Das Interview erschien in
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung
DER HERR DER UHREN
Fotos: Jeroen van den Belt
Sie sorgen
dafür, dass die Schachwelt richtig tickt - jedenfalls was die technischen
Abläufe betrifft. Die im niederländischen Enschede beheimatete Firma Digital
Game Technology (DGT) ist weltweiter Marktführer für elektronische
Turnieruhren und intelligente Schachbretter, die Partien aufzeichnen, indem
die Spieler ihre Figuren auf mit Sensoren präparierte Felder setzen. Während
der Spielwarenmessen Nürnberg 2008 vom 7. bis 12. Februar wird DGT ein
System vorstellen, dass Schachberichterstattung wie im Fernseh-Sportstudio
ermöglicht. ND-Mitarbeiter DR.RENÉ GRALLA hat mit DGT-Vorstand
ALBERT VASSE (49) unter anderem darüber gesprochen, ob das
Organisationskomitee der diesjährigen Schacholympiade in Dresden auf die
Erfahrungen von DGT zurückgreift.
ND: Wie kann
Ihr elektronisches Brett erkennen, welche Figuren sich in eine bestimmte
Richtung bewegen?
ALBERT VASSE:
Unter dem Schachbrett ist eine Antennenfolie angebracht, und jede Figur
trägt in sich einen Miniempfänger zur Identifikation auf einer eigenen
Frequenz. Durch die Folie wird Strom geschickt, und anschließend beginnt
jede Figur auf ihrer eigenen Frequenz wie eine Stimmgabel zu singen. Die
Frequenz wird von der Identifikationsfolie ausgelesen, sie ortet die
Frequenz am konkreten Platz auf dem Schachbrett, und diese Information wird
fünfmal pro Sekunde weitergeleitet an einen Computer. Der Rechner
transformiert die gemeldeten Positionen sowie die Änderungen von der einen
Position zur anderen in Partieabläufe.
ND: Kann
das Brett auch Regelwidrigkeiten erkennen?
VASSE: Illegale Züge werden ebenfalls registriert ...

Albert Vasse mit Evgeny Bareev in Maastricht
ND: ... quasi
ist das GPS auf dem Brett ...
VASSE: ...
könnte man sagen (lacht).
Die Maschine analysiert anhand der übermittelten Daten, ob sich die
jeweiligen Manöver logisch in die bisher registrierten
Zugfolgen einfügen oder herausfallen. Allerdings sind wir abhängig davon,
wie exakt die Spieler ihre Steine auf das Brett setzen. Falls eine
Figur, was in extremer Zeitnot gelegentlich vorkommt, genau auf der Grenze
zum Beispiel zwischen f7 und f6 landet, dann kann der Rechner mit aller
Logik der Welt nicht mehr entscheiden, wo genau die betreffende Einheit
steht.
ND:
Elektronische Schachbretter und digitale Turnieruhren, die ebenfalls zur
Angebotspalette von DGT gehören, sind keine alltäglichen Produkte. Wie haben
Sie diese Marktlücke entdeckt?
VASSE: Als ich Anfang zwanzig alt war, bin ich durch Nordafrika
getrampt, wie das damals eben so üblich gewesen ist. Nach meiner Rückkehr
beschloss ich, auf eine normale gesellschaftliche Karriere zu verzichten und
mich stattdessen auf meine alte Jugendliebe zu konzentrieren, nämlich
Schach. Damals schlug ich sogar Internationale Meister, und das hat
übrigens den bis heute nachwirkenden Langzeiteffekt gehabt, dass mein
aktuelles ELO-Rating bloß knapp unter 2000 Wertungspunkten liegt, obwohl ich
inzwischen keine ernsten Turnierpartien mehr bestreite. Beinahe zeitgleich
hatte mein jetziger Partner bei DGT, Ben Bulsink, Mitte der 80-er Jahre
elektronische Schachuhren konstruiert; die waren beinahe perfekt, aber
zunächst noch zu teuer und damit praktisch unverkäuflich. Dann aber stellte
Bobby Fischer beim Revanchematch gegen Boris Spasski 1992 in Jugoslawien
seine eigene digitale "Fischer-Uhr" vor, die, ausgehend von einer bestimmten
Basiszeit für die ganze Partie, pro gespieltem Zug
einen zusätzlichen Zeitbonus gab. Im selben Jahr wurde in Monaco das erste
"Amber"-Turnier im Schnellschach ausgetragen, und das war folglich der
richtige Zeitpunkt, das Uhrenprojekt von Ben Bulsink, das er eigentlich fast
schon begraben hatte, wieder aufzugreifen. Ich sprach ihn deswegen an und
schlug ihm einen zweiten Anlauf vor. 1992 gründeten wir DGT, und im Mai 1994
haben wir unsere ersten Uhren auf den Markt gebracht. Die Entwicklung der
elektronischen Bretter hat 1996 begonnen, und die feierten ihre Premiere
1998 während der Schacholympiade im kalmückischen Elista.

Albert Vasse bei der Schacholympiade in Calvia (Foto: Straub)
ND: DGT hat
also an Vorarbeiten von Bobby Fischer angeknüpft. Haben Sie auch direkt mit
dem exzentrischen Exweltmeister verhandelt?
VASSE: Nein.
Wir haben versucht, über Mittelsleute in Kontakt mit Bobby Fischer zu
treten, aber leider ist es uns nie gelungen, den Mann zu treffen.
ND: Fischer
hat seine eigene Uhr 1988 patentieren lassen ...
VASSE: ... ja,
unter der US-Patent-Nr. 4 884 255. Und er wusste natürlich, dass die
DGT-Uhren das Fischersystem integriert haben. Dennoch hat er nie auf unsere
Versuche reagiert, mit ihm ins Gespräch zu kommen. Und andererseits hat er
uns auch nicht unter Berufung auf sein Patent dazu aufgefordert, die Finger
von der Sache zu lassen.

Albert Vasse
ND: Vor
wenigen Tagen ist Bobby Fischer auf Island gestorben ...
VASSE: ...
und der Tod passt zur Legende: 64 Jahre alt ist Fischer geworden, und das
ist exakt die Zahl der Felder auf dem Schachbrett. Schon zu Lebzeiten war
Bobby Fischer ein Mythos, nun ist er erst recht zum Mythos geworden.
ND: Wie viele
elektronischen DGT-Bretter und -Uhren sind weltweit im Einsatz?
VASSE: Seit
unserer Betriebsgründung haben wir etwa 300.000 Digitaluhren verkauft. Von
den elektronischen Brettern haben wir zwischen 8000 und 10.000 Sets
ausgeliefert; wir operieren eben in einem Nischenmarkt. Ein Brett mit
Figuren plus Software kostet in Deutschland zwischen 370 und 500 Euro.

Die DGT-Gründer Ben Bulsink and Albert Vasse
ND: Sie sind
Monopolist: Turnierveranstalter greifen meist auf Ihr Sortiment zurück.
VASSE: Nicht
zwangsläufig: Immerhin gibt es eine Konkurrenzfirma aus St. Petersburg, die
hin und wieder bei Wettbewerben präsent ist.
ND: Mit
Blick auf die diesjährigen Schacholympiade Dresden wird offenbar an einer
eigenen sächsischen Technik gearbeitet.
VASSE: Es
scheint, als man dort wirklich noch immer versucht, eine Alternative zu
bauen. Grundsätzlich habe ich nichts dagegen, das ist ein offener
Markt. Uns wurde von
Dresdner Seite bisher keine
Gelegenheit geboten, die DGT-Bretter zu präsentieren, um zu demonstrieren,
was dieses System leistet.
ND: Die
DGT-Bretter haben sich seit Jahren bewährt. Wie beurteilen Sie den Versuch,
für die Schacholympiade 2008, mit der sich das deutsche Schach der Welt von
seiner besten Seite zeigen will, eine erst neu entwickelte Hardware und
Software einzusetzen?
VASSE: Für
mich ist es sehr fragwürdig, ob ein Brett, das noch bei keinem großen
Turnier getestet worden ist, bis zur Olympiade derart optimiert werden kann,
dass auch die unvermeidlichen Kinderkrankheiten überwunden sind. Wenn das
gelingen sollte, sage ich: Hut ab!
ND: Zur
Spielwarenmesse Nürnberg bringen Sie eine Innovation namens "Foidos".
VASSE: Das
ist ein System, bei dem wir sechs bis acht Kameras zur Dokumentation eines
Spiels einsetzen.
ND: Wie bei
der modernen Fußballberichterstatttung?
VASSE: Ja.
Allerdings hat "Foidos" einen besonderen Clou: Hier entscheidet kein
Regisseur im Studio, unter welchem Blickwinkel Sie das Geschehen verfolgen,
sondern der Nutzer zu Hause wird zu seinem eigenen Regisseur. Sie haben
Zugriff auf alle Videostreams, auf Kommentare und Chat und natürlich auch
auf die Partie als solche, und Sie können sich aussuchen, wie Sie die Bilder
auf Ihrem eigenen Monitor mixen.
ND: Enschede,
wo Ihre Firma beheimatet ist, wurde am 13. Mai 2000 von einer Katastrophe
getroffen: 23 Menschen starben, als eine Feuerwerkskörperfabrik in die Luft
flog. Anschließend haben Sie vorbildliches bürgerschaftliches
Engagement bewiesen ...
VASSE: ...
neben meiner Arbeit für DGT übernahm ich den Vorsitz des Interessenvereins
für die Opfer des Unglücks. Und wir haben es geschafft, dass wir in 95
Prozent der Fälle den Betroffenen helfen konnten
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Weitere
Infos:
www.dgtprojects.com