Die deutsche Nationalspielerin WGM Vera Jürgens hat
ein äußerst bemerkenswertes Buch geschrieben über uns Schachspieler und
unsere „Marotten“. Wie sehen uns Menschen, die kein Schach spielen? Welche
ungeschriebenen Verhaltensregeln gibt es überhaupt am Brett und wie kann ich
meine Frau/Freundin davon abhalten, mich auf ein Schachturnier zu begleiten?
Ticken Schachspieler anders?
Diese und andere Fragen stellt sich die Autorin WGM Vera
Jürgens und entlarvt in ihrem Buch so manches Vorurteil in der Öffentlichkeit
über die Spezies Schachspieler als gegenstandslos und gleichzeitig zutreffend!
Ein scheinbares Paradoxon das seinen Ursprung darin findet,
dass Schach und seine Umgebung selbst manchmal bizarr, merkwürdig und sonderbar
auf Außenstehende wirkt. Das Universum der Schachspieler ist für
Nichtschachspielende Verwandte, Freunde und Kollegen wahrlich ein Buch mit
sieben Siegeln! Die Autorin Vera Jürgens ist Großmeisterin und spielt in der
deutschen Damen-Nationalmannschaft, wer mehr über sie erfahren will, sollte
einmal auf ihrer Homepage vorbeisurfen (http://verajuergens.sme-group.com/vera.html).
Doch zurück zu diesem Schachbuch der besonderen Art. Ein
Blick ins Inhaltsverzeichnis verrät den bunten Strauß an Themen, die sich die
Autorin auf der großen Schachwiese gepflückt hat:
-Einblick in die Psyche von Schachspielenden und
Nichtschachspielenden:
Kann man mit einer nicht Schach spielenden Frau/Freundin
glücklich werden? Sollte man schon verheiratet sein, wie kann ich sie davon
abbringen, mich auf ein Turnier zu begleiten? Frauen und Schachprofis, eine
gelungene Mischung? Diesen und ähnlichen Fragen wird auf den Grund gegangen
wobei der humoristische Schreibstil der Autorin nicht ganz unwesentlich zu einem
mehr als vergnügten Lesespaß beiträgt.
Oder wie wäre es mit
Verhaltensregeln am Brett oder der Kunst, wie ein Schachprofi zu wirken? Laut
der Autorin erkennt man einen Profi und einen Anfänger recht schnell unter
anderem an der Körpersprache, doch lauschen wir der Autorin einmal selbst:
„Ebenfalls
beliebt bei Anfängern ist die Sitzposition, bei der die Beine ständig
übergeschlagen bleiben, während man sie mit den Händen umklammert. Damit wird
Überlegenheit demonstriert, was den Gegner ebenfalls einschüchtern soll. Eine
solche Sitzhaltung verrät, dass man es mit einem Schachanfänger zu tun hat, der
als Mensch sehr stur und uneinsichtig ist. Ein derartiger Gegner wird nicht so
schnell aufgeben und bis zum Schluss auf ein Wunder hoffen“.
Ein anderes Kapitel beschäftigt
sich mit dem Thema Männerschach gegen Frauenschach, hier versucht Vera Jürgens
mit alten Vorurteilen aufzuräumen und gibt Ratschläge, wie man auch als Mann
erfolgreich gegen eine Frau Schach spielen kann (!), wobei wir hier wieder beim
Eingangs erwähnten Paradoxon landen. Der Autorin sei es verziehen, mit viel
Humor und einem schelmischen Augenzwinkern wird so ziemlich alles, was mit
Schach zu tun hat, durch den berühmt berüchtigten Kakao gezogen.
Eröffnungsvarianten, Partien oder zumindest Schachdiagramme sucht man hier
vergebens, was man aber neben den auflockernden und humorvollen Karikaturen von
Frank Stiefel findet, sind ebenso geistreiche wie unterhaltsame Geschichten und
Texte über die Schachwelt und seine Bewohner.
Weitere Themen im Buch befassen
sich unter anderem mit:
- Schachspielenden Maschinen
- Schach in der Literatur
- Ein Leben als Schachprofi
und einigen Episoden aus der
Schachkarriere der Autorin.
Zur zentralen Frage des Buches,
ob Schachspieler wirklich anders ticken, bringt Jürgens Argumente dafür und
dagegen. Inwieweit man selbst schon als realitätsfremd wirkt auf andere, kann
durch einen nicht ganz ernst gemeinten Test am Ende des Kapitels beantwortet
werden.
Eine Leseprobe kann man hier
finden:
http://www.kaniaverlag.de/werbemappe/tickenleseprobe.pdf
Fazit: Ein Schachlesebuch
der „anderen“ Art, humorvoll, geistreich, unterhaltsam! Für Schachspieler, deren
Verwandte, Freunde, Kollegen und allen Menschen die mit Schachspielern zu tun
haben, absolut lesens- und empfehlenswert!
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Ticken Schachspieler anders?
Kania Verlag
12,80 Euro |
Nachfolgend ein Interview mit Vera Jürgens, in der sie über
unfaire Gegner, Schachtraining mit Michail Tal und die kommenden Großereignisse
in Deutschland spricht:
Ihr Buch „Ticken Schachspieler anders?“ beschreibt
unter anderem Verhaltensregeln am Schachbrett, was war diesbezüglich das
Schlimmste oder Peinlichste was Sie jemals während einer Schachpartie erlebt
haben?
Fast alle im Buch aufgeführten Beispiele für ein
unkorrektes Verhalten am Schachbrett habe ich selber erlebt. Ich hatte Gegner
und Gegnerinnen, die während der Partie lautstark Äpfel oder Möhren verspeisten,
intensiv Kaugummi kauten und dabei Bläschen erzeugten, unzählige Male den
Kugelschreiber an- und ausklickten, mich anstarrten als wäre ich nicht von
dieser Welt und so weiter und so fort. Einmal hatte ich mich ziemlich aufgeregt,
weil mein Gegner nach jedem Zug aufgestanden war, um sich bei den Schachkumpels,
die mit am Brett standen, Rat zu holen. Ein anderes Mal erwischte ich meinen
Gegner dabei, den bereits ausgeführten Zug wieder zurück zu nehmen. Ich war in
der Nähe, saß aber nicht direkt am Brett und konnte ihm nichts nachweisen. Es
sei allerdings erwähnt, dass sich längst nicht jeder Schachspieler durch ein
unkorrektes Verhalten seines Gegners gestört fühlt. Möglicherweise nehmen viele
so etwas gar nicht zur Kenntnis. Umso schwerer haben es diejenige (zu denen ich
mich auch zähle), die während einer Schachpartie extrem empfindlich auf
äußerliche Reize reagieren.
Sie geben auch Tipps wie man Nichtschachspielende
Ehefrauen oder Freundinnen davon abhält, einen auf ein Turnier zu begleiten.
Ganz ehrlich, würde Sie es stören, wenn ihr Mann nicht Schach spielen würde und
Sie auf jedes Turnier begleiten würde?
Wahrscheinlich würde es mich nicht stören, solange das
Turnier gut läuft. Nach einer Niederlage (von mehreren ganz zu schweigen) aber,
könnte es in der Tat kritisch werden. Es würde mich ärgern, wenn mein Mann nicht
in der Lage wäre zu verstehen, wie ich mich nach einer verlorenen Partie fühle.
Das Problem ist folgendes: während die begleitende Seite ein einwöchiges
Schachturnier als eine Art Urlaub betrachtet, stellt sie für den Schachspieler
(für die Schachspielerin) harte Arbeit, ja eine Art Prüfung dar. Dies könnte zu
Missverständnissen führen und dazu, dass man beginnt, aneinander vorbei zu
schweigen. Schachspieler sind als Teil unserer extrem leistungsorientierten
Gesellschaft ebenfalls sehr leistungsorientiert und Turnierpartien mit
ELO-Auswertung gegenüber sehr empfindlich. Viele setzen sich selbst unter Druck,
ihre Wertungszahl zu verbessern oder sie wenigstens nicht zu verschlechtern.
Leider! Ich wünschte, es wäre nicht so und es gäbe auch stark besetzte
Schachturniere, die nicht ELO- und DWZ – ausgewertet werden. Die Teilnehmer
eines solchen Schachturniers könnten nach Lust und Laune verlieren, sich aber
trotzdem lieb haben und des Lebens freuen…
Wie wichtig ist Psychologie im Schach auf
Vereinsspielerniveau?
Vermutlich nicht weniger wichtig als auf einem höheren
Level. Auf Vereinsspielerniveau habe ich oft beobachtet, dass man mittels
„Schraubenzügen“ oder bewusstem Räuspern versucht, den Gegner einzuschüchtern.
Ob man sich davon beeinflussen lässt, hängt wie gesagt von der Empfindlichkeit
des Einzelnen ab.
WGM Vera Jürgens während einer Simultanveranstaltung
Im Buch vertreten Sie die Meinung, dass es höchste
Zeit wird, den Begriff „Fernschach“ durch „Computerschach“ zu ersetzen. Hört
sich so an als wenn Sie dem Fernschach eher negativ gegenüber stehen würden.
Ich bin dem Fernschach gegenüber nicht negativ eingestellt!
Warum sollte ich? Was ich aber schade finde, ist, dass die Entwicklung der
Computertechnologien das Wesen des Fernschachs praktisch zerstört hat. Früher
stellte das Fernschachspiel eine Herausforderung dar. Im Fernschach verfügt man
über sehr viel Zeit (z.B. 40 Tage für je 10 Züge), um den besten Zug in einer
Stellung zu finden, also wurden früher dadurch das analytische Denken und die
Kreativität gefördert. Durch die Schachcomputer-Programme ist das heute
irgendwie verloren gegangen. Leider! Zwar haben die Fernschachspieler nach wie
vor ihre eigene FWZ – Wertungszahl, eigene Fernschachmeisterschaften und
Veranstaltungen. Ich wette aber, dass viele Fernschachspieler der guten alten
computerfreien Schachzeit nachtrauern, und genau darum ging es mir. Die
Fernschachspieler selber tragen keinerlei Schuld an dieser Entwicklung!
Zurück zum realen Turnierschach, vom 5. bis 9. Mai
hat Bundestrainer Uwe Bönsch die Nationalmannschaften (Arkadij Naiditsch, Jan
Gustafsson, David Baramidze, Falko Bindrich, Leonid Kritz, Georg Meier und
Rainer Buhmann sowie das Damenteam, betreut von David Lobzhanidze, mit Elisabeth
Pähtz, Ketino Kachiani-Gersinska, Vera Jürgens und Marta Michna)
zum Vorbereitungslehrgang auf die kommende Schacholympiade nach Neustadt
eingeladen. Können sie uns etwas darüber erzählen?
Die paar Tage in Neustadt haben mir sehr gut gefallen. Es
gab nicht übermäßig viele Trainingseinheiten, was uns gemeinsame andere
Unternehmungen ermöglichte. An einem Tag haben wir zum Beispiel ein Sportzentrum
besucht und dort unsere sportliche Kondition auf die Probe gestellt. Nach einer
Stunde Squash mit E. Pähtz war bei mir die Luft raus. Aber es hat Spaß gemacht!
Solche gemeinsamen Unternehmungen sind sehr wichtig, um ein gutes Teamklima zu
erzeugen.
Haben Sie schon einmal mit einem solchen
Schachgiganten wie Karpov trainiert und würden Sie es begrüßen, wenn so etwas
öfters durchgeführt werden würde?
In meiner Jugend habe ich ein Trainingslager besucht, bei
dem der damalige Exweltmeister Michail Tal als Trainer eingeladen war. Dieser
Lehrgang hat bei mir tiefe Eindrücke hinterlassen. Selbstverständlich würde ich
weitere Lehrgänge mit Schachgiganten wie A. Karpov begrüßen!
Im Rahmen der Olympiasimultanreise besuchten Sie
letztes Jahr auch meine Heimatstadt Regensburg. Wie man lesen konnte, waren sie
ziemlich erschöpft von der langen Anreise, nimmt man solche Strapazen gerne in
Kauf im Hinblick auf die Schacholympiade?
Ja, der Tag war hart, aber als Strapaze habe ich die
Simultantour in Regensburg nicht empfunden, ganz im Gegenteil! Lange
Anreisezeiten nehme ich gerne in Kauf, wenn ich dadurch meinen kleinen Beitrag
dazu leisten kann, um für Schach (bzw. die Schacholympiade) zu werben.
Ich stimme völlig mit Ihnen überein, dass es
bedauerlich ist, dass hierzulande nicht mehr über Schach berichtet wird in den
Medien, was muss und was kann sich ändern?
Tja, was soll ich dazu sagen? Man kann die Menschen nicht
zwingen, Schach zu mögen und es als eine attraktive und sinnvolle
Freizeitbeschäftigung zu empfinden. Schach kann einen entweder total begeistern
oder aber völlig kalt lassen. Was ich sehr erfreulich finde, ist die
verstärkte Tendenz in Deutschland, Schach an Schulen (in Form einer Schach-AG)
und neuerdings auch in den Kindergärten einzuführen. Die Presse hat ausreichend
über ein Pilotprojekt "Schach im Kindergarten" berichtet. Schach fördert das
räumliche und das logische Denken, die Konzentration und die Kreativität – so
die Ergebnisse dieses Pilotprojektes. Wenn diese positive Entwicklung anhält,
könnte das Schach in Deutschland in nur 10-15 Jahren einen ganz anderen
Stellenwert bekommen. Dies würden die Medien auch zur Kenntnis nehmen müssen.
Ich glaube, Deutschland ist auf dem richtigen Weg, warten wir es also
ab.
Abschließend zwei Fragen zu den kommenden
Großereignissen in Deutschland: Wer wird neuer Weltmeister und wo stehen die
deutschen Teams am Ende der Olympiade?
Leider kann ich nicht in die Zukunft sehen. Kramnik geht
meistens auf Nummer sicher, die Remisquote bei ihm ist ziemlich hoch. Anands
Spiel dagegen ist risikoreicher. Meiner weiblichen Intuition zufolge wird
Kramnik es aber trotzdem schaffen. Was die deutschen Olympiamannschaften angeht:
Die Frauen sehe ich auf Platz sechs und die Männer auf Platz acht. Oder
umgekehrt. Auf jeden Fall wäre eine einstellige Platzierung angesichts der
Unmenge an kleinen Schachgenies, die Länder wie Ukraine, Russland, Armenien und
China produzieren, ein Supererfolg.
Vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für die
Zukunft!
Martin Rieger
Freechess.de
Bildernachweis:
www.schacholympiade.org