Vor zehn Jahren: Das Kasparov-Karpov-Revival-Match

von Dagobert Kohlmeyer
23.09.2019 – Vor zehn Jahren spielten die Schachlegenden Anatoli Karpow und Garry Kasparov in Valencia anlässlich des 25-jährigen Jubiläums ihres ersten Wettkampfes überraschend ein Revival-Match, das große Aufmerksamkeit fand. Dagobert Kohlmeyer war damals als Reporter dabei und erinnert sich lebhaft an die Tage vom 21. bis 24. September 2009. | Fotos: Dagobert Kohlmeyer

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Valencia - Begeisterung und Kunst der Diplomatie

Ein Gerücht kursierte schon länger, doch als die Nachricht vor einem Jahrzehnt im Sommerloch offiziell verkündet wurde, schlug sie in der Schachszene hohe Wellen: Anatoly Karpov und Garry Kasparov spielen ein Match in Spanien zur Erinnerung an den Beginn ihrer epischen WM-Kämpfe 1984! Sechs Wochen später trugen beide Schachgenies in Valencia tatsächlich einen solchen Wettkampf aus. Vier Schnellpartien an zwei Tagen schlossen sich acht Blitzpartien am dritten Tag an. Kein offizielles Duell um die Krone, gleichwohl ein denkwürdiges Ereignis. Mit dem Event sollte des 25. Jahrestages ihres ersten Matchs gedacht werden, mit dem die zwei Giganten seinerzeit eine einmalige Serie von Weltmeisterschaftskämpfen einleiteten.

Kasparov und Karpov 1984

Die Beziehung von Karpov und Kasparov ist die Geschichte großer Rivalität. Zu unterschiedlich waren und sind ihre Ambitionen und Meinungen, vor allem in politischer Hinsicht. Am Schachbrett indessen hatten beide höchste Achtung voreinander. In ihren fünf WM-Matches spielten sie insgesamt 144 Partien - ein in der Sportgeschichte beispielloses Duell. Der längste Zweikampf war der erste. Er fand in Moskau statt und ging über 48 Spiele. Am 15. Februar 1985 wurde das Match vom damaligen FIDE-Präsidenten Florencio Campomanes abgebrochen. Die Begründung lautete, beide Spieler seien zu erschöpft.

Hinter den Kulissen hatten das allmächtige Sportkomitee der UdSSR sowie einflussreiche Parteifunktionäre längst entschieden, dass der Kampf zu beenden und nach einigen Monaten Pause neu anzusetzen sei. Wem sie damit den größeren Gefallen taten, bleibt bis heute Spekulation. Objektiv betrachtet, profitierten beide Schachstars davon: Kasparov hatte trotz seines 3:5-Rückstandes nicht verloren, und Karpovs Regentschaft wurde um ein knappes Jahr verlängert. K. und K. spielten auch das nächste WM-Match in Moskau, diesmal waren es exakt 24 Partien.

Am 9. November 1985 stand der 22-jährige Kasparov als neuer und bis dato jüngster Schachkönig fest. Er hatte seinen Vorgänger mit 13:11 entthront. Die Schachwelt feierte den unangepassten König, der die Fans durch ideenreiches Kombinationsspiel verzauberte. 1986 gab es ein Revanchematch in London und Leningrad, das Kasparov knapp für sich entschied. 1987 in Sevilla verteidigte der Titelhalter glücklich mit 12:12 die Krone, was ihm auch 1990 noch einmal in New York und Lyon gelang.

Foto: Lyon 1990

Nie waren die beiden Freunde, aber sie respektieren sich. „Bei allen Gegensätzen hatten wir immer diplomatische Beziehungen“, sagte mir Karpov Ende 2007 im Privatgespräch. Da hatte er den alten Rivalen, der nun Oppositionspolitiker war, gerade in einem Moskauer Gefängnis besucht. Er wurde zwar nicht ganz bis zu ihm vorgelassen, doch diese Geste rührte Kasparov sehr und bewog ihn schließlich, sich nochmal mit Karpov ans Brett zu setzen, obwohl er seine aktive Schachkarriere 2005 beendet hatte. Für ihr Spiel in Valencia kassierten beide Exweltmeister sicher eine schöne Summe. Die Aufmerksamkeit war enorm, es kamen mehr Journalisten als zu einer offiziellen Schach-WM. Ganz klar, dass man da nicht fehlen durfte.

Valencia 2009

Valencia, die drittgrößte Stadt Spaniens, zieht Touristen aus aller Welt an. Man braucht mehrere Tage, um nur die wichtigsten Orte zu besichtigen. Die Kathedrale, die Stadttürme Torres de Serranos und Torres de Quart und die zum Weltkulturerbe erklärte Lonja de la Seda (Seidenbörse) sind nur einige Beispiele aus Valencias Blütezeit.

Die Kathedrale

Seidenbörse

Die Stadt erlebte während des 14. Und 15. Jahrhunderts ihr goldenes Zeitalter. Valencia besitzt einen der größten Altstadtkerne mit Gebäuden aus Gotik, Renaissance und Barock sowie spanischem Jugendstil, darunter den Mercado Central, die größte geschlossene Markthalle Spaniens. Moderne Weltklasse-Architektur, darunter die Stadt der Künste und Wissenschaften von Santiago Calatrava oder der Kongresspalast von Sir Norman Foster geben der ehrgeizigen Metropole am Mittelmeer das Gepräge.

Der Palast der Künste, geschaffen vom spanischen Star-Architekten Calatrava, ist zweifellos das künstlerische Meisterwerk der Stadt. Seit 2006 bietet der Palau de les Arts ein umfassendes Programm, das Valencia in die internationalen Kreise der Opern- und Bühnenkunst aufsteigen ließ. In vier Sälen werden von klassischen bis zeitgenössischen Werken die verschiedensten Stilrichtungen geboten. Der Hauptsaal hat 1.380 Sitzplätze, der Orchestergraben gilt als drittgrößter in Europa. Er kann durch vier bewegliche Flächen in verschiedenen Positionen und Höhen eingestellt werden. Somit wird je nach Vorführung eine maximale Tonqualität erreicht. In einem dieser Säle spielten die beiden Schachlegenden.

Palast der Künste

Garry Kasparov residierte im Hotel Melia Valencia Palace. Es gehört zu den Nobelherbergen der Stadt und hat eine schöne Aussicht auf das alte Flussbett des Turia. Nur ein kurzer Spaziergang durch den Park oder über die Brücke, und man war sogleich in der Altstadt. Lothar Schmid mit seiner Gattin Ingrid, der Schachsammler Thomas Thomsen und wir wohnten auch in diesem Haus. Das Einchecken im Melia Palace ging schnell und höflich über die Bühne. Die Zimmer sind sehr schön und mit zwei Türen zwischen Schlafzimmer und Korridor ausgestattet. Die großen Marmorbäder gefielen vor allem den Frauen, das Frühstück war sehr gut und reichhaltig. Kasparov wohnte mit seiner Frau Daria in einer der Suiten. Morgens vor dem Frühstück zog die Schöne ein paar Bahnen im Swimmingpool, der sich auf dem Dach des Hauses befindet. Die Lage des Hotels ist wirklich ideal. Nach 15 Minuten Fußweg hatte man die Stadt der Künste und Wissenschaft erreicht, wo das Schach-Ereignis im Palau de les Arts stattfand. Kasparov und seine Begleitung, Mutter Klara sowie Ehefrau Daria, wurden natürlich chauffiert.

Klara und Daria Kasparova

Anatoly Karpov, der schon eine Woche früher als Kasparov nach Valencia gekommen war, logierte im Hotel Puerta del Mar, das in Strandnähe liegt. Man ging sich wie bei früheren WM-Kämpfen aus dem Weg und traf sich nur am Brett. Dennoch war die Stimmung zwischen beiden Protagonisten diesmal bedeutend friedlicher als zu den Zeiten, als sie ihre Duelle noch unter sowjetischer Flagge austrugen. „Die Zeit heilt alles“, hatte Kasparov zur Auftakt-Pressekonferenz in Valencia erklärt. Und lobend erwähnt, dass Karpov versucht habe, ihn im Gefängnis zu besuchen, nachdem er in Moskau wegen seines Engagements als russischer Oppositioneller verhaftet worden war. Karpov räumte seinerseits freundlich ein, dass sein alter Rivale wohl immer noch zu den besten Spielern der Welt gehöre. Was Kasparov dann bei ihrem 12-Partien-Duell auch eindrucksvoll zeigte. Er hatte sich auf Valencia mit seinem Schüler, dem späteren Weltmeister Magnus Carlsen vorbereitet. Die Arbeit mit dem hochbegabten Sparringspartner trug sichtbare Früchte trug. Karpovs Sekundanten vor Ort waren die Großmeister Alexander Onischuk (USA) und Alexander Rjasanzew (Russland).

Onischuk und Riazantsev

Gespielt wurde im weiter vorn beschriebenen Palast der Künste. Kasparov triumphierte im Schnellschach mit 3:1 über seinen alten Weggefährten Karpov, obwohl er viereinhalb Jahre kein Turnier mehr gespielt hatte. Damit erwies er sich einmal mehr als wahrer Ausnahmekönner. Im Blitzschach stand es am Ende von acht Spielen ebenfalls deutlich 6:2 für den jüngeren der beiden Exweltmeister.

Presseecho

Karpov hatte die 5-Minuten-Partien mit einem Sieg begonnen, es folgte ein Remis, dann hatte Kasparov sich warm gespielt. Er gewann fünf Partien in Folge, die meisten  durch Zeit. Anatoly Karpov erklärte später, er habe gedacht, es gebe wie in den Schnellpartien fünf Sekunden Zeitbonus nach jedem Zug. Es gab aber nur zwei. In etlichen Partien gewann Kasparov nur hauchdünn nach Zeit, er zeigte wie früher mehr Energie am Brett als sein 12 Jahre älterer Gegner. Dennoch applaudierte das Publikum dem Unterlegenen nicht weniger als dem Sieger. Das Gesamtergebnis war diesmal nicht so wichtig wie bei früheren WM-Kämpfen der beiden K. Gewürdigt werden sollte das Jubiläum ihres ersten Duells um die Krone in Moskau. Mit der dann folgenden historischen Serie dramatischer Zweikämpfe schrieben die beiden Figurenkünstler ein einmaliges Kapitel Schachgeschichte.

Ich habe Vladimir Kramnik vor längerer Zeit einmal gefragt, wie er die Spielstile seiner beiden Vorgänger auf dem Schachthron umschreiben würde. Er sagte: „Kasparov rauscht in jeder Partie wie eine Lokomotive heran, während Karpov wie ein Kunstradfahrer agiert.“

Schiedsrichter-Legenden erinnern sich

Am Rande des Matchs gab es in Valencia ein Symposium zur Schachgeschichte, an dem auch Großmeister Lothar Schmid (1928-2013) teilnahm. Der Bamberger Karl-May-Verleger war Schiedsrichter der WM-Duelle von Fischer und Spasski 1972 in Reykjavik sowie 1986 von Karpov und Kasparov in London.

Lothar Schmid

Zur Bedeutung der beiden Letztgenannten in der Schachhistorie sagte er: „Sie waren und sind in ihrer Art zu spielen, ganz einmalig. Ihre Partien haben Größe und Schönheit. Garry Kasparov zeigt geniale Kombinationen, Anatoly Karpovs Figurenmanöver sind sehr filigran, fast ohne Fehler. In einer ewigen Bestenliste würde ich beide Spieler auf Platz 2 und 3 hinter Bobby Fischer einordnen.“ Schmid begründete die „Pool Position“ Fischers vor allem damit, dass er aus einer anderen Welt kam und Autodidakt war. Dass der Amerikaner es ohne vergleichbares Hinterland bis zum Gipfel des Schacholymps schaffte, zeige seine einzigartige Größe.

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Das Revival-Duell der beiden K. wurde vom Niederländer Geurt Gijssen (*1934), einem anderen Weltklasse-Schiedsrichter, geleitet. Er sagte uns: „25 Jahre nach ihrem ersten WM-Zweikampf sind diese beiden noch immer zwei Schachhelden, die jeder gern sehen will. Ich denke, es war ein sehr interessanter Wettkampf.“

Geurt Gijssen

Zum ersten Mal war Gijssen 1987 beim WM-Match Kasparov-Karpov in Sevilla Hauptschiedsrichter gewesen und schilderte uns nochmal seine markantesten Erinnerungen:  „Die beiden letzten Partien waren am dramatischsten. Es waren die spannendsten, die ich je erlebte. Karpov hatte das 23. Spiel gewonnen und lag in Führung. Kasparov konnte aber die Schlusspartie gewinnen und behielt seinen Titel. „Millionen Spanier saßen damals an den Fernsehgeräten und haben die Partie verfolgt“, erinnerte sich Gijssen: „Stell Dir vor, sie wurde live auf einem Sportkanal übertragen, unterbrochen nur durch einige Einspiele vom Davis-Cup-Finale im Tennis zwischen Schweden und Indien. Viele Zuschauer riefen den Sender damals an und sagten: Stört uns nicht, wir wollen nur Kasparov-Karpov sehen!“

Genau diese Stimmung und Schachbegeisterung herrschte auch vor zehn Jahren bei dem Ereignis in Valencia. Einen Eindruck davon vermitteln unsere Fotos vom Simultan am Vorabend des Matchs.

Kasparov beim Simultan

Irene Argues schaffte ein Remis gegen Karpov

Hier die Partien…

 

 

 


Dagobert Kohlmeyer gehört zu den bekanntesten deutschen Schachreportern. Über 35 Jahre berichtet der Berliner bereits in Wort und Bild von Schacholympiaden, Weltmeisterschaften und hochkarätigen Turnieren.

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