Wer war Paul Felix Schmidt?

von André Schulz
29.12.2017 – Nur den wenigsten Schachfreunden dürfte noch der Name von Paul Felix Schmidt bekannt sein. Dabei war Schmidt in den 1930er-und 1940er Jahren einer der besten Spieler der Welt - auf Augenhöhe mit Paul Keres. Eine neue Biografie lädt zur Zeitreise ein.

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Eva Regina Magacs und Michael Negele: Paul Felix Schmidt - a Winning Formula

Wer einmal Partien von Paul Keres nachgespielt hat, dem großen estnischen Meister, der wird sicher auch auf den Namen von Paul Felix Schmidt gestoßen sein. Trotz seines deutschen Namens war Schmidt wie Keres Este, zumindest politisch, aber eigentlich war er Deutschbalte. Wie Keres wurde Schmidt in Narwa geboren und sogar im gleichen Jahr: Keres, am 7. Januar 1916, Schmidt am 20. August 1916. Estland war zum Zeitpunkt der Geburt der beiden noch Teil des russischen Zarenreiches. Zwei Jahre später wurde Estland unabhängig, blieb es aber nur so lange, bis sich die Sowjetunion das Land wieder einverleibte. Keres wurde später Sowjetbürger, Schmidt kam mit Ende des Krieges in den Südwesten Deutschlands.

Die Familie von Keres zog einige nach der Geburt des Sohnes von Narva, das im Osten unmittelbar an der Grenze zu Russland liegt, nach Pärnu im Südwesten, knapp 300 km entfernt. Im gleichen Viertel sind Keres und Schmidt also nicht aufgewachsen, aber im kleinen Estland sind sich die beiden aufstrebenden Schachspieler regelmäßig über den Weg gelaufen.

Karte von Estland (Google Maps)

Ein Blick in die Datenbank zeigt, dass Keres und Schmidt, was die überlieferten Partien angeht, zwischen 1933 und 1943 insgesamt 17 Partien gegeneinander gespielt haben, mit einem überraschendermaßen völlig ausgeglichenen Ergebnis: beide gewannen je sechs Partien. Fünf Partien endeten remis. Sieben dieser Partien wurden im Rahmen eines Wettkampfes gespielt, der 3,5:3,5 endete.

Paul Keres und Paul Schmidt

 
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1.e4 e6 2.d4 d5 3.e5 c5 4.Nf3 Nc6 5.dxc5 Bxc5 6.Bd3 Nge7 7.Bf4 Bd7 7...Qb6 8.0-0 Qxb2 9.Nbd2 Qb6 10.Nb3 Ng6 11.Bg3 Be7 12.h4 Qb4 13.a4 a6 14.h5 Nh4 15.Nxh4 Bxh4 16.c3 Qe7 17.Bh2 f5 18.exf6 gxf6 19.Nd4 1-0 (44) Nimzowitsch,A-Spielmann,R San Sebastian 1912 8.0-0 Nd4 9.Nbd2 Ng6 10.Bg3 Nf5 11.Bxf5 exf5 12.h4 f4 13.Bh2 Bg4 14.c4 0-0 15.Qb3 dxc4 16.Qxc4 Rc8 17.Qa4 Qd3 18.Rfe1 h5 19.Rac1? 19.Rad1 Qf5 20.Rc1 Rfd8 19.Qe4 Qxe4 20.Rxe4 Rfe8 19...Bxf2+ 20.Kh1 20.Kxf2 Rxc1 21.Rxc1 Bxf3 22.Nxf3 Qe3+ 23.Kf1 Qxc1+-+ 20...Bxe1-+ 21.Rxe1 Rc2 22.Bxf4 b5 23.Qd4 Qxd4 24.Nxd4 Rxb2 25.Bg5 Re8 26.Ne4 Rxe5 27.Nc6 Rd5 28.Bc1 Re2 29.Rxe2 Rd1+ 30.Kh2 Rxc1 31.Rb2 Rxc6 32.Rxb5 f6 33.Rb8+ Kh7 34.Rb7 a6 35.a4 Ne5 36.Kg3 Kg6 37.Kf4 Rc4 38.Ke3 Rxa4 39.Nc5 Ra3+ 40.Ke4 Ra2 0–1
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WhiteEloWBlackEloBResYearECOEventRnd
Keres,P-Schmidt,P-0–11935C02Tallinn Mustpeade Klub 75th Anniversery2

Wer gegen Keres ein ausgeglichenes Ergebnis hat, muss ein sehr starker Spieler gewesen sein. Und das war Schmidt auch: 1936 und 1937 war er Landesmeister von Estland und spielte für die estnische Nationalmannschaft bei zwei Schacholympiaden. 1941 teilte er mit Klaus Junge den ersten Platz bei den Deutschen Meisterschaften in Bad Oeynhausen und gewann später den Stichkampf um den Titel.

Schmidt, bei Beginn des Zweiten Weltkrieges 23 Jahre alt, nahm an verschiedenen anderen Turnieren im Herrschaftsbereich des Deutschen Reiches teil und teilte unter anderem 1941 bei der Meisterschaft des "Generalgouvernements" (das besetzte Polen) den 1. Platz mit Alexander Aljechin. Zu dieser Zeit sieht ihn der Statistiker Jeff Sonas in seiner historischen Weltrangliste mit einer historischen Elozahl von 2696 als Nummer Neun der Weltrangliste.

Nach Ende des Krieges spielt Schmidt noch einige Turniere in Deutschland und in Westeuropa mit. Der Dipl.-Chemiker promovierte in Heidelberg, veröffentlichte 1949 sein Büchlein "Schachmeister denken" und entschloss sich 1952 zur Emigration in die USA. Dort begann er in Philadelphia als Chemiker ein neues Leben. Aus der Schachwelt war er verschwunden und bald auch fast vergessen. 

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Paul Felix Schmidt, einer der stärksten Spieler seiner aktiven Turnierzeit, war lange "der große Unbekannte".  Nur wenige biografische Details aus seinem Leben waren bekannt. Das hat sich nun dank der Arbeit von Michael Negele geändert. In diesem Jahr erschien sein Buch "Paul Felix Schmidt - A winning formula", das er zusammen mit Schmidts Tochter Eva Regina Magacs verfasst und herausgegeben hat. Das Buch enthält im Anhang 12 ausgewählte und kommentierte Schachpartien von Paul Felix Schmidt und auch eine Tafel mit Schmidts Turniererfolgen, doch das Werk ist keine klassische Schachspielerbiografie, in der die Turnierkarriere eines Spieler abgearbeitet wird. Es ist sicher aber eine Biografie und sogar mehr, eine Art Familiensaga, mit einem Schachspieler im Mittelpunkt, der durch den unsteten Lauf der Geschichte aus seiner Heimat entwurzelt wird, gegen den Lauf der Geschichte versucht, sich als Spieler zu verwirklichen und der am Ende auf einem ganz anderen Gebiet in einem ganz anderen Land Frieden und Erfolg findet. Was wäre aus Paul Felix Schmidt als Schachspieler wohl geworden, wenn er bessere Bedingungen für sich gefunden hätte?

Michael Negeles und Eva Regina Magacs' Buch über Paul Felix Schmidt ist das Ergebnis einer Detektivarbeit. Am Anfang standen die nachgebliebenen Partien von P.F. Schmidt und sein Buch "Schachmeister denken". Von hier aus forschte Negele sich an die Person heran, fand schließlich seine Tochter in den USA und erhielt Zugang zu zahlreichen Erinnerungsstücken, die sonst verborgen und unbekannt geblieben wären.

Die Familie Schmidt stammte väterlicherseits ursprünglich aus dem Erzgebirge. Gustav Max Schmidt, Urgroßvater von Paul Felix, kam Mitte der 1850er Jahre als Lehrer in das damalige Livland und gründete schließlich eine eigene Lehranstalt mit angeschlossenem Internat. Das Schachspiel war dort bald eine beliebte und verbreitete Beschäftigung. Zu den Schülern gehörte auch Friederich Amelung, später eine führende Figur im baltischen Schach. Auch in der Familie Schmidt war Schach eine nun über mehrere Generationen gepflegte Passion. Schon Max Leopold Schmidt, der Großvater von Paul Felix Schmidt, war bereits Mitglied im Schachklub von Riga. 

Zum Ende des Ersten Weltkrieges wurde das Baltikum von politischen Unruhen ergriffen. Paul Roderich Schmidt, der Vater von Paul Felix Schmidt, brachte sich und seine Familie nach Hannover in Sicherheit und trat dort auch gleich dem örtlichen Schachklub bei, was beweist, wie sehr auch er schon dem Schach verbunden war. Seinem Sohn Paul Felix brachte er das Schachspiel bei, als dieser erstdreieinhalb Jahre alt war. 1923 kehrte die Familie wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation in Deutschland nach Estland zurück. Beide, Vater und der heranwachsende Sohn, nahmen hier regelmäßig an Wettkämpfen und Schachturnieren teil. 1930 gelang es beiden, Schmidt sen. und Schmidt jun., Efim Bogoljubov bei einer Simultanveranstaltung in Tallinn zu besiegen. 1935 gewann der 19-jährige Paul Felix Schmidt das Internationale Turnier zum 50-jährigen Jubiläum der Gesellschaft Tallinner Schachfreunde vor Keres. Eine große, aber viel zu kurze Karriere nahm ihren Anfang.

Jubiläumsturnier Tallinn

Wer sich für Schachgeschichte und/oder Zeitgeschichte interessiert, findet mit diesem ca. 310 Seiten dicken Buch reichhaltige Nahrung und eine überaus spannende Lektüre. Michael Negele, Eva Maria Magacs und Paul Felix Schmidt laden zu einer Zeitreise in einen Ausschnitt der Geschichte ein, der den meisten nicht so bekannt sein wird. Das Buch setzt sich aus zwei Teilen zusammen: der in englischer Sprache verfassten Lebensgeschichte von Paul Felix Schmidt und einem in großen Stücken auch in deutsch gehaltenen, mit anderen Fotos und Schriftstücken angereicherten dokumentarischen Teil. Beide Teile bieten dem Lesenden vielfältige historische Ah-Momente. 

Eva Maria Magacs und Michael Negele: Paul Felix Schmidt - A Winning Formula
 
 Erschienen im Exzelsior Verlag, 2017
 Englisch und Deutsch
 ISBN-10: 3935800088
 ISBN-13: 978-3935800082

Euro: 39,80

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André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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