Vlastimil Hort: Meine Erlebnisse mit Bobby Fischer (3)

von ChessBase
17.03.2018 – Am 9. März 1943 wurde Robert James Fischer geboren, vor 75 Jahren. Zwischen Genie und Wahnsinn wandelnd bleibt Fischer das große Mysterium der Schachgeschichte. Vlastimil Hort hat den 11. Schachweltmeister persönlich gekannt und einige Geschichten mit ihm erlebt. Hier sind sie (3).

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Colonel Ted Edmondton stirbt 1982. Für Robert Fischer war das ein großer Verlust, denn Ted stand für ihn als Vertrauensperson an allererster Stelle. Eine Bruchlandung für Bobby. Wie ein Mönch lebt Bobby anschließend bei seiner Schwester auf einer Matratze. Will er das Universum und die Menschheit retten, oder vor ihr flüchten?

Emanuel Lasker hinterließ neben der Schachliteratur auch ein philosophisches Werk "Die Philosophie des Unvollendbar" – zugegeben, eine sehr schwer verdauliche Kost. Aus Fischers Passadena-Periode dagegen ist nichts Greifbares, Logisches oder Lesbares übriggeblieben. Leider nur Aussagen, wie die folgende "Die schwarzen Afrikaner sind minderwertig, weil sie nie einen Kreis, ein Rad, ein Fahrrad erfunden haben." Spielte der Armstrongnism bereits eine viel größere negative Rolle in seiner Psyche als angenommen? 

Seine Abwesenheit im nächsten WM-Zyklus (1972-1975 gegen Karpov) glich einer Resignation von allem, was die zivilisierte Welt ausmacht. Meine Überzeugung? In der Best-Form, in der Fischer sich in Reykjavik befand, hätte der sowjetische Herausforderer keine reale Chance gehabt. Der Unterschied in der Spielstärke war minimal, die physische Stärke Fischers aber sprach klar für den Amerikaner. "I want to break his ego." Jede Partie bis zum bitteren Ende, keine Pausen, keine inhaltslosen kurzen Remisen wären seine Vorgaben für das Match gewesen. Wieviel Kilo hätte Karpov dabei verloren? Efim Geller, sein Sekundant: "Wir alle machen Fehler, Fischer jedoch am wenigsten von uns allen!"

Fischer verlor seinen Titel! Obwohl er sich in der Öffentlichkeit nicht mehr zeigte, ist bekannt, dass er das Schachgeschehen mit großem Interesse weiter verfolgte. Sein Kommentar zum Abbruch der WM Karpov-Kasparov, Moskau 1984, 5:3: "Vlasty, in marathon it would be impossible. The referee should not intervene." Fischer kündigte anschließend dem jugoslawischen Hauptschiedsrichter, Svetozar Gligoric, die Schachfreundschaft. Schade, die Schachwelt wird der nie stattgefundenen WM Fischer-Karpov immer nachtrauern. Der Amerikaner war natürlich der "Übeltäter".

Während meines Besuches Anfang September 1993 in Budapest zeigte Fischer mir seine erste Partie aus dem Revanche-Match Fischer-Spassky, Sveti Stefan 1992.

 

Die spanische Partie hat der Ex-Weltmeister auch im höheren Alter nie verlernt. Während der Analysen titulierte Fischer seinen Rivalen ganz freundlich "My frenemy Boris."

Robert Fischer, 1992

Wie kam es zu der beiderseitigen, späten Sympathie? Nach dem Wettkampf bot Spassky im Presseinterview theatralisch an, falls es zu einer Verurteilung von Bobby käme, eine Zelle mit ihm zu teilen. Sozusagen, mit ihm in den Knast zu gehen. Zum Skat braucht man jedoch noch den dritten Mann. Mit der Bedingung, dass Fischer mit dem Staat Israel einen inneren und äußeren Frieden abschließen würde, hätte ich mich dazu gesellt.

Ein Sprecher des isländischen Außenministerium: "Die Einbürgerung ist als rein humanitäre Geste zu werten und impliziert keinesfalls die Unterstützung von Fischers politischen Ansichten." Wieviel Jahre, müsstest Du, Robert absitzen, falls die USA dich in ihre riesigen Krallen bekäme? Bravo Island!

Im April 2009 erreichte mich eine Einladung des isländischen Schachbundes. Auch Paul Benkö, William Lombardy, Friedrich Olafsson, Lajos Portisch, Boris Spassky kamen nach Laugardælir, um sich von dem genialen Maestro zu verabschieden und ihm die letzte Ehre zu erweisen. Nur Viktor Kortchnoi war der Einladung nicht gefolgt. Er wollte Bobby den Freibrief eines psychisch kranken Mannes nicht geben.

Ein kleiner, von der Zivilisation vergessener Landfriedhof. Eine einfache Kapelle. Kleine Ponys trabten auf der für Island typischen hellgrünen Wiese, gleich hinter dem Grabstein. Ab und zu eine neugierige Möwe. Die Erde war noch gefroren und wir zitterten vor Kälte. Ich hielt drei schöne gelbe Rosen in meiner Hand. Als jüngster in der Truppe bekam ich das Wort als letzter. Das Reden fiel mir schwer - wir alle wischten uns verstohlen die Tränen aus den Augen.

Die Vögel freuten sich über die plötzlichen Sonnenstrahlen, die sich den Weg durch die Wolken bahnten und im Hochflug belächelten sie unsere irdischen Probleme.

Die Wiege, der Sarg, dass Schachbrett und die Figuren sind alle aus hartem Holz.
Es war einmal ein James Robert Fischer…

Gellért fürdö 1993

Eine Telefonnummer hatte ich in der Tasche. Das Risiko wollte ich eingehen. Falls er nicht reden will und wird, mache ich mir zwei schöne Tage in Budapest, unterstützte ich gedanklich mein Vorhaben. Insgeheim hoffte ich jedoch auf die Hilfe von Janos Rigo, einem ungarischen IM, der angeblich den direkten Kontakt zu dem Ex-Champion hatte. Es hieß, dass er alle Behördengänge für Bobby erledigte. 

Der Nachtzug Prag/Budapest war brechend voll. Wo war die Zeit geblieben? In Vinkovci 1968 war ich sein Chauffeur gewesen und hatte ihn mit meinem Renault 8 durch die Gegend kutschiert.

Der Eiserne Vorhang war gefallen. Amerikaner waren wieder in Prag und Budapest willkommen. Es war Altweibersommer 1993. IM Janos Rigo war sehr hilfsbereit, erklärte mir aber in gebrochenem Deutsch, dass er zuerst Fischer fragen müsse. Sobald er eine Antwort habe, würde er sich bei mir im Hotel melden. Einige Stunde später: "Ja, Fischer ist einverstanden, Treffpunkt morgen um 15.00 Uhr im Gellért Bad." Glücklich über die Zusage, versuchte ich noch einen Scherz zu machen: "Gellért oder Geller Bad?"

Im Vorfeld hatte ich natürlich alle möglichen und unmöglichen Berichte über den entthronten Champion gelesen. Über seine psychischen Entgleisungen war ich sehr traurig. Meine Laune bewegte sich an diesem herrlichen Nachmittag auf der Wetterskala von melancholisch bis sentimental.

Der Preis für die Eintrittskarte in das Bad war lächerlich gering. Drinnen musste ich mich gleich meiner Kleider entledigen, bekam stattdessen ein kleines Feigenblatt aus Leinen. Jedenfalls war ich besser dran, als Adam im Paradies. Ein imposantes römisches Bad – die Badegäste ausschließlich Männer. Jeder zu jedem nett, fast zu nett, wenn Sie wissen, was ich meine. Ein junger Mann probierte sein Glück. "Suchen Sie vielleicht Gesellschaft?" Ich gab mir nicht die Mühe, ihm zu erklären, dass ich den Mann, den ich suchte, über 20 Jahre nicht gesehen hatte. Mit meinem Feigenblatt mitten in diesem Milieu fühlte ich mich sichtlich unwohl. "Az ízlés nem vitatott – Über Geschmack lässt sich nicht streiten!" Ich fand mein Versteck in der Ecke des Dampfbades. Die Nässe, die Feuchtigkeit, der Dampf, der Nebel erinnerten an Hitchcocks Psycho.

Mit sieben Minuten Verspätung, wie bei seinen Turnierpartien, wurde ich in meiner Ecke von ihm angesprochen: "Hello, Vlasty, how are you?" Ich hatte mir meinen Held ganz anders vorgestellt. Wo war seine athletische Traumfigur geblieben? Ein ca. 130 Kilo schwerer Mann mit langem, graudurchwachsenem Bart und einer lichten Stelle auf dem Kopf stand vor mir. Nur an seinen vergißmeinnicht blauen, sich sehr langsam bewegenden Augen erkannte ich ihn wieder. "Really glad to see you, Robert!"

Neues Spiel - Neues Glück

Das Taxi brachte mich in ein unbekanntes Budapester Villenviertel. Ich sollte an der mittleren Klingel ohne Namensschild läuten, was ich auch tat. Mein gestriger Companion öffnete die Tür persönlich und lief schnell zu seinem Telefon zurück. Ich hörte ihn englisch sprechen mit vielen ungarischen Wörtern dazwischen. "Don´t worry, everything is O.K.", waren seine letzten Worte. Nach der Begrüßung überreichte ich meinem Gastgeber die mitgebrachten Böhmischen Opladen. Meine Neugierde auf das gestern angesprochene neue Spiel von ihm war groß und ich hoffte, er würde sein Versprechen halten.

Ich zähle wohl mit zu den ersten, denen Bobby seine Erfindung zeigte – sein reformiertes Schachspiel! Auf der ersten Reihe des Schachbretts wurden die Figuren nach dem Zufallsprinzip aufgestellt – weiß und schwarz identisch. Die Bauern blieben, wie bei dem traditionellen Schachspiel auf der zweiten bzw. siebten Reihe unberührt. "Bei einigen Ausgangs-Stellungen hat Weiß allerdings den größeren Vorteil", meinte der Erfinder. Die Spielregeln blieben die gleichen wie in einer normalen Turnierpartie. Bei mir dauerte es eine Weile, bis ich die kleine und große Rochade in diesem neuen System begriffen hatte.

Der Autodidakt Bobby Fischer zielte mit seiner Alternative auf die Theorie und Vorbereitung, das war mir schnell klar. Für ihn stand das selbstständige Denken im Vordergrund. Ich war zu Anfang wenig begeistert und blieb ehrlich: "Unser traditionelles Schachspiel reicht mir und ist kompliziert genug." Ein amüsanter Nachmittag folgte und allmählich fand ich Vergnügen an dem neuen Spielzeug. In Mainz, etliche Jahre später, waren wir auf den Geschmack gekommen. Random Chess, Chess 960 oder Fischer Schach hatte inzwischen viele, viele Anhänger gefunden und wurde besonders von Non-Theoretikern "geliebt". In Mainz musste der König allerdings immer unbedingt zwischen beiden Türmen stehen. Der Grund dafür, die Computerübertragung.

Was wahrscheinlich aber nicht bekannt ist, ist, dass bei Fischers damaliger Einführung in Budapest die Könige eine beliebige Ausgangsstellung einnehmen konnten, ganz egal wo immer die Türme positioniert waren. Die Kombinationsmöglichkeiten vergrößerten sich dadurch fast astronomisch. Ich bin sicher, dass es Mathematiker gibt, die das ausrechnen können.

Ob sich der Erfinder mit der Mainzer-Variante abfinden würde, werde ich logischerweise nie erfahren. Auf meine vorsichtige Frage in Budapest: "Lieber Robert, hast Du Dir das neue Spiel patentieren lassen?", zückte der Angesprochene jedenfalls gleich ein elegantes Heftchen und machte sich eine Notiz. Hat er letztendlich agiert, oder nicht? Eine interessante Frage.

Wir spielten 10 minütige Partien und wie damals in der Blitznacht im Hotel Metropol,1970, war die Score eindeutig. "Its great Robert, but I still prefer normal chess." Der Ex-Weltmeister war nicht beleidigt, aber hungrig. "I invite you, Vlasty, we go to eat sushi." In Rovinj-Zagreb 1970 hatte ich in unserer Turnierpartie sein Remis-Angebot abgelehnt. Seine Einladung zum Essen nahm ich gerne an, denn sie ersparte mir weitere Niederlagen in der neuen Schachdisziplin. "Lets go, Robert."

Sushi

Selbstbewusst klingelte James Robert Fischer an der ihm bekannten Türe eines japanischen Luxusrestaurants. Der Chef persönlich, ein schick in rot gekleideter Japaner, öffnete die Türe und strahlte über das ganze Gesicht, als er die unangemeldeten Gäste erblickte. Bis zur offiziellen Eröffnung des Restaurants fehlte mindestens noch eine Stunde. Alle anderen Sushi-Liebhaber mussten warten, wir waren als VIP´s schon willkommen.

"The same procedure as every week, Mister Fischer?" Wenn es möglich gewesen wäre, hätte der Japaner noch nachträglich einen roten Teppich ausgerollt. Wir wurden in einen kleinen Salon geführt. Ein Kellner, speziell für uns, brachte ohne Unterlass ein Gericht nach dem anderen. Die Bedienung war mit einem Wort perfekt. Für mich war es das beste Sushi meines Lebens. Bobby hatte riesigen Hunger und verschlang die Köstlichkeiten wie ein Fass ohne Boden.

Wir tranken den japanischen Wein, Sake, in großen Mengen. Irgendwann stockte unser Gespräch – es trat eine Stille ein. Um seine antisemitischen Arien zu unterbrechen, stellte ich ihm eine Frage: "Robert, are you not afraid of Mossad?" Er dachte eine Weile nach: "Yes, I do, Vlasty."

Mein Schachfreund, Dr. Antony Saidy, hatte wohl recht: "His paranoia has worsened through the years, and he is more isolated than ever in an alien culture." (Brady, F.: Endgame, S. 274) "The edition, please." Mir kam es sehr gelegen, dass Bobby nun aufbrechen wollte, denn ich wollte den Nachtzug Budapest/Prag nicht verpassen. Nach diesen zwei intensiven Tagen brauchte ich unbedingt Tapetenwechsel und eine ganz normale Welt um mich herum.

Der Chef eilte strahlend zu uns. "Mister Fischer, the same procedure as every week?" "Yes, indeed", brummte Fischer. Der Betrag auf der Rechnung war sehr gering. "Please, Mister Fischer, today four signatures." Ich war so frech und zog schnell auch zwei Postkarten von Budapest aus der Tasche. War meine Vermutung richtig, dass das Super-Sushi mit Autogrammen von Fischer bezahlt wurde? Wortkarg kam uns der Ex-Champion beiden entgegen. 

Ich wurde von einem Mann mit Baseballmütze bis zu dem Zuge begleitet. Kurz vor Abfahrt tauschten wir noch unsere Telefonnummern aus.  Der Zug war wieder brechend voll. Es gab keinen Sitzplatz mehr und ich musste die ganze Nacht stehend verbringen. Trübe Gedanken verfolgten mich während die Räder auf den Gleisen nach Prag ratterten.

Mein Resümee – in Budapest habe ich einen psychisch kranken Mann angetroffen. Genialität und Wahnsinn waren, sind und werden wohl immer Nachbarn sein. Leider.
 
  


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