FIDE-WM 2014 oder nicht?
Die Geschichte der Schachweltmeisterschaften - viele Schachfreunde haben da in der Zwischenzeit den Überblick verloren. Und die breite Öffentlichkeit hat sicher weder Zeit noch Interesse, sich in diese schwierige Materie einzuarbeiten. Immerhin: Inzwischen hat sich die Nachricht weitgehend verbreitet, dass mit Magnus Carlsen ein junger Norweger Schachweltmeister geworden ist. Im Wettkampf schlug der Norweger im letzten Herbst in Madras unter großer Anteilnahme der internationalen Presse Titelverteidiger Viswanathan Anand.
Jüngst suchte die FIDE einen neuen Veranstalter für den nächsten Weltmeisterschaftskampf, der vom 5. bis 25. November 2014 stattfinden soll. Gerade erst, Ende März, hatte sich Viswanathan Anand beim Turnier in Khanty-Mansiysk als Herausforderer qualifiziert. Anand gewann das Turnier überraschend souverän, während die eher als Favoriten gehandelten Vladimir Kramnik und Levon Aronian scheiterten. Übrigens fehlten beim Turnier mit Fabiano Caruana, Hikaru Nakamura oder Alexander Grischuk einige Spieler aus den Top Ten, die man sich auch ganz gut als Herausforderer vorstellen könnte. Vielleicht muss die FIDE noch einmal über ihre Ausscheidungsverfahren für die Kandidatenkämpfe nachdenken, aber das ist ein anderes Thema.
Nachdem mit Anand der Herausforderer feststand, blieb nicht viel Zeit für die Suche nach einem WM-Veranstalter - nur einen Monat. Letzte Woche meldete die Fide dann auch etwas lapidar, dass bisher kein Ausrichter gefunden wurde.
Aber wieso findet denn 2014 überhaupt eine Weltmeisterschaft statt?
Zum besseren Verständnis blicken wir kurz zurück: 1993 spielten Kasparov und Short ihren WM-Kampf ohne die FIDE. Diese führte von da an eigene Weltmeisterschaften durch. Es gab also zwei Weltmeisterschaftssysteme, eins mit und eins ohne FIDE. Um das mögliche Maß an Verwirrung zu reduzieren, lassen wir die Details weg und überspringen ein paar Jahre.
2006 kam es jedenfalls zu einem "Wiedervereinigungswettkampf" zwischen Kramnik und Topalov. Dieser durfte nicht so heißen, weil sonst eine der beiden Fraktionen hätte einräumen müssen, nicht der einzige legitime Weltmeister gewesen zu sein. Über diese Kleinigkeit können wir aber hinwegschauen. Offiziell hat einer den anderen herausgefordert, man weiß nur nicht wer wen.
2007 gab es dann ein WM-Turnier. Warum Turnier? Zuvor hatte die FIDE die Weltmeisterschaften mehrfach in einem K.o.-Turnier ausgespielt, zuletzt 2004. Doch dieses Format, heute noch als "World-Cup" am Leben, fand für eine WM immer weniger Akzeptanz. Für 2007 hatte die FIDE dann das WM-Turnier mit einem Organisator in Mexiko verabredet. Der Organisator wünschte sich das Turnierformat. Anand gewann und wurde Weltmeister.
2008 gab es einen WM-Kampf zwischen Anand und Kramnik, der formal ein "Revanche-Kampf" war. Kramnik hatte dieses Revancherecht als Bedingung für seine Turnierteilnahme beim WM-Turnier ausgehandelt. Wenn man so will, war das Turnier 2007 also die "Nullstunde" nach der "Wiedervereinigung" und der Revanchekampf wurde "außer der Reihe" gespielt. Bei einem Zweijahreszyklus hätte das nächste Match 2009 stattfinden müssen, doch die WM zwischen Anand und Topalov wurde erst 2010 ausgetragen. Es folgte eine WM 2012, Anand gegen Gelfand und eine 2013, Anand gegen Carlsen. Man könnte vermuten, dass die geplante WM 2011 erst 2012 stattfand und die WM 2013 dann wieder zum "regulären" Zeitpunkt durchgeführt wurde. Können Sie noch folgen?
Nun gibt es aber auch noch eine Weltmeisterschaft 2014, für die man keine plausible Erklärung findet. Bemerkenswerterweise hat sich kaum jemand darüber gewundert. Die Leute, besonders die Schachfreunde sind inzwischen offenbar sehr duldsam geworden und begehren nicht auf - so lange man ihnen das Internet nicht abschaltet.
Hat die FIDE vielleicht einen Ein-Jahreszyklus eingeführt? Nein. Ein Blick in den FIDE-Kalender zeigt, dass für 2015 keine Weltmeisterschaft geplant ist. Für 2016 aber schon. Irgendwie ist also eine zusätzliche Weltmeisterschaft reingerutscht. Manche vermuten den Grund für die seltsame Staffelung der WM-Zyklen - Grand-Prix-Turniere, World Cups und Kandidatenkämpfe gehören auch noch dazu - im Vertrag der FIDE mit dem Vermarkter Andrew Paulson und dessen Entwurf für die WM-Zyklen im Verlauf der 11 Jahre Vertragsdauer. Andere sagen: Ist doch prima für die FIDE. Mit jeder zusätzlichen Weltmeisterschaft verdient die FIDE und einige der Beteiligten. Auch das könnte ein Grund sein.
Wenn man allerdings in sehr kurzen Abständen Weltmeisterschaften durchführt, bekommt man auch ein paar Probleme. Mit ihren K.o.-Weltmeisterschaften, die zwischen 1999 und 2004 teilweise ebenfalls jährlich ausgespielt wurden und aufgrund des Formats durch ein gewisses Maß an Zufall diesen oder jenen Spieler zum (FIDE-)Weltmeister gemacht haben, den man als solchen nicht erwartet hätte, hatte die FIDE die "Marke" Weltmeisterschaft schon nachhaltig beschädigt. Als Schachweltmeister erwartet man den besten Spieler der Welt und das System muss so eingerichtet sein, dass der beste Spieler der Welt auch gute Chancen hat sich durchzusetzen. Außerdem macht es keinen Sinn, jedes Jahr einen neuen Schachweltmeister zu küren, dessen vielleicht komplizierten Namen die breite Öffentlichkeit sich gar nicht so schnell merken kann.
Man fragt sich, ob die FIDE inzwischen mit Vernunft gesegnet wurde oder ob sie einfach mit Magnus Carlsen nur Glück hatte. Carlsen und sein Management arbeiten selber daran, sich bekannt zu machen. Und an seiner Rolle als bester Schachspieler der Welt gibt es nichts zu deuten. Und offenbar macht es ihm auch nichts aus, jedes Jahr um die Weltmeisterschaft zu spielen. Spieler, die ihn gut kennen, meinen, er würde auch jede Woche um den Titel spielen, wenn man das von ihm verlange. Die Wettkämpfe werden ja auch ganz gut vergütet, so dass die materielle Seite der Angelegenheit für die Spieler sicher zufriedenstellend ist.
Nun hat die FIDE aber das Problem, auf die Schnelle einen Ausrichter zu finden. Hätten sich Aronian, Kramnik oder vielleicht Mamedyarov als Herausforderer qualifiziert, dann wären wohl in Armenien, Russland oder Aserbaidschan Geldgeber und Organisatoren gefunden worden. In Armenien ist Schach Chefsache. Staatspräsident Serge Sargsyan ist auch Präsident des Schachverbandes. In Aserbaidschan hätte der staatliche Ölbetrieb SOCAR sicher gezahlt und in Russland hätte man schon einen Oligarchen gefunden oder Gazprom hätte vielleicht das Match finanziert. Doch mit Anand als Herausforderer ist es schwieriger. Seine Heimat Tamil Nadu hat ja gerade erst eine Schachweltmeisterschaft ausgerichtet.
Eigentlich wäre ein Ausrichter in Norwegen an der Reihe. Hier hat man aber gerade die Finanzierung der auch nicht eben billigen Schacholympiade zu stemmen. Da ist es sicher nicht einfach, weitere drei Millionen oder mehr Euro für einen Wettkampf um die Weltmeisterschaft zu finden, selbst wenn Norwegens Sportidol Carlsen spielt. Der norwegische Schachverband hat sich um Sponsoren bemüht, aber in der Kürze der Zeit keine gefunden. Außerdem möchte man nicht der Schacholympiade, die noch nicht 100% durchfinanziert ist, den Weg kreuzen.
Andere Mitbewerber um die Ausrichtung gibt es nicht. Paris, das im letzten Jahr noch in Konkurrenz zu Tamil Nadu ins Gespräch gebracht wurde, hat sich diesmal nicht gemeldet. Und sicher spielt auch Carlsens große Überlegenheit, dokumentiert in der Weltrangliste, eine Rolle. Niemand erwartet offenbar einen spannenden Kampf.
Aber vielleicht tut sich ja noch etwas. Sonst droht am Ende vielleicht wieder Elista. Aber selbst hier sind die Bedingungen auch nicht mehr so wie früher. FIDE-Präsident Kirsan Ilyumzhinov ist schließlich nicht mehr Präsident der russischen Republik Kalmückien und lebt nun größtenteils in Moskau. Immerhin gibt es noch Khanty-Mansiysk...