Vincent Keymer: Interview in der ZEIT

von André Schulz
05.01.2023 – Im Schach mit kurzen Bedenkzeiten ist Vincent Keymer schon Weltspitze. Ab nächster Woche kann er in Wijk aan Zee zeigen, dass er auch im klassischen Schach oben mitspielen kann. Bei allen Erfolgen steht der beste deutsche Schachspieler mit beiden Füßen fest auf dem Boden, wie ein Interview mit der ZEIT zeigt. | Foto: FIDE

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Schon als Zehnjähriger nahm Vincent Keymer an Turnieren teil und offenbarte mit seinen Erfolgen sein Riesentalent. Während die Talente in anderen Ländern - Russland, China, Usbekistan und vor allem Indien - in Bezug auf die Schulausbildung einige Freiheiten genossen, war Vincent Keymer dem strengen deutschen Schulsystem unterworfen, besuchte ein Gymnasium und machte sein Abitur. Trotz dieser Doppelbelastung reifte er aber zu einem absoluten Spitzenspieler heran. Inzwischen ist der jetzt 18-Jährige die Nummer eins im deutschen Schach, zudem einer der besten Jugendlichen weltweit und schickt sich an, in die absolute Weltspitze vorzustoßen.

Wie nah er mit seinem Können schon an die besten Spieler der Welt herangerückt ist, zeigte die Ende letzten Jahres in Almaty (Kasachstan) ausgetragene Weltmeisterschaft im Schnellschach und Blitzschach. Im Schnellschachwettbewerb mit den besten Spielern des Planeten musste Vincent Keymer nur zwei Niederlagen hinnehmen, eine gegen Weltmeister Magnus Carlsen, dem Keymer aber im Verlauf des Turniers stets dicht auf den Fersen war. Absolute Topspieler wie der Vizeweltmeister von 2018 Fabiano Caruana, der aktuelle Vizeweltmeister Ian Nepomniachtchi, das indische Supertalent Arjun Erigaisi und einige mehr wurden vom deutschen Ausnahmetalent besiegt. In der letzten Runde hatte Vincent Keymer die Chance, mit einem Sieg gegen Maxime Vachier-Lagrave noch an der Tabellenspitze mit dem führenden Magnus Carlsen gleichzuziehen und einen Stichkampf zu erzwingen. Keymer überspielte den besten Franzosen mit den schwarzen Steinen im Endspiel, vergab den Sieg aber mit einem unbedachten Zug bei knappster Bedenkzeit. So musste sich der Deutsche mit der Silbermedaille "zufrieden geben".

Auch im Blitzschach mit noch kürzerer Bedenkzeit (3+2) spielte Vincent Keymer auf Augenhöhe mit den weltbesten Blitzschachspielern. Hier musste die deutsche Nummer eins am Anfang ein paar Rückschläge hinnehmen, arbeitete sich dann aber im Verlauf der insgesamt 21 Runden ganz nach oben. In der vorletzten Runde hatte Keymer Gelegenheit, mit einem Sieg noch auf Schlagdistanz an die Spitze heranzukommen. Dazu musste er "nur" Hikaru Nakamura schlagen, den vielleicht weltbesten Bullet- und Blitzspieler. Es entstand eine unglaublich spannende Partie mit einigen irrealen Momenten.

 

 

 

Am Ende flog Vincent Keymer mit einer Silbermedaille im Schnellschach und einem 13. Platz im Blitzschach nach Hause. Dort müde angekommen stand er - auch hier Profi - gleich dem ZEIT-Schachreporter Ulrich Stock und Cathrin Gilbert im Interview Rede und Antwort und gewährte Einblicke in sein Seelenleben. Seinen Erfolg bewertete Vincent Keymer ganz sachlich:

"Sicherlich gibt mir das Selbstvertrauen, gegen die besten Spieler der Welt so gut gepunktet zu haben. Aber das heißt nicht viel für die nächsten Turniere. Die Konkurrenz wird ja nicht schlechter dadurch, dass ich sie einmal geschlagen habe. Ich hatte gar nicht damit gerechnet, dem Traum, einmal Weltmeister zu werden, so schnell näher zu kommen."

Schach ist in den letzten Jahrzehnten durch den Einfluss der Computer immer schneller geworden, sagt Vincent Keymer - und jünger: "Schachspielen ist extrem anstrengend. Selbst wenn eine Partie nur vier, fünf Stunden dauert, muss ich mich mehrere Stunden darauf vorbereiten. Ich denke, ab einem gewissen Punkt im Leben verfügt man einfach nicht mehr über die Kraft und den Willen, das zu tun." 

Auch zu den Betrugsvorwürfen gegen Hans Niemann und der Möglichkeit, mit Computerhilfe zu betrügen, nimmt Vincent Keymer Stellung und wertet dies als ernsthaftes Problem. "Das Thema beschäftigt die ganze Schachwelt. Es ist ein ernstes Problem. Wenn es eine Liveübertragung der Partien im Internet gibt, kann jemand außerhalb des Spielsaals den optimalen Zug ermitteln. Die Information muss dann noch zum Spieler kommen. Wie genau das gehen könnte, weiß ich nicht." 

Mit seinem Coach Peter Leko trainiert Vincent Keymer an manchen Tagen bis zu acht Stunden. Das Training wurde durch die finanzielle Unterstützung der Grenke AG möglich. Generell ist das Sponsoring von deutschen Topspielern aber noch ausbaufähig, meint Vincent Keymer. Die Begeisterung für das Schach ist in Deutschland nicht so groß, wie z.B. in Indien. Vielleicht ändert sich das ja, wenn Keymer einmal ganz oben in der Weltrangliste steht. 

Das Interview ist auf Zeit-online verfügbar, zur Zeit hinter einer Bezahlschranke, und in der aktuellen Printausgabe.

 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.