Wer war Ludwig Engels?
Der Düsseldorfer Schachmeister Ludwig Engels ist in seinem Heimatland heute weitgehend vergessen. Dabei war er in den 1930er Jahren einer der besten deutschen Spieler und gehörte 1939 als Nationalspieler zu der deutschen Mannschaft, die als einzige deutsche Auswahl bei einer Schacholympiade jemals Gold gewinnen konnte. Allerdings handelte es sich um eine „großdeutsche Mannschaft“ nach dem erzwungenen Beitritt Österreichs ins Deutsche Reich. Die letzte Schacholympiade in Buenos Aires vor dem Zweiten Weltkrieg konnte nur unter großen Schwierigkeiten einigermaßen ordnungsgemäß zu Ende gebracht werden, da in Europa mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen der Zweite Weltkrieg begonnen hatte.
Von den Spielern der deutschen Nationalmannschaft kehrte keiner nach Deutschland zurück. Nach dem Krieg wuchs eine neue Generation von Schachspielern heran. An die in Südamerika gebliebenen Spieler erinnerte man sich bald kaum noch.

Ludwig Paul Engels wurde am 11. Dezember 1905 in Düsseldorf als Sohn der Kaufleute Louis und Catharina Engels geboren. Sein Zwillingsbruder Johannes Clemens starb schon im folgenden Jahr. Ludwig Engels hatte zudem eine acht Jahre ältere Schwester, Mia, und einen elf Jahre älteren Halbbruder, Wilhelm, aus der ersten Ehe seines Vaters. Dieser starb 1918 als Funkoffizier in einem U-Boot im Ersten Weltkrieg. Als Ludwig Engels fünf Jahre alt war, starb seine Mutter infolge eines Magenleidens. Mia und Ludwig Engels wuchsen einige Jahre bei der Großmutter in Witten auf. Als diese 1915 starb, kehrten die Geschwister nach Düsseldorf zum Vater zurück.
Schach hatte Ludwig Engels von einem Schulfreund gelernt. 1922 wurde er Mitglied im Düsseldorfer Schachverein von 1854. Engels spielte zudem in einem weiteren Düsseldorfer Schachclub, dem Verein „Berührt-Geführt“. 1927, dem Jahr, in dem der Weltmeisterschaftskampf zwischen Capablanca und Aljechin die Schachfreunde in aller Welt bewegte, feierte Ludwig Engels als Meister von Rheinland und Westfalen seinen ersten großen Erfolg. Danach begann er, professionell Schach zu spielen.
Zu Beginn der 1930er Jahre fand Ludwig Engels in Düsseldorf mit Georg Kieninger (1902–1975) einen spielstarken Trainingspartner.
Engels nahm in der ersten Hälfte der 1930er Jahre mit einigem Erfolg an verschiedenen nationalen Turnieren teil. Schon in dieser Zeit zeigte er jedoch bisweilen eine zu große Nervosität, die dazu führte, dass er gegen Ende eines Turniers im Angesicht eines möglichen Sieges Partien gegen schwächere Gegner verlor und sich so um den Erfolg brachte.
1936 wurde in Dresden ein Olympia-Trainingsturnier vom nun Großdeutschen Schachbund organisiert, an dem die besten deutschen Spieler auf internationale Spitzenspieler trafen, darunter Alexander Aljechin, der junge Paul Keres und Géza Maróczy.

Engels gelangen Siege gegen die drei Topspieler, und er wurde am Ende knapp Zweiter hinter dem Ex-Weltmeister, der im Vorjahr seinen Titel an Euwe verloren hatte und an seiner Form arbeitete. Engels’ Angriffssieg gegen Karl Helling erregte ebenfalls große Aufmerksamkeit.
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Auch beim Trainingsturnier in Bad Nauheim 1936 war Engels als geteilter Zweiter mit Eliskases erfolgreich.
Bei der folgenden Schacholympiade 1936 in München spielte Engels an Brett drei der deutschen Nationalmannschaft und erzielte nur ein mittelmäßiges Ergebnis, besonders wegen einer schwachen zweiten Turnierhälfte. Deutschland gewann bei dieser von der FIDE nicht offiziell anerkannten Schacholympiade Bronze hinter Ungarn und Polen.
Ende des Jahres wurde Ludwig Engels als Trainer der isländischen Nationalmannschaft nach Island eingeladen. Er blieb dort etwa sechs Monate, von Dezember 1936 bis Mai 1937, trainierte die besten Spieler und Talente, gab Simultanvorstellungen und nahm an Turnieren teil, die anlässlich seines Besuches organisiert wurden. Engels besichtigte dabei auch die gewaltige Schachbuchsammlung, die der Amerikaner Daniel Fiske nach seinen Besuchen auf der Insel im 19. Jahrhundert der isländischen Nationalbibliothek vermacht hatte.
In der Zeit von 1937 bis 1939 spielte Ludwig Engels eine Reihe von Turnieren in Deutschland, auch regionale Turniere, aber mit einer Ausnahme keinerlei Turniere im Ausland.

Im Vergleich mit der nationalen Elite konnte Engels sich meist im oberen Bereich der Tabellen platzieren, verzeichnete aber auch einige Rückschläge.
Im Juli 1939 machte sich die deutsche Nationalmannschaft zusammen mit Friedl Rinder, die an der Frauenweltmeisterschaft mitspielen sollte, auf der „Priapolis“ auf den Weg nach Argentinien. Das großdeutsche Olympiade-Team bestand aus Erich Eliskases, Peter Michel, Ludwig Engels, Albert Becker und Heinrich Reinhardt. Andere Spieler fehlten aus unterschiedlichen Gründen. Efim Bogoljubow forderte zu viel Geld (1000 Mark pro Monat). Kurt Richter reiste nicht ins Ausland. Georg Kieninger und Karl Gilg sahen den Krieg heranziehen und wollten ihre Familien nicht verlassen.

Bei der Schacholympiade 1939 in Buenos Aires wurde noch nach Brettpunkten gewertet und mit Vorrundengruppen gespielt. Am 1. September 1939, die Vorrunde war gerade beendet, marschierte die deutsche Wehrmacht in Polen ein und der Zweite Weltkrieg begann. Das englische Team reiste ab. Die übrigen Teams wurden zum Bleiben überredet, und das Turnier konnte noch zu Ende gebracht werden. Einige Mannschaften wollten jedoch nicht mehr gegeneinander spielen. Diese Matches wurden kampflos 2:2 gewertet, darunter drei Wettkämpfe der deutschen Mannschaft. Am Ende des Turniers hatte Deutschland Gold gewonnen. Ludwig Engels war dabei der beste deutsche Spieler (+16 =4) und zudem der beste Spieler an Brett drei, was ihm eine individuelle Goldmedaille einbrachte.
Viele Spieler blieben nach Ende der Schacholympiade in Südamerika, darunter alle deutschen Spieler. Die Lebensumstände waren für die Flüchtlinge nicht einfach. Engels erhielt etwas Unterstützung von der deutschen Botschaft in Buenos Aires und hielt sich mit Simultanvorstellungen und kleinen Jobs über Wasser. Außerdem spielte er bei einigen Turnieren mit; 1939 in Mar del Plata belegte er den 4.–5. Platz und 1941 in Montevideo den 3.–4. Platz.
Als 1941 in São Paulo, Brasilien, ein neues Hotel eröffnet wurde, organisierte man ein Schachturnier, zu dem man auch einige der in Argentinien gestrandeten Europäer einlud, darunter Ludwig Engels. Das Turnier fand an verschiedenen Orten in und um São Paulo statt. Die letzte Runde wurde im Edifício Martinelli gespielt, dem ältesten Hochhaus der Stadt, 1940 erbaut. Erich Eliskases gewann das Turnier zusammen mit Carlos Guimard. Ludwig Engels wurde zusammen mit Paulin Frydman geteilter 3.–4. Platz. Nach dem Turnier verbrachte Ludwig Engels auf dem Weg zurück nach Buenos Aires etwa vier Wochen in der von vielen deutschen Auswanderern bewohnten brasilianischen Provinz Santa Catarina, gab dort Simultanvorstellungen und bestritt Wettkämpfe. Insbesondere in der deutschen Kolonie Blumenau war die Begeisterung über den Besuch des damals berühmten Schachmeisters groß.
Inzwischen hatte jedoch Brasilien Deutschland den Krieg erklärt und seine Grenzen geschlossen, wodurch die Rückreise von Engels nach Argentinien unmöglich wurde. Wo genau Engels die Zeit bis zum Ende des Krieges verbrachte, ist nicht bekannt – wahrscheinlich in Porto Alegre bzw. in den brasilianischen Südstaaten, vielleicht aber auch in São Paulo.
Mit Lourenço Cordioli fand Engels in den schwierigen Zeiten einen Freund, der ihn etwas unterstützte. Im Gegenzug gab Engels Cordioli Schachunterricht. Cordioli wurde später dreimal Meister von São Paulo. Nach dem Ende des Krieges konnte Engels auch wieder an gut besetzten Turnieren teilnehmen. In Brasilien bestritt er zudem auch Mannschaftskämpfe.

In São Paulo 1947 wurde Engels hinter Eliskases und Najdorf Dritter. In Recife im gleichen Jahr wurde er Zweiter hinter Eliskases. Als Angestellter eines Schachklubs, Redakteur der Schachzeitschrift „Xeque!“ und Kolumnist einer Schachspalte in einer Tageszeitung erhielt Engels nun auch regelmäßige Einkünfte. 1952 spielte Engels bei den Jubiläumsturnieren der Schachabteilung von Fluminense Rio de Janeiro (6. Platz) und des Schachklubs von São Paulo mit. Beim Turnier zum 50-jährigen Jubiläum des Klubs belegte Engels den geteilten ersten Platz zusammen mit Braslav Rabar vor Héctor Rossetto und Erich Eliskases. 1953 wurde Engels bei einem weiteren Turnier von Fluminense Dritter hinter Svetozar Gligoric und Petar Trifunovic. Im Laufe der 1950er Jahre verlor der bald 50-jährige Engels langsam den Anschluss an die Topspieler im Lande. Beim Zonenturnier 1957 wurde Engels immerhin noch Sechster. 1960 spielte er ein weiteres Zonenturnier und landete im Mittelfeld. Engels’ letzte Turnierteilnahme stammt aus dem Jahr 1966, beim Klubturnier des Schachklubs von São Paulo. Henrique Mecking gewann, während Engels abgeschlagen Achter bei zehn Spielern wurde.
Am 10. Januar 1967 starb Ludwig Engels in São Paulo an den Folgen eines Herzinfarkts. Der Schachklub von São Paulo ließ ihn auf dem Cemitério da Lapa in São Paulo bestatten. Friedrich-Karl Hebeker konnte zusammen mit Lourenço Cordioli die damals verwahrloste Grabstelle (Q.70–T.84) bei einem Besuch 2011 wiederfinden.

Lourenco Cordiolo und Friedrich-Karl Hebeker | Foto: Hebeker
Düsseldorfer Schachfreunde haben sich bei der Erforschung des Lebensweges von Ludwig Engels verdient gemacht – Erich Noldus und besonders Professor Friedrich-Karl Hebeker. Letzterer hat 2016 eine umfangreiche Biografie des Düsseldorfer Schachmeisters veröffentlicht, die zudem detailreich ein gutes Stück der Zeitgeschichte, der rheinischen und Düsseldorfer Schachgeschichte sowie der Geschichte und Schachgeschichte in Südamerika beleuchtet. Der größte Teil der Informationen in dieser Kurzbiografie wurde seinem Buch Vom Rhein nach Sao Paulo, Ludwig Engels 1905-1967 entnommen.
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