01.06.2015 – In den 1970er begann Nigel Short seine Schachkarriere als Wunderkind. Kürzlich nahm er schon als "Jung-Senior" (Ü 50) bei der Senioren-Mannschaftsweltmeisterschaft in Dresden teil. Aber erst heute feiert der Jubilar seinen 50. Geburtstag. Dagobert Kohlmeyer sprach mit dem angriffslustigen und eloquenten Engländer über Schach, Vorbilder und Politik. Mehr...
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„Vielleicht spiele ich länger als Viktor Kortschnoi“
Interview mit Großmeister Nigel Short
Der englische Großmeister Nigel Short feiert am 1. Juni seinen 50. Geburtstag. Das ehemalige Schachwunderkind ist längst erwachsen und kann auf eine vier Jahrzehnte lange Karriere zurückblicken. Ihr Höhepunkt war das WM-Match 1993 in London gegen Garri Kasparow. Short spielte viele großartige Partien und mischte zuweilen auch in der Schachpolitik mit. Ein großes Hobby von ihm ist das Gitarrespiel. Dagobert Kohlmeyer hatte Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem Jubilar.
Quelle: Kevin Spraggett on Chess
Nigel, wie fühlt man sich als „Jung-Senior“?
Es ist okay, ich fühle mich absolut prima.
Bei der Senioren-Team-WM in Dresden hatten alle mit dem Sieg des englischen Teams gerechnet. Was ging schief?
Ich weiß nicht (lacht). Natürlich kamen wir her, um zu gewinnen. Der dritte Platz ist recht enttäuschend für uns. Aber wir haben eben nicht gut genug gespielt. Im Schach ist nichts garantiert. Das hat auch dieses Turnier mal wieder gezeigt.
Hast du früher schon mal in Dresden gespielt?
Ich bin das zweite Mal nach der Schacholympiade von 2008 in diese Stadt gekommen.
Welche Erinnerungen hast du an damals?
Es war eine schöne Veranstaltung. Diesmal wohnten wir jedoch außerhalb des Zentrums, das war etwas anders. Normalerweise fahre ich am Spielort nicht gern so weite Wege, wenn ich ein Turnier spiele.
Dresden ist die Heimatstadt von Wolfgang Uhlmann. Er liebt die Französische Verteidigung sehr. Erinnerst du dich an eure turbulente Remis-Partie bei der Olympiade 1988 in Thessaloniki?
Ja klar. Ich konnte dort als Weißer in der Eröffnung besser spielen und seinen Bauern auf h6 schlagen, aber die Theorie war damals noch nicht so weit entwickelt.
Wolfgang Uhlmann feierte kürzlich auch ein großes Jubiläum, er wurde 80 Jahre. Wie fandest du ihn als Schachspieler?
Er ist ein berühmter Großmeister. Ich kenne seine Partien aber nicht besonders gut. Mir fiel jedoch auf, dass er in der Auswahl seiner Eröffnungen etwas einseitig war. Mit einem breiteren Repertoire hätte er sicher noch mehr Erfolg als Aktiver gehabt.
Der ganz junge Nigel Short
Wer waren früher deine schachlichen Vorbilder, bzw. von wem hast du als junger Spieler in England am meisten gelernt?
Ich denke, John Nunn hatte einen sehr großen Einfluss auf mich. Er war zum Beispiel mein Sekundant bei der Jugend-WM 1980 in Dortmund. Dort belegte ich hinter Garri Kasparow den zweiten Platz. John hat meine schachliche Entwicklung entscheidend gefördert. Er geht ganz methodisch vor und ist sehr gut organisiert.
Der immer noch junge Nigel Short
Du hast sehr früh die Laufbahn als Schachprofi eingeschlagen und kannst schon auf eine lange Karriere zurückblicken. Wie viele Schacholympiaden hast du gespielt?
Seit 1984 habe ich für England an allen Turnieren der Nationen teilgenommen, und zwar ohne Unterbrechung. Das sind schon 16 Olympiaden.
Bisheriger Rekordhalter ist der Ungar Lajos Portisch mit 20 Olympiade-Starts. Möchtest du seine Bestmarke übertreffen?
Wir werden sehen, ob ich das schaffe. Eugenio Torre, Heikki Westerinen und Kirill Georgiew haben auch eine sehr hohe Zahl als Teilnehmer aufzuweisen.
Nigel Short als Vortänzer in Angola
Wer ist für dich der größte Schachspieler aller Zeiten?
Das ist Garri Kasparow.
Und andere Weltmeister wie Bobby Fischer?
Du wolltest einen Namen haben, und den habe ich genannt.
Nigel Short mit Shen Yang in China
Wie ist deine Erinnerung an das eigene WM-Duell gegen Garri Kasparow 1993 in London?
Es war ein sehr schwieriger Zweikampf sowie ein schmerzhaftes Match für mich - und das in vieler Hinsicht.
1993 in Monte Carlo
Wie lange willst du noch Wettkampfschach spielen?
Das ist eine sehr gute Frage. Ich möchte so lange Turniere bestreiten, wie ich Freude daran habe und erfolgreich bin.
Etwa so lange wie Viktor Kortschnoi?
Warum denn nicht! Wenn ich genug Spaß habe und gesund bleibe, dann spiele ich vielleicht sogar noch länger als er. (lacht)
Hast du auch immer noch Ambitionen, Schachfunktionär zu werden? Vor fünf Jahren, als beim FIDE-Kongress die ECU-Wahlen anstanden, klappte es nicht. Euer Ticket hatte keinen Erfolg. Auch Kasparow, dem du 2014 geholfen hast, konnte gegen Iljumschinow nichts ausrichten.
Ich denke, jetzt ist eine sehr unglückliche Zeit für Schach.
Nigel Short mit Robert von Weizsäcker
Warum?
Wir haben im Weltverband eine Art Diktatur, würde ich sagen.
Es scheint nicht so einfach zu sein, mit den FIDE-Oberen umzugehen…
Genau. Das ist wirklich nicht leicht, gegen alle diese Leute etwas zu erreichen.
Was hältst du vom amtierenden Weltmeister Magnus Carlsen? Gefällt dir sein Schachstil?
Er ist ein exzellenter Spieler, und ich mag seine Partien. Magnus spielt ein kämpferisches Schach, und es macht mir Freude, seine Spiele anzusehen.
Wer könnte ihm denn im nächsten Jahr als Herausforderer gefährlich werden?
Jeder würde nach den Turnieren von 2014 Fabiano Caruana nennen. Sicher waren seine Ergebnisse im letzten Jahr ganz außergewöhnlich. Wir werden sehen, ob es mit ihm so weiter geht. Aber vielleicht könnten auch andere Spieler Carlsen Paroli bieten.
Was muss ein Herausforderer mitbringen, um gegen den Norweger erfolgreich zu sein?
Er muss sehr gute Nerven haben, ganz stark spielen und ausgezeichnet rechnen können. Und vor allem sollte er jung sein, um genügend Energie für einen WM-Kampf zu haben.
Welches ist deine schönste Partie? Den meisten Schachanhängern gefällt natürlich vor allem dein Sieg über Jan Timman in Tilburg 1991 mit dem tollen Königsmarsch.
Das ist sicher meine berühmteste Partie. Über sie sprechen die Leute überall auf der Welt, wo ich hinkomme. Doch ich habe in meiner Karriere viele gute Partien gespielt. Natürlich mag ich das erwähnte Spiel sehr, aber den Focus ausschließlichen darauf zu richten, halte ich für etwas unglücklich, weil ich eben auch noch viele andere gute Partien gespielt habe.
Zum Beispiel?
Ich habe einige DVDs bei der Firma ChessBase gemacht, auf denen sie präsentiert werden.
Welche Partie ist die spannendste, die du je gesehen hast?
Das kann ich jetzt auf Anhieb nicht sagen. Es gibt zu viele großartige Spiele, um spontan ein einziges zu nennen.
Welche Rolle spielt die Schachliteratur in deinem Leben, und was für Bücher liest du besonders gern?
Schachliteratur ist sehr wichtig. Ich mag vor allem Bücher über die Schachgeschichte. Mein Geschmack hat sich über die Jahre hin verändert. Zu Hause habe ich sehr viele Schachbücher, es sind einige tausend. Die meisten von ihnen habe ich auch gelesen.
Du bist auch ein guter Gitarrist und spielst bis heute gern vor Publikum. Dein Auftritt mit Elisabeth Pähtz zur Schacholympiade 2014 in Tromsø wird bei You-tube sehr viel angeklickt. Sie sang dort „Can’t help falling in love“.
Ja, das hat uns beiden großen Spaß gemacht.
Wer war oder ist für dich der beste Gitarrist aller Zeiten? Vielleicht Jimi Hendrix oder Eric Clapton?
Nein, keiner von denen. Für mich war das der Spanier Andres Segovia. Er spielte Akustik-Gitarre. (Segovia lebte von 1893 bis 1987 und hatte großen Einfluss auf die Entwicklung des klassischen Gitarrenspiels im 20. Jahrhundert - D. Kohlmeyer.)
Wie begehst du deinen 50. Geburtstag?
Ich weiß noch nicht genau. Falls es in Griechenland sein wird, dann hätte ich gern einen kurzen Urlaub mit meiner Frau. Und wenn das zeitlich nicht klappt, dann gebe ich ein gutes Dinner für einige wenige Freunde in Griechenland.
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Du lebst seit vielen Jahren mit deiner Familie in Athen. Willst du irgendwann mal zurück nach England?
Im Augenblick nicht, auch wenn ich gern in England bin. Unsere Tochter ist erwachsen, aber der Sohn erst 16 Jahre alt und geht in Griechenland noch zur Schule. Wenn er dann aber eine Universität besucht, ist das vielleicht ein Anlass, den Wohnort zu wechseln. In einigen Jahren wird möglicherweise eine neue Situation sein. Momentan ist die Lage in Griechenland ja sehr schlecht.
Was sagst du zur Politik der gegenwärtigen Regierung in Athen?
Es ist ein totales Desaster mit ihr. Sie ist völlig verantwortungslos und wurde auf der Grundlage falscher Versprechungen gewählt. Die Politiker haben Sachen versprochen, die sie überhaupt nicht halten können. Insbesondere, weil vieles von anderen Völkern abhängt, zum Beispiel von Deutschland.
Was ärgert dich besonders?
Ich kann nicht verstehen, warum deutsche Steuerzahler Geld geben sollen, um eine Bande nutzloser Griechen zu retten. Diese Leute haben ihr Land in den letzten 30 Jahren durch verantwortungsloses Regieren ruiniert. (O-Ton: „The have fuck up their country”)
Weißt du eine Lösung?
Man kann und sollte ihnen nur helfen, wenn sie wirklich Reformen durchführen. Das ist die einzige Möglichkeit.
Danke für Das Gespräch, Nigel! Happy birthday und alles Gute für die Zukunft!
26…Sg4+! 27.Kh1 Nach 27.hxg4 Dh4+ 28.Kg1 Ld4+ 29.Le3 Txe3 ist das Matt ist nicht zu verhindern. Oder 27.Kg3 h4+ 28.Kf3 Sh2+ 29.Kf2 Ld4+.
27…Dh4 0-1 (Die Drohung Dg3 entscheidet.)
Nigel Shorts „Unsterbliche“
Short – Timman Tilburg 1991
Weiß gewinnt
Wenn die beiden Damen noch auf dem Brett stehen, ist ein Königsmarsch extrem spektakulär. Hier kann sich die weiße Majestät den Ausflug erlauben, weil Schwarz im Partieverlauf total eingeschnürt wurde. 31.Kh2! Tc8? Jan Timman erkennt die Absicht nicht rechtzeitig. Er musste 31…Lc8 versuchen, um das Spiel möglichst zu vereinfachen. 32.Kg3!! Tce8 33.Kf4! Lc8 „Too late. I‘m walking!“, sagt Nigel Shorts König. 34.Kg5! 1-0
Was für eine Stellung! Wenn 34…Kh7, so 35.Dxg6+ nebst Matt. Nach 34…Lxd7 dringt der König ins Feld h6 ein. Ein echtes Husarenstück. Durch den feinen Sieg wurde der Engländer Turnierzweiter hinter Kasparow. Der Schachinformator zeichnete Shorts imponierende Königswanderung mit einem Spezialpreis aus.
Dagobert KohlmeyerDagobert Kohlmeyer gehört zu den bekanntesten deutschen Schachreportern. Über 35 Jahre berichtet der Berliner bereits in Wort und Bild von Schacholympiaden, Weltmeisterschaften und hochkarätigen Turnieren.
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