Vincent Keymer gestalkt (II)

von Thorsten Cmiel
25.01.2019 – Für Vincent Keymer ist das Challenger-Turnier in Wijk aan Zee das bisher stärkste, bei dem er je mitgespielt hat. Thorsten Cmiel beobachtet das Spiel des jungen Meisters und berichtet von seinen Eindrücken.

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Vincent in Wijk an Zee (II)

Vincent spielt in den Niederlanden sein bisher stärkstes Turnier überhaupt (Kategorie 14, 2580). Bei seinem Sensationssieg im Grenke Open kamen seine Gegner auf einen Schnitt von 2447. Das ist stark, aber es ist etwas anderes, wenn einem ständig neue Herausforderungen vorgesetzt werden. Zudem ist Wijk ein traditionell langsames Turnier. Das gilt sowohl für die Bedenkzeit: 100 Minuten für 40 Züge, gefolgt von 50 Minuten für 20 Züge, danach 15 Minuten für den Rest der Partie, plus 30 Sekunden Zeitzugabe (Inkrement) pro Zug ab dem ersten Zug. Die Organisatoren haben außerdem drei Ruhetage eingebaut. Das Thema Eröffnungsvorbereitung spielt daher eine große Rolle.

Runde 8

Heute spielt Vincent mit Weiß gegen Dinara Saduakassova. Die junge Kasachin, Jahrgang 1996, lag bei -3 (vier Remis) hatte jedoch teilweise Gewinnstellungen gehabt, die sie allerdings nicht verwerten konnte. Am Tag zuvor schien sie gegen Erwin L‘Ami zu gewinnen, der wehrte sich allerdings erfolgreich nach langem Kampf. Die Kasachin spielt genau wie Lucas von Foreest Nimzoindisch, es war also interessant zu sehen, ob Vincent Keymer erneut die Mikenas-Variante spielen würde. Und tatsächlich Vincent wiederholte seine Eröffnungswahl , beschäftigte sich aber diesmal nicht sonderlich mit dem Thema Zugfolgen. Nach der Eröffnung drückte Vincent dauerhaft,  opferte einen Bauern und stand klar vorteilhaft. Dann folgte eine Ungenauigkeit und sein ganzer Vorteil war nach einem Qualitätsopfer der Gegnerin weg. Beide Seiten fanden in heraufziehender Zeitnot – Vincent lag diesmal bezogen auf den Zeitverbrauch besser im Rennen – nicht die besten Züge. Die Kasachin verlor dann irgendwann den Faden und Vincent ließ sich nicht ein zweites Mal bitten.

 

Fazit zur Runde 8: Vincent machte erneut ein taktisches Übersehen zu schaffen. Der Sieg war dennoch verdient. Er liegt nun wieder bei fünfzig Prozent.

Es folgte der zweite Ruhetag.

Jetzt hatte Vincent noch Evgeny Bareev, Vladislav Kovalev, Erwin L‘Ami, Anton Korobov und Parham Maghsoodloo vor sich - fünf bärenstarke Großmeister.

 

Runde 9

Evgeny Bareev, 52, inzwischen Kanadier, hatte beispielsweise 2002 noch das Chorus-Turnier in Wijk aan Zee vor Alexander Grischuk, Alexander Morozevich und Peter Leko gewonnen. Bareev war 1982 U16-Weltmeister und laut Eloliste einmal Nummer 4 der Welt. Eine echte Legende also. Gegen Vincent wich er jeglichem theoretischen Wettstreit aus und spielte eine harmlose Variante im Londoner System. Er gab Vincent später die Chance auf eine asymmetrische Materialverteilung und der griff beherzt zu. Nach einer Ungenauigkeit sahen die Fans in Deutschland schon einen weiteren prestigeträchtigen Skalp an Vincents Gürtel. Der ging leider an seiner Chance vorbei und die Partie endete Remis.

 

Fazit zur Runde 9: Ein souveränes Remis gegen einen Großmeister der Stärke von Bareev ist ein gutes Resultat. Leider war mehr drin.

Runde 10

Heute hieß der Gegner Vladislav Kovalev, von dem mehr als 100 Partien im Königsinder bekannt sind. Der Weißrusse ist zehn Jahre älter als Vincent und seit fünf Jahren Großmeister mit einer aktuellen Rating von 2687. Die beiden hatten wenige Monate zuvor in der zweiten Runde beim Superopen auf der Isle of Man bereits eine Partie gegeneinander gespielt. Im Oktober 2018 verzichtete Kovalov auf seine bevorzugte Verteidigung, wählte eine riskante Variante und wurde die meiste Zeit der Partie von Vincent in einem Endspiel gequält.

Runde 10 wurde letztlich für die zwei Teenager im Turnier zu einer Art Lehrstunde im Hinblick auf das Treffen von praktischen Entscheidungen. Beginnen wir die Betrachtung zunächst mit dem Inder Praggnanandhaa. "Pragg" brach einen vielversprechenden Königsangriff ab, um ein Endspiel mit einem Mehrbauern zu spielen. In früheren Zeiten wäre das undenkbar und vermutlich auch nicht ehrenvoll gewesen. Die alten Meister hätten jedenfalls nicht gezögert den Angriff fortzusetzen. Selbst Pragg wäre in einer Bulletpartie vermutlich seiner Intuition gefolgt und hätte weitere Angriffszüge auf das Brett geknallt. Die Stellung erwies sich als schwierig, wobei sein Gegner Maksim Chigaev in Zeitnot zunächst nicht immer die beste Verteidigung fand. Pragg blitzte mit und wurde kurz vor der Zeitkontrolle böse überrascht. Er reagierte zunächst richtig, fand einen forcierten "Bail out", blitzte jedoch ohne Not noch weiter und patzte dann grob. Eine lehrreiche Partie, nicht nur für Pragg.

 

Vincent und sein Gegner begannen mit einigen Tricksereien bei der Zugfolge, um den Gegner in die richtige Richtung zu locken. Letztlich gewann Vincent in der Eröffnung in einer Nebenvariante einen Bauern und befand sich die nächsten Züge am Drücker. Zuschauer und Computer waren mit dieser Spielweise sehr zufrieden. Kovalev setzte auf Figurenspiel und beschäftigte Vincent ständig mit neuen schwierigen Aufgaben. Vincent hatte mehrere gute Möglichkeiten, geriet in Zeitnot seines Gegners aber zunehmend unter Druck, verlor schließlich die Initiative an seinen Gegner und hatte pünktlich zur Zeitkontrolle eine Verluststellung, die sein Gegner dann ohne größere Mühe zum vollen Punkt verdichten konnte.

 

Fazit zur Runde 10: Vincent wurde von seinem starken Gegner in eine komplexe, praktisch äußerst schwierige Partie verwickelt und verlor irgendwann den Faden. Er wird aus dieser Partie viel lernen können und bei der nächsten ähnlichen Situation Gefahren vermutlich früher bemerken. Zum Glück hat er einen erfahrenen Großmeister an seiner Seite und muss sich nicht auf einen Computer als Sparringspartner stützen. In einer Hinsicht hat es bereits erste Anpassungen gegeben. Vincent zeigte in den letzten drei Partien eine bessere Zeiteinteilung als zuvor.

 

 


Thorsten Cmiel ist Fide-Meister lebt in Köln und Milano und arbeitet als freier Finanzjournalist.

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