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"Zuerst werde ich 1:0 in die Tabelle eintragen, dann können wir analysieren", war der übliche Spruch von Wolfgang nach gewonnenen Partien. Noch zu CSSR-Zeiten wurde der vielfache Meister der DDR in den Prager Schachkreisen deshalb fast zärtlich "Buchhalter" genannt.
Zeichnung: Otokar Masek
Dann ein spätes Wiedersehen zu der ersten gemeinsamen Deutschen Meisterschaft in Bad Neuenahr 1991.
Viel hatte sich geändert. Der "Eiserne Vorhang", die "Berliner Mauer" waren gefallen. die DDR existierte nicht mehr und CSSR hieß wieder Tschechien.
Allein die französische Verteidigung, Uhlmanns größte Liebe, stand weiter wie Fort Knox in einem Babylon der neuen Eröffnungen und war nicht zu knacken.
Wer war eigentlich der beste "Franzose"? Kortchnoi? Uhlmann? Waganjan?
La langue française est magnifique! Schon immer war es mein Wunsch, diese herrliche Sprache verstehen und sprechen zu können. Dafür ist es nie zu spät, sagte ich mir. Endlich, im Alter von 50 Jahren, hatte ich die Zeit und Muße dafür. Ich meldete mich bei der Volkshochschule in Köln an und begann, aufs Äußerste motiviert, auf meine alten Tage wieder die Schulbank zu drücken.
Die meisten meiner Kollegen aus meinem damaligen Schweizer Schachverein in Biel (Bienne) waren zweisprachig (Deutsch-Französisch) – so dass ich mich auch mit meinem Deutsch verständigen konnte. In der ersten Mannschaft aber, in der ich damals spielte, wurde leider nur französisch gesprochen. Ich ärgerte mich enorm, dass ich mich an keinem der interessanten Gespräch beteiligen konnte.
Haben Sie schon einmal einen Tschechen französisch sprechen hören? Obwohl ich im Unterricht nie fehlte, fleißig Vokabeln, Grammatik etc. lernte, war meine Aussprache katastrophal! Es waren die nasalen Laute, die mir besonders zu schaffen machten. Noch heute lachen alle meine französisch sprechenden Freunde über meinen harten tschechischen Akzent.
Pourtant! Ich ließ nicht locker. L´institut français, privater Unterricht – mit über fünfzig kann man keine Bäume mehr ausreißen. Zumindest nicht die Großen. Die französische Zeitung Le Figaro mit ihrer Schachrubrik gehörte fortan praktisch zu meiner Tagesordnung. Mit Freude, aber großer Selbstüberschätzung, hatte ich mir den Gedichtband "Les fleurs du mal" von Charles Baudelaire gekauft. Die Ernüchterung! Ich verstand sehr, sehr wenig.
Endlich Hoffnung? Monsieur Robert, ein Reservespieler der ersten Bieler Mannschaft, war Französischlehrer. "Monsieur Robert, je veux apprendre la langue française. Votre conseil?" Würde er mir aus meinem französischen Dilemma heraus helfen können?
Mein möglicher Retter sprach auch sehr gut Deutsch: "Herr Hort, wissen Sie was? Der Fall ist eigentlich ganz einfach und Ihr Problem leicht zu lösen. Kaufen Sie sich das Buch von Großmeister Wolfgang Uhlmann. Er spielt die französische Eröffnung sein ganzes Leben und kennt sich somit in dieser Disziplin bestens aus!" Die erste Mannschaft hatte viel zu lachen. Ich auch!
Ich nahm mir vor, unbedingt die französische Verteidigung wieder in mein Repertoire aufzunehmen und insbesondere das Buch von Wolfgang Uhlmann eingehend zu studieren… Vor allem aber wünschte ich mir eine Partie Robert-Hort herbei, um der Bieler Truppe zu zeigen, wie gut mein "Französisch" ist.
Auch mein erster Schachlehrer, der Metzger Josef Saidl aus Kladno, spielte ausschließlich Französisch. Wie gerne habe ich als sechsjähriger Junge mit ihm, seine auf fettigem Papier dokumentierten Fernschachpartien, analysiert! In meiner weiteren Schachlaufbahn setzte ich allerdings auf Universalität, Wolfgang blieb seinem Dresden und dem Zuge 1…e7-e6 lebenslang treu.
Dramatische Ereignisse waren die Vorboten des Turniers in Mariánské Lázně 1965.
Ein teures Vergnügen
Die Reise hätte eigentlich problemlos verlaufen können, denn die Strecke Dresden-Marienbad war mit dem Schnellzug bequem zu bewältigen.
Wolfgang Uhlmann
Wolfgang Uhlmann kannte all seine Gegner des bevorstehenden Turniers bestens. Er war in guter Form und ein hoher Geldpreis schien ihm sicher. Dennoch, ohne seine Schach-Kartothek mit Analysen fuhr er niemals zu einem Turnier. All seine wichtigen Notizen hatte er deshalb in seinem persönlichen Koffer verstaut. Die alltäglichen Dinge von ihm und seiner Frau waren fein säuberlich im größeren Koffer untergebracht. Er war mit den Koffern schon mal als Vorhut alleine unterwegs, seine Frau Christine wollte in ein paar Tagen nachkommen. Das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden war immer die Stärke der Uhlmanns.
Die Vorfreude auf Marienbad war groß. Diesen verträumten Kurort hatte nicht nur Johann Wolfgang von Goethe sehr geschätzt. Viele Besucher waren seitdem durch die Straßen dieses bezaubernden Städtchens gewandelt, um von den Heilwassern zu trinken.
Nächste Station Pilsen! Gleich am Bahnsteig befand sich ein Kiosk und die Verlockung auf ein frisches gezapftes Bierchen war verführerisch. Der Aufenthalt sollte reichen, um den Wunsch in die Tat umzusetzen, dachte sich Wolfgang. Die flockigen Schaummützen des tschechischen Bieres sahen auch sehr vielversprechend aus und der erste Schluck war ein Genuss! Wenn das Turnier genauso gut laufen wird, steht einem wundervollen Aufenthalt in Marienbad nichts mehr im Wege - war Wolfgangs optimistischer Blick in die Zukunft. Was konnte jetzt noch schiefgehen?
"Bin ich im richtigen Abteil?" Die gepolsterten Sitzplätze sahen jedenfalls genauso aus, aber die Ablage, wo die Koffer hätten liegen müssen, war leer. Offensichtlich hatten Diebe die Zeit des Biertrinkens effizient genutzt und die beiden Koffer abtransportiert. Uhlmanns gute Laune war futsch, die Schach-Kartothek im Nirgendwo und die Garderobe der beiden würden andere tragen.
Wolfgang Uhlmann
"The show must go on" - auch wenn die Polizei ihm wenig Hoffnung machte, die Diebe zu fassen, wartete die erste Runde auf ihn. Was im Kopf gespeichert ist, kann schließlich der geschickteste Dieb nicht entwenden. Seine Partie gegen GM Schamkovic wäre fast die beste Partie des Turnieres geworden. Doch Wolfgang wohl mit anderen Gedanken beschäftigt, vergaß in der gewonnenen Stellung seinen angegriffenen Turm zu ziehen. Pech auf der ganzen Linie. Koffer weg, Partie verloren und das alles wegen eines Bierchens! "Vlastimil, gibt es so viele Diebe bei Euch?" Ich schwieg lieber und zuckte nur mit den Schultern.
Es regnete stark in Marienbad. Wolfgang kaufte sich Ersatzkleidung und besorgte sich einen funkelnagelneuen Regenschirm. Die Schachspieler hatten für ihre persönlichen Sachen einen eigenen Raum. Mitten im Spiel hörte man plötzlich Wolfgangs aufgeregte Stimme: "Verdammt nochmal, in der CSSR gibt es überall Diebe!"
Die Schachnotizen weg, die Garderobe weg, der Turm in der Partie gegen Shamkovich geschlagen…und jetzt war auch noch der funkelnagelneue Regenschirm geklaut. Ich schämte mich für meine Landsleute sehr.
Trotz all der unerfreulichen Ereignisse spielte Wolfgang gar nicht so schlecht.
Sehr häufig trafen wir uns bei verschiedenen Schach-Events. Als besondere Highlights sind Matochas "Snowdrops against Old Hands" in meinen Erinnerungen geblieben. Wir "Alten" kämpften in diesen Turnieren gemeinsam gegen die aufstrebenden jungen Damen. Team-Kapitän Hort wusste, dass auf Uhlmanns immer Verlass war.
Mea Culpa?
"Snowdrops gegen Old Hands", die schöne Idee eines Schachwettkampfes wurde bei einem gemütlichen Abendessen gemeinsam mit Pavel Matocha, dem Präsidenten der Prager Schachgesellschaft, geboren. Fairerweise muss ich gestehen, dass es einen berühmten Vorläufer dieses Turnieres der Schachveteranen gegen ihre jungen weiblichen Kolleginnen gab. Der große Mäzen Joop van Oosterom und die Association Max Euwe hatten Jahre zuvor wundervolle Events, die sogenannten "Tanz-Schach-Turniere" in verschiedenen Städten Europas organisiert.
Auf tschechischem Boden, im schönen und berühmten Marienbad, hatten wir schon einige erfolgreiche Auftritte gehabt. Jetzt sollte das Turnier in Podebrady, einem kleinen mittelböhmischen Kurort, stattfinden. Mich hatte man gleich zu Beginn zum "Playing Captain" ernannt und so kümmerte ich mich bei allen Turnieren um das Wohlergehen meiner Mannschaftskollegen, wie eine Glucke um ihre Küken. Viele bekannte Schachlegenden – Karpov, Kortschnoi, Hübner, Portisch, Olafsson, Uhlmann, Ivkov, Gulko, Velimirovic, Waganjan - haben diesen Turnieren Glanz verliehen.
Der Termin in Podebrady stand fest: 8. – 16.Dezember 2012, die Mannschaften auch. Auf der Seite der Männer sollten Hort, Romanischin, Olafsson, Uhlmann spielen. Die weiblichen Gegnerinnen waren: Gunina, Havlikova, Kašlinskaja und Sachdev.
Wolfgang Uhlmann war wie immer gut vorbereitet und so konnten wir unser Telefongespräch im Vorfeld schnell beenden. "Wir sehen uns dann also am Freitag in Podebrady" waren meine letzten Worte und ich war hundertprozentig sicher, dass die Uhlmanns pünktlich und sicher am Tatort erscheinen würden.
Diese Schachturniere hatten auch einen gesellschaftlichen Charakter und daher wurden alle Spieler und Spielerinnen selbstverständlich mit ihren Partnern eingeladen.
Einige Tage später klingelte das Telefon schon in den frühen Morgenstunden bei uns zu Hause. Eine aufgeregte Christine war am Telefon "Liebe Brigitte, wo seid Ihr? Wir sind in Podebrady und niemand weiß irgendetwas von einem Schachturnier!" Schockstarre bei meiner Frau. "Oh my god", war die einzigen Worte, die meiner Frau dazu einfielen.
Was war geschehen? Wer von uns hatte sich im Datum geirrt? Hatte ich etwa diesen Kuddelmuddel veranstaltet? Uhlmanns waren zwar pünktlich an einem Freitag in Podebrady eingetroffen, aber genau eine Woche zu früh. Gut, dass Christine Uhlmann so eine versierte Autofahrerin ist und Humor hat. Jedenfalls hatten die beiden die Generalprobe Dresden-Podebrady-Dresden schon mal mit Bravour bestanden. Wolfgang kämpfte nach dieser "Probefahrt" beim anschließenden Turnier jedenfalls wie ein Löwe. Den entscheidenden Punkt für unseren Sieg gegen die Snowdrops verdankten wir ihm!
Seit dieser Zeit überlege ich es mir zweimal, ob ich mich noch mal als Organisator bei irgendeinem Turnier einbringen soll. "Den Bock zum Gärtner machen" ist seitdem jedenfalls das geflügelte Wort, das uns beim gemeinsamen Wiedersehen mit Uhlmanns immer wieder herzhaft lachen lässt.
Etwas aus der Statistik: Im Interzonenturnier 1970 in Palma de Mallorca zeigte Wolfgang Uhlmann große Klasse.
Später folgte natürlich auch ein Kandidatenwettkampf. Uhlmann – Larsen 3,5 zu 5,5. Die beiden spielten insgesamt 23 Partien. Alle waren auf Messerschneide gespielt. Von diesen inhaltsreichen Partien konnte jeder noch etwas lernen.
Ein gemeinsamer Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt in Dresden war uns dieses Jahr leider nicht gegönnt. Stattdessen haben wir telefoniert. Ich konnte feststellen, dass Wolfgang den Humor trotz gefährlichem Treppensturz im September nicht verloren hat. Lachend erzählte er mir, dass ihm vor kurzem sein funkelnagelneuer Rollator geklaut wurde. Innerlich musste auch ich schmunzeln, denn mir fiel dabei gleich die Episode am Bierkiosk in Pilsen ein (siehe Anekdote "Ein teures Vergnügen").
Lieber Wolfgang, ich drücke ganz fest die Daumen, dass die "Diebischen Elstern" Dich endlich in Ruhe lassen! Aber, beware of Pickpockets!
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