„U wie Unzicker“
Gala in Mainz zum 80. Geburtstag mit Karpow, Kortschnoi
und Spasski
Von Hartmut Metz
Der Schach-Meister weilte
1951 in Jugoslawien, um Simultanvorstellungen mit einer Urlaubsreise zu
verbinden. Auf dem Heimweg sollte er nach Ljubljana fahren, um das
jugoslawische Team mit nach Krefeld zu nehmen. Dort stand der erste Länderkampf
nach dem Krieg an. Vom Bahnhof aus wollte der deutsche Nationalspieler im Hotel
„Union“ den ortsansässigen slowenischen Schachverband telefonisch von seinem
Eintreffen in Kenntnis setzen. „Ich bin hier. Mein Name ist Unzicker“, gab er
durch die Leitung. „Wie?“, schallte es zurück, „können Sie das bitte
buchstabieren?“ Wolfgang Unzicker tat, wie ihm geheißen: „U.“ Woraufhin sich
sein Gesprächspartner rückversicherte: „U wie Unzicker?“ „Ich bin Unzicker!“
Der deutsche
Vorkämpfer wurde am 26. Juni 1925 in Pirmasens geboren. Seinen 80. Geburtstag
feiert der pensionierte Richter zusammen mit seiner Gattin Freia, seinen drei
Söhnen und deren Ehefrauen sowie drei Enkeln. Zu Ehren des Jubilars findet
zudem bei den Chess Classic Mainz am 9. und 10. August (jeweils ab 16 Uhr) die
„Unzicker Gala 80“ statt. Gemeinsam mit dem 386fachen deutschen
Rekordnationalspieler treten drei Legenden an: Anatoli Karpow, Viktor
Kortschnoi und Boris Spasski. „Ich freue mich darauf, mit meinen alten Freunden
und Kollegen zusammenzutreffen. Die Ergebnisse stehen dabei im Hintergrund“,
erklärt der Jubilar und meint bescheiden wie immer, „über meine Chancen mache
ich mir angesichts dieses Klassefeldes keine Illusionen.“ Schiedsrichter des
Wettbewerbs wird sein langjähriger Weggefährte Lothar Schmid sein. Der
Bamberger Karl-May-Verleger und Großmeister wurde vor kurzem zum
„Schiedsrichter des Jahrhunderts“ gekürt, weil er pikante WM-Zweikämpfe wie
jenen 1972 zwischen Bobby Fischer und Spasski souverän über die Runden brachte.
Schmid wie Unzicker zählen seit 1997 zu den Stammgästen im Schnellschach-Mekka
Mainz. Organisator Hans-Walter Schmitt sah es daher als Ehre an, einem
„Großmeister, der es trotz seines Berufs so weit brachte und faszinierend oft,
fast 400 Mal, Deutschland würdig vertrat“, eine besondere Bühne zu bieten.
Trotz seiner 80
Jahre spielt der Großmeister immer noch in der Oberliga beim SC Tarrasch
München am ersten Brett. Ganz von den 32 Figuren will der pensionierte Richter
auch nicht lassen. „Man muss sich bewusst sein, dass es in meinem Alter mit den
Erfolgen vorbei ist“, erläutert Unzicker die Philosophie, die ihm die Freude
auf den 64 Feldern erhält. Nichtsdestoweniger bewundert er den sechs Jahre
jüngeren Viktor Kortschnoi: „Dass sich der noch so lange hält. Er ist ein ganz
eiserner Kämpfer und schachlich so vielseitig: kombinatorisch gewaltig und
ganz groß im Endspiel. Eine kleine Schwäche, die ihn vielleicht daran gehindert
hat, Weltmeister zu werden, ist seine Zeitnot und dass er manchmal die
Stellungen überzogen hat. Manchmal prallten an ihm gegnerische Attacken ab wie
Wasserperlen an schroffen Felsenwänden.“ Auch von Filius Alexander musste sich
der Papa einmal anhören, „du beherrscht das Endspiel sicher wunderbar, aber der
Kortschnoi kann’s noch besser!“ Neben Alexander spielt ebenso Ferdinand Schach
und ist Unzickers spielstärkster Nachwuchs mit einer Elo-Bestleistung von
2305, während Stefan nur kurz der Passion seines Vaters frönte.
Obwohl sich der
vieljährige Bundesrechtsberater des Deutschen Schachbundes hauptberuflich der
Juristerei verschrieb („Ich hatte nie das Gefühl, ich sollte Schach-Profi
werden: Mir schien es im Westen zu unsicher. Zweitens wollte ich mein Leben
nicht nur dem Schach widmen.“), feierte der zeitweilig weltbeste Amateur schöne
Erfolge.
Den geteilten
ersten Platz mit Boris Spasski in Sotschi 1965, die Siege 1967 in Maribor und
Krems sowie die Olympiade 1964 in Tel Aviv zählt der rüstige Unzicker zu seinen
„Turnieren, auf die ich stolz bin“. Vor allem in Israel brillierte er beim
Gewinn der Bronze-Medaille sowie dem 3:1 über die Sowjetunion. 13:5
Einzelpunkte verbuchte der Wahl-Bajuware in Tel Aviv am Spitzenbrett. Zu dem
dritten Platz trugen zudem Schmid und Helmut Pfleger sowie Klaus Darga, Jürgen
Mohrlok und der inzwischen verstorbene Wolfram Bialas ihr Scherflein bei. Aber
auch den geteilten Rang vier mit Lajos Portisch 1966 beim Piatigorsky-Cup in
Santa Monica wertet der Münchner als eine seiner herausragenden Stationen.
Zwar hinter Boris
Spasski, Bobby Fischer und Bent Larsen, aber, „das war sehr wichtig, vor
Weltmeister Tigran Petrosjan, Samuel Reschewski, Miguel Najdorf, Borislav Ivkov
und Hein Donner“. Der weltberühmte Cellist
Gregor Piatigorsky, der das Weltklasseturnier organisierte,
charakterisierte Unzicker im Turnierbuch treffend: „Mit gepflegtem Äußeren,
frisch rasiert und passendem Anzug war er der Inbegriff an Ordnung. Das Klacken
seiner Absätze verriet eine unbeugsame Tradition und seine Augen und das
Lächeln die Wärme des Herzens. Während der folgenden Wochen erwarb er sich
Respekt als Person mit vielfältigen Meinungen und hoher Intelligenz. Ich genoss
unsere Unterhaltungen in deutscher Sprache und wünschte, jeder hätte hören
können, was er sagte, um so die Gefühle und Gedanken dieses freundlichen und
kultivierten Mannes zu verstehen.“
Mit zehn Jahren erlernte der kleine Wolfgang von seinem Vater,
der von Beruf Gymnasiallehrer war, das Spiel eher zufällig. Der Sohn wollte
kein Außenseiter sein. Sein vier Jahre älterer Bruder, der gegen Ende des
Zweiten Weltkriegs an der Ostfront fiel, konnte es schon. Auch zwei
gleichaltrige Freunde waren in den Sommerferien 1935 mit Feuerseifer dabei.
Dieses Umfeld spornte ebenso an wie die Besuche bei der Schach-Olympiade 1936
in München. „Gebannt blickte der nun bereits leidenschaftlich interessierte
Junge auf das Brett von Kurt Richter, der mit Turm- und Läuferopfer sein
berühmtes Kombinationsfeuerwerk gegen den Rumänen Gheorghe Alexandrescu
abbrannte“, berichtete Harald Fietz von Unzickers schachlichem Lebensrückblick
bei der Lasker-Gesellschaft 2003 und schrieb weiter, „fortan wird das Buch
,Richtig kombinieren!’ des ,Scharfrichters von Berlin’ ein Quell der
Inspiration. Im Rückblick hält sich Unzicker denn auch eher für einen taktisch
orientierten Kämpfer als einen vorrangig strategisch ausgerichteten
Spielertypen.“
Nach dem Krieg besaßen Turniereinladungen einen unschätzbaren
Vorteil: Die Teilnehmer bekamen ausreichend Verpflegung. Zusammen mit Fritz
Sämisch wurde Unzicker als erster Deutscher 1948 ins Ausland gebeten. In Luzern
belegte er auf Anhieb Platz eins. Seine Karriere
scheint dem Jubilar nicht nur „wegen der guten Verpflegung in dieser Zeit“
günstig verlaufen zu sein - auch wenn man „natürlich immer ein Haar in der
Suppe findet und nie zu 100 Prozent zufrieden ist. Wenn man überlegt, was für
Schwächen ich hatte: Die rein strategische Ausnutzung von Vorteilen, die noch
nicht ganz den Gewinn bedeuteten, gelang mir nicht wie Botwinnik, Smyslow oder
Karpow. Vor allem Karpow holte das Letzte aus einer Stellung heraus“, referiert
Unzicker und klopft zum Unterstreichen des Gesagten mit dem Finger auf den
Tisch: „Da hat es mir gefehlt!“ Weltmeister, fällt der Richter sein gestrenges
Urteil, wäre er auch nicht als staatlich geförderter Profi nach sowjetischem
Vorbild geworden. „Die Teilnahme am Kandidatenturnier hätte mir schon gelingen
können, aber selbst Keres, Kortschnoi und Geller schafften es nicht auf den
Thron.“ Das Trio zählt Unzicker – dabei Jewgeni Geller „mit gewissen
Einschränkungen“ – zu den Spielern, die „nie Titelträger waren, aber wirkliches
Weltmeister-Format besaßen. Dazu gehören auch noch Zukertort, Rubinstein,
Tarrasch und Bronstein“.
Bei den drei
Legenden, die an seiner Gala in der Mainzer Rheingoldhalle teilnehmen, gerät
der Münchner ins Schwelgen. „Kortschnoi ist einer der härtesten Kämpfer, die es
je gab. Darin war er Keres und Smyslow überlegen, auch wenn sein Spiel nicht
über deren Eleganz verfügte.“ Bei Kortschnois 70. Geburtstag in Zürich 2001
zitierte Unzicker in seiner Ansprache Tarrasch, der drei Meister gelobt hatte,
die „immer mit gleicher Kraft spielten: Morphy, Pillsbury und Lasker“. In
diesen Reigen erhob Unzicker den mehrfachen Vizeweltmeister, der gegen Karpow
knapp das Nachsehen hatte. Letzterer adelt den Jubilar als
„Amateur-Weltmeister, dessen Partien man studiert haben muss“. Unzicker gibt
die Blumen an Karpow gerne zurück und zählt den Weltmeister mit den meisten
Turniersiegen (161 an der Zahl) „zweifellos zu den Größten der Großen der
Schach-Geschichte. Es war bedauerlich, dass er 1975 keine Gelegenheit bekam,
gegen Bobby Fischer zu spielen“. Dem Amerikaner, den Unzicker einmal bezwingen
konnte, hätte er zwar „bessere Chancen eingeräumt“ im Kampf der Titanen, aber
danach habe Karpow gezeigt, dass er den „WM-Titel verdient und war lange Zeit
unbestritten der Beste“. Eine hohe Meinung besitzt der deutsche
Rekordnationalspieler auch von dem letzten Großmeister bei seiner
Chess-Classic-Gala: „Spasski ist zwar das Gegenteil von dem Kämpfer Kortschnoi.
Wenn man jedoch den russischen Bär reizt, dann kann er gefährlich werden.
Spasski war ein ungeheures Naturtalent, sicher eines der größten.“ Dass er nur
von 1969 bis 1972 Weltmeister war, lag an dem übermächtigen Fischer. „Gegen den
hätte jeder verloren“, ist Unzicker überzeugt.
Der Jubilar
fasziniert auch noch mit 80 als gewandter Redner, der bei seinen Zuhörern keine
Langeweile aufkommen lässt. Manche Anekdote fällt ihm ein. So berührte ein
älterer Herr, der sehr zitterte, eine Figur. Sein Gegner bestand darauf, dass
er damit ziehen müsse. Vornehm zurückhaltend äußerte Unzicker: „Der ist auch
nicht gerade der Inbegriff eines Gentleman.“ Sein Freund Ludek Pachmann,
Verfechter von klaren Worten, dazu: „Du hast vielleicht Formulierungen. Sag, er
ist ein Schwein und du liegst richtig!“
Beim Empfang zum
legendären Schachkongress in Hastings 1954/55 war erneut Pachmann einer der
Protagonisten von Unzickers Lieblingsanekdoten. Als der Prager berichtete, dass
seine Mutter, die Stellung der Springer und Läufer auf dem Brett vertauscht
hatte, als sie ihm Schach beibrachte, bemerkte Paul Keres nur trocken: „Das
muss man in Betracht ziehen, wenn man deine Eröffnungsbücher studiert!“ Als
äußerst schlagfertig erwies sich der Este zudem bei einer Begegnung mit Max
Euwe in Varna. Als der Ex-Weltmeister ihm und Unzicker von seiner legendären
Partie 1934 in Zürich gegen Alexander Aljechin erzählte, entsponn sich
folgender Dialog: „Als ich das Springeropfer brachte, zog Aljechin die Jacke
aus.“ Keres: „Und wenn du die Dame geopfert hättest, hätte er wahrscheinlich
die Hose ausgezogen ...“
Nachstehend vier
Begegnungen des Jubilars, die er zu seinen besten Partien erkor und überwiegend
selbst kommentierte. Darunter sein einziger Sieg über seinen Freund Paul Keres
in Moskau 1956 sowie der Erfolg über Samuel Reschewski, gegen den Unzicker
ansonsten noch achtmal remisierte. Viel Freude bereitete ihm Mosche Czerniak
1954 in Amsterdam, aber auch vier Jahre später in Moskau. Da der Sieg des
Münchners über den ehemaligen Weltmeister Michail Tal (Mailand 1975) als „beste
Partie seiner Karriere“ tituliert wurde, ist diese ebenfalls aufgeführt.
Wolfgang Unzicker: Vier Partien...
Wer noch mehr über
Unzickers Werdegang erfahren möchte, dem sei eine CD-ROM aus dem
Hause ChessBase (25,50 Euro, ISBN 3-935602-48-0) empfohlen. Der Kölner
Schachhistoriker Hans-Dieter Müller legte 2003 eine Biographie mit 1750 Partien
vor, die die Karriere des Münchners nachzeichnet. Zu den Höhepunkten zählen die
insgesamt rund halbstündigen Videosequenzen mit Unzicker.