Was macht eigentlich...Vincent Keymer?

von Thorsten Cmiel
06.07.2020 – Wenn es keine Turniere gibt, ist es für Talente nicht leicht sich weiterzuentwickeln. Das Blitzen im Internet übt aber auch und gibt Gelegenheit, das Repertoire zu erweitern. Das macht derzeit zum Beispiel auch Vincent Keymer. Ein Blick über die Schulter von Thorsten Cmiel. | Foto: Vincent Keymer

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Vincent Keymer erweitert Eröffnungsrepertoire in Quarantäne (Teil 1: Französisch)

Es gehört zurzeit zu den am häufigsten verwendeten Floskeln von Politiker, dass ein Land stärker aus der Coronakrise hervorgehen soll als es in die Krise hineinging. Während man das Credo der Politik vermutlich als unrealistischen Wunschtraum abtun kann, könnte diese Idee für manche Schachspieler gelten. Beginnen wir mit dem größten deutschen Talent: Vincent Keymer.

Besonders bei den Talenten wird es spannend sein, ihre weitere Entwicklung nach der zwangsweisen Pause zu verfolgen. Einige arbeiten sicherlich fleißig an sich. Dem Morgenmagazin verriet Vincent Keymer, dass er täglich sechs Stunden trainiert. Zu seinem täglichen Programm gehört es auch Fahrrad zu fahren. Beispielsweise scheint Vincent an der Erweiterung seines Repertoires gegen den Königsbauern zu arbeiten. Ein Blick über die Schulter.

Zu Beginn: etwas Statistik

Die vielleicht größte Schwäche von Vincent Keymer war vor der Corona-Krise sein recht enges Eröffnungsrepertoire mit Schwarz. In Wijk an Zee 2020 hatte er erstmals Caro-Kann gespielt und damit ein Ausweiten seiner Spielmöglichkeiten angedeutet. Die Krise scheint Vincent jetzt die Chance gegeben zu haben, sich breiter aufzustellen und dazu wählt Vincent vor allem zwei halboffene Verteidigungen. Eine aktuelle Auswertung der bekannten Partien von Vincent zeigt das. Das deutsche Talent spielt seit einiger Zeit regelmäßig im Blitz Französisch und Caro Kann. Schauen wir etwas genauer hin und beginnen wir mit etwas Statistik.

Caro-Kann - Berliner Geheimvarianten Band 1 und 2

Auf den DVDs legt Baldauf ein vollständiges Schwarzrepertoire gegen den Zug 1.e4 vor. Baldauf legz besonderen Wert darauf, die Varianten nicht nur auf Vereinfachung und Remis auszulegen, sondern eine Gewinnwaffe an die Hand zu geben.

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Von 175 ausgewerteten Partien – ohne Bullet - mit Französisch gewann Vincent 70 Partien bei 80 Niederlagen und 25 Remis. Auf dem Onlineportal Chess.com erzielte Vincent damit sein bestes absolutes Ergebnis bei einer Performance von 2731 (Gegnerschnitt 2752). Mit Caro-Kann standen 38 Siegen 63 Niederlagen gegenüber.

Vincent spielte in dem hier betrachteten Zeitraum seit Jahresanfang 124 Partien – Performance 2755 (Gegnerschnitt 2827). Mit Sizilianisch standen 21 Siegen 40 Niederlagen gegenüber. Seine Performance hierbei lag bei 2640 (Gegnerschnitt 2742). Schaut man nur die offenen Sizilianer an: Mit dem Najdorf-Sizilianer erzielte Vincent beispielsweise 7 Punkte aus 25 Partien gegen sehr starke Gegnerschaft (2836). Ausgeglichen (9 aus 18) punktete Vincent mit seinem Paulsen-Sizilianer gegen allerdings schwächere Gegnerschaft (2552).

Ferner ist anzumerken, dass die angegebenen Zahlen nur relativ auf dem Portal eine Aussagekraft haben. Im Blitz ist dort zum Vergleich aktuell Blitzspezialist Hikaru Nakamura mit 3259 ganz vorne. Altersgenossen von Vincent sind Nihal Sarin, ein ausgewiesener Blitzspieler von dem schon bekannt war, dass er sein Repertoire im Blitz ausprobiert. Der Inder kommt auf dem gleichen Portal auf eine Zahl von 2996 und der Usbeke Nodirbek Abdusattorov war zeitgleich mit 2874 dabei. Der ein Jahr jüngere Inder Rameshbabu Praggnanandhaa, Pragg, kommt auf eine Zahl von 2775. Vincents aktuelle Zahl dort (Stand 1. Juli 2020) liegt bei 2820.

Französische Verteidigung

Vincent hat gegen den Hauptzug 3.Sc3 sowohl mit dem klassischen Zug 3...Sf6 geantwortet als auch mit dem Winawer.Zug 3...Lb4 experimentiert.

The Classical French - Main Line

Nach 1.e4 e6 2.d4 d5 3. Sc3 Sf6 4. e5 Sfd7 5. f4 c5 6. Sf3 Sc6 7. Le3 untersucht der Autor die Hauptvariante mit 7... a6 und b5, das mutige Vorgehen mit 7... cxd4 8. Sd4 Db6 und die ruhigeren Stellungen, die nach 7...cxd4 8. Sd4 Lc5 entstehen.

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Die Französische Verteidigung für den Turnierspieler

Seine gesamte Karriere hat GM Nick Pert Französisch gespielt und bündelt seine Analysen klassischer und hochmoderner aktueller Varianten jetzt auf einer DVD. Der englische GM verrät die besten Varianten und zeigt, wie man im Franzosen punktet.

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Dabei waren die aktuellen Ergebnisse mit dem Zug des Läufers bislang weniger überzeugend. Ferner betrachten wir neben dem Tarrasch-System (3.Sd2 b6) im Franzosen vor allem die Vorstoßvariante in der Vincent den Zug 5...Dc7 ausprobiert und die Abtausch-Variante.

Bemerkenswert waren einige „Thematurniere“ von Vincent: Gegen den peruanischen Großmeister Jose Eduardo Martinez Alcantara (jospem), im richtigen Leben mit einer Elozahl von 2600 ausgestattet, spielt Vincent seit Wochen eine interessante klassische Variante mit beidseitig wechselndem Erfolg – auch für Weißspieler sind also Anregungen bei dem Zusammenspiel der Partie dabei. Gegen den lettischen Großmeister Nikita Meshkovs (Gambito_King) hat Vincent mehrfach die Abtausch-Variante auf dem Brett gehabt. Bei der Vorstoßvariante war besonders die Partie gegen Pawel Eljanov interessant.

Auch in Vincents Partien finden sich wie bei den meisten anderen starken Spielern grobe Versehen in den Partien. Die meisten hier betrachteten Partien von Vincent waren mit der Kadenz 3+0 gespielt, daher sollte man die Aussagekraft der Zahlen und Ergebnisse nicht überinterpretieren, sondern die Tatsache der neuen Vielfalt von Vincent klar in den Vordergrund stellen. Und genau darum dürfte es Vincent und seinem Coach Peter Leko in erster Linie gehen. Ein breiteres Repertoire bringt in Zukunft einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: seine Gegner können sich künftig in Turnieren weniger präzise auf Vincent vorbereiten.

Partienauswahl:

 

 

 


Thorsten Cmiel ist Fide-Meister lebt in Köln und Milano und arbeitet als freier Finanzjournalist.

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