Euro 2007
– der Weg ist das Ziel
Wieder zwei neue Titelträger
Von Dagobert Kohlmeyer
Die These „They
never come back“ behält auch nach dieser Europameisterschaft ihre Gültigkeit.
Beide Titelträger sind wiederum neu, mit Tatjana Kosinzewa und Wladislaw
Tkatchiev gewannen zwei, die ihr Handwerk in Russland bzw. der früheren
Sowjetunion erlernt haben.
Im
Damenturnier dominierte die neue Königin, im Herrenturnier gab es nach den elf
regulären Runden eine Massenankunft an der Spitze.

Jakovenko schlug Volokitin in der letzten Runde
Sieben
Spieler mit je 8,0 Punkten mussten darum in die Verlängerung und ermittelten den
Gewinner und die Platzierten im Stechen mit verkürzter Bedenkzeit.

Dmitry Jakowenko
Mit Glück
und Können entschied der Wahlfranzose Wladislaw Tkatchiev die letzte Hürde für
sich. Ihn hatten vorher nur wenige auf der Rechnung.

Die
Favoriten aus Russland und der Ukraine mussten zusehen, wie der Sonnyboy ihnen
die Trophäe quasi auf der Ziellinie wegschnappte. Emil Sutowski hätte nach 2001
in Dresden Doppeleuropameister werden können, aber scheiterte im Tiebreakfinale.
„Ich bin sehr glücklich über meinen Sieg, den ich nicht erwartet habe“, erklärte
Tkatchiev, der zuvor beim starken Schachturnier im sibirischen Poikowski keine
Bäume ausgerissen hatte. „Wahrscheinlich hat mir das den notwendigen Kick
gegeben.

Der
Europameistertitel ist der bisher größte Erfolg in meiner Karriere.“
Beste
Deutsche waren Jan Gustafsson aus Hamburg und Arkadij Naiditsch aus Dortmund mit
je 7,5 Punkten. Sie trafen in der Turniermitte aufeinander, und Jan servierte
seinem Kollegen mit Erfolg eine theoretische Tretmine.

Jan Gustafsson
Gustafsson
ist jetzt auch für den nächsten Weltcup der FIDE qualifiziert, Naiditsch hat das
schon im Vorjahr durch seinen 4. Rang bei der Schach-EM in der Türkei geschafft.
Ein
erfolgreiches Turnier spielten der 16-jährige Falko Bindrich aus Zittau, Georg
Meier (Eppingen) und René Stern (Berlin), die alle die Großmeisternorm
erfüllten.

Falko Bindrich

Georg Meier
Im
Frauenwettbewerb distanzierte Tatjana Kosinzewa mit 10 Punkten das Feld um ganze
zwei Zähler. Hinter der vorzeitigen Siegerin, die in Dresden 21 Jahre alt wurde,
gab es harte Positionskämpfe.

Tatiana Kosinsewa
Silber holte
Exweltmeisterin Antoaneta Stefanowa (Bulgarien), die Nadjeshda Kosinzewa mit 2:0
im Tiebreak bezwang. Die ältere der beiden Schwestern aus Archangelsk schmückte
sich mit Bronze, womit Russland erfolgreichste Nation bei dieser Euro wurde.

Ketino Kachiani-Gersinska
Bei den
deutschen Damen gab es Licht und Schatten. Während Ketino Kachiani-Gersinska mit
7,5 Punkten alle Erwartungen erfüllte und sich für die Schach-WM qualifizierte,
kam Elisabeth Pähtz nach Einschätzung von Bundestrainer Uwe Bönsch mit dem Druck
nicht zurecht und lief während des Turniers auch ihrer Form hinterher. 6,5
Punkte bedeuten eine klare Enttäuschung. „Sie hat in etlichen Partien das Risiko
übertrieben“, sagte Altmeister Wolfgang Uhlmann, der das Geschehen täglich im
Spielsaal beobachtete und die schönsten Damenpartien auszeichnete. Einmal
erhielten Elisabeth, einmal Ketino und einmal Andrea Havenstein den Preis.
In Dresden
war die ganze Schachfamilie Pähtz anwesend. Vater und Bruder Thomas spielten im
Herrn Open mit und wurden am Schlusstag bei der Familien-Euro Zweite.
Großartig
spielte die jüngste Teilnehmerin Filiz Osmanodja.

Die
elfjährige Schachelevin vom Dresdner Sportgymnasium wies gemessen an ihrem
Leistungsstand die beste Performance aller EM-Teilnehmer auf. Ältester war mit
75 Jahren Karlheinz Hesselbarth aus Berlin, Zeichen dafür, welche Spannbreite
Schach als Sportart bietet.

In anderen
Disziplinen ist es undenkbar, dass bei einer Meisterschaft zwischen Aktiven ein
Altersunterschied von fast 65 Jahren besteht.
Dresden
hatte mit der Euro 2007 eine gute Möglichkeit, sich für die Schacholympiade im
nächsten Jahr fit zu machen. Dann werden es mit etwa 1 600 Spielerinnen und
Spielern dreimal so viele Teilnehmer sein wie diesmal. Das stellt weitaus höhere
Anforderungen an alle Beteiligten. - Nach dem Turnier ist vor dem Turnier. Wo
noch Baustellen liegen, erläuterten Chairman Dirk Jordan und seine Mannschaft
auf der abschließenden Pressekonferenz. Reserven gibt es vor allem in der
Internetpräsenz und bei der Live-Übertragung der Partien, räumten sie ein. Alles
in allem aber war die Euro zweifellos ein großer Erfolg, der über Sachsen und
Deutschland hinaus auf unsere Sportart und auf die schöne Stadt Dresden
aufmerksam machte.
Zur Euro 2007 gab es keine Miss-Wahl. Meine
Favoritinnen wären diesmal auch keine Schachspielerinnen gewesen.


Die letzte Miss Euro in Dresden: Anna Sharevich
Ich hätte meine Stimme drei Frauen gegeben,
ohne die das Großereignis nicht so gut über die Bühne gegangen wäre. Es sind
Beatrix Wolf, Katja Breuer und Antje Jurke vom Organisationsbüro der
Schacholympiade.

Beatrix Wolf und Katja Breuer
Katja war einfach überall, kümmerte sich um
VIP-Gäste, Hotelunterbringung, Reisepläne etc. Beatrix war die Seele des
Orgbüros und immer ansprechbar. Sie sorgte u. a. auch dafür, dass ein gewisser
Schachjournalist nicht verhungerte oder verdurstete.

Praktikantin Antje, das Euro-Plakat-Girl, ist
mit vielen Talenten gesegnet. Ein Juwel, das man in Dresden ganz festhalten
sollte.

Antje Jurke
Aber das wissen Dirk Jordan und Jörn Verleger
sicher besser als ich.
„Ich
spiele, wie es die Stellung erfordert“
Interview mit Europas Schachkönigin Tatjana Kosinzewa
Von Dagobert Kohlmeyer
Die
russische Großmeisterin Tatjana Kosinzewa war bei dieser Schach-EM eine Klasse
für sich. Mit 10 Punkten aus elf Partien gelang ihr ein sensationelles Ergebnis.
Nachdem sich ihr Traum vom Europameisterinnentitel vorzeitig erfüllt hatte,
fragten wir die 21-jährige Jurastudentin nach dem Geheimnis ihres Erfolges.

Was empfinden Sie nach dieser Glanzleistung mehr: Freude oder
Müdigkeit?
Es dominiert
die Freude über den Titel. Was ich geschafft habe, realisiere ich wohl erst in
einigen Tagen.
Warum waren Sie bei dieser EM nicht zu schlagen?
Ich
versuchte so zu spielen, wie es die Stellung erfordert und habe meinen
Gegnerinnen nur wenige Angriffsmöglichkeiten geboten.
Welche Partie war Ihre schwierigste in Dresden?
Die Duelle
in der ersten und achten Runde, wo ich komplizierte Situationen mit Glück und
Geschick retten konnte.
Und Ihr bestes Spiel?
Besonders
zufrieden bin ich mit meiner Partie gegen Elina Danielan aus Armenien.
Obwohl sie schon vorzeitig Europameisterin waren, haben Sie in
der letzten Runde voll auf Sieg gespielt.
Ich tat es
für meine Schwester. So hatte sie im Kampf um die Medaillen eine Konkurrentin
weniger.
Wie erklären Sie Ihren Leistungssprung in den letzten Jahren?

Nachdem
Garri Kasparow seine Karriere beendet hat, fragten wir dessen Trainer Juri
Dochojan, ob er uns nicht betreuen möchte. Er hat zugesagt, und seitdem
verbesserte sich unser Spiel.
Wo trainieren Sie?
An
verschiedenen Orten. Manchmal kommt Juri zu uns nach Archangelsk, oder wir
fahren zu ihm nach Moskau. Vor Schacholympiaden und Weltmeisterschaften gibt es
Trainingslager, die der russische Verband finanziert.
Ihre nächsten Pläne?
Nach einer
kurzen Erholungspause folgt die Mannschafts-WM der Frauen, die im Mai erstmalig
in Jekaterinenburg ausgetragen wird. Vorher trainieren wir in Sotschi.

Garri Kasparow ist bei einer Anti-Putin-Demonstration in Moskau
verhaftet worden. Was sagen Sie dazu?
Mein Vater,
meine Schwester und ich waren schockiert über diese Nachricht. Zum Glück ist
Kasparow wieder frei. Ich akzeptiere, dass er in die Politik gegangen ist, denn
im Schach hat er alles erreicht.
Was taten Sie hier bei der Euro in Ihrer Freizeit?
Wir sind
viel in der Stadt unterwegs gewesen, haben die Frauenkirche und andere
Sehenswürdigkeiten besichtigt sowie einige Sachen gekauft.
Wird Dresden im kommenden Jahr eine gute Olympiade ausrichten?
Ich denke,
dass diese schöne Stadt ein sehr guter Ort für das Turnier der Nationen ist.
Nach zweimal Silber und einmal Bronze bei Schacholympiaden würde ich hier mit
dem russischen Damenteam gern Gold holen.
Fotoimpressionen aus Dresden:

Claudia Eckhardt und Anna Sharewitsch