Zu denen, die sich mit ihren Erfolgen im Schach schon zu
Lebzeiten unsterblich gemacht haben, gehört ohne Zweifel Viktor Kortschnoj. Am
23.3.1931 geboren, musste er als Kind mit erleben, wie seine Heimatstadt
Leningrad von der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg eingeschlossen und
ausgehungert wurde. In dieser Zeit begann er sich mit Schach zu beschäftigen.
Heute gehört er der inzwischen 73-Jährige immer noch zur erweiterten Weltspitze
und eilt von Turnier zu Turnier. Dazwischen liegt eine beispiellose Karriere mit
zahlreichen Turniererfolgen und zwei Vizeweltmeisterschaften. 1974 und 1978
unterlag er jeweils knapp Anatoly Karpov im Kampf um den Titel. Der Wettkampf
in Baguio City 1978 übertraf an politischer Brisanz noch den berühmten Kampf
zwischen Fischer und Spasski 1972.
Im Jahr 1976 war Kortschnoj aus der Sowjetunion geflohen und sah sich nun als
Dissident von seinem früheren Heimatland verfolgt. Üblicherweise hätte die
Öffentlichkeit nicht viel von dem erfahren, was sich hinter den Kulissen
abgespielt hatte, doch Kortschnoj veröffentlichte in seinem seit Langem
vergriffenen Buch Antischach die Details, wofür er sich den erneuten Zorn der
Sowjetführung zuzog. Während des Wettkampfes hatte die Sowjetführung seine
Familie in der UdSSR als Geiseln in Haft nehmen lassen. Angeblich soll Tal, der
im Wettkampf auf Seiten von Karpov hatte helfen müssen, später gesagt haben,
dass der KGB geplant habe Kortschnoj im Falle eines Sieges umbringen zu lassen.
Nach den beiden Partiebänden: "Meine besten Kämpf 1952-2000", ebenfalls bei
Edition Olms erschienen hat Viktor Kortschnoj nun mit "Mein Leben für das
Schach" einen rein biographisches Buch mit seinen Erinnerungen vorgelegt. Der
Leser unternimmt mit ihm eine Schachzeitreise weit in die Vergangenheit.
In lakonischem, fast Ton berichtet der der Autor über die teils sehr elenden und
unsicheren Lebensumstände in der Sowjetunion der dreißiger und frühen Vierziger
Jahre, die der Leser im Westen sich heute kaum vorstellen kann. In den
Kriegsjahren litten besonders die eingeschlossenen Leningrader schlimmste Not
oder verhungerten.
Man erfährt, wie das System der sowjetischen Staats"amateure" organisiert war -
auch wie Partien verschoben wurden -, begleitet Kortschnoj bei seinen ersten
Turniererfolgen und spürt dabei fast die Angst, die Bürger im Willkürstaat der
UdSSR ständige erfuhren. In seinen Beschreibungen bestimmter Vorgänge nimmt
Kortschnoj dabei kein Blatt vor den Mund und nennt Ross und Reiter.
1965 hatte Kortschnoj eine Einladung ausgeschlagen, im Westen zu bleiben. Nach
seinem ersten Wettkampf gegen Karpov sah er sich Repressalien ausgesetzt und
entschloss sich in den Westen zu gehen. Zur Fluch nutzte er ein Turnier 1976 in
Amsterdam. Die Zeit danach gehört wohl zur kritischsten seines Lebens überhaupt.
Während er befürchtete, vom KGB umgebracht zu werden, hatten die Leute im Westen
keinerlei Ahnung von der Realität, die in der UdSSR herrschte. In einem
besonders ergreifenden Kapitel beschreibt Kortschnojs Sohn Igor, was ihm und
seiner Mutter widerfuhr, nachdem der Vater geflüchtet war.
Einen großen Raum nehmen die Beschreibungen der Umstände des
Wettkampfes gegen Karpov 1978 in Baguio City ein. Die ganze Weltöffentlichkeit
schaute zu, als die beiden Widersacher sich abseits des Brettes einen heftigen
Psycho- und Nervenkrieg lieferten. Am Ende siegte Karpov ganz knapp. Heute,
angesichts der Aussage von Tal, ist Kortschnoj sehr froh, dass er damals nicht
gewann.
Viktor Kortschnojs "Mein Leben für das Schach" ist ein lebendig und spannend
geschriebenes Buch voller interessanter Details aus der Schachgeschichte.
Beigefügt ist eine CD mit einer ChessBase-Datenbank, die 4250 Partien von
Kortschnoj enthält, davon viele als Erstveröffentlichung. Sehr empfehlenswert.
Viktor Kortschnoj. Mein Leben für das Schach. 248 Seiten. Edition
Olms, 2004.
29,95 Euro
André Schulz