies sei mit Absicht geschehen, verweist die bulgarische
Seite auf die hygienischen Verhältnisse des Krankenhauses. Topalows symbolische
Schleife in den Farben der bulgarischen Fahne trägt die Aufschrift Не сте сами (Ihr
seid nicht allein) auf Bulgarisch und Englisch. Die Initiative wird von
allen Medien des Balkanlandes mitgetragen.

19.
Januar:
Spielerhotel „Zeduin“. Das Team Topalow sitzt beim Abendessen. Außer Weselin,
Manager Danailow und Sekundant Tscheparinow sind keine anderen Gäste im
Restaurant zu sehen. Draußen peitscht der Regen ans Fenster. Nach dem Dessert
verabschiedet sich Tscheparinow schnell und geht auf sein Zimmer. Er will etwas
analysieren. Danailows Handy klingelt. Er erhält einen Anruf aus Sofia. Es ist
die Bestätigung für die zweite Bankgarantie. Zwei Millionen US-Dollar für das
WM-Revanchematch Topalow- Kramnik liegen bereit. Triumphierend lächelt der
Manager. Seit Mitte Dezember liegt das Angebot der Bulgaren zum Re-Match in
Sofia auf dem Tisch der FIDE. Lange kam keine Antwort darauf. Nach einem offenen
Brief Danailows reagierte der Weltschachbund endlich. Die erste Bankgarantie der
Bulgaren wurde von den FIDE-Oberen jedoch nicht anerkannt.
An diesem
Abend meldet sich die Bulbank in Sofia per Telefon, später per
Fax. Sie hat zwei Millionen Dollar hinterlegt. Danailow erklärt: Der Preisfonds
beträgt 1,5 Millionen. Eine Million ist für Weltmeister Kramnik, eine halbe für
den Herausforderer. 300 000 Dollar erhält die FIDE. Die Bankgarantie ist gültig
bis zum 30. April. Danailow schickt das Dokument sofort an die FIDE.


Ob das Match
allerdings in den nächsten Monaten stattfinden kann, steht in den Sternen. Beide
Spieler haben für das erste Halbjahr 2007 feste vertragliche Verpflichtungen:
Topalow spielt in Morelia und Linares, Kramnik in Monaco und dann in Miskolc
gegen Peter Leko. Es ist nicht nur das Zeitfenster (das Match soll ein halbes
Jahr vor dem nächsten WM-Turnier in Mexiko über die Bühne gehen), was kaum zu
realisieren sein wird. Da waren die bösen Attacken von Elista und Topalows
Ausfälle gegen Kramnik nach dem Match, vor allem in der spanischen Presse.
Danailow versucht, die Sache herunter zu spielen: „Das war ein Dummkopf, ein
spanischer Lokaljournalist, dem man im ersten Mal im Leben die Chance gab, eine
große Story zu veröffentlichen. So hat es Weselin nicht gesagt. Der
Schreiberling weißt nicht, wie man ein Interview richtig macht. Er hat den Text
auch nicht zum Autorisieren geschickt. Da ist in diesem Falle nicht geschehen“
Kramnik-Manager Carsten Hensel hingegen sagte uns in Wijk: „Es existiert ein
Tonband-Mitschnitt von dem Topalow-Interview. Er beweist, dass die beleidigenden
Äußerungen gefallen sind. Die Ethik-Kommission der FIDE hat die Sache auf dem
Tisch. Der Krieg beider Partien geht erst einmal weiter. An diesem Wochenende
tagt das FIDE Presidential Board in Antalya. Man darf gespannt sein, was sie
ausbrüten, auch im Hinblick auf ein mögliches WM-Revanchematch. Carsten Hensel
vertritt dort den Weltmeister, der ja in Wijk spielen muss – pikanterweise gegen
Topalow!

26.
Januar: Das
Buch „Toilettenkrieg“ erscheint einen Tag vor der spektakulärsten Partie
von Wijk. Es dokumentiert in Wort und Bild die dramatischen Ereignisse von
Elista, gibt die O-Töne der Spieler bei den Pressekonferenzen sowie den
Schriftwechsel Danailows mit der FIDE wieder. Die Qualität der Fotos reißt einen
nicht vom Hocker, aber zwei Karikaturen, die uns auffielen, wollen wir unseren
Lesern nicht vorenthalten.

Autor Zhivko
Ginchev war in Elista als Presseattaché dabei, gehörte zum Team der Bulgaren.
Der 45-jährige Journalist arbeitete früher in Sofia bei verschiedenen Zeitungen
und war seit 2001 in der PR-Abteilung von Mobitel tätig. Jetzt ist er Sprecher
von Topalow und in Danailows Firma „Kaissa“ als PR-Mann beschäftigt.
Auf der
Rückseite des Buchs steht: „Schach hat den Ruf eines ruhigen Spiels, bei dem es
keine Tritte auf die Knöchel oder blutige Ellenbogen gibt. Doch im
gottvergessenen Elista erschallten die Salven des Toilettenkrieges.“ Kramniks
zahlreiche Toilettengänge werden vom Autor als „biotechnologisches Gift“
bezeichnet, das er gegen Weselin Topalow einsetzte.
Papier ist
geduldig, das Schachleben geht indessen weiter. An dem Abend im Spielerhotel von
Wijk aan Zee spürt der Berichterstatter bei Topalow jedenfalls so etwas wie
einen Anflug von Bedauern über das in Elista Vorgefallene. Der
Weltranglisten-Erste sagt: „Wir hätten niemals mit einer so heftigen Reaktion,
mit einem solchen gewaltigen Echo und Gegenwind auf unseren Protest gerechnet.“
Einig sind
wir uns am Ende darüber, dass es auf alle Fälle besser ist, durch sportliche
Leistungen am Brett Schlagzeilen zu machen, als mit solchen Skandalgeschichten.
Und das tut Topalow ja glücklicherweise wieder, er führt in Wijk die Tabelle an.
Am Samstag sprechen erneut die Figuren zwischen Kramnik und Topalow – und das
ist gut so!