Weltmeisterlich: remis?

von ChessBase
20.12.2004 – Obwohl der Weltmeisterschaftskampf zwischen Kramnik und Leko mit vier von 14 entschiedenen Partien mehr volle Punkte verteilte, als z.B. der Vorgängerwettkampf zwischen Kasparov und Kramnik in London 2002, waren die Schachfans enttäuscht. Mit sechs Kurzremisen stellte sich der Wettkampf in eine Reihe mit den ebenfalls zumeist farblosen Turnieren in Linares und Dortmund im gleichen Jahr. In aktuellen Interviews in Schach (12/2004) und New in Chess (2004/8) hat Kramnik sich dazu geäußert, aber nach Meinung vieler Schachfreunde den Kern der Sache nicht getroffen. Johannes Fischer hat sich nun die Mühe gemacht, die Kampfesfreude und Remisquote der einzelnen Weltmeister statistisch zu untersuchen und stellt damit die Diskussion auf eine sachlich fundierte Basis. Die Weltmeister und das Remis...

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Die Weltmeister und das Remis: Eine Betrachtung
Von Johannes Fischer

Sucht man nach den schönsten und aufregendsten Partien des Jahres 2004, ist die 14. Partie aus dem WM-Kampf zwischen Kramnik und Leko sicher ein Kandidat auf einen Spitzenplatz. Sie entschied nicht nur über die Weltmeisterschaft, sondern zeigte auch, wie brillant Kramnik unter Druck spielen kann. In einer Partie, die er unbedingt gewinnen musste, um seinen Titel zu verteidigen, tauschte Kramnik früh die Damen, entwickelte dann kontinuierlich Druck und krönte all das schließlich mit einem Mattangriff mit reduziertem Material. Aber trotz dieses furiosen Finales waren viele Schachfans von dem WM-Kampf enttäuscht. Bemängelt wurde vor allem die hohe Zahl der kurzen Remis. Denn nicht weniger als sechs von vierzehn Partien endeten nach 23 oder weniger Zügen mit Remis.

In Interviews, die Kramnik nach dem WM-Kampf gab, forderte er das Publikum auf, die Dinge positiver zu sehen, seine Rolle als Experte, der weiß, was er tut, anzuerkennen, und verglich sich mit einem Künstler, der auch nicht auf Bestellung Meisterwerke liefern könnte. (Siehe z.B. das Interview mit Dirk Poldauf in Schach 12/04, S.49-54 und das Interview mit Dirk Jan ten Geuzendam in New in Chess 8/2004, S.68-74).

Kramnik-Interviews zu lesen macht Vergnügen. Sie sind klar, durchdacht, intelligent und bestechen durch Sachlichkeit. Aber überzeugen kann diese Argumentation nicht. Denn niemand erwartet von Kramnik, dass er Glanzpartien am Fließband abliefert. Man wünscht sich einfach nur etwas mehr Kampfgeist, nicht zuletzt im Interesse des Schachs. Denn attraktive Turniere mit guten Preis- und Antrittsgeldern gibt es nur, wenn sich genügend Leute für Schach interessieren – und saftlose Remis will eben niemand sehen.

Zu seiner Verteidigung wies Kramnik u.a. darauf hin, dass andere Weltmeister wie Petrosian und Spassky gelegentlichen Kurzremis auch nicht abgeneigt waren. Die folgende Tabelle versucht deshalb die Frage zu beantworten, wie es die bisherigen vierzehn Weltmeister im klassischen Schach mit dem Remis halten bzw. hielten. Sie beruht auf der Big Datenbank 2005 in ChessBase 9, aus der Simultan-, Blitz- und Schnellschachpartien gefiltert wurden, um nur ernsthafte Turnier- und Wettkampfpartien zu berücksichtigen. Erfasst wurden nur Partien bis Ende 2003.

Name

Zahl der gespielten Partien

Zahl der Siege (dahinter die Gewinnquote in %)

Zahl der Remis (dahinter die Remisquote)

Zahl der Niederlagen (dahinter die Verlustquote)

Durchschnittliche Länge der Partien

Durchschnittliche Länge der Remispartien

Zahl der Remispartien, die 20 Züge oder weniger dauerten

Gesamtzahl der Partien geteilt durch Zahl der Kurzremis (gerundet)

Steinitz

618

342-55

125-21

151-24

39

42

6

103

Lasker

549

303-55

173-32

73-13

42

41

13

42

Capablanca

642

337-52

261-42

44-6

39

35

29

22

Alekhine

1240

719-58

390-32

130-10

41

41

35

35

Euwe

1384

657-47

502-37

221-16

37

35

49

28

Botvinnik

977

461-47

400-42

116-11

41

39

49

20

Smyslov

2699

923-34

1450-55

295-11

37

33

393

7

Tal

2456

982-40

1202-49

270-11

35

30

396

6

Petrosian

2087

766-36

1155-57

165-7

35

29

389

5

Spassky

2291

749-32

1329-59

212-9

34

29

450

5

Fischer

733

407-55

241-34

85-11

41

42

19

39

Karpov

2164

822-37

1167-55

175-8

40

36

265

8

Kasparov

1265

540-42

627-51

98-7

37

34

103

12

Kramnik

867

314-36

484-57

69-7

36

31

139

6

Neben der großen Friedfertigkeit der sowjetischen Spieler nach Botvinnik fällt sofort ins Auge, dass die alten Meister insgesamt kämpferischer gewesen zu sein scheinen, allen voran Steinitz, der die niedrigste Remisquote aller Weltmeister aufweist – allerdings auch die höchste Quote an Verlustpartien.

Der Spieler mit der höchsten Quote an Gewinnpartien ist Aljechin (58%), gefolgt von Fischer und Lasker (beide 55% Gewinnpartien). Dass dies nicht von ungefähr kommt, zeigt ein Blick auf die Länge der Remispartien. Auch hier liegen Fischer und Steinitz mit 42 Zügen im Schnitt knapp vor Lasker und Aljechin, deren Remispartien im Schnitt 41 Züge dauerten. Auch bei der Häufigkeit der Remispartien unter 20 Zügen zeichnen sich diese vier besonders aus. Während Aljechin im Schnitt jede 35. Partie unter zwanzig Zügen Remis machte, geschah dies bei Fischer nur in einmal in 39 Partien und bei Lasker in einer von 42 Partien. Fast gar keine Kurzremisen gab es bei Steinitz. Die Chance, als Zuschauer von Steinitz mit einem kurzen Remis abgespeist zu werden, betrug nicht einmal 1%.

So scheinen Steinitz, Lasker, Aljechin und Fischer die Weltmeister mit dem größten Kampfgeist zu sein. Sie haben prozentual mehr Gewinnpartien aufzuweisen als ihre Kollegen, ihre Remispartien dauern länger und die Zahl ihrer Kurzremisen ist niedrig.

Am anderen Ende der Skala stehen Smyslov, Petrosian, Spassky, Karpov und Kramnik, die häufiger Remis machen als alle anderen Weltmeister. Die Friedenstaube flattert hier zu Spassky, der mit einer Remisrate von 59% glänzt, dicht gefolgt von Petrosian und Kramnik mit 57%. Die durchschnittliche Länge der Remis, die deutlich kürzer ausfallen als bei Steinitz, Lasker, Aljechin und Fischer, sowie die Häufigkeit kurzzügiger Friedensschlüsse bestätigen den Eindruck der Friedfertigkeit dieser Weltmeister. Bei Petrosian und Spasski dauern Remispartien im Schnitt nur 29 Züge, bei Kramnik immerhin 31. Und im Schnitt einigten sich Petrosjan und Spasski in jeder fünften Partie mit ihrem jeweiligen Gegner nach spätestens 20 Zügen auf Remis. Kramnik zeigt hier etwas mehr Einsatz und gibt nur jede sechste Partie so schnell Remis.

So gesehen hat Kramnik Recht: Petrosian und Spassky haben noch häufiger und noch schneller Remis gespielt als er, ohne dass dies ihrem Nimbus geschadet hätte. Aber die oben angeführten Zahlen beziehen sich auf die gesamte Laufbahn der Weltmeister. Der am 25. Juni 1975 geborene Kramnik hingegen ist noch nicht einmal dreißig. Und schaut man sich an, wie häufig die "friedfertigen" Weltmeister bis zum Alter von dreißig Remis gemacht haben, ergibt sich ein etwas anderes Bild:

Name

Zahl der gespielten Partien

Zahl der Siege (dahinter die Gewinnquote in %)

Zahl der Remis (dahinter die Remisquote)

Zahl der Niederlagen (dahinter die Verlustquote

Durchschnittliche Länge der Partien

Durchschnittliche Länge der Remispartien

Zahl der Remispartien, die 20 Züge oder weniger dauerten

Gesamtzahl der Partien geteilt durch Zahl der Kurzremis (gerundet)

Smyslow 1921-1951

395

178-45

161-41

56-10

43

43

20

20

Petrosian
1929-1959

725

304-41

344-49

77-10

37

32

81

9

Spassky
1937-1967

777

322-41

386-51

69-8

37

33

89

9

Karpov
1951-1981

864

386-44

429-51

49-5

36

34

113

8

Kramnik
1975-2003

867

314-36

484-57

69-7

36

31

139

6

Hier zeigt sich, dass kein anderer Weltmeister in jungen Jahren so oft und so schnell Remis gespielt hat wie Kramnik. Er weist die niedrigste Gewinnquote und die höchste Remisquote auf, seine Remispartien sind im Schnitt kürzer als die seiner Rivalen um den Titel des Friedenskönigs und er ist derjenige mit der höchsten Zahl an Kurzremis.

Aber sehen wir es positiv. Schließlich hat Kramnik noch Zeit, diese Statistik kämpferischer zu gestalten. Vielleicht fehlt ihm nur eine Herausforderung, ein WM-Kampf gegen Kasparov oder Anand beispielsweise.

 

 

 

 

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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