Galavorstellung von Zhu Chen in Tunis
Text und Fotos: Dagobert Kohlmeyer
Tunis war in den Tagen um Weihnachten Nabel der arabischen Schachwelt. Nach
dem Teamwettbewerb, über den wir vorige Woche schon berichteten, gingen am Dienstag
die Einzelmeisterschaften der Region zu Ende. Insgesamt gab es bei dem Festival
fünf Veranstaltungen: die Einzel- und Mannschaftsmeisterschaften, die Championats
im Schnell- und Blitzschach sowie eine Vorstandsitzung der arabischen Schachunion.
Schauplatz der Turniere mit Spielerinnen und Spielern aus 15 Nationen war ein
schönes Hotel am Mittelmeer, nur wenige Kilometer vom legendären Karthago entfernt.
Dort setzte das exotischste Ehepaar der Schachwelt die meisten Akzente: Zhu
Chen und Mohammed Al-Modiahki aus Katar. Zhu Chen siegte überlegen in allen
Damenturnieren, was keine Überraschung bedeutet. Von 2001 bis 2004 war die gebürtige
Chinesin Schachweltmeisterin. Nach ihrer Hochzeit mit Großmeister Mohamed Al-Modiahki
aus Doha verließ sie ihre Heimat und zog in das Scheichtum am Persischen Golf.
GM Mohamed Al-Modiakhi
Seit fünf Jahren spielt Zhu Chen für Katar - im Männerteam natürlich, so stark
ist sie. Der chinesische Schachverband war damals nicht sehr erfreut über den
Wechsel seiner besten Spielerin. Inzwischen aber hat sich das Verhältnis wieder
normalisiert.
Nach eigener Aussage lebt Zhu Chen gern in ihrer heutigen Welt.
Zhu Chen mit Weihnachtsmann
Sie geht nicht verschleiert wie die meisten Frauen in Katar, sondern kleidet
sich wie eine Frau aus dem Westen (siehe Interview). Zur Familie gehören inzwischen
zwei kleine Töchter. Gemeinsamer Trainer des Schach-Paares ist der russische
Großmeister Alexej Kusmin, ein früherer WM-Sekundant von Anatoli Karpow. Anfangs
musste er Al-Modiahki und dessen Kollegen neben den Schachlektionen erst einmal
Disziplin beibringen, zum Beispiel, dass sie bei Wettkämpfen pünktlich am Brett
saßen. Mittlerweile ist das nicht mehr nötig.
Was Zhu Chen angeht, so brachte sie den notwendigen Ehrgeiz und eine professionelle
Einstellung schon von zu Hause mit. Heute bedeutet Schach jedoch nicht mehr
alles für sie. "Familie und Kinder haben für mich einen höheren Stellenwert
als jeder Titelgewinn", sagt die Frau mit den Mandelaugen. Das hindert sie aber
nicht daran, neue Meriten zu sammeln. In Tunis gewann Zhu Chen die arabische
Frauen-Meisterschaft im Normalschach sowie im Schnell- und Blitzschach. Überall
mit voller Punktezahl. Ihr Gatte Mohammed holte in den drei Disziplinen zwei
Silber- und eine Bronzemedaille. Die beiden sind eben ein Schachpaar der Extraklasse.
"Schach ist nicht alles im Leben"
Interview mit Exweltmeisterin Zhu Chen
Zhu Chen
War dies Ihr erster Start in Tunesien?
Ja. Ich bin zum ersten Mal hier gewesen und war sehr neugierig auf das Land.
Ich lerne immer gern etwas Neues kennen.
Seit wann wohnen Sie in Katar?
Seit fast sechs Jahren. 2000 haben wir geheiratet und lebten mal dort oder in
China. Als ich mein erstes Kind bekam, bin ich nach Doha gezogen. 2004 habe
ich auch den Schachverband gewechselt.
Die chinesischen Verbands-Oberen waren sicher nicht erfreut darüber?
Am Anfang waren sie verstimmt, aber später hat sich das Verhältnis wieder normalisiert.
Ich spiele noch jedes Jahr in der chinesischen Schachliga. Und mit Hou Yifan
haben sie ja wieder ein Talent, das Weltmeisterin werden kann.
Wie empfinden Sie das Leben in Katar?
Es ist eine komplett andere Welt, in die ich nach meiner Hochzeit kam. In diesem
Land machte ich ganz neue Erfahrungen, was die Lebensweise betrifft. Ich empfinde
es als großen Vorteil, andere Kulturen kennenzulernen. Die meisten Menschen
machen nur eine bedeutende Erfahrung im Leben, ich habe schon zwei machen dürfen.
Gehen Sie verschleiert wie die meisten Frauen im Orient?
Nein, das tue ich nicht. Ich laufe ganz normal herum, so wie die Frauen in westlichen
Ländern.
Wollen Sie immer in Katar bleiben?
Mal sehen. Wir sind ja sehr oft in China. Jedes Jahr schicken wir unsere Töchter
für ein paar Monate dorthin. Unsere Älteste ist 5 Jahre, sie spricht Chinesisch,
Arabisch und etwas Englisch.
Verstehen Sie Arabisch?
Nur ein wenig, aber ich versuche es zu lernen. Bislang fehlte mir die Zeit dazu.
Das Schach und die Kinder nehmen mich voll in Anspruch. Darauf konzentriere
ich mich vor allem. Deshalb bleibt nicht so viel Zeit, Arabisch zu lernen.
Spricht Ihr Ehemann Chinesisch?
Ein paar Worte kann er natürlich. Er lernt mit, wenn ich mit meinen Töchtern
Chinesisch spreche. Und ich schnappe arabische Wörter auf, wenn er sich mit
den Kindern unterhält. Mohammed und ich reden Englisch miteinander.
Drei Jahre waren Sie Weltmeisterin. Wollen Sie nochmal angreifen und den
Titel zurück erobern?
Das ist nicht so einfach. Heute muss ich Familie und Schach unter einen Hut
bringen. Meine Töchter sind mir sehr wichtig, ihnen widme ich viel Aufmerksamkeit.
Den WM-Titel hatte ich schon, Kinder damals noch nicht. Alles hat seine Zeit,
die Karriere und die Familie. Ich nehme die Dinge, wie sie kommen. Denn Schach
ist nicht alles im Leben.
Wer gewinnt öfter, wenn Sie zu Hause Schach spielen?
Mein Ehemann natürlich, er hat schließlich über hundert ELO-Punkte mehr als
ich. Aber manchmal schlage ich ihn schon.
Das Ehepaar beim Schach
Sieger in der arabischen Einzelmeisterschaft der Herren wurde der ägyptische
Großmeister Essam El Gindy, der dem lange führenden Favoriten Al-Modiahki die
einzige Niederlage beibrachte und auf Rang 2 verwies.
Essam El Gindy mit Weiß
Essam El Gindy nimmt Schach ernst.
Der dritte Platz ging an den jungen Salem A.R. Saleh aus den Vereinigten Emiraten.
Der 16-Jährige ist schon Großmeister und nach den Worten seines Trainers Zurab
Sturua ein herausragendes Talent. Der georgische Coach lebt seit einem Vierteljahr
in Dubai und war wie auch Katar-Trainer Alexej Kusmin in Tunis dabei, um seine
Schützlinge zu betreuen.
Weihnachten in Tunis - Zurab Sturua und Alexej Kusmin
Der 50-jährige Sturua lobte Scheich Sulaiman Al Fahim, den Schachpräsidenten
der Emirate, der auch in Tunis vorbeischaute und zu einer Vorstandsitzung der
arabischen Schachunion weilte. "Er tut eine Menge zur Förderung unserer Sportart.
Zum Beispiel kaufte er den Schachklubs in den Emiraten Minibusse. Ich selbst
werde vom Schachverband der UAE bezahlt. Sie übernehmen auch die Miete für meine
Wohnung."
Schach ist nach Sturuas Ansicht eine Sportart, die große staatliche Unterstützung
erfordert. "Das war früher in der Sowjetunion so, und heute sehen wir das vor
allem in China. Deshalb haben sie dort so große Erfolge. Im Frauenschach schon
lange, aber auch die Männer kommen der Weltspitze immer näher."
Zurab Sturua
Die Zukunft des Schachs sieht Zurab Sturua vor allem im Internet: "Ob das gut
oder schlecht ist, weiß ich nicht. Es ist einfach ein Fakt. Ganz toll finde
ich es nicht, weil ich eine lebendige Schachszene vermisse. Zu meiner aktiven
Zeit waren die Spielsäle voll. Die Akteure saßen auf der Bühne, die Zuschauer
füllten das Parkett oder die Ränge. Diese Ära ist vorbei."
Die arabischen Länder bemühen sich, wie das Schachfestival in Tunis zeigte,
gezielt um die Förderung ihres Nachwuchses. Die Präsidentin des tunesischen
Schachverbandes, Dr. Feriel Beji, ist eine energische und sehr engagierte Frau.
Verbandspräsidentin Dr. Feriel Beji, Sulaiman Al Fahim
Besonders setzt sie sich für das Frauenschach im Lande ein. Ganz junge Mädchen
spielen bereits in der tunesischen Nationalmannschaft. Der Reporter hat zwei
von ihnen praktisch aufwachsen sehen. Im Jahre 2001 unternahmen Krifa Najla
als Neunjährige und Amani Mattoussi als 14-Jährige bei einem Turnier in Tunis
erste Schritte auf internationalem Parkett.
Najla Krifa 2001
Najla Krifa 2009
Amani Mattoussi 2001
Amani Mattoussi 2009
Heute spielen die beiden jungen Frauen in der tunesischen Nationalmannschaft.
Sie waren auch bei der Schacholympiade in Dresden. Die Förderung des Frauenschachs
in Tunesien ist eines der wichtigsten Anliegen von Dr. Feriel Beji. "Das noble
Spiel soll in unserem Land künftig noch mehr verbreitet werden", sagt die 45-jährige,
die im Hauptberuf eine renommierte Informatikwissenschaftlerin ist. Und Nationaltrainer
Slim Bouaziz, der erste Großmeister Afrikas ergänzt: "Die Turniere 2009 waren
sehr wichtig für unsere jungen Spielerinnen und Spieler. Bei dem Festival konnten
sie wertvolle Erfahrungen für ihre weitere Karriere sammeln." Der 59-jährige
Bouaziz verweist auf die großen Schachtraditionen Tunesiens. Bedeutendstes Ereignis
war das Interzonenturnier 1967 in Sousse, an dem Slim damals als 17-Jähriger
teilnahm.
Hier die Abschlusstabellen der einzelnen Wettbewerbe:
Nora Mohamed Saleh
Fatma Al Jelda
Asim Ali Elobeid, Sudan