Wer war Rudolf Charousek?

von André Schulz
18.04.2018 – Am 18. April 1900 starb der talentierte tschechisch-ungarische Meister Rudolf Charousek im Alter von nur 26 Jahren an Schwindsucht. Im Laufe seiner kurzen Schachkarriere machte er unter anderem durch einen Sieg über Emanuel Lasker auf sich aufmerksam. Gustav Meyrink formte in seinem Roman "Der Golem" eine seiner Figuren nach Charouseks Vorbild.

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Rudolf (ungar.: Rezso) Charousek wurde am 19. September 1873 in Klein-Lometz (heute: Lomeček) bei Prag geboren. Als er fünf Wochen alt war, zog seine Familie nach Debrecen (Ungarn). Später lebte Charousek mit seiner Familie in Miscolc. Dort lernte er im Alter von 16 Jahren Schach.

Nach dem Abitur nahm Charousek 1893 in Kassa ein Studium der Rechtswissenschaft auf. Seine Beschäftigung mit dem Schachspiel nahm aber soviel Zeit und Aufmerksamkeit in Anspruch, dass er das Studium abbrach, um Schachprofi zu werden. Für seinen Lebensunterhalt reichten die Einkünfte jedoch kaum aus, heißt es in einigen Quellen. Charousek soll unter ärmlichsten Verhältnissen gelebt und noch nicht einmal genug Geld gehabt haben, um regelmäßig zu essen. Auch Schachbücher konnte er sich nicht leisten. Stattdessen schrieb er sich seitenweise Partien, Varianten und Analysen aus Büchern wie dem Bilguer ab. 

1893 machte Charousek mit einem einem Sieg beim Fernschachturnier der Zeitung "Pesti Hirlap" auf sich aufmerksam. Er teilte sich den ersten Preis mit Geza Maroczy, mit dem er danach in Freundschaft verbunden war. Nach einigen Erfolgen in Budapest, wo er inzwischen lebte, wurde Charousek 1896 zum internationalen Turnier nach Nürnberg eingeladen. Auf Empfehlung von Geza Maroczy durfte Charousek dort den Platz von Amos Burn übernehmen, der kurzfristig abgesagt hatte. Charousek wurde am Ende mit 8,5 Punkten Zwölfter, sorgte aber für Aufsehen, als ihm in der letzten Runden ein Sieg über Turniersieger Emanuel Lasker gelang.

 

Auf einem sehr aussagekräftigen Foto, das von den versammelten Turnierteilnehmern aufgenommen wurde, sieht man einige der besten Spieler jener Zeit. 

Stehend, v.l.: Lasker, Charousek, Schlechter, zwei Organisatoren, Janowsky, Maróczy, Marco, Showalter, drei Organisatoren. 
Sitzend, v.l.: Albin, Porges, Tschigorin, Tarrasch, Winawer, Steinitz, Blackburne, Schallopp, Schiffers, Pillsbury, Walbrodt, Teichmann.

Im Oktober 1896 belegte Charousek zusammen mit Tschogorin den ersten Platz im Budapester Turnier, anlässlich der 1000-Jahr-Feier Ungarns durchgeführt, unterlag aber Tschigorin im Stichkampf um den ersten Preis. 1897 gewann Charousek vor einer Reihe namhafter Meister das ausgezeichnet besetzte Turnier der Berliner Schachgesellschaft, anlässlich ihres 70-jährigen Bestehen ausgerichtet. Als ersten Preis erhielt Charousek 2000 Mark.

Beim Meisterturnier 11. Kongress des Deutschen Schachbundes in Köln im folgenden Jahr belegte Charousek hinter Amos Burn den 2. bis 4. Platz. Der Organisator Max Lange hatte die Aufgabe übernommen, das Turnierbuch zum Kongress zu schreiben, verlor unglücklicherwesie aber die Notationsformulare. Das geplante Buch erschien nicht. Von den 120 Partien konnten nachträglich nur die Notationen von 48 Partien rekonstruiert werden, von den übrigen Partien kennt man nur das Ergebnis.

Nach dem Turnier spielte Charousek am 21. August 1898 auf einem Rheindampfer noch zwei freie Partien, eine gegen Emil Schallopp und eine Partie gegen Carl Schlechter. Das sind die letzten überlieferten schachlichen Spuren des Meisters. Zu dieser Zeit nahm er in der von Jeff Sonas nachträglich errechneten historischen Weltrangliste den sechsten Platz ein. Am 18. April 1900 endete das kurze Leben von Rudolf Charousek. Er starb mit 26 Jahren an Schwindsucht. 

Als besonders schöne Angriffsleistung gilt Charouseks Partie gegen Wollner, Kaschau 1893.

 

Die Partie lieferte die Vorlage für die Kurzgeschichte "Last Round" von Kester Svendsen. Noch prominenter erscheint Charousek aber an anderer Stelle der Weltliteratur.

Gustav Meyrink hat dem tschechisch-ungarischen Meister in seinem Roman "Der Golem" ein literarisches Denkmal gesetzt. Meyrink (eigentlich: Meyer, 1868 in Wien geboren, 1932 in Starnberg gestorben) war ursprünglich Mit-Inhaber einer Bank in Prag. Diese ging jedoch bankrott. Meyrink, finanziell  wurde nun Schriftsteller, mit Hang zu okkulten Themen. Sein Buch "Der Golem" gilt als Klassiker der Phantastischen Literatur. Der Roman erschien 1913-14 als Fortsetzungsgeschichte im Magazin "Die weißen Blätter", 1915 in Buchform. Der Ich-Erzähler fällt in einen Traum und wird dort in der Identität des Restaurators Athanasius Pernath, der im Prager Ghetto der Jahre 1890/91 lebte, Zeuge von Intrigen und Opfer von Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Am Ende wacht er auf und weiß nicht, was Traum und was Wirklichkeit war. Der Name des Buches nimmt Bezug auf die mystische Figur des Golems, den der Rabbi Löw 1580 an den Ufern der Moldau nach alten Anweisungen aus der Kabbala aus Lehm geschaffen haben soll, um einen Gehilfen beim Schutz der Juden zu haben. In Meyrinks Werk bildet die Golem-Sage nur den Hintergrund und ist nicht Thema der Geschichte.

In Meyrinks Buch ist Charousek ein armer Medizinstudent. In einem der Dialoge beschreibt er eine geplante Intrige in der Form einer Schachpartie:

 "Meister Pernath, ich bin so arm, daß ich es selbst kaum mehr begreife; ich muß halbnackt gehen wie ein Vagabund, sehen Sie her, und ich bin doch Student der Medizin, – bin doch ein gebildeter Mensch!"

Er riß seinen Überzieher auf und ich sah zu meinem Entsetzen, daß er weder Hemd noch Rock anhatte und den Mantel über der nackten Haut trug.

"Und so arm war ich bereits, als ich diese Bestie, diesen allmächtigen, angesehenen Dr. Wassory zu Fall brachte, – und noch heute ahnt keiner, daß ich, ich der eigentliche Urheber war.

Man meint in der Stadt, ein gewisser Dr. Savioli sei es gewesen, der seine Praktiken ans Tageslicht gezogen und ihn dann zum Selbstmord getrieben hat. – Dr. Savioli war nichts als mein Werkzeug, sage ich Ihnen. Ich allein habe den Plan erdacht und das Material zusammengetragen, habe die Beweise geliefert und leise und unmerklich Stein um Stein in dem Gebäude Dr. Wassorys gelockert, bis der Zustand erreicht war, wo kein Geld der Erde, keine List des Gettos mehr vermocht hätten, den Zusammenbruch, zu dem es nur noch eines unmerklichen Anstoßes bedurfte, abzuwenden.

Wissen Sie, so – so wie man Schach spielt.

Gerade so wie man Schach spielt.

Und niemand weiß, daß ich es war!

Den Trödler Aaron Wassertrum, den läßt wohl manchmal eine furchtbare Ahnung nicht schlafen, daß einer, den er nicht kennt, der immer in seiner Nähe ist und den er doch nicht fassen kann, – ein anderer als Dr. Savioli – die Hand im Spiele gehabt haben müsse.

Wiewohl Wassertrum einer von jenen ist, deren Augen durch Mauern zu schauen vermögen, so faßt er es doch nicht, daß es Gehirne gibt, die auszurechnen imstande sind, wie man mit langen, unsichtbaren, vergifteten Nadeln durch solche Mauern stechen kann, an Quadern, an Gold und Edelsteinen vorbei, um die verborgene Lebensader zu treffen."

Und Charousek schlug sich vor die Stirn und lachte wild.

"Aaron Wassertrum wird es bald erfahren; genau an dem Tage, an dem er Dr. Savioli an den Hals will! Genau an demselben Tage!

Auch diese Schachpartie habe ich ausgerechnet bis zum letzten Zug. – Diesmal wird es ein Königsläufergambit sein. Da gibt es keinen einzigen Zug bis zum bittern Ende, gegen den ich nicht eine verderbliche Entgegnung wüßte.

Wer sich mit mir in ein solches Königsläufergambit einläßt, der hängt in der Luft, sage ich Ihnen, wie eine hilflose Marionette an feinen Fäden, – an Fäden, die ich zupfe, – hören Sie wohl, die ich zupfe, und mit dessen freiem Willen ist's dahin."

Der Student redete wie im Fieber, und ich sah ihm entsetzt ins Gesicht.
 

Quelle: Gutenberg-Projekt

Die berühmteste Verfilmung des Golem-Stoffes ist der expressionistische Stummfilm von Paul Wegener und Carl Boese aus dem Jahr 1920. Der Film ist keine Verfilmung von Meyrinks Geschichte. Erst 1979 verfilmte der polnische Regisseur Piotr Szulkin Meyrinks Buch. Eine der Hauptrollen übernahm Krystyna Janda. 

Die Meyrink-Verfilmung "Der Golem" von 1979 von Piotr Szulkin bei Youtube

Über den "Golem"-Film bei Wikipedia...

 

 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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