Die junge Schachkönigin Hou Yifan
Von Dagobert Kohlmeyer
Die Schachwelt hat eine neue Königin.
Pünktlich zu Weihnachten erfüllte Hou Yifan sich einen Traum sowie die
Erwartungen ihrer Fans und wurde jüngste Weltmeisterin der Schachgeschichte. Die
16-jährige Chinesin setzte damit eine neue Rekordmarke.
Bisher war Maja Tschiburdanidse jüngste
Titelträgerin. Die legendäre Georgierin eroberte 1978 mit 17 Jahren die
Schachkrone von ihrer ebenso berühmten Landsfrau Nona Gaprindaschwili.
Trotz ihrer Jugend kann Hou Yifan im Schach
schon fast alles. Sie weiß, wie man sich optimal vorbereitet, die Figuren in
ihre beste Stellung bringt, geschickt laviert und einen Angriff erfolgreich
abschließt. Wie man schwierige Situationen meistert und die Gegnerin durch
starke Züge aus dem Konzept bringt.
Diese Tugenden verhalfen ihr zum
eindrucksvollen Aufstieg auf den Schach-Olymp. Im Finale des WM-Turniers, das
Heiligabend im türkischen Antakya zu Ende ging, bezwang sie ihre Landsfrau Ruan
Lufei, die hartnäckigen Widerstand leistete, mit 5:3.
Nach vier Partien mit normaler Bedenkzeit
hatte es 2:2 gestanden.
In den Tiebreak-Spielen mit verkürzter
Bedenkzeit ließ Hou Yifan dann nichts anbrennen und dominierte das Geschehen
klar mit 3:1. Und darf sich nun jüngste Schachkönigin aller Zeiten nennen.
2008 in Naltschik hatte Hou Yifan als
14-jähriges Wunderkind schon einmal das WM-Finale erreicht, wo sie der Russin
Alexandra Kostenjuk nur knapp unterlag. Da fehlte noch die Routine. Inzwischen
sammelte sie bei starken Turnieren und Schacholympiaden wertvolle Erfahrungen
und zeigte sich in dieser Weltmeiserschaft als gereifte, nervenstarke Spielerin,
an der keine Kontrahentin mehr vorbeikommt.
Im Halbfinale bezwang die Pekinger
Großmeisterin die Inderin Koneru Humpy, es war das vorgezogene Endspiel.
Eigentlich hätten sich die beiden
ELO-Favoritinnen erst im Finale treffen dürfen, aber Titelverteidigerin
Alexandra Kostenjuk war an Nr. 1 gesetzt, und so kam es dazu. Die FIDE sollte
hier mal über ein gerechteres Reglement nachdenken. Vier Finalpartien der beiden
stärksten Schachladies wären interessant gewesen.
Was die Titelverteidigerin aus Moskau
angeht, so scheiterte sie bereits in Runde 3 an Hou Yifans Finalgegnerin Ruan
Lufei. Die Russinnen enttäuschten in Antakya auf der ganzen Linie. Eine Runde
davor war unsere deutsche Teilnehmerin Elisabeth Pähtz gegen Viktoria Cmylite
ausgeschieden. Elisabeth beklagte, dass ihr der Verband keinen Sekundanten
stellte.
Die Chinesinnen hatten einen großen
Trainerstab dabei. Es zahlte sich aus. Von Chinas Dominanz im internationalen
Spitzenschach der Frauen zeugt die Tatsache, dass drei von ihnen das diesjährige
WM-Halbfinale erreichten. Seit 1991 stellten Frauen aus dem Reich der Mitte mit
Xie Jun, Zhu Chen, Xu Yuhua und jetzt Hou Yifan viermal die Weltmeisterin. Eine
Überlegenheit, die Ihresgleichen sucht.
Xie Jun
Zhu Chen
Xu Yuhua
An Talent und Spielstärke übertrifft Hou
Yifan nach Einschätzung der Experten wohl viele ihre Vorgängerinnen.
Nichts bringt sie beim Spiel aus der Ruhe,
am Brett verwertet sie selbst kleinste Vorteile zum Sieg oder kann verlorene
Stellungen noch retten. Eine Ausnahme war die zweite Finalpartie, wo sie sich
das Leben unnötig schwer machte. Aber sie ist ja noch sooo jung. Sicher ist von
ihr in nächster Zeit noch eine weitere Leistungssteigerung zu erwarten.
Starallüren kennt die neue Schachkönigin nicht, sie lacht gern und verhält sich
eben wie ein ganz normaler Teenager.
Im Sommer 2007 war Hou Yifan zum ersten Mal
chinesische Landesmeisterin und damit die bisher jüngste im Reich der Mitte. Und
das bei dieser Konkurrenz im eigenen Land. „Ihr Weg geht kontinuierlich nach
oben“, sagte mir schon damals ihr Trainer Yu Shaoteng, der selbst Großmeister
ist. „Vor allem im taktischen Bereich ist sie sehr stark, hat aber in letzter
Zeit auch strategisch enorm dazugelernt.“
In Peking lebt Hou Yifan mit ihrer Mutter in
einer riesigen Sportschule, wo Athleten vieler Disziplinen auf Höchstleistungen
getrimmt werden. Der Lohn für ihr intensives Training sind unter anderem Starts
im Ausland, auch in Westeuropa. Bei internationalen Turnieren spielt das Mädchen
mit den Mandelaugen vorwiegend gegen Männer. Deren Großmeisertitel, der als
Doktorhut im Schach gilt, trägt sie auch schon seit zwei Jahren.
Die neue Weltmeisterin erhielt 48.000
US-Dollar Preisgeld (von 60.000 gehen 20 Prozent Steuern an die FIDE). Das mutet
im Vergleich zur WM-Millionenbörse bei den Männern sehr bescheiden an, bedeutet
für das junge Mädchen aber ein Vermögen. Sicher muss sie in Peking einen
beträchtlichen Teil davon abgeben. Wichtiger ist ihr aber der Titel, von dem sie
seit einigen Jahren geträumt hat. Jetzt werden ganz sicher ganz viele
Turniereinladungen folgen.
In einem Haus
Als Wunderkind durfte Hou Yifan schon
mehrmals in Wijk aan Zee die Figuren setzen. Ich beobachtete sie dort in den
Jahren 2007 und 2008 und war Augenzeuge, wie sie etliche Großmeister-Skalps
erbeutete. Vor einigen Jahren hatte ich zusätzliches Reporterglück. In meinem
kleinen Hotel mit nur elf Zimmern logierten beim damaligen Corus Turnier auch
Koneru Humpy, die von ihrem Vater Ashok begleitet wurde und Hou Yifan mit ihrem
Coach Yu Shaoteng. Erste beim Frühstück war immer Koneru Humpy, die als Getränk
warme Milch zu sich nahm. Punkt 8.30 Uhr saß die Weltranglisten-Zweite mit ihrem
Vater am Tisch. Sie sprachen nur leise miteinander. Am anderen Tisch ging es
lebhafter zu. Hou Yifan kam meist kurz nach 9 Uhr und trank Tee. Ihre
Haarspangen trägt sie inzwischen nicht mehr. Aber beim Frühstück immer einen
schicken Trainingsanzug und die passenden Turnschuhe dazu.
Trainer Yu Shaoteng betreute sie 2007 in
Wijk aan Zee, wo sie im C-Turnier startete und ein Jahr später, als sie im
B-Wettbewerb für Paukenschläge sorgte.
So fegte sie dort mit Weiß keinen Geringeren
als den WM-Finalisten 1993 Nigel Short vom Brett. Gegen den russischen Star Jan
Nepomniachtschi hielt sie ihre Partie in einem komplizierten Endspiel mit zwei
Bauern gegen Läufer und Bauer remis.
In Wijk aan Zee wurde Hou Yifan jeden Morgen
von der Herbergsmutter mit leckeren holländischen Pfannkuchen verwöhnt. Joghurt
löffelte sie ebenfalls gern. Der Trainer war meist schneller fertig mit dem
Essen und wartete dann geduldig auf seinen Schützling. Nach zwei Wochen hatten
die beiden Gäste aus dem fernen Riesenreich aber doch einmal Appetit auf
heimische Küche. So fuhren Hou Yifan und ihr Trainer am spielfreien Tag mit dem
Bus ins benachbarte Bevervijk, um ein China-Restaurant aufzusuchen.
Das waren Erinnerungen an Wijk aan Zee.
Inzwischen sind fast drei Jahre vergangen, und die junge Dame ist
Schachweltmeisterin. „Ich freue mich sehr über den Titel“, strahlte Hou Yifan
nach der letzten Partie. „Nach Antakya kam ich, um gutes Schach zu zeigen. Vor
dem Finale sagte ich mir: Spiele es so wie eine normale Runde. Wir hatten hier
ein großes Trainerteam, das uns Spielerinnen unterstützte. Das war eine wichtige
Hilfe.“ Bis zum Finale hatte Hou Yifan sehr gute Partien gezeigt und ihre
Gegnerinnen klar dominiert. „Danach war mein Spiel nicht mehr so gut“, räumte
sie selbstkritisch ein. Dadurch eröffnete sie Ruan Lufei die Chance, das Match
auszugleichen, so dass sie noch den Tiebreak brauchte, um – dann allerdings
sicher – zu gewinnen.
Vor der Weltmeisterschaft starteten Hou
Yifan und ihre Kolleginnen im November bei den Asienspielen und in anderen
Turnieren. Das war nach ihren Worten ein gutes Training. Danach bereitete sich
jede individuell auf die Weltmeisterschaft vor. Die 16-jährige trainiert täglich
etwa fünf Stunden, am Wochenende etwas weniger. In Antakya wurden Chinas Damen
dann gemeinschaftlich betreut.
„Wir sind glücklich über unsere Resultate“,
betonte die neue Schachkönigin und zollte auch ihrer zähen Finalgegnerin ein
dickes Lob. In der Tat war die bis dato recht unbekannte Ruan Lufei d i e
Überraschung des WM-Turniers. In Runde 3 eliminierte die 23-Jährige immerhin
Titelverteidigerin Kostenjuk und im Halbfinale die erfahrene Zhao Xue. Ein
Zeichen dafür, über welch großes Reservoire die Chinesinnen verfügen. Bei
Schacholympiaden holten sie 1998, 2000, 2002 und 2004 Gold. Dann gab es ein paar
Mal Bronze, im Herbst 2010 kam in Chanty-Mansysk mit Hou Yifan am Spitzenbrett
Silber hinzu.
Bilder von der Schlussfeier
Fotos: Veranstalter
Musiker in Folklore-Kostümen
Die Pokale
Nun wird getrommelt
Ansprache des Präsidenten, li. Ali Nihat Yazici
Die Nächstplazierten
Der Siegerpokal für Yifan Hou
und ein Blumenstrauss
und ein Scheck
Alles China. Koneru weiß nicht recht.
Der Chef mit seiner Weltmeisterin
Alle
Weltmeisterinnen der
Schachgeschichte
Vera
Menchik 1927-1944
Ljudmila Rudenko 1950-1953
Elisabeta Bykova 1953-1956
Olga Rubtsova 1956-1958
Elisabeth Bykova 1958-1962
Nona Gaprindashvili 1962-1978
Maja Tschiburdanidse 1978-1991
Xie Jun 1991-1996
Zsuzsa Polgar 1996-1999
Xie Jun 1999-2001
Zhu Chen 2001-2004
Antoaneta Stefanowa 2004-2006
Xu Yuhua 2006-2008
Alexandra Kostenjuk 2008-2010
Hou Yifan 2010-
Die internationale Presse würdigt den
Titelgewinn Hou Yifans.
Artikel in der New York Times...