Lindores Abbey Chess Challenge: Wahrscheinlichkeiten eines Turniersieges

von Azar Kasimjanov
28.05.2020 – Die Lindores Abbey Chess Challenge wird mit einem etwas anderen Modus gespielt - "best of 3". Azar Kasimjanov rechnet in seinem Beitrag vor, in welchem Maße dieser Modus die Siegwahrscheinlichkeiten verändert und die Favoriten begünstigt.

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Wahrscheinlichkeiten

Die acht Finalisten der Lindores Abbey Rapid Challenge, die noch bis zum 4. Juni läuft, werden anders als üblich nicht in einem klassischen Knockout, sondern in einem Best-of-3-System, um den Sieg spielen. Diese zuerst womöglich formell anmutende Entscheidung hat tatsächlich einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Gewinnwahrscheinlichkeiten der einzelnen Teilnehmer.

Stellen wir uns vor, einer der Spieler ist ein starker Favorit im Turnier, sagen wir es ist Magnus Carlsen, und gewinnt ein Match mit einer Wahrscheinlichkeit von 75% (was für ihn durchaus plausibel sein kann). Unter der natürlich vereinfachenden Voraussetzung, dass diese Richtgröße über das Finale unverändert bleibt, lassen sich die einzelnen Matches in einem binomialverteilten Modell (X: Anzahl gewonnener Matches; n=3 und p=0,75) darstellen. So können einige Vorhersagen über die Veränderungen der Wahrscheinlichkeiten getroffen werden.

Carlsen würde in einem klassischen Finalsystem in jeder Runde zu 75% weiterkommen und damit zu 0,75³ ≈ 42,19% das ganze Turnier gewinnen. Durch Best-of-3 ergibt sich ein anderes Bild: Da in jeder Runde nun drei Matches statt eines gespielt werden, beträgt die Wahrscheinlichkeit des Weiterkommens in jeder Runde nicht mehr 75%, sondern

P( X ≥ 2 ) = 1 - F( 3; 0,75; 1 ) = 54/64 = 84,375%

Dass die Wahrscheinlichkeit gestiegen ist, ergibt auch ohne Rechnung Sinn: um Carlsen zu schlagen, muss eine unwahrscheinliche Sache passieren, um Carlsen jedoch im Best-of-3 zu schlagen, müssen zwei unwahrscheinliche Dinge passieren – es ist mehr „Glück“ vonnöten. Doch die Größenordnung, um die sich seine Siegeschance erhöht, mag höher sein, als man es intuitiv erwarten könnte.

Da jede Runde nun mit höherer Wahrscheinlichkeit gewonnen wird, steigt auch die Aussicht des Turniergewinns auf 0,8475³ ≈ 60,07%. Carlsen profitiert also durch den Wechsel des K.O.-Systems von einer um etwa 18 Prozentpunkte gestiegenen Gewinnwahrscheinlichkeit, während es für die restlichen Spieler entsprechend schwerer wird, sich zu profilieren.

Stellen wir uns nun einen weiteren starken Spieler vor, der ein etwas geringerer Favorit als Carlsen ist, da er jedes Match zu 65% gewinnt (p=0,65). Durch Durchführung der obigen Rechnungen mit dieser Gewinnrate ergibt sich im Best-of-3 für diesen Spieler ein Weiterkommen in die nächste Runde zu

P( X ≥ 2 ) = 1 - F( 3; 0,65; 1 ) = 71,825%

Wir sehen also, dass auch dieser Spieler, wenn auch weniger stark, vom Best-of-3 profitiert. Kommen wir zurück zu Carlsen und lassen ihn diesmal eine Best-of-5-Runde (n=5) spielen. Diese gewinnt er mit einer Wahrscheinlichkeit von

P( X ≥ 3 ) = 1 - F( 5; 0,65; 2 ) ≈ 89,65%

womit einer seiner Gegner nur noch zu etwa 10% statt 25% eine Runde gewinnen könnte. Stellen wir uns nun ein Turnier vor, das geradezu verblüffend unhektisch ist und seine finalen Runden in einem Best-of-11 (n=11) austragen lässt. Analog beträgt in jeder Runde seine Chance, weiterzukommen, etwa 96,57%. Es mag eine große Ehre sein, gegen Carlsen zu spielen, doch unter solchen Bedingungen gegen ihn anzutreten, erfordert ungemeine Willensstärke und bewundernswerte Tapferkeit.

Ausgehend von diesen Überlegungen lässt sich die untersuchte Thematik so generalisieren, dass wir eine allgemeine Formel für die Wahrscheinlichkeit G eines Spielers, in einer Runde weiterzukommen, mit Matchsiegeschance p bei einem Best-of-n aufstellen können:

G( n; p ) = 1 - F( n; p; ⌊n/2⌋ ) ; n ∈ {1;3;5;...}, 0 ≤ p ≤ 1

Unter Verwendung dieser Formel kann schnell verglichen werden, was für Auswirkungen eine kleine Veränderung einer der beiden Parameter auf das Gesamtbild hat. Die nachfolgende Tabelle bilde G (gerundet) in Abhängigkeit von ausgewählten Werten für n und p ab.

 

Best-of-3

Bo5

Bo7

Bo101

p=25%

15,6%

10,4%

7,1%

0,0%

p=40%

35,2%

31,7%

29,0%

2,1%

p=50%

50,0%

50,0%

50,0%

50,0%

p=51%

51,5%

51,9%

52,2%

58,0%

p=75%

84,4%

89,6%

92,9%

100,0%

(Der Sprung zur letzten Spalte hin soll dabei die langfristige Entwicklung anzeigen.)

Allgemein lässt sich festhalten, dass mit zunehmender Anzahl von Matches pro Runde Favoriten eine bessere (vgl. Z. 4 u. 5) und „Nicht-Favoriten“ tendenziell eine schlechtere Chance haben (vgl. Z. 1 und 2), einen Matchsieg zu erlangen. Dieser Effekt ist stärker, je höher die Abweichung des Spielerniveaus vom allgemeinen Durchschnitt ist. Ist ein Spieler annähernd genauso stark wie sein Gegner, so ändert ein Best-of-System nicht in sonderlichem Maße etwas am wahrscheinlichen Ausgang (vgl. Z. 4). Sind beide Spieler gleich stark, so macht es sogar gar keinen Unterschied, wieviele Matches gespielt werden (vgl. Z. 3).

Zu Beginn wurde bestimmt, dass das Anwenden des Best-of-3 Carlsens Turniergewinnchance im Modell von etwa 42% auf etwa 60% erhöht. Dazu ist anzumerken, dass die Erhöhung Turniergewinnchance in diesem Fall höher ausfällt als die Erhöhung seiner Rundengewinnwahrscheinlichkeit, die wir evaluiert haben – Die Veränderungen der betrachteten Wahrscheinlichkeiten steigen also in ihrer gesamtturnierlichen Relevanz, je länger nach einem Best-of-System gespielt wird. Des Weiteren können wir sehen, dass während Carlsen unter einem klassischen K.O.-System zwar Favorit wäre, aber eben kein absoluter Favorit, er durch Best-of-3 genau das wird und damit wahrscheinlicher das Turnier gewinnt als alle anderen Teilnehmer zusammen. Die Turniergewinnchance T ergibt sich direkt aus Rundenanzahl r und G:

T( n; p; r ) = [G( n; p )]r

Die folgende Tabelle veranschauliche die Auswirkungen von Best-of-3 oder -5 auf die Wahrscheinlichkeit eines Spielers, ein Eliminierungsturnier mit acht Spielern und drei Runden zu gewinnen:

 

 

klassisch

Best-of-3

Best-of-5

p=25%

1,6%

0,4%

0,1%

p=40%

6,4%

4,4%

3,2%

p=50%

12,5%

12,5%

12,5%

p=51%

13,3%

13,7%

14,0%

p=75%

42,2%

60,1%

72,0%

Die bisherigen Resultate lassen sich also auch auf das gesamte Turnier übertragen.

Die durch ein Best-of-n-System verursachte Veränderung der Wahrscheinlichkeit, ein Turnier zu gewinnen, lässt sich in einer allgemeinen Formel generalisieren. T sei dabei die Bilanz der Turniergewinnchance in Abhängigkeit von den bekannten n und p, und der Rundenanzahl r im Vergleich zu r klassischen K.O.-Runden:

ΔT = [G( n; p )]r – pr ; n ∈ {1;3;5;...}, 0 ≤ p ≤ 1 , r ≥ 1

Ist ΔT für gegebene n,p,r positiv, so erhöht sich die gesamte Wahrscheinlichkeit eines Turniergewinns durch die bestimmte Wahl des Eliminierungsverfahrens um den positiven Wert in Prozentpunkten und umgekehrt. Am klarsten wird die Anwendungsweise dieser Formel durch ein Beispiel: Nehmen wir uns einen Spieler des obigen Turniers mit 40% Gewinnchance bei einem Match und Best-of-5. Einsetzen in die Formel gibt

ΔT = [G( 5; 0,4 )]3 – 0,43 ≈ 0,032 – 0,064 = -3,2%

Dieser Spieler gewinnt also wegen Best-of-5 etwa 3,2 Prozentpunkte weniger wahrscheinlich dieses Turnier als wenn es klassisches Knockout wäre. Dies deckt sich auch mit den Werten der zweiten Zeile der Tabelle.

Als Ergebnis der hier getätigten Modellrechnungen lässt sich festhalten, dass Entscheidungen wie das Best-of-3-Knockout in Turnieren wie der laufenden Lindores Abbey Rapid Challenge dazu beitragen, dass die Gewinnchancen der vergleichsweise ohnehin schon starken Spieler sich erhöhen und die der im Vergleich zum Turnierschnitt eher schwächeren Spieler sich verringern. Diese Veränderungen sind dabei nicht etwa vernachlässigbar klein, sondern es zeigt sich, dass sie einen erheblichen Einfluss auf die dem Turnier inneliegenden Wahrscheinlichkeiten haben. Die Implikationen solcher Einflüsse und ihre Bewertung hängen dabei ganz vom konkreten Sachverhalt ab: Best-of-3- oder gar Best-of-5-Runden werden mit einer höheren Wahrscheinlichkeit die besten Spieler als Sieger hervorbringen.

Gleichzeitig wird die mit dem Turnier verbundene Spannung sinken, da Unwahrscheinliches noch unwahrscheinlicher geschehen wird und es so zum Beispiel seltener vorkommen wird, dass ein schwächer favorisierter Spieler unerwartet auf die ersten Plätze aufsteigt. Diese Grunderkenntnis sollte bei der Planung Turniere jeglicher Art grundsätzlich bedacht und mit der Art und Zielsetzung der Veranstaltung abgeglichen werden. So könnte zum Beispiel entschieden werden, dass ein Turnier Best-of-3 gespielt wird, aber das Preisgeld etwas weiter gestaffelt verteilt wird, um die Bevorteiligung der besten Spieler etwas zu kompensieren. Alles in allem muss man jederzeit im Kopf behalten, dass kleine Veränderungen große Auswirkungen haben können.


Azar Kasimjanov wurde am 15. August 2002 in Tashkent, Usbekistan geboren und ist kurz darauf mit seiner Familie nach Deutschland gezogen. Zurzeit absolviert er sein Abitur am Antoniuskolleg in Neunkirchen-Seelscheid. Nach der Schule möchte er ein Mathematikstudium aufnehmen.

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