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Das frühe Ausscheiden vieler Spitzenspieler war für manchen der Beweis, dass die Spitzenspieler generell überbewertet sind, was sich immer dann bemerkbar machen würde, wenn sie gegen vermeintlich schwächere Spieler antreten müssen. Tatsächlich ist das Ausscheiden einiger der nominell besten Spieler beim World Cup statistisch gesehen keineswegs überraschend.
Mein Freund und Kollege David Fadul und ich haben ausgerechnet, wie groß die Chancen eines Spielers sind, bei einem so stark besetzten Turnier wie dem World Cup ins Finale zu kommen.
Das Elo-System gibt darauf keine unmittelbare Antwort. Das Elo-System misst nicht, wie groß die Chancen eines Spielers sind, eine Partie zu gewinnen, sondern es misst, wie viele Punkte jemand gegen einen anderen Spieler erzielt hat und wie viele Punkte er entsprechend seiner Wertungszahl erzielen wird.
Um zu berechnen, welche Gewinnchancen jeder einzelne Spieler in einem Wettkampf über zwei Partien hat, muss eine Remisquote festgelegt werden. In der ChessBase Mega 2017 haben wir uns deshalb die Statistiken für alle Partien zwischen Spielern mit einer Elo-Zahl von 2600 oder mehr angeschaut, die in den letzten drei Jahren gespielt wurden. Das Ergebnis lag bei sehr runden 50%. Dann haben wir in der Datenbank nach allen Schnellpartien gesucht, die zwischen Spielern mit einer Elo-Zahl von 2600 oder mehr gespielt wurden, und hier endeten nur 40% aller Partien mit Remis. Blitzpartien endeten nur in 30% aller Fälle friedlich.
Die Remisquote der Spitzenspieler
Um die folgenden Ergebnisse zu verstehen, ist es wichtig, ein paar grundsätzliche Dinge über den World Cup und das K.o.-System des World Cups zu verstehen. Um ins Finale zu kommen, muss ein Spieler sechs Wettkämpfe überstehen und gewinnen. Machen wir uns einmal klar, was das bedeutet. Falls ein Spieler das schafft ohne in irgendeinem seiner sechs Wettkämpfe in den Tiebreak zu müssen, dann hat er mindestens 75% aller möglichen Punkte geholt und nie mehr als ein Remis in Folge gespielt. Ein einziger Fehlgriff in sechs Wettkämpfen kann allerdings schon zum Ausscheiden führen. Anders als in einem 12-rundigen Turnier, in dem ein Verlust nicht gleich das Ende der Siegesträume bedeutet. Und dann gibt es noch die Tiebreaks.
Die Tiebreaks bestehen aus Miniwettkämpfen über zwei Partien, wobei die Bedenkzeit immer weiter verkürzt wird, wenn in den vorherigen Wettkämpfen keine Entscheidung gefallen ist - bis ein Spieler schließlich verliert. Wenn man die Armageddon-Partie, die gespielt wird, wenn die vorherigen Miniwettkämpfe alle Unentschieden ausgegangen sind, nicht berücksichtigt, dann können in jeder Runde bis zu vier Miniwettkämpfe gespielt werden, in sechs Runden könnte ein Spieler also theoretisch 24 Wettkämpfe über zwei Partien spielen, bis er sich für das Finale qualifiziert hat. In jedem dieser Wettkämpfe ist der Spieler mit der höheren Elo-Zahl natürlich Favorit, aber je mehr Wettkämpfe gespielt werden, desto höher ist natürlich auch die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns. Aber wie groß ist diese Wahrscheinlichkeit?
Ins Finale des World Cups zu kommen, ist kein reines Würfelspiel, aber dennoch spielt der Zufall eine große Rolle.
Nehmen wir an, Sie haben 100 Elo-Punkte mehr als jeder ihrer Gegner. Natürlich sind Sie in allen Begegnungen Favorit, aber die Frage ist nicht, ob Sie die meisten Ihrer Wettkämpfe gewinnen werden, die Frage ist, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass Sie einen Ihrer Wettkämpfe verlieren.
Stellen Sie sich vor, Sie machen mit jemandem ein Würfelspiel. Ihr Gegner gewinnt nur dann, wenn er eine Sechs würfelt. In allen anderen Fällen gewinnen Sie. Sie sind hoher Favorit, nicht wahr? Aber was passiert, wenn Ihr Gegner sechs Mal würfeln darf? Ihr Gegner braucht immer noch eine Sechs, um gegen Sie zu gewinnen, aber die Chancen dafür sind dramatisch gestiegen. Genau das ist das Prinzip des World Cups.
Wenn man Wettkämpfe, die unentschieden ausgehen, nicht berücksichtigt, dann liegen die Chancen des Spielers mit einer 100 Punkte höheren Elo-Zahl, einen seiner sechs Wettkämpfe zu verlieren, bei 54,2%. Berücksichtigt man die Tiebreaks, dann wird es noch unwahrscheinlicher, dass der Spieler mit einem Plus von 100 Elo-Punkten alle sechs Wettkämpfe gewinnt und ins Finale kommt. Die Wahrscheinlichkeit, dass er einen seiner sechs Wettkämpfe verliert, liegt dann bei 73,7%.
Und wie groß müsste der Elo-Vorsprung eines Spielers sein, um ihm eine statistische Chance von 50% zu geben, ins Finale zu kommen? Astronomische 139 Elo-Punkte!
Okay, aber was heißt all das für Weltmeister Magnus Carlsen? Als Spieler mit der höchsten Elo-Zahl hat er die besten Chancen, ins Finale zu kommen, denn er ist in jedem Wettkampf Favorit.
Zur Veranschaulichung der Wahrscheinlichkeitsrechnung wurden alle Wettkämpfe, die Carlsen tatsächlich gespielt hat, berücksichtigt, ebenso wie Carlsens Rapid- und Blitz-Elo. Mit Ausnahme der ersten Runde, denn dort hatte Carlsen einen Elo-Vorsprung von fast 600 Punkten. Aber auch Dreev war großer Außenseiter, nicht nur wegen seiner Elo im klassischen Schach. Dort hat Dreev 200 Elo-Punkte weniger als Carlsen, beim Schnell- und Blitzschach ist der Abstand noch größer. Aber dennoch lagen Carlsens Chancen, die Wettkämpfe gegen Balogun, Dreev, Bu, Svidler, Vachier-Lagrave und Aronian unbeschadet zu überstehen, bei nur 36%.
Paarungsbaum
Aber wenn der Teilnehmer mit der höchsten Elo-Zahl lediglich eine Chance von 36% hat, das Finale zu erreichen, was ist dann mit denen, die es tatsächlich bis ins Finale schaffen? Natürlich waren ihre Chancen anfangs kleiner, aber irgendeiner gewinnt immer, ganz egal, wie die Chancen im Einzelfall liegen. Tatsächlich ist eine Wahrscheinlichkeit von 36% alles in allem ziemlich hoch, aber dennoch zeigt diese Zahl, wie schwankend dieses Format ist. Für die Spieler bedeutet das Stress, aber Fans und Zuschauern ist Spannung und Aufregung garantiert, jeden Tag, bis zum Schluss.
Übertragung aus dem Englischen: Johannes Fischer