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Vor 20 Jahren: Kramnik - Deep Fritz in Bahrain
Vor genau 20 Jahren schaute die Schachwelt in ein kleines Land am Persischen Golf, um eines der spannendsten Kapitel des Kampfes zwischen Mensch und Maschine zu verfolgen. Dort fand ab dem 4. Oktober 2002 im Golfstaat Bahrain das Match des amtierenden Weltmeisters Wladimir Kramnik mit dem Schachprogramm „Deep Fritz“ statt. Es sorgte für ein weltweites Echo. Warum ausgerechnet dieses winzige Eiland am Golf mit einer kleineren Fläche als Berlin der Austragungsort war, möchte ich hier nochmal erzählen.
Große Moschee in Manama
Schach hat Tradition in der arabischen Welt, das wissen wir. In der Hoch-Zeit der islamischen Kultur genoss das Spiel große Popularität. Die Araber waren die Ersten, die es systematisch studierten und dann nach Europa brachten. Doch Tradition allein reicht nicht. Ohne eine Million US-Dollar Preisgeld von Bahrains König wäre aus dem Duell zwischen Wladimir Kramnik und dem Computer nichts geworden.
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Das Match mit dem Titel „Brains in Bahrain“ hing ohnehin lange am seidenen Faden. Es wurde nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 zweimal verschoben. Die Bahrainer haben ihre Verpflichtungen gegenüber den Vereinigten Staaten. Im Osten der Insel liegt das Hauptquartier der 5.US-Flotte, nebenan in Katar ein großer Luftwaffenstützpunkt. Auch in Kuwait lauerten zigtausende amerikanische Soldaten; bereit, gegen Irak loszuschlagen. (Der Krieg begann dann unter einem falschen Vorwand am 20. März 2003.) Eine delikate Situation für den kleinen Golfstaat Bahrain, dessen Bevölkerungsmehrheit aus streng gläubigen Schiiten besteht. Die Macht im Lande besitzen jedoch die Sunniten mit dem König an der Spitze. Monarch und Erbprinz sind im Bild der Hauptstadt Manama allgegenwärtig. Das Herrscherhaus regiert mit harter Hand, eine echte Opposition wird nicht geduldet. Besonders eng ist das Verhältnis zum mächtigen Nachbarn Saudi- Arabien, mit dem Bahrain durch einen Damm verbunden ist. Von dort kommen die meisten Touristen. Auch zu Kuwait und Abu Dhabi gibt es freundschaftliche Verbindungen. Soweit zum politischen Background des Ereignisses.
Im Oktober 2002 wurde Kramniks Kampf gegen das Schachprogramm nun Realität. Nicht nur im Königreich fieberte man dem ungewöhnlichen Duell mit Spannung entgegen, Die internationale Schachszene schaute gebannt zu. Das Medienecho war global und ähnlich groß wie 1997 bei Kasparow gegen Deep Blue. Von der „New York Times“, der „Washington Post“, der Londoner „Times“ über den „Spiegel“, „El Pais“ in Spanien bis zu den Gazetten in Asien reichte die weltweite Palette. Nicht wenige deutsche Blätter hoben Kramnik und Fritz auf ihre Titelseite. Fernsehsender wie CNN, die BBC, die ARD oder das ZDF reflektierten das Match. Als dpa-Korrespondent durfte ich mit täglichen Berichten vom Ort des Geschehens ebenfalls zur Presseresonanz beitragen. Es gab vielstündige Übertragungen des Veranstalters Einstein TV, und auch das übrige Netz war voll von Live-Übertragungen. Hierzulande boten ChessBase, der „Spiegel“ und die „Thüringer Allgemeine“ diesen Service. Viele andere Schach-Anbieter hatten Links auf ihren Homepages eingerichtet, wo sich die Fangemeinde einklicken konnte. „Brains in Bahrain“ wurde in den elektronischen und Printmedien d a s Sportereignis, was es versprach.
Meine Erinnerungen an die Reise, die wie ein Märchen aus tausend und einer Nacht anmutete, sind auch nach zwei Jahrzehnten noch immer lebendig. Das liegt ganz sicher am magischen Flair des kleinen Landes. Sein Charme besteht darin, dass es dort eben nicht so protzig und künstlich wie in Dubai oder Katar ist.
Blick aus dem Hotel
Vor dem Abflug besuchte ich den damaligen Botschafter Bahrains in Deutschland, Adel Sater, um Informationen über Land und Leute aus erster Hand zu erhalten. Er sagte: „Beliebteste Sportdisziplin bei uns ist Fußball. Danach rangieren Volleyball, Basketball, Hockey und Tennis. Pferderennen haben in Bahrain eine lange Tradition. Jetzt aber wird die ganze Welt auf das Duell ‚Mensch gegen Maschine’ schauen.“ Der Diplomat verwies auf den Schachverband des Eilands, der regelmäßig an Olympiaden teilnimmt. Es gibt in Bahrain viele prominente Anhänger des königlichen Spiels. Der Ex-Minister Yousif Al Shirawi hatte das Match zwischen Kramnik und dem Computer in Manama mit organisiert. Täglich war der damals 75-Jährige unter den Zuschauern zu finden.
Yousuf Al Shirawi
Die Sport-Ambitionen des ehrgeizigen Golfstaates gingen in der Folge noch viel weiter: „Wir bauen eine moderne Auto-Piste. Im Jahre 2004 kann das erste Formel-1-Rennen in Bahrain stattfinden“, erzählte mir der Botschafter damals. Erstaunlich, denn es war eine Premiere für den gesamten Nahen Osten und hat inzwischen 19mal stattgefunden.
Das Schachspektakel hieß „Brains in Bahrain“, von der Einstein Group aus England vermarktet. Dieses Unternehmen hatte zuvor von Braingames die Rechte an Kramniks schachlichen Aktivitäten, inklusive WM-Kämpfe bis 2005, erworben. Das alles ist Geschichte, die dann in der Folge etwas anders verlief.
Begeben wir uns nun noch einmal auf den interessanten Weg in das kleine Reich im Mittleren Osten, dessen König Hamad bin Isa Al Khalifa bereit war, eine Million US-Dollar Preisgeld für das Schachspektakel auszuloben. Auf dem Weg nach Bahrain treffe ich in London-Heathrow Frederic Friedel von ChessBase, GM Raymond Keene, IM Malcolm Pein und noch einige andere Engländer. Sie sind in unterschiedlicher Mission unterwegs: als Teammitglied, Schachjournalist oder Berater. Die Anstrengungen des Nachtfluges werden durch den ausgezeichneten Service von Gulf Air sehr viel erträglicher. Nach sieben Stunden landen wir wohlbehalten in Bahrains Hauptstadt Manama. Am Flughafen berappen wir jeder 15 Dollar für das Einreisvisum und begeben uns ins Gulf Hotel. Viel Zeit bleibt nicht, sich zu akklimatisieren, am Nachmittag des 2. Oktober ist die Eröffnungszeremonie.
Wir machen uns rechtzeitig auf den Weg zur großen Feier. Sie wird im „Royal Meridian“, dem nobelsten Hotel der Stadt, ausgerichtet. Der König selbst ist verhindert, er empfängt an diesem Tag hohe Staatsgäste. Aber Kronprinz Salman verleiht der Eröffnung den entsprechenden Glanz. Einige hundert festlich gekleidete Gäste nehmen im wunderschönen Garten neben dem Hotel Platz. Uns Europäern machen die 40 Grad im Schatten sehr zu schaffen, aber die Zeremonie ist es wert. Als der Kronprinz erscheint, erheben sich alle von ihren Plätzen. Die Nationalhymne Bahrains erklingt. Danach tritt ein Kinderballett auf. In Schachkostümen tanzen die Mädchen und Jungen zu modernen Klängen auf einem riesigen Brett, direkt vor den Augen seiner Hoheit.
Vor dem Auftritt
Schachballett
Es folgen drei Reden. Scheich Mohammed, der zur königlichen Familie gehört und Chef des Organisationskomitees für das Match ist, drückt die Freude seines Landes aus, ein solches Schachereignis auszurichten. Er verweist nicht ohne Stolz auf andere ehrgeizige Sportvorhaben Bahrains. Sie bauen tatsächlich eine moderne Autopiste und wollen 2004 das erste Formel-1-Rennen im Nahen Osten veranstalten.
Wladimir Kramnik tritt nach ihm ans Mikrofon und zeigt sich angetan vom Zauber der Stadt Manama. Der Weltmeister dankt dem Königshaus für die Einladung zu diesem Match. Er zitiert den früheren Weltmeister Max Euwe, der den Satz vom intelligenten Spiel aus einem intelligenten Land für die intelligente Menschheit geprägt hatte. Dortmund und Wladimirs anwesender Betreuer Carsten Hensel lassen aus diesen Worten grüßen.
Frederic Friedel, der für das Fritz-Team spricht, verweist auf die Leistungen der Araber in Mathematik und Algebra sowie auf die Tatsache, dass das Schachspiel vor mehr als tausend Jahren über den Mittleren Osten nach Europa kam. Der Hamburger dankt dem Königshaus ebenfalls für die Ausrichtung des spektakulären Ereignisses.
Auslosung mit dem Falken
Dann kommt der Höhepunkt, die Farbauslosung durch den Kronprinzen. Salman bin Hamad Al Khalifa lässt zwei Falken aus seiner einzigartigen Zucht auf die Bühne schweben. Die edlen Tiere sollen die Farben für die erste Partie bestimmen. Weil der Kramnik zugedachte dunkle Falke als erster erscheint, führt der Russe im Auftaktspiel die schwarzen Steine. Der helle Falke für das Computerteam beschert „Fritz“ den Vorteil der weißen Figuren. Der Prinz spricht noch eine Weile mit den Protagonisten auf der Bühne. Beim Fotografieren höre ich, wie er Kramnik und Friedel in seine Residenz einlädt. „Irgendwann einmal am Abend, wenn Sie Zeit haben", sagt er.
Beide Teams denken aber jetzt erst einmal an das Match. Bei dem Acht-Partien-Duell geht es nicht nur um die Million US-Dollar Preisgeld, sondern um sehr viel Prestige. Die Kardinalfrage lautet, ob der Mensch in der Lage ist, dem hochgerüsteten Computer noch einmal Paroli zu bieten. Der mit acht Prozessoren bestückte Rechner, auf dem Deep Fritz läuft, schafft 3,5 Millionen Operationen pro Sekunde. Dagegen kann Kramnik nur seine Intuition und schachliche Kreativität setzen. Fünf Jahre zuvor war dessen Landsmann und Vorgänger Garri Kasparow am legendären „Deep Blue“ gescheitert, weil er im letzten Spiel die Nerven verlor und eine verhältnismäßig einfache Antwort des IBM-Monsters übersah.
Pressekonferenz
Kramnik wird von den Experten als psychisch stabiler angesehen. Dennoch zeigt der Russe sich bei der Pressekonferenz vor dem Auftaktspiel nur verhalten optimistisch. „Ich habe mich gewissenhaft vorbereitet, aber viel Respekt vor der Rechenpower meines Gegners.“ Computer-Guru Friedel betont, sein Team habe immer von diesem Kampf gegen den amtierenden Weltmeister im klassischen Schach geträumt. „Wir wären hochzufrieden, wenn der Kampf 4:4 endet.“
Die 1.Partie
Am Freitag, dem 4. Oktober 2002, 15 Uhr Ortszeit, beginnt im Mind Sports Center von Bahrains Hauptstadt Manama das ungleiche Duell. Kramnik und der Fritz-Operator Matthias Feist sitzen in einem sehr kleinen Raum in der 1. Etage, um nicht gestört zu werden. Das Zimmer ist klimatisiert, denn draußen herrschen 38 Grad. An manchen Tagen beschlägt Kramniks Brille, wenn er aus dem Raum tritt. Das Spiel wird auf Monitoren im Innenhof des Sports Centers übertragen. Vor Ort kommentieren die englischen Großmeister Nigel Short, Danny King und IM Malcolm Pein die Partien für die Zuschauer. Später stößt Julian Hodgson dazu.
Ungleiche Matchhälften
Das Auftaktspiel endet nach 28 Zügen remis. Kramnik wählt die Berliner Verteidigung, die ihm schon beim WM-Match 2000 in London gegen Kasparow so gute Dienste geleistet hatte. Nach der Partie sagt der Champion, dass die Stellung vorwiegend im Gleichgewicht war und keine Seite reelle Gewinnaussichten hatte. Dennoch sei es gefährlich, sich in einer vermeintlich einfachen Position in Sicherheit zu wiegen. Man müsse gegen den Computer immer auf Überraschungen gefasst sein.
Mit Weiß will Kramnik in der zweiten Partie mehr Druck machen und den Erfolg suchen. Was ihm auch prompt gelingt. Am nächsten Spieltag schiebt der Russe Deep Fritz in einem angenommenen Damengambit nach allen Regeln der Kunst zusammen. Nach fünfeinhalb Stunden und filigranen Manövern Wladimirs im Turmendspiel kapituliert Fritz. Nigel Short sagte in Bahrain vor dem Match viele Remis voraus. Er lag damit, wie sich noch herausstellen sollte, ziemlich daneben.
Gespielt wurde jeden zweiten Tag. Zwischen den Zügen ging Kramnik in seinen Ruheraum. Der war viel größer als das Zimmer, in dem er sich mit dem schweigsamen Fritz duellierte. Bequeme Ledercouch, viel Licht und Unmengen an Obst. Der Tisch bog sich unter der Last von kulinarischen Genüssen. Kein Mensch kann das während einer Partie zu sich nehmen.
2. Partie
Wladimir Kramnik hat im dritten Spiel Schwarz, und er gewinnt auch diese Partie gegen seinen stummen Widerpart. Im Gesamtklassement führt er jetzt bereits mit 2,5:0,5 Punkten. Bahnt sich ein Desaster für den Computer an? Deep Fritz versuchte, den Menschen mit der Schottischen Eröffnung zu überraschen. Der Weltmeister erweist sich jedoch als voll auf der Höhe und kann die Stellung schnell ausgleichen. Im Mittelspiel leistet sich das Schachprogramm einen schwachen Bauernzug, wonach Kramnik die Initiative auf dem Brett übernimmt. Der Russe gewinnt einen Bauern und besetzt mit seinen beiden Türmen die offenen Linien im Zentrum. Die Maschine kommt wie schon im zweiten Durchgang in Zugzwang und kann nicht verhindern, dass ihre Position sich immer mehr verschlechtert. Resignierend quittiert Fritz-Programmierer Matthias Feist darum über die zweite Niederlage.
Großmeister Danny King, der vor Ort für Einstein-TV als Kommentator arbeitet, zeigt sich begeistert vom Champion: „Kramniks Vorbereitung war Weltklasse. Er hat Fritz einer Gehirnwäsche unterzogen.“ Unzufrieden dagegen äußert sich der Holländer Frans Morsch, einer der Fritz-Väter: „Es ist ärgerlich, dass wir bisher ausnahmslos Stellungen aufs Brett bekamen, die Kramnik sich gewünscht hat. Wir müssen jetzt einen Weg finden, ihn aus seinen Eröffnungen herauszulocken.“
Die nächste Gelegenheit dazu ist am vierten Spieltag. Das Damengambit auf dem Brett endet nach vier Stunden remis. Fritz nimmt es diesmal nicht an, sondern wählt die Tarrasch-Verteidigung. Wladimir gewinnt nach strategisch klugem Spiel einen Bauern. Der Vorteil reicht aber nicht zum Sieg. Im Turmendspiel verteidigt sich der Rechner ganz präzise, so dass der Mensch nach 41 Zügen die Friedenspfeife herausholt. Bei diesem komfortablen Vorsprung verständlich. Danks seines Doppelschlages in der 2. und 3. Partie führt Kramnik zur Halbzeit mit 3:1 Punkten. Eine dicke Überraschung.
Formel 1 in der Wüste
Jeden Tag kommen illustre Gäste, um das Match vor Ort zu verfolgen: Mitglieder des Königshauses, Minister und Diplomaten. Auch die Botschafter Deutschlands und Russlands in Bahrain sehen sich einige Spiele an. Ein anderes Ereignis aber lenkt dann ihre Aufmerksamkeit ab. Während die dritte Partie noch im Gange ist, eilen beide Diplomaten davon. Es zieht sie zum ersten Spatenstich für den Formel-1-Kurs. Bahrain will ja zwei Jahre später als erstes Land im Mittleren Osten solche Rennen veranstalten. Kronprinz Salman bin Hamad Al Khalifa und der aus England eingeflogene Prinz Andrew schippen an diesem Nachmittag mit silbernen Spaten. Die 3,6 Kilometer lange Piste, die in der Folge entsteht, weist eine Besonderheit auf. Sie befindet sich mitten in der Wüste.
Abends ist ein Foto-Termin mit Kramnik und Prinz Andrew geplant. Weil der sture Computer nicht rechtzeitig aufgibt, kommt der Schachkönig zu spät. Er wird auf der Bühne von Scheich Zehad aus der Königsfamilie Al Khalifa willkommen geheißen. Sie begutachten einen hochgerüsteten Mercedes-Boliden. Mit seinem Gardemaß von 1,95 Metern würde Kramnik nicht hineinpassen.
Kramnik, Scheich Zehad, Hensel
Hightech im Motorsport und im königlichen Spiel. Mehr als zwei Millionen Dollar hat Bahrains Regierung insgesamt in das Schach-Duell gesteckt. Mit dem Event erregt man weltweite Aufmerksamkeit, keine Frage. Günstig, um Tourismus und Handel weiter anzukurbeln und noch mehr Investoren, auch aus Deutschland, anzulocken. Bahrain wetteifert mit anderen kleinen Golfstaaten wie Dubai auf dem Luxus-Ferienmarkt. Bisher kommen vorwiegend Gäste aus dem arabischen Raum. Ein wichtiger Standortvorteil für das Eiland: Es ist noch nicht so verbaut.
Master Class Band 11: Vladimir Kramnik
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Viel mehr Geld als das Schachspektakel verschlingt natürlich das Formel-1-Projekt. Seine Gesamtkosten von 150 Millionen Dollar sollen sich für Bahrain möglichst schnell auszahlen. Neben der Rennstrecke entstehen Straßen durch die Wüste, eine Direktverbindung zum Airport, neue Hotels usw. Die ganze Infrastruktur des Landes profitiert vom Grand-Prix-Zirkus. Bahrain hat das Rennen gegenüber anderen Mitbewerbern im Nahen Osten gemacht. Die Formel-1 auf der dortigen Piste findet im Jahrestakt statt. 2011 wurde das geplante Rennen aufgrund politischer Unruhen im Land abgesagt. 2020 musste der Grand Prix von Bahrain wegen der Covid-19-Pandemie verschoben werden. Am erfolgreichsten waren bislang Louis Hamilton mit fünf und Sebastian Vettel mit vier Siegen.
Da es einige Ruhetage gab, war auch Gelegenheit für die Reporter, sich in Manama umzusehen. Gemeinsam mit meinem geschätzten Kollegen Wolfram Runkel von der ZEIT, der leider 2019 verstorben ist, zog ich hin und wieder durch die Stadt. Eines Abends besuchten wir den Botanischen Garten, in dem kaum noch Menschen zu sehen waren. Schnell ging die Sonne unter, und als wir wieder hinauswollten, waren die Tore schon geschlossen. Uns blieb nichts anderes übrig, als über die sehr hohe Mauer zu klettern. An einem anderen Tag kauften wir uns in einem Souk (orientalischer Markt) Gewänder, wie sie von den einheimischen Männern getragen werden. Wolfram, der viel Humor besaß, wählte ein dunkles, ich ein helles. Zu Hause in Berlin habe ich es dann tatsächlich bei einer privaten Faschingsfeier mal getragen.
Wolfram Runkel im exotischen Gewand
Die Wende im Match
Einmal streikte auch der Computer. War es die Hitze (bis zu 40 Grad) oder die Luftfeuchtigkeit? Im vierten Spiel blieb der Rechner, der streng bewacht in einem Extra-Raum des Mind Sports Centers von Manama stand, einfach stecken. Das Monster hing fest und versagte seinen Dienst. Panik bei den ChessBase-Leuten. Aus Deep Fritz war kurzzeitig Depp Fritz geworden. Nach 15 Minuten aber konnte es weiter gehen. Fritzchen lief nur noch auf einem Prozessor. Das reichte, um die Partie trotz Minusbauern remis zu machen und den Umschwung in der Mitte des Matchs einzuleiten. Denn ab dem fünften Spieltag passierten dem ermüdeten Menschen große Fehler. Kramnik verlor zwei Partien in Folge. Die große Hitze und extrem hohe Luftfeuchtigkeit vor Ort hatten ihm stark zugesetzt. Es war Dramatik pur. Nach einem simplen Figurenverlust im fünften Spiel übertrieb Wladimir mit Wut im Bauch in der sechsten Partie ganz gegen seine Gewohnheit das Risiko. Mit einem tollkühnen Figurenopfer auf f7 zerrte der Champion den König seines emotionslosen Gegners ins Freie. Jeder menschliche Kontrahent wäre unter der Angriffswucht zusammengebrochen. Nicht aber Deep Fritz! Das auf acht Prozessoren laufende Programm entfaltete seine ganze Rechenkraft und verteidigte sich genial. Kramnik verlor zum zweiten Male in Folge. Die spannendste Partei brachte den Ausgleich.
Rechner mit Fritz
Als der Weltmeister in Bahrain 3:1 geführt hatte, fragen sich die Fachleute nur noch, wie hoch er am Ende gewinnen würde. Auch Schiedsrichter Enrique Irazoqui (Spanien) war dieser Meinung, als ich mit ihm in der Hotel-Lobby sprach. Der Literaturprofessor aus der Nähe von Barcelona und Computerschach-Experte irrte sich genau wie viele andere Insider. Denn an den beiden Ruhetagen wurde Deep Fritz vom Team aus Hamburg besser programmiert. Es gab in der zweiten Matchhälfte keinen frühen Damentausch mehr. Und der Mensch wurde zunehmend müder. Daraus resultierten die gravierenden Fehler.
An den Folgetagen spielte Wladimir wieder so besonnen wie zu Beginn des Matchs und remisierte zweimal gegen das Monster. Es ging ja nicht nur ums Prestige, sondern auch um sehr viel Geld. Am Ende stand es 4:4 im Gesamtklassement.
Resümee
Der damals 27-Jährige Kramnik hatte die letzte Bastion des menschlichen Geistes gegen die Materie noch einmal verteidigt und war um 800 000 Dollar reicher. Allerdings ließen sich die Bahrainis sehr viel Zeit mit der Banküberweisung. An die Firma ChessBase sollten 200 000 Dollar gehen, die für eine Stiftung zur Entwicklung des Jugendschachs vorgesehen waren. Das Geld ist aber nie in Hamburg angekommen!
Wladimir Kramnik wurde in dem prestigeträchtigen Kampf von einem starken Team unterstützt. Da waren die beiden Großmeister Christopher Lutz sowie Tigran Nalbandjan aus Armenien. Sie halfen dem Weltmeister schon zwei Wochen vor dem Match im Saarland bei der Vorbereitung. Auch in Bahrain standen ihm die beiden bis zur letzten Partie zur Seite. Zur Mannschaft gehörten der Physiotherapeut Dr. Waleri Krylow aus Moskau, der Kramnik schon bei der WM 2000 in London betreute sowie Bodyguard Aziz, ein ehemaliger Kickboxer. Und las but not least Wladimirs Manager Carsten Hensel, bei dem alle organisatorischen Fäden zusammenliefen. Der Dortmunder hat 2018 ein bemerkenswertes Buch über die Karriere seines Schützlings veröffentlicht, in dem Bahrain natürlich auch großen Raum einnimmt.
Das Kramnik-Team
Zurück in Berlin, erlebte ich einen kleinen Kälteschock. Als ich auf dem Flughafen in Tegel landete, empfing mich Mitte Oktober (!) das erste Schneetreiben. Das spektakuläre Match wurde in der Folge in allen Schachmagazinen ausführlich behandelt. Mit dem Ergebnis konnten beide Seiten leben. Vor allem eröffnete es die Möglichkeit zu einer weiteren Runde im Kampf „Mann gegen Maschine“. Das Duell ging 2006 in Bonn über die Bühne und war das letzte seiner Art. Doch das ist schon wieder eine andere Geschichte. So ein Spektakel wie in Bahrain war es nicht.
Die Partien
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