03.12.2021 – Mit einer ungewöhnliche Zugfolge führte Magnus Carlsen in seiner dritten Weißpartie das Spiel recht schnell auf unbekanntes Terrain. Nach ausgeglichenem Mittelspiel entstand eine spannende Position, in der beide Seiten in Zeitnot Gewinnchancen bekamen, diese aber nicht nutzten. Schließlich wurde es die längste WM-Partie der Schachgeschichte. | Fotos: Niki Riga und Eric Rosen (FIDE)
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Die ersten fünf Partien des Wettkampfes zwischen Weltmeister Magnus Carlsen und seinem Herausforderer Ian Nepomniachtchi endeten alle remis und die Schachgemeinde murrte. Anders als zum Beispiel 1984, als Karpov und Kasparov eine Serie mit 17 Remisen und eine weitere mit 14 Remisen hinlegten, müssen die Spieler heute in Pressekonferenzen sofort nach den Partien Rede und Antwort stehen. Und außerdem schauen Zehntausende von Schachfans im Internet live zu.
Auf der Pressekonferenz nach der 5. Partie meinte Carlsen, er wolle nicht als der Weltmeister in die Geschichte eingehen, der nach 2016 in WM-Matches keine einzige Partie mehr gewonnen hat.
In der 5. Partie, der dritten Spanischen mit Carlsen als Führer der schwarzen Steine, hatte der Norweger nach der Eröffnung eine recht passive Stellung, ohne aktives Spiel. Er hielt die Partie zwar remis, aber so richtig zufrieden konnte der Weltmeister nicht sein. In ihrer Kommentierung meinten Anand und Muzychuk vor der 6. Partie, dass zur Zeit eigentlich der Herausforderer eher in der psychologisch vorteilhafteren Situation sei.
Üblicherweise erschien bisher Ian Nepomniachtchi als Erster zu den Partien, meist 20 Minuten vorher, und Carlsen kam erst wenige Minuten vor der Partie. Diesmal war es anders, denn Carlsen saß als Erster am Brett und vermittelte mit seiner Körpersprache und seinem Gesichtsausdruck einen entschlossenen Eindruck.
Der erste Zug
Carlsen spielte wie in der zweiten Partie 1.d4 und auf 1...Sf6 den etwas ungewöhnlichen Zug 2.Sf3. Surya Ganguly, der diesmal mit Judit Polgar kommentierte, vermutete schon, dass vielleicht das von Carlsen gelegentlich mit Erfolg angewandte Londoner System aufs Brett kommen könnte, zum ersten Mal in der Geschichte der Schachweltmeisterschaften, doch Judit Polgar winkte gleich ab: Das konnte sie sich nicht vorstellen. Judit Polgar erwartete aber eine lange Partie. So kam es auch.
Carlsen spielte nach 2...d5 dann den ebenfalls eher ungewöhnlichen Zug 3.g3 und nach 3...e6 4.Lg2 Le7 5.0–0 0–0 folgte überraschenderweise 6.b3. Mit dieser selten gespielten Zugreihenfolge wollte Carlsen seinen Herausforderer ganz offensichtlich aus dessen Vorbereitung bringen. Carlsen strebte eine Katalanische Struktur an, umschiffte so aber eine Reihe von Varianten, in denen Schwarz den Bauern auf c4 schlägt und festhält, so wie es in der 2. Partie geschah. Um nicht in eine vielleicht passive geschlossene Variante der Katalanischen Eröffnung zu geraten, spielte Nepomniachtchi 6...c5 und nach 7.dxc5 Lxc5 ließ Carlsen endlich 8.c4 folgen. Nach 8... dxc4 9.Dc2 De7 bot Carlsen noch mit 10.Sbd2 ein Bauernopfer an, das Nepomniachtchi aber mit 10... Sc6 ablehnte.
Die Position nach 9.Dc2 war in der Geschichte des Turnierschachs tatsächlich erst einmal gespielt worden, 1973 in einer Fernpartie, mit dem Lübecker Detlef Müller-Using, später beim Godesberger SK aktiv, als Weißspieler.
Anand meint, dass Carlsen mit seiner Eröffnung das bekommen hatte, was er angestrebt hatte. Eine nicht schon ausanalysierte spielbare Stellung, in der er sich als der bessere Spieler beweisen konnte.
Nepomniachtchi zeigte sich jedoch wenig beeindruckt und kam mit natürlichen Entwicklungszügen problemlos zu einer ausgeglichenen Stellung. Carlsen entwertete zwar durch Tausch auf f6 die schwarze Königsstellung, konnte daraus aber keinen unmittelbaren Profit ziehen.
Im weiteren Verlauf der Partie entstand eine interessante Stellung mit den Schwerfiguren auf dem Brett und einem weißen Springer gegen einen schwarzen Läufer. Nepomniachtchi erzwang dann den Tausch der weißen Dame gegen seine beiden Türme, so dass eine Position mit völlig ungleichem Material entstand: Schwarze Dame plus Läufer gegen weiße Türme plus Springer. Danach, um den 30. Zug, war Carlsens Bedenkzeit in anspruchsvoller Position auf 5 Minuten geschmolzen, während Nepomniachtchi noch über 20 Minuten auf der Uhr hatte. Die Partie nahm nun deutlich an Dramatik zu. Nach 32...Dd6 verpasste Carlsen das starke 33. Tcc2, das ihn mit Läuferfang in Vorteil gebracht hätte. Stattdessen wählte Carlsen eine ungünstige Abwicklung und musste dann fünf Züge in einer Minute machen. Auch Nepomniachtichi kam schließlich in Zeitnot, verpasste bessere Möglichkeiten und machte seinen 40sten Zug mit 5 Sekunden auf der Uhr.
Nach der ersten Zeitkontrolle stand eine Position auf dem Brett, die objektiv remis war, aber in der Carlsen ohne Risiko noch auf Gewinn spielen konnte. Zum Schluss kämpfte Carlsen mit Turm und Springer und einer Bauernmehrheit gegen die schwarze Dame um den Sieg und rang Nepomniachtchi nach und nach nieder.
Bisher war die 5. Partie aus dem Wettkampf Karpov vs. Kortschnoj, 1978, mit 124 Zügen die längste WM-Partie der Schachgeschichte. Sie endete remis.
Der Rekord wurde nun von Carlsen und Nepomniachtchi gebrochen. Es dauerte 136 Zügen und fast acht Stunden Spielzeit. Dann musste Nepomniachtchi die Partie aufgeben.
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