19.10.2022 – Die US-Meisterschaften bleiben spannend. In Runde 12 verteidigte Spitzenreiter Fabiano Caruana seine Tabellenführung mit einem Remis gegen Sam Shankland und der Tabellenzweite Ray Robson spielte gegen Christopher Yoo ebenfalls Remis. Damit liegt Caruana vor der letzten Runde mit 8,0/12 alleine an der Spitze, Robson folgt mit 7,5/12. Für die größte Aufregung der 12. Runde sorgte jedoch einmal mehr die Partie von Hans Niemann. | Foto: Samuel Sevian und Hans Niemann | Foto: Lennart Ootes/ Saint Louis Chess Center
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US-Meisterschaft 2022, Open, Runde 12
Hans Niemann spielte in der 12. Runde mit Schwarz gegen Samuel Sevian und zeigte sich bestens vorbereitet. In einem scharfen Abspiel einer aktuell häufig gespielten Variante des Abgelehnten Damengambits spulte er die ersten 18 Züge im Blitztempo herunter, trotz aller Komplikationen auf dem Brett.
Sevian brauchte für seine Eröffnungszüge deutlich länger, aber entschied sich im 20. Zug trotz der offensichtlichen Vorbereitung seines Gegners für ein zweischneidiges Qualitätsopfer.
Schwarz hatte soeben 19...Lc5 gespielt. Weiß antwortete mit 20.Td1!?
Niemann nahm die Qualität, aber im weiteren Verlauf der Partie konnte Sevian keinen Druck auf die schwarze Stellung entfalten und geriet immer mehr in die Defensive.
In zunehmend schwieriger Stellung für Weiß kam es dann im 45. Zug zu einem kuriosen Zwischenfall.
Sevian hatte soeben 45.f4 gezogen und während Niemann über seine Antwort nachdachte, nahm Sevian in aller Ruhe den schwarzen König auf b3 vom Brett. Anschließend ließ er den König in seinen Händen kreisen, aber brach der Figur dabei die Krone ab. Als Niemann Sevian erstaunt fragte, was er da machen würde, schleuderte Sevian den schwarzen König nach kurzer Debatte wieder aufs Brett, wo er zwischen den Feldern b6 und b7 zum Stehen kam.
Sevian hatte nur noch wenig Bedenkzeit und die weiße Stellung war schwierig, aber vielleicht hatte der Zwischenfall Sevian auch so aus dem Konzept gebracht, dass er nicht mehr in der Lage war, die beste Verteidigung zu finden. Wenige Züge später stand folgende Stellung auf dem Brett.
Hier spielte Sevian 48.h3? und verlor im weiteren Verlauf der Partie. Aber mit 48.Th5 hätte er wohl Remis halten können, z.B. 48...Tf2 49.Kg5 Ka2 50.Th7 b2 51.Tb7 Txh2 52.f7 Tf2 53.Kg6 b1D+ 54.Txb1 Kxb1 55.Kg7 Kb2 56.f8D Txf8 57.Kxf8 Kc3 58.a6 Kb4 59.Ke7 Kc5 60.Kd7 Kb6 61.Kd6 Kxa6 62.Kc6 mit Remis.
Die drei weiteren Siegen der Runde kamen ohne Zwischenfälle zustande.
Levon Aronian, dem in dieser US-Meisterschaft bislang wenig gelang, gewann mit Weiß eine hübsche positionelle Partie gegen Elshan Moradiabadi, der bislang ebenfalls glücklos spielte.
Auch Wesley So, der als einer der Favoriten ins Turnier gestartet war, aber zu lange brauchte, um in Form zu kommen, gelang gegen Aleksandr Lenderman ein hübscher Sieg mit Schwarz:
Für den vierten Sieg der Runde sorgte Awonder Liang, der in einer langen Partie gegen Darius Swiercz gewann und sich damit noch geringe Chancen auf den Turniersieg bewahrte.
Nach diesem Sieg liegt Liang mit 7,0/12 zusammen mit Leinier Dominguez auf dem geteilten dritten bis vierten Platz, einen Punkt hinter Spitzenreiter Fabiano Caruana. Wenn die letzte Runde gut für ihn läuft, kann Liang noch auf dem geteilten ersten Platz landen.
Die Spitzenpaarung der 12. Runde der US-Frauenmeisterschaft war die Begegnung zwischen Jennifer Yu und Irina Krush. Vor der Runde hatte Yu einen halben Punkt Vorsprung auf Krush und mit einem Sieg hätte sich Yu den Titel sichern können. Vielleicht war es die Anspannung, die dazu führte, dass Yu in einer kritischen Stellung einer Halluzination zum Opfer fiel:
Hier spielte Yu 31.La4? Nach 31.h5 hat Weiß zwar immer noch einen Bauern weniger, aber gute Gewinnchancen. Die ungleichfarbigen Läufer geben Weiß einen starken Angriff. Aber nach der Partiefortsetzung hatte Weiß nach 31...Dxa4 einfach eine Figur mehr und keinen wirklich starken Angriff. Nach 32.Df7+ Kh8 33.h5 gxh5 34.Tf5 Ld4 35.Tg5 Dc2+ 36.Kh3 De4 37.Txh5 Dh1+ 38.Kg4 Te4+ gab Weiß auf. 0–1
Jennifer Yu zu Beginn ihrer Partie gegen Irina Krush | Foto: Saint Louis Chess Club, Crystal Fuller
Nach dieser bitteren Niederlage liegt Yu vor der letzten Runde zusammen mit Thalia Cervantes auf dem geteilten zweiten und dritten Platz, einen halben Punkt hinter Krush. Krush spielt in Runde 13 mit Weiß gegen ihre langjährige Rivalin Anna Zatonskih, Cervantes und Yu treffen im direkten Duell aufeinander.
Cervantes, die in den letzten fünf Runden 5 aus 5 holen konnte, hat Weiß.
Thalia Cervantes | Foto: Saint Louis Chess Club, Lennart Ootes
Johannes FischerJohannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".
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