Wolfgang Uhlmann zum 80sten Geburtstag

von Dagobert Kohlmeyer
29.03.2015 – Wolfgang Uhlmann ist einer der ganz großen Schachlegenden Deutschlands. Schon mit 18 Jahren gewann er 1954 die DDR-Meisterschaft der Erwachsenen. Bis 1986 folgten zehn weitere Titel. Von 1956 bis 1990 spielte er an elf Schacholympiaden mit. Bis vor kurzem war er noch am Schachbrett aktiv. Noch nun möchte der Jubilar kürzer treten. Zum Interview...

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Wolfgang Uhlmann - eine deutsche Schachlegende

In Dresden feiert Großmeister Wolfgang Uhlmann am 29. März seinen 80. Geburtstag. Er ist eine lebende Schachlegende und hat das Spiel in beiden Teilen Deutschlands über Generationen entscheidend mitgeprägt. Mit 16 Jahren errang Wolfgang Uhlmann seinen ersten großen Turniererfolg und wurde 1951 in Leipzig gesamtdeutscher Jugendmeister. Zum Erstaunen der Fachwelt gewann er 1954 in Meerane als 18-Jähriger die DDR-Meisterschaft der Erwachsenen. Zehn weitere Titel folgten bis 1986.

Wofgang Uhlmann in jüngeren Jahren

Lothar Schmid und Wolfgang Uhlmann

Ab Mitte der 1950er Jahre war Wolfgang Uhlmann die Nummer Eins im DDR-Schach und besetzte über einen sehr langen Zeitraum das Spitzenbrett der Nationalmannschaft. Nach seinen Erfolgen im englischen Hastings beim ältesten Schachturnier der Welt wurde ihm 1959 durch den Weltschachbund FIDE der Großmeistertitel verliehen. Von 1956 in Moskau bis 1990 in Novi Sad nahm er an elf Schacholympiaden teil. Heute kann Wolfgang Uhlmann auf eine über sechs Jahrzehnte lange, erfolgreiche Karriere zurückblicken, was einzigartig im Sport ist. Als ältester Bundesligaakteur aller Zeiten lehrte er schon viele jüngere Spieler das Fürchten. Im Seniorenbereich errang Uhlmann mit dem deutschen Nationalteam Welt- und Europameistertitel. „Solange es mir Spaß macht und meine Gesundheit es erlaubt, werde ich die Figuren setzen“, sagt der Jubilar.

Wolfgang und Christine Uhlmann

Familie Uhlmann

Ob im Inland oder auf internationalem Parkett, immer hat sich der Dresdner als Botschafter des Schachs verstanden und engagiert. So unterstützte Uhlmann auch die Organisatoren der Schacholympiade 2008 in seiner Heimatstadt mit seinem großen Erfahrungsschatz und gab als Trainer bzw. Lehrer sein reiches Schachwissen an viele Nachwuchstalente weiter. Wolfgang Uhlmanns Schachbücher, vor allem das interessante Werk über die Französische Verteidigung, wurden Bestseller und erlebten mehrere Auflagen. Mit seinem tadellosen sportlichen Auftreten in den Turniersälen der ganzen Welt und seiner beispielhaften Karriere war und ist Wolfgang Uhlmann ein bleibendes Vorbild nicht nur für alle Schachsportler. Eine große Stütze in seiner langen Karriere war nach den Worten des Jubilars seine Ehefrau Christine, die ihm immer den Rücken freihielt.

„Unsere Schachwelt hat sich total verändert“

Interview mit Wolfgang Uhlmann zum 80. Geburtstag

Wolfgang, Schach hat dich durchs ganze Leben begleitet. Was fasziniert dich so an diesem Spiel?

Mich begeistert vor allem seine Schönheit und die Tatsache, dass Schach so vielfältig ist. Und wenn man dann noch Erfolg hat, freut es einen umso mehr. Ich habe in meiner Karriere fünf Weltmeister besiegt: Michail Botwinnik, Wassili Smyslow, Bobby Fischer, Viswanathan Anand und Alexander Khalifman. Das sind bleibende Erlebnisse. Zudem erhielt ich für etliche Glanzpartien Schönheitspreise.

Was hat dir das Schach darüber hinaus gegeben?

Es war eine so große Bereicherung für mich, dass man es mit wenigen Worten nicht sagen kann. Ich habe das Spiel mehr oder weniger beruflich betrieben und dabei viele Schachfreunde in aller Welt kennengelernt. Bei der Team-WM der Senioren in Dresden traf ich jetzt alte Weggefährten wieder, darunter die russischen Großmeister Jewgeni Wasjukow und Juri Balaschow.

Da gab es sicher viel zu erzählen…

So ist es. Balaschow hat mich nach etlichen Jahrzehnten wieder umarmt, und wir erinnerten uns an frühere schöne Zeiten sowie gemeinsame Turniere in Hastings, Moskau oder Berlin. Damals wurden vorwiegend Rundenturniere gespielt. Wir waren sehr viel zusammen, wohnten in der Regel im gleichen Hotel und haben uns auch außerhalb der Wettkampfpartien getroffen und ausgetauscht. Es war eine gesellige Zeit.

In Dresden haben die Engländer mit Nigel Short und John Nunn in der Jungseniorengruppe gespielt. Sie gewannen aber nicht wie erwartet, sondern holten nur Bronze.

Das war nicht nur eine große Überraschung, sondern schon eine Enttäuschung. Nach der Aufstellung gingen sie als absoluter Top-Favorit an den Start. Gegen unser Team hätten sie sogar verlieren müssen, wenn Lutz Espig in Gewinnstellung nicht die Zeit überschritten hätte. Auch sonst haben sie einige Punkte abgegeben. Rein spielerisch war die deutsche Mannschaft, die Silber gewann, besser.

Du spielst seit über sechs Jahrzehnten Wettkampfschach. Wie lange noch?

In der 1. Bundesliga habe ich für den USV TU Dresden noch ein paar Heimspiele bestritten. Es könnte sein, dass es meine letzten gewesen sind. Ich bin schon reisemüde, und lange Fahrten strengen mich inzwischen doch sehr an. Für einzelne Partien reicht meine Kondition aber noch.

Ist Turnierschach für das hohe Alter ein zu harter Sport?

Das kommt auf die körperliche Verfassung an. Geht eine Partie über fünf Stunden oder noch längere Zeit, dann merke ich schon, dass die Kräfte nachlassen und sich grobe Fehler einstellen. Weil ich gesundheitliche Probleme habe, kommt es auch mal zu einem Blackout, so dass meine Spielstärke schon beeinträchtigt wird. 

Unzicker, Tajmanow, Uhlmann

Nächstes Jahr gibt es wieder eine Team-WM, und zwar in Radebeul, ganz in der Nähe deiner Heimatstadt Dresden. Vielleicht bist du dann nochmal dabei?

So weit schaue ich noch nicht voraus. Das ist dann wieder eine neue Situation. Doch wenn ich einigermaßen gesund bleibe, wäre das durchaus möglich.

Aber im Rollstuhl sitzend, wie Viktor Kortschnoi, würdest du nicht mehr spielen?

Nein! Auf keinen Fall spiele ich so lange, bis ich vom Stuhl falle. Ich will keine großen Lorbeeren mehr erringen. Doch Schach muss mir immer noch Spaß machen.

 

Kortschnoi – Uhlmann

Du hast dir auch als Schachbuchautor einen Namen gemacht. Dazu gehören die beiden Bestseller „Ein Leben lang Französisch“, wo ich mitwirken durfte und das Buch „Offene Linien“ mit Gerhard Schmidt.

Erstaunlicherweise geht das Französisch-Buch nach so vielen Jahren immer noch ganz gut, weil ich als Kenner dieser Verteidigung gelte. Viele Schachspieler schätzen nicht nur meine Eröffnungs-Empfehlungen. Sie haben nach wie vor auch an den dort gezeigten Partien ihre Freude. Einen Teil der schönsten Spiele habe ich jetzt noch einmal in mein neues Buch aufgenommen.

Was ist das für ein Titel, und wann können wir ihn erwarten?

Das neue Buch von mir erscheint im Frühjahr im Verlag ChessCoach St. Ingbert. Darin kommentiere ich die besten 85 Partien meiner Schachkarriere. Ich habe sie nochmal gründlich analysiert und streue dort auch Erlebnisberichte aus verschiedenen Ländern ein, in denen ich war. Diese Ereignisse und Begegnungen mit den Schachgrößen der Welt dürften auch für Nichtschachspieler interessant sein.

Seit deiner aktiven Zeit hat sich das Schach gravierend verändert. Wo siehst du die größten Unterschiede zu früher?

Generell kann gesagt werden, dass sich die Qualität des Spiels erhöht hat, weil man nicht mehr alles selbst erarbeiten muss. Die Schachspieler können neben der Literatur auch umfangreiche Datenbanken wie ChessBase oder das Internet zu Hilfe nehmen. Das war zu unserer Zeit alles nicht vorhanden. Ich musste meine Eröffnungen alle selbständig erarbeiten und spielfähig machen. Dort musste man sehr viel investieren. Heute hingegen sind Eröffnungsvarianten bis weit ins Mittelspiel erforscht. Das bedeutet für die Lernenden einen kolossalen Zeitgewinn.

Aber geht dadurch nicht auch sehr viel Kreativität verloren?

Sicher ist das so. Und weil das Spiel innerhalb der Bedenkzeit entschieden werden soll, passieren auch Fehler. Diese gehören einfach zum Schach dazu. Das ist absolut menschlich. Die meisten Fehler aber werden heute erst nach dem Mittelspiel gemacht. Früher geschah das schon eher in einer Partie, weil zum Teil ganz andere Eröffnungen aufs Brett kamen. Zu meiner Zeit wurde mehr intuitiv gespielt. Wir haben am Brett noch mehr gearbeitet. Diese Kreativität ist zu einem wesentlichen Teil verloren gegangen. Das ist ein großer Unterschied zur heutigen Generation der Spitzenspieler.

Siehst du noch andere Veränderungen im Vergleich zu früher? Du hast am Beginn schon die Geselligkeit angesprochen.

Heute werden in der Mehrzahl Openturniere veranstaltet, an denen sehr viele Spieler teilnehmen. Dort fällt der gesellige Rahmen gänzlich weg. Bei den Rundenturnieren waren wir früher alle zusammen. Das gibt es heute nicht mehr in dieser Form, so dass ein freudvoller Teil des Schachs leider verloren gegangen ist.

Deine schachlichen Vorbilder waren seinerzeit Alexander Aljechin und Michail Botwinnik. Der amtierende Weltmeister Magnus Carlsen ist ein ganz anderer Spielertyp. Was hältst du von ihm?

Für die kurze Zeit, in der er das Schach betreibt, spielt der junge Mann natürlich phantastisch. Seine Fehlerquote ist sehr gering. Dank seiner großen Intuition beherrscht Carlsen den Übergang vom Mittelspiel zum Endspiel perfekt. Das ist eine neue Qualität. Er ist in der Lage, selbst minimalste Vorteile zu seinen Gunsten zu verwerten. Das ist großartig, und ich glaube, darauf beruhen auch seine ganzen Erfolge. Er mag es, die Eröffnungstheorie zu umgehen und spielt schöpferisches Schach, was meiner Meinung nach vielen Leuten Freude bereitet.

Sehr stark an seinen Eröffnungen arbeitet Fabiano Caruana. Kann der Italiener Magnus Carlsen als Herausforderer gefährlich werden?

Er ist noch sehr jung und muss sicher noch Lehrgeld bezahlen, das ist ganz klar. Doch es stimmt, Caruana arbeitet sehr schöpferisch im Eröffnungsbereich. Natürlich nutzt er dabei auch das Computerwissen. Aber er könnte durchaus ein ernsthafter Konkurrent für Magnus Carlsen werden.

Hast du dich als Denksportler jemals für andere Sportarten interessiert?

Immer. Jeder Schachspieler muss auch etwas für seine eigene Fitness tun. Ich bin früher gelaufen oder habe mit meiner Frau und den beiden Kindern Tennis gespielt. Bei Turnieren machte ich regelmäßig Spaziergänge. Das ist wichtig, um die nötige Kondition für harte Partien zu haben.

Bist du ein Fußballfan und Anhänger von Dynamo Dresden?

Ich liebe den Fußball und bin auch mit dem früheren Trainer Eduard Geyer befreundet. Nachdem es in letzter Zeit jedoch so hässliche Ausschreitungen gab, gehe ich heute nicht mehr ins Stadion. Das macht mir keine Freude. Wenn ich dorthin gehe, möchte ich ein schönes Spiel sehen, wo Tore fallen. Leider ist das heute in Dresden Mangelware. Aber die Bundesliga schaue ich mir im Fernsehen an.

Wie wird dein runder Geburtstag begangen?

Dresdner Schachfreunde um Dr. Dirk Jordan haben eine Feier in einem Restaurant organsiert. Dort werden meine ganze Familie sowie viele Gäste anwesend sein. Das ist eine große Aufmerksamkeit, über die ich mich natürlich sehr freue.

Happy Birthday, Wolfgang, aus der Ferne und alles Gute!

 

„Er ist ein universeller Spieler“

Der Moskauer Großmeister Jewgeni Wasjukow ist zwei Jahre älter als Wolfgang Uhlmann. Zur Mannschafts-WM in Dresden gewann er mit dem überlegenen Team Russland Ü65 die Goldmedaille. Bei dieser Gelegenheit schilderte er uns seine Erinnerungen an die Begegnungen mit dem Dresdner:

Jewgeni Wasjukow

„Wolfgang Uhlmann und ich sind Freunde und Kontrahenten zugleich. Am Brett kämpfen wir immer hart, aber sonst begegnen wir uns mit viel Sympathie und großer Achtung voreinander. Unsere Schachfreundschaft besteht schon viele Jahrzehnte. Zum ersten Mal trafen wir uns 1957 bei einem internationalen Turnier in Gotha (Thüringen). Für mich ist dieser Wettbewerb deshalb in besonderer Erinnerung, weil ich dort hinter David Bronstein und Ludek Pachman Dritter wurde und erstmalig die Norm als Internationaler Meister erfüllte.

Beim Lasker-Memorial 1962 in Berlin spielte ich eine Partie gegen Wolfgang Uhlmann, die zu meinen schönsten gehört. Ich gewann am Ende auch das Turnier. Danach haben wir uns noch oft getroffen, in letzter Zeit vor allem bei Seniorenwettbewerben. Wolfgang Uhlmann war und ist ein universeller Spieler und am Brett sehr gefährlich. Er agiert mehr auf positioneller Grundlage, aber wenn sich die Gelegenheit zum Kombinieren bietet, dann nutzt er sie. Einige Eröffnungen hat Wolfgang so tief analysiert, dass er sich in ihnen zu Hause fühlt wie der Fisch im Wasser. Das betrifft vor allem die Französische Verteidigung. Sie ist sein Steckenpferd. Ich finde es großartig, dass wir uns nach so vielen Jahren immer noch regelmäßig begegnen. Dazu tragen auch die Zusammenkünfte der Großmeister über 75 Jahre in Dresden bei, die jeden Sommer stattfinden.

Lieber Wolfgang, ich wünsche Dir zum Geburtstag alles Gute. Willkommen im Klub der 80er!“

Alte Weggefährten vor der Frauenkirche in Dresden: Dückstein, Malich, Uhlmann, Taimanow, Schmid, Wasjukow, Olafsson

 

Uhlmann-Botwinnik, Varna 1962

 

 

 

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Dagobert Kohlmeyer gehört zu den bekanntesten deutschen Schachreportern. Über 35 Jahre berichtet der Berliner bereits in Wort und Bild von Schacholympiaden, Weltmeisterschaften und hochkarätigen Turnieren.

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