03.02.2015 – Ein erfreulich breites Echo fand unser Aufruf "Rezensenten gesucht!" vor knapp zehn Tagen. Eine Vielzahl von Lesern, vom Internationalen Meister bis zum fortgeschrittenen Anfänger, schickten uns ihre Rezensionsanfragen. Erfreulich auch die Bandbreite der Wünsche. Inzwischen sind die ersten Besprechungen eingetroffen. Eine Auswahl...
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Rustam Kasimdzhanov: The new McCutcheon
Rezension von Mark Arenhövel
Repertoirebücher und Eröffnungs-DVDs erfreuen sich zunehmend großer Beliebtheit. Für den ambitionierten Amateur haben sie den Vorteil, dass die zeitraubende selbständige Suche nach den spielbarsten aktuellen Abspielen entfällt, doch bergen sie auch die Gefahr, dass die empfohlenen Systeme nicht zum eigenen Stil passen oder zu Stellungen führen, die man nicht versteht. Vergleicht man nun verschiedene Repertoirebücher oder Eröffnungs-DVDs, so trennt sich genau an diesem Punkt die Spreu vom Weizen: Manche Autoren schlagen schlicht und einfach ihre Lieblingsvarianten vor, oder sie belegen – schlimmer noch – ihre Auswahl mit Enginebewertungen. Andere Autoren erläutern die Varianten und die sich daraus ergebenden Stellungstypen eingehend und tragen hierdurch auch zum besseren Verständnis von Plänen, Mittelspielpositionen und Endspielen bei. Um es gleich zu Beginn dieser Rezension zu sagen: Rustam Kasimdzhanov gehört eindeutig zur zweiten Kategorie, seine neue Eröffnungs-DVD ist sogar für Spieler lehrreich, die Französisch eher selten spielen, da seine Ausführungen allgemein sehr lehrreich sind.
Einleitungsvideo ansehen
Kazimdzhanov, Ex-Fideweltmeister und Weltklassegroßmeister mit einem aktuellen Rating von 2705, widmet sich in seiner neuen Eröffnungs-DVD der McCutcheon Variante , die nach den Zügen 1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.Lg5 Lb4 entsteht. Im ersten Video erwähnt der Autor, dass die Variante den Namen nach einem spielstarken Amateur erhielt, der 1885 in einer Simultanpartie den damaligen Weltmeister Steinitz in der Stammpartie der Variante schlug. Die DVD ist als Repertoire für Schwarz gedacht, was jedoch nicht heißt, dass es hier nicht auch Interessantes für Weiß als Waffe gegen den schwarzen Aufbau zu finden gäbe.
Nach zwei eher ungefährlichen Nebenabspielen (1.e4 e6 2.d4 d5 3.Sc3 Sf6 4.Lg5 Lb4 5.ed5: ed5 und 5.e5 h6 6.ef6: hg5: 7.fg7: Tg8) gelangen wir zu den kritischeren Hauptvarianten, wenn Weiß den angegriffenen Laufer nach 5.e5 h6 zurückzieht. Kazimdzhanov behandelt ausführlich alle gespielten Rückzüge des Läufers, also 6.Lh4, 6.Ld2, 6.Lc1 und 6.Le3, wobei nicht immer nur die „besten“ Abspiele gezeigt werden, sondern auch schwächere Fortsetzungen nachvollziehbar widerlegt werden.
Ausgangspunkt der kritischen Abspiele der McCutcheon-Variante
Die 6.Lh4 Variante, die von Kazimdzhanov zuerst behandelt wird, ist auch von Interesse für die Einschätzung einer Variante, die sich aus dem Veresov-System ergeben kann. Solche Übergänge zwischen verschiedenen Eröffnungen sind in der modernen Eröffnungstheorie nichts ungewöhnliches, aber der Schwarzspieler sollte schon dafür gewappnet sein, dass er nach 1) d4 Sf6 2)Sc3 d5 3) Lg5 h6 4) Lh4 - 4) Lf6: ist die wohl aussichtsreichere Hauptvariante – 4.…e6 5.e4 Lb4 6.e5 g5 7.Lg3 Se4 genau in der Stellung landet, die Kazimdzhanov analysiert. Interessant ist, dass Larry Kaufman in seinem Repertoirebuch The Kaufman Repertoire for Black and White diese Stellung als ausgeglichen beurteilt, seine Analyse jedoch hier abbricht und auch nicht belegt. Kazimdzhanov zeigt in drei ausführlichen Videoclips, dass der Weg zum Ausgleich hier zwar möglich ist, dass aber Schwarz doch genau spielen muss und den Weißen Versuchen, mit späterem h4 die h-Linie zu öffnen und auszunützen, ein konsequentes Spiel mit c5 beginnend entgegensetzen muss, will er tatsächlich Ausgleich erlangen.
Die Art und Weise, wie Kazimdzhanov hier die Pläne für beide Seiten erläutert, ist ausgesprochen instruktiv und seine Idee, die von Weiß geöffnete h-Linie später durch Schwarz selbst zu besetzen, um dem weißen König im Zentrum zu Leibe zu rücken, ist für die ganze Variante ausgesprochen wichtig, aber auch als Mittelspielmotiv mehr als lehrreich. Dabei folgt der Autor nicht nur Beispielpartien, sondern zeigt eigene Analysen, so dass der Schwarzspieler, der seinen Ausführungen aufmerksam folgt, mehr als gut gewappnet sein wird, um in dieser Variante zu bestehen.
Der zweite von Kasimdzhanov behandelte Läuferrückzug, 6.Ld2, bildete lange die Hauptvariante und war besonders populär in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts. Dieses Abspiel wird in gleicher Sorgfältigkeit behandelt wie die Variante zuvor. Nach 6… Lc3: 7.bc3: Se4 8.Dg4 votiert Kazim für 8…Kf8, eine Fortsetzung, die schon von Capablanca gespielt wurde und mit 8 …g6 eine spielbare Alternative hat. Alle sinnvollen Fortsetzungen für Weiß an dieser Stelle (9.Df4; Ld3; Lc1 und Le3) werden behandelt und immer wird ein Weg zu einer spielbaren, gehaltvollen Stellung gewiesen. Wie schon vorher gilt auch hier: Das Auswendiglernen der Zugfolge wird kaum den Erfolg bringen, vielmehr muss versucht werden, mit der Hilfe von Kazimdzhanov die Stellungen zu verstehen und in der praktischen Partie die eigene Spielweise den Plänen des Gegner anzupassen.
Der dritte Läuferrückzug, 6.Lc1 mutet vielleicht etwas bizarr an. Er wurde vom Autor der DVD selbst vor kurzem mit gutem Erfolg bei der Olympiade in Tromso gespielt und führt zu anderen Stellungen als 6.Ld2, weil hier nach dem logischen 6…Se4 7.Dg4 der Zug Kf8 wegen der Anwesenheit des Lc1 für Schwarz problematisch sein könnte. Deshalb spielt Kazimdzhanov hier 7 …g6 und diskutiert verständlich den Unterschied zwischen beiden Varianten.
Die folgende ungewöhnliche, aber für die Variante typische Stellung wird von Kazimdzhanov eingehend analysiert und wer den Videos aufmerksam folgt, wird in eigenen Partien selbst auf höheren Ebenen sehr gut vorbereitet sein.
Wichtiges Abspiel in der 6) Lc1 Variante
Den größten Raum schließlich nimmt der letzte verbliebene Läuferzug ein - 6.Le3 – der zu besonders verwickelten Stellungen führt. Zunächst wird nach der logischen Zugfolge 6…Se4 7.Dg4 Kf8 analysiert, was auch schon viel gespielt wurde, doch Kasimdzhanov plädiert hier wieder für 7…g6, was nach 21 Zügen zu dieser ultrascharfen Stellung führt,
die nach Kazimdzhanov im dynamischen Gleichgewicht ist. Wer jedoch vor solchen Verwicklungen zurückschreckt, dem wird eine andere Zugfolge als Alternative angeboten, die in einem gut spielbaren, vielleicht sogar leicht vorteilhaften Endspiel endet.
Am Schluss der DVD finden sich noch 12 Teststellungen, in denen das Gedächtnis gefordert ist. Kazimdzhanov präsentiert hier Stellungen, die zuvor besprochen wurden und fragt nach dem richtigen Konzept für Schwarz oder nach den richtigen Zügen. Wie sinnvoll eine solche Abfrage am Ende einer DVD ist, darüber ließe sich wahrscheinlich streiten, zumal die Lösungen meistens in einem Zug bestehen, doch ändert diese Lerneinheit in keiner Weise den Gesamteindruck dieser mehr als gelungenen Eröffnungs-DVD. Kazimdzhanov behandelt alle relevanten Abspiele dieser interessanten Variante in mehr als ausreichender Tiefe und erklärt die taktischen und strategischen Feinheiten nachvollziehbar in gut verständlichem, flüssigem Englisch. Für schachhistorisch Interessierte präsentiert er als „Zugabe“ die Stammpartie, eben jene Simultanpartie zwischen Steinitz und John McCutcheon, die der Amateur gewann, wie auch die berühmte Verlustpartie Fischers gegen Petrosian in Curacao 1962. Zusammenfassend würde ich deshalb sagen, dass jeder, der sich eingehend mit dieser Eröffnungs-DVD auseinandersetzt und auch das zusätzliche Material in der Datenbank studiert, in hohem Maße von der Tiefe der Analyse und der gelungenen Präsentation durch Kasimdzhanov profitieren wird.
Fait: Wüsste ich, dass mein Gegner die McCutcheon Variante wählt, ich würde nur noch Französisch spielen!
Erinnern Sie sich noch an Turnierpartien, die man nach fünf Stunden Spielzeit abbrechen konn¬te? Mechanische Uhren mit Fallblättchen? Dramatische Zeitnotschlachten? Hängepartien? Versiegelte Abgabezüge? Analysen ohne Computerhilfe? Wiederaufnahme von Partien und deren erneute Vertagung?
Yasser Seirawan, Juniorenweltmeister und zweifacher WM-Kandidat ist ein Kind dieser Zeit. Mit seiner Auswahl bester Partien zeichnet der Autor seinen Werdegang vom Anfänger bis zum Großmeistertitel nach und gibt dabei auf höchst unterhaltsame Weise Einblick in seine Gedankenwelt. Bitte betrachten Sie folgendes Diagramm!
Weinstein-Seirawan (Quebec Open 1977) Hängestellung nach dem 61. Zug von Weiß
Wer sich bereits mit etwas Endspieltheorie beschäftigt hat, erkennt die Probleme, die der jugendliche Seira¬wan hier verstehen und überwinden musste. Die ungleichfarbigen Läufer erschweren die Ver¬wer-tung des Mehrbauern ganz erheblich. Zudem kann Schwarz das wichtige schwarze Um¬wand¬lungs¬¬feld a1 mit seinem weißfeldrigen Läufer nicht kontrollieren.
Das Gewinnmanöver ist wahrlich ein Leckerbissen. Ihr Rechner wird es garantiert nicht finden und sich auch mit Weiß nicht richtig zur Wehr setzen. Nachdem Sie dem Vortrag des Meisters aufmerksam zugehört haben, können sie die Stellung sogleich gegen ihre Engine zum Sieg führen, aber auch die weiße Stellung erfolgreich verteidigen, wenn Sie den Computer seinen falschen Zug ausführen lassen. Probieren Sie es aus! Schauen Sie sich danach auch das Ende der berühmten 5. Partie aus dem Welt-meisterschaftskampf von 1978 an! Ob Kortschnoi seinen Gegner ins Remis hätte entwischen lassen, wenn Seirawan schon damals sein Sekundant gewesen wäre…?
Darf es ein weiteres Beispiel sein?
Karpov-Seirawan (Mar del Plata 1982) Stellung nach 21.) … Ta8-c8
Lassen Sie sich vom Großmeister persönlich erklären, warum Schwarz hier eine totale ge¬won¬nene Stellung verwaltet und wie man sie zwingend in den Partiegewinn abwickelt! Ziehen Sie danach Ihre Engine gnadenlos über den Tisch!
Seirawans Sammlung enthält 22 sehr ausführlich von ihm selbst kommentierte Partien aus dem Zeit-raum von 1975 bis 1982. Zu jeder Partie gibt es einen eigenen Video-Stream. Der Autor höchst selbst erläutert die näheren Umstände der Partie, führt alle Züge der Partie aus der Grundstellung heraus vor und konzentriert sich bei seinen Anmerkungen auf die Schlüsselstellungen. Zur besseren Ver¬anschau-lichung von Manövern und Motiven setzt er auf dem Vorführbrett zahlreiche Pfeile in verschiedenen Farben ein.
Zehn Partien beginnt Seirawan mit den weißen Steinen, landet nach fast ausschließlichem 1.c2-c4 überwiegend in englischen Stellungsbildern, mit Schwarz bringt er seine Lieblingsverteidigungen (viermal Caro-Kann, zweimal Französisch und zweimal Pirc) gegen 1.e2-e4 zur Anwendung. Seine Gegner, darunter so prominente Namen wie Karpov, Tal, Kortschnoi, Timman und Larsen, besitzen mehrheitlich eine zum Teil deutlich höhere Elo-Zahl als er selbst, die Partien erstrecken sich dabei häufig bis zur Zeit-kontrolle bzw. danach. Die Gesamtlänge aller Video-Sequenzen beträgt über 5 Stunden. Seirawan verwendet bei seinen gesprochenen wie geschriebenen Kommentaren durchweg die englische Sprache, die Aufnahmequalität der Tonspur dabei ist sehr hoch. Gelegentlich schaut er in sein neben ihm liegendes Manuskript, ansonsten hält er seine Vorträge frei und sehr fließend.
Mein persönlicher Eindruck:
Wer schon einmal einer Live-Übertragung, etwa aus St. Louis oder Wijk aan Zee, beigewohnt und Großmeister Seirawan bei seinen Kommentaren zugesehen und zugehört hat, dem sind seine höfliche und zuvorkommende Art genauso vertraut, wie die Begeisterung, mit der er sich auf die Analyse fremder Partien stürzt. Über seine schachlichen Qualitäten gibt es nicht den leisesten Zweifel und auch wenn er bei seinen Ausführungen sehr gerne scherzt und lacht, tut dies der Ernsthaftigkeit und Tiefe seiner Einschätzungen keinerlei Abbruch. Natürlich kommt der Nutzer ohne Englischkenntnisse schwer aus, aber wenn in die Schachkenntnisse in deutschen Schulen etwas weiter verbreitet wären, könnte man die Lektionen auch ohne weiteres im Fremdsprachenunterricht einsetzen.
Wer die Partien für seine schachliche Entwicklung nutzen möchte, dem ist mit dem bloßen Zuschauen natürlich nicht viel geholfen. Meine Empfehlung: Lassen Sie sich zunächst die Besonderheiten einer Partie vorführen und spielen Sie sie dann mit Ihrem Vorwissen Zug für Zug am Brett nach! Blenden Sie die Engine-Bewertungen aus, lesen Sie den Begleittext und das in nicht zu schnellem Tempo! Gönnen Sie sich zum Abschluss Ihrer Trainingssitzung noch einmal die Vorführung der Partie mit Ihren eigenen Eindrücken im Hinterkopf! Und analysieren Sie nicht mehr als eine Partie pro Tag!
Fazit: Das Partienmaterial bietet dem fortgeschrittenen Vereinsspieler jede Menge Lehrreiches und ist seinen Preis wert!
Das Motto des polnischen Grossmeisters Michal Krasenkow heisst: „No day without tactical exercises”. Seine DVD „Taktikturbo Grünfeld“ umfasst insgesamt 69 Grünfeldindisch typische Taktikaufgaben, welche nach Schwierigkeitsgrad geordnet sind.
Jeder Aufgabe ist ein kurzes, ca. 10 Sekunden dauerndes Einleitungsvideo vorgeschaltet mit Informationen zur Partie und den Spielern sowie der eigentlichen Aufgabenstellung. Danach wird der Nutzer aufgefordert den ersten Zug der Lösung einzugeben. Abhängig von der Antwort erhält man dann vom Autor die Auflösung, ob der Zug die stärkste Fortsetzung war oder nicht. Bei gewissen naheliegenden, aber falschen Lösungen gibt Krasenkow zusätzlich die Widerlegung an, ansonsten erscheint eine Meldung, dass die Eingabe nicht korrekt war und man erneut einen Zug vorschlagen kann. Bei Eingabe des korrekten Zuges folgt ein ausführlicher Lösungsteil, in welchem Krasenkow das taktische Motiv erläutert. Er geht dabei recht zügig und ohne Umschweife durch die Varianten, sodass ein gewisses Schachgrundverständnis vorhanden sein sollte (DWZ ab ca. 1800). Englisch ist zwar nicht seine Muttersprache und er verhaspelt sich auch in einigen Videos, nichtdestotrotz hat er eine sehr angenehme Stimme mit einem väterlichen Unterton.
Es ist also keine Lern-DVD, wo man nur passiv konsumiert, sondern quasi eine interaktiver Taktiktrainer. Die Auswahl der Aufgaben ist gelungen und deckt in der Tat viele Motive der Grünfeldindischen Verteidigung ab, auch wenn man bei einigen Stellungen den Ursprung der Grünfelderöffnung nur erahnen kann und sicher nicht von einem typischen Motiv sprechen kann (z.B. Aufgabe 11: Brynell,S – Braun,A). Kleines Manko ist meines Erachtens zudem, dass die taktischen Motive und Aufgaben nicht noch zusätzlich nach ECO-Codes und Eröffnungsvarianten gegliedert werden, was der Orientierung sicher dienlich wäre.
Insgesamt aber eine empfehlenswerte DVD, welche sich dank der Zusatzaufgaben auch gut für Schachtrainer eignet. Zielgruppe sind meines Erachtens Spieler mit einer DWZ ab ca. 1800 aufwärts.
ChessBaseDie ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.
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