Frage: Herr Radjabow,
nach Ihrem Vorjahressieg im Ordix Open trugen Sie Chess-Classic-Organisator
Hans-Walter Schmitt gleich Ihren sehnlichsten Wunsch vor, gegen Viswanathan
Anand antreten zu dürfen.
Radjabow: Es ist für
mich ein besonderes Match. Ich möchte gegen einen der absolut Besten meine
Kräfte messen. Ich habe bisher nur 2002 einmal gegen Vishy in Dubai im
Schnellschach gespielt. Da bin ich noch vor Ehrfurcht erstarrt. Ich war zu
jung und voller Bewunderung. Ich glaubte, er sei überragend und superstark.
In den vier Partien des vom Weltverband FIDE organisierten Grand Prix’ im
Schnellschach lief es dann aber ganz gut. Ich bekam das Gefühl, dass ich doch
eine Chance habe. Letztlich unterlag ich dennoch mit 1:3. Ich bin seitdem
stärker geworden, Vishy hat jedoch auch sein Repertoire stark verändert. Es
ist somit sehr schwer, sich auf ihn vorzubereiten.
Frage: Im Schnellschach
gilt Anand als eine Klasse für sich.
Radjabow: Ich weiß. Er
ist im Schnellschach der Beste und ein großer Spieler. Ich will mich aber
nicht zu sehr damit beschäftigen, sondern einen harten Kampf bieten. Ich
kümmere mich nicht um die Meriten meines Gegners. Ich will das Match
gewinnen.
Frage: Sie haben nach
Ihrem Sieg im Ordix Open im Vorjahr sogar angeboten, auf jegliche
Antrittsgage zu verzichten, um die Chance gegen den weltbesten
Schnellschachspieler zu erhalten. Sind Sie immer so begierig?
Radjabow: Schach ist
mein Leben. Da halte ich es ganz mit dem viermal älteren Viktor Kortschnoi,
von dem diese Aussage stammt. Ich kümmere mich nicht zu sehr um Geld. Wenn
ich viel bekomme, fein. Wenn nicht, bin ich auch glücklich. Mein oberstes
Ziel besteht darin, Weltmeister zu werden. Dem ordne ich alles unter.
Frage: Welche Chancen
rechnen Sie sich gegen Anand aus?
Radjabow: Ich habe kein
bestimmtes Resultat im Auge. Wir könnten sieben Remis schieben und in einer
langen Partie das Duell auskämpfen. Dann wäre es knapp 4,5:3,5 für einen
Spieler – aber das wäre dumm, für die Fans und auch für mich. Ich will
kämpfen und anspruchsvolle und gute Partien spielen. Wenn ich alles gegeben
habe und dann verliere, macht es mir nichts. Aber natürlich möchte ich Vishy
schlagen.
Frage: Es scheint, dass
Sie keine Furcht vor großen Namen haben. Bedingen das Erfolge wie Siege über
Garri Kasparow in jungen Jahren?
Radjabow: Ich bin es von
Kindesbeinen an gewohnt, gegen die Topspieler anzutreten. Seit ich 14 oder 15
bin, messe ich mich mit den Besten. Spätestens als ich Garri in Linares
schlug, hielt mich jeder für einen aufsteigenden Stern. Es macht natürlich
einen Unterschied aus, ob ich auf einen Gegner mit 2200 Elo oder einen mit
2800 wie Garri treffe und schlage – ich versuche aber, immer in jeder Partie
alles zu geben.
Frage: Kasparow stammt
wie Sie aus Baku. Ist er Ihr großes Vorbild?
Radjabow: Als
Schachspieler kann man ihn nicht übergehen oder gar unterschätzen. Er hat die
Schachwelt geprägt und zahllose Erfolge gefeiert.
Frage: Nach Bewunderung
hört sich das aber nicht an.
Radjabow: Ich bewundere
seinen Stil! Keine Frage, er ist ein großer Spieler. Meine Favoriten sind
jedoch Michail Botwinnik, Anatoli Karpow und Bobby Fischer. Nicht zu
vergessen Michail Tal! Er sticht aus der Menge hervor und war sehr wichtig
für die Entwicklung des Schachs. Mit solch einem aggressiven Stil Weltmeister
zu werden, ist außerordentlich. Ich liebe sein taktisches Vorgehen, die
Motive, die er einbrachte.
Frage: Am liebsten
würden Sie also im Stile eines Michail Tal spielen?
Radjabow: Ich kann nicht
behaupten, einer bestimmten Stilrichtung anzugehören. Ich versuche mich den
Stellungsgegebenheiten anzupassen. Wenn positionelles Spiel erforderlich ist,
versuche ich das, wenn Taktik und Aggressivität verlangt wird, schreite ich
damit zur Tat. Ich kämpfe immer, das schlägt sich in meiner Bilanz mit
wenigen Unentschieden und mehr Siegen und Niederlagen nieder.
Frage: Während viele
Großmeister mit Schwarz auf den halben Punkt erpicht sind, erinnere ich mich
bei Ihnen an manch lebhafte Königsindisch-Partie …
Radjabow (lacht): Ja,
stimmt. Mein Sieg über Weltmeister Wesselin Topalow beim diesjährigen Turnier
in Morelia/Linares fällt auch unter diese Rubrik.
Frage: Da dürfen wir
sicher ein paar weitere spektakuläre Königsindisch-Partien erwarten, wenn Sie
im WM-Duell zweier schneidiger Kämpfer Topalow herausfordern.
Radjabow: Das sind
natürlich Eröffnungsgeheimnisse. Aber zugegeben, ich bereite natürlich
einiges für ihn vor.
Frage: Im nächsten Jahr
knüpfen Sie sich nach Anand den nächsten Großen vor: Wesselin Topalow. Wie
bewerten Sie Ihre Chancen auf einen Sieg über den FIDE-Weltmeister?
Radjabow: Auch hierbei
gilt: Ich sorge mich nicht zu sehr um das Endergebnis, auch wenn mein Ziel
lautet, irgendwann Weltmeister zu werden. Ich will neue Eröffnungsideen und
taktische Motive zeigen, eine bestimmte Kreativität. Das zählt. Gelingt es
mir, kann ich jeden Gegner in die Knie zwingen.
Frage: Wie kam es, dass
in Aserbaidschan eine Million Dollar aufgetrieben wurde, um die
Herausforderung des Weltmeisters zu ermöglichen? Die Schachwelt zeigte sich
überrascht von der Offerte.
Radjabow: In meinem
Heimatland mögen viele Schach, und das Interesse wächst weiter. Der
Staatspräsident unterstützt jede Art von Sport. Das hilft natürlich. Auf die
Idee mit dem WM-Match gegen Topalow verfiel unser Sportminister, der auch
alle Verhandlungen führte. Ich will Weltranglistenerster werden und auch
Weltmeister. Als die FIDE im Vorjahr die Titel-Regularien änderte, kam die
Chance schneller als gedacht. Ich nehme die Herausforderung an. Und wenn ich
verlieren sollte, was macht’s? Ich bin jung.
Frage: Ist Schach so
populär in Ihrem Heimatland? Gibt es noch andere Sportarten, die die Fans
ähnlich begeistern?
Radjabow: Fußball
natürlich, auch wenn die momentan kein Weltklasseniveau haben. Im Ringen
sieht das schon anders aus. Da besitzt Aserbaidschan einige Weltmeister bei
den Herren und im Nachwuchsbereich.
Frage: Was passiert,
wenn Topalow im Herbst beim Wiedervereinigungsmatch der Weltmeister gegen
Wladimir Kramnik unterliegen sollte?
Radjabow: Keine Ahnung.
Ich bin in die Verhandlungen und die Schachpolitik nicht eingebunden. Ich
mutmaße allerdings, dass unser Sportminister und unser Schachverband dann
Verhandlungen mit Kramnik aufnehmen würden.
Frage: Sie erhalten von
den Jungstars die schnellste Gelegenheit, den WM-Thron zu besteigen. Wie
schätzen Sie die anderen Talente ein?
Radjabow: Sie meinen
diese Carlsens, diese Karjakins? Mehr sind da nicht, oder? Alexander Grischuk
und Ruslan Ponomarjow sind schon über 20 und zählen als Etablierte nicht mehr
dazu. Zu meiner Generation zähle ich Leute wie Hikaru Nakamura. Carlsen und
Karjakin werden natürlich immer stärker. Ich möchte nicht egoistisch
erscheinen, aber ich achte mehr auf meine eigene Entwicklung.
Frage: Im letzten Jahr
war mehr von den noch jüngeren Großmeistern wie dem 16-jährigen Sergej
Karjakin und dem 15-jährigen Magnus Carlsen die Rede. Fühlen Sie sich im
Vergleich zu denen unterschätzt?
Radjabow: Mit 16 wäre
ich vielleicht neidisch gewesen. Mit 19 plagen mich solche Gefühle nicht
mehr. Ich bin mit Karjakin befreundet. Carlsen kenne ich zu wenig. Ich sehe
nur seine Erfolge, die er bei Turnieren feiert. Ich traf erst jetzt bei der
Olympiade auf ihn, und wir lieferten uns einen heißen Tanz. Ich denke, beide
gehören zu der kommenden Generation im Kampf um den Titel – und deswegen muss
ich sie im Auge behalten.