"Seine Passion war, Weltmeister zu werden": Interview mit Fridrik Olafsson
über das Schachgenie Bobby Fischer
Von Dagobert Kohlmeyer
Fridrik Olafsson
Vor 40 Jahren, am 1. September 1972, gewann der Amerikaner Fischer das "WM-Match
des Jahrhunderts" gegen Spasski und durchbrach damit die Hegemonie der sowjetischen
Schachspieler. Der Isländer Fridrik Olafsson kannte Bobby Fischer 50 Jahre lang
und begleitete das umstrittene Genie auf dessen Weg vom Schachwunderkind bis zum
Tode im Januar 2008. Dagobert Kohlmeyer sprach aus aktuellem Anlass mit dem 77-jährigen
Großmeister aus Reykjavik, vor allem über den letzten Lebensabschnitt Fischers.
Herr Olafsson, als Großmeister und FIDE-Präsident haben Sie Schachgeschichte
mitgeschrieben. Sie erlebten das Duell Fischer-Spasski 1972 in Reykjavik. Haben
Sie auch das Re-Match der beiden 1992 in Jugoslawien verfolgt?
Sicher. Ich sollte in Sveti Stefan und Belgrad sogar Schiedsrichter sein und Lothar
Schmid ersetzen, der nach Deutschland zurück musste. Aber ich war zu Hause in
Island in einer offiziellen Stellung und konnte kein Referee werden. Damit hätte
ich das Gesetz verletzt.
Olafsson 2012 in Dresden
Welche Beziehung hatten Sie zu Fischer?
Eine sehr gute. Ich habe ihn auch in Reykjavik während der letzten Monate seines
Lebens im Krankenhaus besucht. Mindestens einmal in der Woche war ich bei ihm,
und wir hatten eine gute Zeit. Wann trafen Sie ihn zum ersten Mal? Ich traf Bobby
schon, als er erst 15 Jahre war. Es passierte 1958 beim Interzonenturnier in Portoroz.
Und wir hatten immer ein gutes Verhältnis. Damals war er ganz anders als später.
Er war noch nicht von den absurden Theorien gegen die Juden und das FBI infiziert.
Später glaubte Fischer an diesen Unsinn. Er war zu schwach, das alles richtig
zu verarbeiten.
Worin lagen die Ursachen für diese Haltung?
Er verhielt sich so, weil er anders als normale Jugendliche war. Viel zu naiv
und kindisch, würde ich sagen. Auf der anderen Seite jedoch wusste er genau, was
er wollte: Schachweltmeister werden. Das war von Beginn an klar.
War er der größte Schach-Champion?
Meiner Meinung nach hat ihn niemand übertroffen. Aber vielleicht bin ich nicht
die richtige Person, darüber zu urteilen, weil ich zur selben Zeit wie er gespielt
habe. Ich wusste, wie stark er war und musste oft darunter leiden. Ich gewann
nur zwei Spiele gegen ihn, verlor aber sechs.
Am Brett war Bobby stets korrekt, heißt es. Stimmt das?
Normalerweise war er korrekt. Er versuchte es jedenfalls, aber das gelang ihm
nicht immer. Wenn Fischer aufgeregt war, konnte er auch gemein sein. Beim WM-Kampf
in Reykjavik hat er sich Spasski gegenüber oft nicht wie ein Gentleman verhalten.
Vor allem bei der dritten Partie, die in einem separaten Raum gespielt wurde.
Bobby benahm sich dort sehr hässlich. Spasski wollte schon das Zimmer verlassen,
weil er darüber so verärgert war. Fischer hatte Lothar Schmid angeschrien und
beleidigt. Das war ein schlechtes Verhalten. Manchmal verlor Bobby eben die Kontrolle
über sich, dann gingen die Pferde mit ihm durch.
Fallen Ihnen noch andere Beispiele ein?
Bei einem Turnier hat Fischer gegen Miguel Najdorf verloren. Er dachte, ins Remis
zu entkommen, aber es gelang ihm nicht. Nach der Partie rüttelte Bobby vor Wut
so heftig am Schachtisch, dass die Figuren auf den Boden flogen.
In Island feierte der 11. Weltmeister seinen größten Triumph, und er fand
dort seine letzte Ruhestätte. Gehörten Sie auch dem Komitee zu Fischers Befreiung
an?
Ich gehörte nicht zu dem Gremium, weil ich Generalsekretär des Parlaments war.
Und es wäre schwierig für mich gewesen, in so eine Sache involviert zu sein.
Wer hatte den größten Anteil an Bobbys Befreiung aus der Haft in Tokio?
Verschiedene Leute. Alle haben ihren Beitrag geleistet und ihre Entschlossenheit
demonstriert. Das meiste Verdienst jedoch hat meiner Meinung nach sein ehemaliger
Bodyguard Saemi Palsson. Ganz entscheidend war auch das Engagement unseres Premierministers.
Weil er gewillt war, die Einbürgerung Fischers durch das Parlament in Reykjavik
zu bringen. Danach haben die Japaner ihn freigelassen. Denn ohne ausländischen
Pass hätten sie ihn in die USA zurückschicken müssen.
War Fischer tatsächlich mit Miyoko Watai verheiratet?
Nach dem Urteil des Obersten Gerichts in Island war er verheiratet. Den Richtern
wurden ja offizielle Dokumente aus Japan vorgelegt.
Was tat Fischer in seinen letzten Jahren?
Er war bedrückt und hat monatelang den Umgang mit anderen Menschen gemieden. Ich
nehme an, er las sehr viel. Oft besuchte Bobby einen bestimmten Buchladen in Reykjavik,
setzte sich dort in eine Ecke und schaute sich Bücher an. Nach Angaben des Ladenbesitzers
beschäftigte er sich viel mit Fragen des Zionismus. Fischer glaubte bis zuletzt
an Verschwörungen und Intrigen.
Boris Spassky und Bobby Fischer nach ihrem Kampf 1992 in Belgrad
Hat er immer noch politischen Unsinn geredet?
Ja. Bobby war der festen Meinung, dass es ein jüdisches Komplott gibt, um die
Welt zu erobern. Er bildete sich alle diese Sachen ein.
In welcher Verfassung war Fischer in den letzten Lebensjahren?
Sein Zustand verschlechterte sich allmählich. Als er aus Japan kam, wo er nicht
gut behandelt wurde, machte er keinen gesunden Eindruck. Ich denke, Bobby war
in einem schlechten Gesundheitszustand. Große Probleme hatte er mit den Nieren.
Sie arbeiteten nicht mehr richtig. Fischer wollte aber nicht, dass man ihn behandelt.
Die Ärzte hätten es wohl mit einer kleinen Operation lösen können. Doch Bobby
glaubte, dass der Körper sich selbst heilen kann.
Wie lange war er im Krankenhaus?
Mehrere Wochen lang, etwa zwei Monate. Sie wollten ihn so gut wie möglich behandeln,
doch er lehnte die nötigen Maßnahmen ab. Sein Blut hätte gereinigt werden müssen.
Fischer wollte kein Blut von anderen Menschen bekommen. Aus diesem Grund war es
nicht möglich, ihn zu retten.
Was geschah in den letzten Tagen?
Bobby entschied sich, das Krankenhaus zu verlassen und ging im Dezember 2007 zu
sich nach Hause. Im selben Gebäude wohnte sein enger Freund Gandar Sverrisson.
Dort blieb Bobby einige Zeit. Plötzlich ging es ihm schlechter. Er wurde wieder
ins Spital gebracht, aber da konnten sie nichts mehr für ihn tun.
Was bleibt vom Schachspieler Bobby Fischer?
Er war ein bedeutender Champion. An ihn wird man sich immer als einen der größten
Schachspieler aller Zeiten erinnern. Welche Lehren sollten Schachspieler aus dem
Leben und Werk Bobby Fischers ziehen? Es ist wichtig, ein großes Ziel zu haben.
Fischer hatte eine Berufung, schon als er jung war. Als ihn zum ersten Mal traf,
war er gerade 15 und ich 23 Jahre alt. Wir sprachen oft miteinander. Ich brauchte
aber nicht mehr als fünf Minuten mit ihm zu reden, um zu erkennen, dass er die
innere Passion hatte, Weltmeister zu werden. Diese Entschlossenheit war sehr beeindruckend
und durch nichts zu erschüttern.
Beim WM-Kampf 1972 in Reykjavik