Nachdruck aus dem Werder-Magazin, mit freundlicher Erlaubnis
von Stephan Buchal
Senioren-Mannschafts-WM "65+" auf Rhodos:
Knapp am Edelmetall vorbei ...
Die beliebte griechische Ferieninsel Rhodos stand im April ganz im Zeichen des Schachs: Vom 5.-15. April fanden zeitgleich die Europäische Senioreneinzelmeisterschaft und die Europäische Amateurmeisterschaft
statt, im Anschluss daran wurde die Besetzung bei der Senioren-Mannschaftsweltmeisterschaft vom 16.-24. April noch etwas internationaler. Allerdings hielt sich die "außereuropäische" Beteiligung diesmal
in Grenzen, immerhin fanden Mannschaften aus den USA, Kanada, Argentinien, Uruguay sowie die 65+ Damennationalmannschaft aus der Mongolei den Weg ans Mittelmeer.
Alle Wettbewerbe fanden im durchaus ansprechenden Olympic Palace Hotel statt mit allen Annehmlichkeiten, die der Tourist so braucht: Strand, Pools, Meerblick, Fitnesscentre, Wlan und Vollpension. Die Lage an der Hauptstraße zwischen Flughafen und Hauptstadt war wenig einladend, aber erlaubte einen schnellen Transport mit Bus oder Taxi in die äußerst sehenswerte Altstadt von Rhodos City. Zu Beginn der Turniere war das Hotel weitgehend in der Hand der Schachspieler, aber je näher Ostern rückte (im orthodoxen Griechenland erst am 28. April) desto mehr "normale" Feriengäste und Familien frequentierten Pool und Buffet.
Wie letztes Jahr in Radebeul so hatte ich auch in diesem Jahr die Ehre und das Vergnügen für die deutsche 65+-Nationalmannschaft antreten zu dürfen - und zwar zusammen mit meinem berühmten Vereinskollegen GM Rainer Knaak (u.a. Mitglied von Werders Meistermannschaft 2005), den ich schon vor 8 Jahren anlässlich eines Mannschaftskampfes von Werder 2 in Rostock kennenlernte durfte. Wie sich herausstellte war dies auch die letzte Turnierpartie, die Rainer vor seinem "Comeback" in Rhodos gespielt hatte - 8 Jahre Pause!
Natürlich weiß man nach so einer langen Pause nicht wie sich "Turnierpartien" anfühlen, aber Rainer war bestens vorbereitet und spielte ein sehr gutes Turnier am Spitzenbrett der deutschen Mannschaft! Am 2. Brett trat sein Leipziger GM-Kollege Lothar Vogt an, der mit +3 =6 im Turnier ungeschlagen blieb und zusammen mit Rainer für das gute Abschneiden der Mannschaft verantwortlich war. Unser Brett 3 wurde kampfstark vom alten Bundesliga- Haudegen und amtierenden deutschen Seniorenmeister Gerhard Kiefer vertreten und ich durfte an Brett 4 ran.
Hotel Olympic Palace ...
... und die Altstadt von Rhodos | Fotos: Stephan Buchal
Klar favorisiert waren die Titelverteidiger aus Russland, die mit den Großmeistern Sveshnikov, Balashov, Rashkovsky, Zhelnin und Pushkov in derselben Besetzung wie in Radebeul
antraten, wo sie mit 18:0 Punkten überlegen gewonnen hatten. Hinter den Russen hofften wir in einem sehr ausgeglichenen Feld von insgesamt 27 Mannschaften um die Medaillen mitspielen zu können.
Der Turnierverlauf: In der ersten Runde gewannen wir relativ sicher gegen eine dänische Auswahl aus Norresundby. Lothar Vogt und Gerhard Kiefer brachten uns mit 2-0 in Führung, Rainer Knaak stellte mit einem Remis in ausgeglichener Stellung den Mannschaftssieg sicher und ich übte ein etwas besseres Endspiel solange - bis ich durch ein furchtbares Versehen verlor! Was für ein Start ...
Österreich war unser Gegner in der zweiten Runde. Diesmal lief es für mich besser und ich konnte mit den weißen Steinen einen vollen Zähler einfahren. Lothar Vogt erzielte ein sicheres Remis, Reiner Knaak gewann eine schwerblütige Partie und Gerhard Kiefer siegte überzeugend im Zeitnotduell: Endstand 3,5-0,5.
Die Russen zeigten beim knappen 2,5-1,5 gegen Island erste Schwächen und die favorisierten Franzosen lagen mit 0-4 Mannschaftspunkten sogar am Ende des Feldes. Die dritte Runde brachte uns mit St. Petersburg einen gefährlichen Gegner mit vier IMs bestückt - im letzten Jahr Vizeweltmeister hinter Russland. Wir waren also gewarnt. Deshalb waren Lothar und ich nicht abgeneigt, mit Schwarz die frühen Remisangebote unserer Gegner zu akzeptieren - was sich im Nachhinein als schwerer Fehler erwies. Denn Reiner Knaak konnte trotz langer Bemühungen seine bessere Stellung nicht in einen vollen Zähler
verwandeln und Gerhard Kiefer wurde von seinem Gegner langsam, aber stark und sicher
überspielt. Lange Gesichter bei "Germany" ....
Unsere Laune wurde nicht besser, als wir in der nächsten Runde bereits gegen Russland hochgelost wurden. Die Russen waren überraschend gegen England nicht über vier Remis hinausgekommen (dabei hatten sie noch Glück, dass Ian Snape am 4. Brett gegen Zhelnin nach langem Kampf und bei knapper Zeit in Gewinnstellung Dauerschach gab).
Lothar Vogt wickelte gegen seinen Angstgegner Yuri Balashov schnell zum Remis ab. Ich hatte bald eine gute Stellung gegen Pushkov erreicht, aber Rainer Knaak griff nach der Eröffnung in ausgeglichener Stellung gegen Sveshnikov daneben und wurde vom Altmeister eindrucksvoll besiegt. Auch Gerhard Kiefer stand gegen Rashkovsky sehr schlecht - aberdurch ideenreiches Gegenspiel in beiderseitiger Zeitnot konnte er den russischen GM derart unter Druck setzen, dass dieser in - immer noch - Gewinnstellung Remis anbot. Schließlich gelang es mir nach 6 Stunden und wechselvollem Spielverlauf ein remisliches "Springer-gegen-schlechten-Läufer-Endspiel" doch noch zu gewinnen und den überaus erfreulichen Ausgleich zu schaffen.
Jetzt war uns auch das Losglück hold und wir bekamen in den nächsten drei Runden mit England 2, der deutschen Mannschaft "Stiftung BSW" und Island durchaus lösbare Aufgaben.
Gegen England 2 bot Gerhard Kiefer eine überzeugende Vorstellung, das reichte bei drei soliden Remis zu einem knappen 2,5:1,5. Gegen die Stiftung vom Bahnsozialwerk erkämpften Rainer Knaak und Lothar Vogt volle Zähler, während ich eine Gewinnstellung zum Remis verpatzte. Dafür erzielte Gerhard Kiefer einen etwas glücklichen halben Zähler gegen die Fernschachlegende Fritz Baumbach, Endstand 3:1.
Noch glatter lief es in der 7. Runde beim überraschend hohen 3,5:0,5 gegen Island. Wieder kam ich über einen halben Zähler nicht hinaus, wenigstens nach einer halbwegs brauchbaren und interessanten Partie.
Nach 7 Runden hatten wir eine glänzende Ausgangsposition - nur einen Mannschaft- und einen Brettpunkt hinter Russland auf dem zweiten Platz, einen Punkt vor Israel und Frankreich, zwei Punkte vor weiteren Verfolgern. Die Medaille schien zum Greifen nah.
Die Auslosung für Runde 8 bescherte uns Israel, mit vier IMs eine sehr ausgeglichene Mannschaft. Lothar Vogt musste sich mit einem schnellen Weißremis gegen Berkovich zufrieden geben ("der hat mich auspräpariert") und Gerhard Kiefer wurde Opfer einer "bekannten" Eröffnungsfalle - der Erzählung nach waren die Israelis bei der Eröffnungsvorbereitung ausgerechnet bei Rainer Knaaks Eröffnungsfallen im Chess-
Base Magazin Nr. 169 fündig geworden!
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Gerhard wehrte sich tapfer, aber hatte gegen den starken Maryasin keine Chance. Dafür kam Rainer am Spitzenbrett immer besser in Form und gewann mit Schwarz eine spektakuläre Angriffspartie gegen IM Birnboim - im Stile der "Unsterblichen" mit einem doppelten Turmopfer, allerdings verschmähte Birnboim den zweiten Turm, was aber auch nichts mehr half. Ich blieb meiner schlechten Form treu und versemmelte eine prächtige Stellung in Zeitnot gegen IM Lederman. Glücklicherweise konnte ich ein schwieriges Endspiel nach der Zeitkontrolle noch Remis halten und damit wenigstens das 2:2 sichern.
Vor der Schlussrunde war das Feld näher zusammengerückt, auch Russland war gegen Frankreich nicht über ein 2:2 hinausgekommen und damit waren für uns noch Medaillen aller Couleur möglich. Bei einem Sieg gegen Frankreich hatten wir Silber sicher, bei einem Remis mindestens Bronze. Am Spitzenbrett einigten sich Rainer Knaak (mit Schwarz) gegen den überragenden Anatoly Vaisser (bis dahin 6,5 aus 7) schnell auf Remis. Auch Lothar Vogt holte gegen IM Sharif nicht viel aus der Eröffnung und schloss ebenfalls bald Frieden. Gerhard Kiefer hatte einen riskanten Benoni auf dem Brett und ich geriet mit Weiß ebenfalls langsam in Nachteil. Und es kam wie befürchtet. Gerhard verlor eine hochkomplizierte Partie, ich konnte zwar meine Stellung zusammenhalten und unter dem Druck des 1:2 sogar leichte Vorteile im Endspiel erarbeiten - aber es reichte nicht zum Sieg. Ich setzte meine Remisserie fort und wir verloren den Wettkampf und die Medaille ... sehr schade, aber im Schweizer System darf man sich eben keine Schlussrundenniederlage erlauben. In der Endabrechnung siegte Russland unerwartet knapp mit 14:4 Punkten vor England, Frankreich und Israel mit jeweils 13:5 und der deutschen Mannschaft mit 12:6 Punkten.
Fazit:
Es hätte durchaus besser enden können. Unsere beiden GMs an den Spitzenbrettern spielten sehr gut: Lothar Vogt mit +3 =6 wie immer äußerst solide und Rainer Knaak kam bei seinem Comeback nach der Niederlage gegen Sveshnikov immer besser in Fahrt und holte mit +4 -1 =4 hinter Vaisser und Sveshnikov die Bronzemedaille am Spitzenbrett. Gerhard Kiefer spielte ein sehr unternehmungslustiges und kampfstarkes Schach, war zwischendurch unser bester Scorer ... bis er der Eröffnungsfalle erlag und zum Schluss mit +4 -3 =2 genauso bei 5 aus 9 landete wie ich mit meiner Remisserie mit +2 -1 =6. Immerhin konnte der etwas unglückliche Abschluss des Wettbewerbs nichts an der wunderbaren und harmonischen Stimmung im Team anhaben - ein herzliches Dankeschön an meine Mitspieler!
Im 50+ - Wettbewerb gewann die deutsche Damenmannschaft mit Brigitte Burchardt, Annett Wagner-Michel, Petra Schulz, Sylvia Wolf und Kristen Jeske hinter den Seriensiegern aus Russland die Silbermedaille.
Die deutsche Männermannschaft mit Uwe Bönsch, Markus Stangl, Raj Tischbierek, Oliver Brendel und Christian Maier belegte einen guten 7. Platz. Es gewann überlegen das Team der USA (Shabalov, Benjamin, Novikov, Ehlvest, Yermolinsky) mit 17:1 Punkten vor Italien und Israel.
Alle Ergebnisse, Fotos und Berichte gibt es auf der Turnierseite http://rodoschess2019.com/
Rainer Knaak (2.v.l.) holt die Bronzemedaille am Spitzenbrett, rechts neben ihm Anatoly Vaisser (Gold) und Evgeni Svshnikov (Silber) | Foto: Sabine Knaak