Weihnachten in Böblingen
Von Anna Dergachova
Partien zum Nachspielen...
Die Zeit zwischen Weihnachten und Sylvester
ist für die meisten Menschen in Deutschland mit viel Essen, faulenzen, Freunde
besuchen, Urlaubsreisen (möglichst in die Ski-Gebiete) usw. verbunden.
Schachspieler sind da auch nicht anders. Sie verreisen auch sehr gern, doch fast
immer muss am Ende ein verlockendes Ziel winken – ein Schachturnier. Und dort
trifft man natürlich auch Freunde, das Essen (und manchmal Trinken – wir sind ja
auch nur Menschen) fällt nicht aus, nur bleibt nicht sehr viel Zeit fürs
faulenzen.
Ich habe mir aus einer Vielfalt an
interessanten Schachangeboten das Turnier in Böblingen ausgesucht. Schon seit
Jahren versprach ich meiner Freundin Ljudmila Didenko, die zufälligerweise dort
wohnt, sie Sylvester zu besuchen, habe es vorher aber nie geschafft.
Ludmilla Didenko
Sylvester ist bei uns in Russland nämlich
das weitaus wichtigere Fest als Weihnachten. Das hängt vermutlich damit
zusammen, dass die orthodoxe Kirche in der UdSSR sehr lange verboten war, und
dieses christliche Fest, das übrigens am 7. Januar gefeiert wird, in
Vergessenheit geriet. Also, wie ich es gerne mache: Zwei Fliegen mit einer
Klappe schlagen – ein Turnier mitspielen und ein schönes Fest bei Freunden
feiern.
Eigentlich sind solche doppelrundigen
Turniere nie meine Stärke gewesen. 9 Runden in 5 Tagen ist ein ziemlich harter
Marathon. Früher habe ich mein Glück oft beim Open in Essen-Borbeck versucht.
Und jedes Jahr mit einem für mich ziemlich peinlichen Ergebnis –50 DWZ-Punkte!
Das lief oft so: Ich verlor die Partie am Morgen, oder verdarb die gewonnene
Stellung zum Remis – und schon war die Partie am Abend sehr gefährdet. Mein
Gegner, konnte ein Anfänger sein (was wirklich einmal der Fall war, ich verlor
eine Weißpartie gegen einen vereinslosen Spieler mit DWZ 1632), das spielte
keine Rolle – ich musste meinen Ärger besiegen. Was sich immer als sehr
schwierig erwies. Also hatte ich mir dieses Mal keine hohen Ziele gesetzt, es
war eher Schadensbegrenzung angesagt. Im nachhinein bin ich nicht unglücklich –
dieses Mal nur Minus 15 ELO–Punkte und ein mit Petra Schuurman geteilter
Damenpreis als kleiner Trost.
Petra Schuurmann
Da ich schon in der zweiten Runde eine
Partie verloren habe, (aus unerklärlichen Gründen Remis abgelehnt, nachdem ich
ein Turmopfer, dass zum Dauerschach führte, übersah), hatte ich bis zur Runde 9
keinen starken Gegner und konnte mich daher gar nicht in das Geschehen um die
vordere Plätze einmischen. Dafür hatte ich während der Runden meistens viel
Zeit, fremde Partien anzuschauen und hoffentlich etwas dazu zu lernen.
Der Sieger des Turniers Vladimir Baklan, von
seiner Gattin begleitet, gewann das Turnier mit 8 aus 9 souverän.
Vladimir Baklan
Einen halben Punkt hinter ihm landeten
Thomas Luther und Lorenz Drabke, ein viel versprechender junger deutscher
Spieler.
Thomas Luther
Danach gab es 7 Spieler mit 7 Punkten, unter
ihnen WGM Inna Gaponenko aus der Ukraine, ein häufiger Gast bei vielen offenen
Turnieren, ja fast schon eine Open–Spezialistin, ihr Name steht oft ganz vorne
in den verschiedensten Turniertabellen. Und ich muss sagen, sie spielt wirklich
stark, und professionell.
Inna Gaponenko
Das Turnier war sehr gut organisiert, im
Hotel Novotel gab es genug Platz für die knapp 300 Teilnehmer, die Analysenräume
waren groß genug und wurden sehr gut angenommen.
Nicht nur Turnierteilnehmer, sondern auch
viele Zuschauer - Schachliebhaber aus Böblingen und Umgebung kamen jeden Tag und
spielten zahlreiche Schachpartien gegeneinander. Manche Spieler und Spielerinnen
erschienen zur Runde in Begleitung ihrer Kinder (von ganz Kleinen noch im
Kinderwagen bis Schulkindern, die sich die Wartezeit mit Buntstiften
vertrieben). Sollen sie das königliche Spiel doch früh genug lernen!
Kleinigkeiten zu Essen gab es auch, die
Auslosung kam immer pünktlich. Alles lief also reibungslos – aber nur fast.
Leider musste ein Spieler (Konstantin Konson) wegen seines klingelnden Handys
genullt werden. Mit 3 Punkten aus 3 Partien war es sicherlich sehr ärgerlich für
ihn. Doch selbst Weltmeister Ruslan Ponomariov blieb davon ja nicht
verschont...
Mir passierte es auch, aber Gott sei Dank,
war ich in diesem Augenblick nur als Zuschauer im Turniersaal, deshalb zwar ein
Paar böse Blicke und eine Verwarnung – aber immerhin keine Null. Ich persönlich
empfinde diese Strafe als etwas zu hart, doch wer weiß, was in unserer Zeit so
alles passieren kann, wo wirklich jeder ein Mobiltelefon bei sich hat. Bei der
Siegerehrung haben die Organisatoren an alle gedacht, es gab sogar einen Preis
für eine Quizfrage: Wer im Jahre ??? das Turnier gewonnen hat. Sebastian
Siebrecht wusste es und bekam dafür ein Schachbrett und eine Schachuhr.
Das Wetter war die ganze Zeit richtig schön
Weihnachtlich, mit Schnee und Sonne. Also spricht einiges dafür, dass man
nächstes Jahr erneut nach Böblingen fährt.
Starke Frauenfraktion: Inna Gaponenko und Tina Mietzner
Tina Mietzner holte 5,5 aus 9