Bobby Fischer: Mit 15 Jahren Titelverteidiger
Heute ist Fischer eine Schachlegende und gilt vielen als bester Spieler aller Zeiten. Man weiß, dass er alle acht US-Meisterschaften, an denen er teilnahm, gewonnen hat, einmal, 1963/1964 sogar mit 11 Punkten aus 11 Partien. Doch vor der US-Meisterschaft 1958/1959, die vom 18. Dezember 1958 bis zum 4. Januar 1959 im Henry Hudson Hotel in New York stattfand, war Fischer zwar gerade der damals jüngste Großmeister aller Zeiten geworden und wurde als Wunderkind gefeiert und bejubelt, aber klarer Favorit bei der Meisterschaft war er nicht.
Vor allem Pal Benkö und Samuel Reshevsky räumte man neben Fischer gute Chancen ein, das Turnier zu gewinnen. Schließlich war Benkö beim Interzonenturnier in Portoroz 1958 Vierter geworden und hatte sich damit vor Fischer platziert, der am Ende auf Platz sechs gelandet war. Reshevsky hatte auf eine Teilnahme in Portoroz verzichtet, aber galt immer noch als einer der besten Spieler der USA – wenn nicht sogar als der beste.
Doch Fischer zeigte von Beginn an, dass er seinen Titel verteidigen wollte. Er startete mit 3,5 Punkten aus 4 Partien und alle diese Partien waren Hängepartien und wurden erst im Endspiel entschieden. Nach einem kurzen Remis mit Schwarz gegen Benkö in Runde 5 kam es in Runde 6, genau zur Halbzeit des Turniers, zur Spitzenpaarung gegen Reshevsky.
Fischer hatte Weiß und profitierte von seinen ausgezeichneten Eröffnungskenntnissen. In einem Sizilianer folgte er einer Empfehlung, auf die er in einer russischen Schachzeitschrift gestoßen war, und kam zu einem leichten Sieg, da Reshevsky die Variante nicht genau kannte, eine tückische Falle übersah und nach nur 11 Zügen praktisch auf Verlust stand.
Wie Fischer war Reshevsky ein Wunderkind und gehörte lange Jahre zu den besten Spielern der Welt. Er qualifizierte sich mehrfach für Kandidatenturniere und die Kandidatenwettkämpfe, aber mit der Eröffnungstheorie stand er seine gesamte Karriere hindurch auf Kriegsfuß. Benkö vermutet in seiner Autobiographie My Life, Games and Compositions, dass Reshevskys schlechtes Gedächtnis für diese theoretischen Schwächen verantwortlich war.
Bei [Reshevskys] Kandidatenwettkämpfen gegen Kortschnoi und Hort war ich sein Sekundant. Bei den Vorbereitungen auf Kortschnoi besuchte ich ihn in seinem Zuhause und fragte, „Wo sind deine Schachbücher?“ Entsetzt stellte ich fest, dass er nur drei oder vier besaß, und das waren die Bücher, die er selbst geschrieben hatte! (Jahre später, im Alter von 60, besorgte er sich ein paar mehr Bücher und verkündete stolz, dass er jetzt endlich zum Schachstudium gerüstet war!)
Ein Problem von Sammy war sein Gedächtnis, das schrecklich war. Bei den Vorbereitungen auf die Wettkämpfe gegen Kortschnoi und Hort analysierten wir den ganzen Tag Eröffnungen, aber am Abend konnte er sich an nichts mehr von dem erinnern, was wir uns angeschaut hatten. Deshalb war er nie in der Lage, Eröffnungen umfassend zu lernen und verbrauchte in der Eröffnungsphase immer Unmengen an Zeit.
Nachdem ich bemerkt hatte, wie schlecht sein Gedächtnis war, erlaubte ich mir gelegentlich gutmütige Scherze mit ihm. Zum Beispiel habe ich ihm einmal eine Partie gezeigt und gefragt, "Was hältst du von dieser Partie?"
Er meinte, "Das ist nicht Besonderes. Das sind keine guten Spieler."
"Aber Sammy, das ist eine deiner eigenen Partien!"
(Pal Benkö & Jeremy Silman, My Life, Games and Compositions, Siles Press 2003, S. 117)

Samuel Reshevsky beim Kandidatenturnier 1968 (Foto: Ron Kroon / Anefo via Wikimedia Commons)
Nachdem er Reshevskys mangelndes Eröffnungswissen zu einem leichten Sieg nutzen konnte, lag Fischer nach sechs Runden mit 5 aus 6 alleine in Führung. Einen halben Punkt dahinter folgte Arthur Bisguier, Reshevsky lag mit 3,5 aus 6 auf dem geteilten 4. bis 5. Platz und Co-Favorit Benkö lag mit 1,5 aus 6 abgeschlagen am Tabellenende.

Pal Benkö
Stand nach 6 Runden
Doch Reshevsky gab nicht auf und lag nach 9 Runden zusammen mit Larry Evans auf dem geteilten zweiten bis dritten Platz, einen Punkt hinter Spitzenreiter Fischer. Und in Runde 10 wäre Fischer beinahe gestrauchelt. Er spielte mit Weiß gegen Bisguier und geriet in einem Spanier immer mehr ins Hintertreffen. Doch dann verlor Bisguier den Faden und verdarb eine Gewinnstellung erst zum Remis und am Ende noch zum Verlust.
Gegen Fischer fand Bisguier einfach kein Rezept. Im Laufe ihrer Karriere spielten die beiden 15 Turnierpartien gegeneinander, die erste dieser Begegnungen, beim 3. Rosenwald Tournament 1956, gewann Bisguier, die zweite, gespielt bei der Offenen US-Meisterschaft 1957, endete mit Remis, aber die nächsten 13 Partien endeten alle mit einem Sieg von Fischer.
Mit diesem Sieg gegen Bisguier sicherte sich Fischer praktisch den Titel. Eine Runde vor Schluss lag er mit einem Punkt Vorsprung in Führung und mit einem problemlosen Remis gegen Robert Byrne in der Schlussrunde holte sich der 15-jährige Fischer schließlich den zweiten von insgesamt acht US-Meistertiteln.
Endstand nach 11 Runden
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