Reykajvik-Saga
Von Alina L'Ami
“Wie war es denn letztes Jahr in Reykjavik?” fragte Anish,
während wir auf unseren Icelandair-Flug warteten.
“Erwin und ich fahren jetzt zum zweiten Mal hintereinander
hin. Offensichtlich hat es uns gefallen.” Wie es meine Art ist, begann ich nur
Sekunden später überschwänglich zu gestikulieren, um die Schönheiten Reykjaviks
zu verdeutlichen!
Unterdessen erwähnte mein Mann das starke Teilnehmerfeld,
das dieses Jahr mit Spielern über 2700 (oder sollte ich ‘Monster’ sagen?!) sogar
noch stärker als letztes Jahr sein sollte.
Ich fürchte, ein solches Bombardement an Informationen war
keine leichte Aufgabe für die Ohren von Anish. Eine knappe Beschreibung wäre
wahrscheinlich hilfreicher gewesen – “Einfachheit ist die höchste Form der
Raffinesse”. Mit dieser Überlegung im Sinn erlaubte ich mir noch einen weiteren
Vergleich, der alle anderen Metaphern und Allegorien verdrängte, die sich mir
hartnäckig auf die Zunge legten.
“Reykjavik ist wie eine…Frau. Immer gleich und doch stets
verschieden!”, aber Anishs Miene nach zu urteilen, verwirrte ihn diese Aussage
noch mehr.
Natürlich ist Island unglaublich schön; ich möchte hier
nicht die endlosen Naturwunder aufzählen, sondern nur eines davon erwähnen, das
ich aber für das wichtigste halte: das Licht!
Sonnenaufgang auf Island
Unglaubliche Lichtspiele (Fotos: Richard Stuivenvolt)
Vor meiner Reise nach Island konnte ich mir nicht
vorstellen, dass sich Landschaften und Gebäude durch die magische Berührung mit
dem Zauberstab der Natur so dramatisch verändern können. Alles ist gleich
geblieben und doch ist alles ganz neu…
OK, die Zeit fürs Boarding war gekommen.
Ich setzte mich an meinen Platz, griff zum Bordmagazin und
blätterte die bunten Seiten durch…”Walbeobachtung, Nordlicht, Tagesausflug
‚Golden Circle’, die Blaue Lagune, es gibt so viele Dinge, die man in Reykjavik
tun kann” – verkündete die Werbung. “Sie ist...” SIE?!
Reykjavik ist eine sie! Ich weiß nicht, ob das weibliche
Pronomen ein Tippfehler ist, etwas mit der Übersetzung oder verborgenen
sprachlichen Feinheiten zu tun hat oder ob ich vielleicht doch nicht die einzige
bin, die die nördlichste Hauptstadt der Welt mit… einer Frau vergleicht! Die uns
übrigens auch dieses Mal nicht enttäuscht.
Ein ganzes Jahr ist seit dem letzten Turnier bereits
vergangen, doch ich habe das Gefühl, ich war nur eine Woche fort! Neue Orte zu
erforschen ist wunderbar, aber unterschätzen Sie es nicht, die gleichen Dinge
mit anderen Augen zu sehen, mit den Augen der Einheimischen, der ‘Connaisseurs”.
Die Stadt gleicht den russischen Puppen, den “Matrjoschkas”. Man glaubt, man ist
bei der letzten angekommen, aber dann entdeckt man eine weitere und dann noch
eine…
Typische...
... isländische Häuser
Kleines Schauspiel zwischendurch
Die Perle (Perlan) in Reykjavik
Ein Wahrzeichen Reykjaviks
Im Inneren der Kirche
Über den Dächern von Reykjavik
Blick bis in den Hafen
Dort wird lackiert
Warten auf die Freizeitkapitäne
So gerne ich mehr über die Geheimnisse des sich stets
verändernden Lichts dieser Insel erzählen würde, so fürchte ich doch, dass meine
Aufmerksamkeit von ernsteren Dingen in Anspruch genommen wurde: der Schach-Saga.
Das Reykjavik Open ist dieses Jahr unglaublich stark, wie ein rascher Blick auf
die Startrangliste bestätigt! Wohin ich auch schaue (ich schreibe diese Zeilen
im Spielsaal während ich darauf warte, dass mein Mann seine Partie beendet), so
sehe ich unweigerlich einen Großmeister.
Eröffnungsfeier
Die isländische Premierministerin
Viele hochrangige Offizielle waren anwesend – Botschafter, Abgesandte etc.
Der Bürgermeister von Reykjavik
Der erste Zug am Brett von Anish
Anish Giri
Ding Liren
Erste Runde für Anish
Wesley So
WGM Guo Qi aus China
Irina Krush
Turkan Mamedjarova, die kleine Schwester des Großmeisters
Yelizaveta Orlova aus Kanada
Schachfans beobachten die Partie in völliger Stille aus der Nähe
Was macht dieses Open so beliebt? Liegt es am Ort, dem
perfekten Reiseziel für Urlaubsfreunde? Oder an der anhaltenden Faszination für
Fischer? Oder am starken Teilnehmerfeld, das für interessante Partien sorgt?
Meine Vermutung lautet: wahrscheinlich von allem ein bisschen. Es sind die
kleinen Dinge, die den Unterschied ausmachen.
Ich kann es nicht verhindern, doch während ich diese
Zeilen schreibe, geht mein Geist auf Wanderschaft…ein rascher Blick durch die
getönten Glasfassaden des Harpa-Konferenzzentrums (wo gespielt wird)…ein anderer
zu den konzentrierten Gesichtern der Spieler…zurück zur Glasfassade, dann wieder
zurück zu den Brettern…inspirierender kann ein Ort zum Schachspielen kaum sein!
Harpa, das Spiellokal
Im Inneren von Harpa
Anish beobachtet die Partie seiner Freundin, Sopiko
IM Sopiko Guramishvili aus Georgien
Wir zermartern unser Hirn direkt am Wasser, in einem
wunderbaren Gebäude, das Fischernetzen oder Fischschuppen ähnelt. Und natürlich
fällt mir noch eine weitere Assoziation ein. Genau wie die Fischer brauchen wir,
die Schachspieler, viel Geduld und Planung, um unsere Schachnetze so zu werfen,
dass wir unsere Opfer fangen. Größere Probleme scheinen aufzutauchen, wenn sich
zeigt, dass unser Gegner ein Killerwal ist oder, schlimmer noch, ein Hai... Ein
Mittel dagegen ist eine Menge Phosphor und Omega 3, und wo findet man diese
Dinge? Natürlich in Reykjavik, einem wahren Mekka für Fischliebhaber! Wenn das
doch nur unmittelbar dazu führen würden, Punkte zu machen…
Der Fisch hier ist wirklich gut!