Yury Averbakh: 100!

von André Schulz
08.02.2022 – Yury Averbakh war in seiner besten Zeit einer der stärksten Spieler in der UdSSR und in der Welt. Nach seiner aktiven Karriere betätigte er sich als Autor, Theoretiker und Funktionär. Seit dem Tod von Andor Lilienthal ist Averbakh der älteste noch lebende Schachgroßmeister. Heute feiert er seinen 100sten Geburtstag. | Foto: Averbakh beim Match USA vs. USSR, New York City, 1954 (via D. Griffith)

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Es gibt eine Reihe von prominenten Schachspielern, die ein hohes Alter erreichten und sehr lange noch Turnierschach spielten. Es ist schon etwas her, dass Yury Averbakh seine letzte Turnierpartie spielte. Das war im November 2007 bei einem Freundschaftskampf der Veteranen zwischen Russland und Jugoslawien in Moskau. Im Vergleich zu heute war Averbakh vor 15 Jahren noch ein "junger Mann", erst 85 Jahre alt. Heute feiert die Schachlegende als ältester lebender Schachgroßmeister der Welt seinen 100sten Geburtstag!

Foto: Eteri Kublashvili

Geboren am 8. Februar 1922 hat Yury Averbakh ein ganzes Jahrhundert Geschichte und Schachgeschichte miterlebt und auch mitgestaltet. Yury Averbakh wurde in Kaluga geboren, einer Stadt im Südwesten von Moskau. Die jüdische Familie seines Vaters Lev Lazarevic war aus Deutschland eingewandert. Der ursprüngliche Familienname war "Auerbach". Die russische Familie seiner Mutter stammte aus der Gegend von Kaluga. Averbakhs Vater arbeitete zur Zeit der Geburt seines Sohnes als Forstwirt in der Nähe von Kaluga.

Als Yury Averbakh drei Jahre alt war, zog die Familie nach Moskau und wohnte am Bolshoi Afanasyesky Pereulok, der sich nur wenige Gehminuten vom Gogolevsky Boulevard befand, wo 1956 der Zentralschachklub seinen Sitz nahm. 

Die vierköpfige Familie Averbakh, Yury Averbakh hatte noch eine jüngere Schwester, lebte in einer städtischen Wohnung, die sie sich mit drei weiteren Familien teilen musste. In der Wohnung gab es keine Heizung, keinen Strom und kein elektrisches Licht. Die vier Familien teilten sich eine gemeinsame Küche mit einem einfachen Ofen, auf dem gekocht wurde. Mitte der 1930er Jahre erhielten die Wohnungen in dem mehrstöckigen Haus eine Zentralheizung. Da der Vater mit seinem Einkommen die Familie nicht ernähren konnte, musste auch die Mutter arbeiten gehen. 

1935 fand in Moskau das zweite große internationale Schachturnier statt. Das Turnier war ein bedeutendes Ereignis in der russischen Hauptstadt und sorgte für große Aufmerksamkeit. Es fand im Museum der feinen Künste statt. Yury Averbakh war es nicht vergönnt, das Turnier zu besuchen, aber er besuchte eine Simultanvorstellung von Emanuel Lasker und Rudolf Spielmann im Haus der jungen Kommunisten und erlebte dort, wie ein Schüler seiner Schule beim Simultan Emanuel Lasker besiegte. Das erweckte in Yury Averbakh nun den Wunsch, genau so gut Schach zu spielen.

Yury Averbakhs erste Begegnung mit dem Schach und einem guten Schachspieler fand aber schon einige Jahre zuvor statt. Seine Mutter war in Kaluga Lehrerin an der gleichen Schule, an der auch Vasily Panows ältere Schwester Anna unterrichtete. Die beiden Frauen hielten Kontakt und bei einem Besuch in Kaluga begegnete der siebenjährige Yury Averbakh Vasily Panov und staunte, dass dieser an einem Schachbrett anscheinend mit sich selber Schach spielte.

Nach dem Erlebnis mit dem Simultan von Lasker und Spielmann nahm Averbakh nun regelmäßig an Schulschachveranstaltungen teil und besuchte den Schachpavillon im zentralen Sportpark. Außerdem spielte er auch gerne Volleyball und Basketball.

Eines Tages gab Andor Lilienthal in dem Sportpark ein Simultan an 155 Brettern. Averbakh nahm teil und gewann seine Partie, weil Lilienthal in Gewinnstellung eine Figur einstellte. Das ganze Simultan hatte 12 Stunden gedauert.

Averbakh trat nun in den Moskauer Schachklub ein, der sich im Keller des Justizministeriums an der Ilyinka befand. Averbakh sah dort eine Vorlesung des Endspielkomponisten Nikolay Grigoriev und begeisterte sich von nun für Schachendspiele. Averbakh besuchte danach auch regelmäßig die Schachklasse im Pionierpalast, wo er bald an Lösewettbewerben teilnahm. Zu den Übungen im Pionierpalast gehörten auch Uhrensimultanvorführungen mit Spielern wie Kotov oder Tolush. Bei dieser Gelegenheit traf Averbakh erstmals mit Isaak Linder zusammen, der später ein bekannter Schachhistoriker wurde. 

Yury Averbakh machte stetige Fortschritte und wurde 1938 mit dem Titel des U16-Meisters der UdSSR belohnt - der Start für eine große Schachspieler-Karriere.

Nach der Schulausbildung begann Averbakh ein Studium der Ingenieurwissenschaft, das er aber 1952 aufgab, um sich ganz dem Schach zu widmen.

1944 wurde Yury Averbakh der Titel "Meister der UdSSR" verliehen. 1952 erhielt er von der FIDE den Titel eines Großmeisters. 1949, 1950 und 1962 gewann Averbakh die Meisterschaft von Moskau. 1952 qualifizierte er sich mit dem geteilten 5. Platz beim Interzonenturnier von Saltsjöbaden für das Kandidatenturnier in Zürich 1953. 

 

1954 gewann Averbakh die UdSSR-Meisterschaft. Zwei Jahre später teilte er mit Mark Tajmanov und Boris Spasski den ersten Platz bei den UdSSR-Meisterschaften, an denen er über viele Jahre regelmäßig teilnahm. 1955 begleitete Yury Averbakh durch Zufall Boris Spassky als Sekundant bei der Jugendweltmeisterschaft. Spasskys Trainer Alexander Tolush hatte sich ein Bein gebrochen und es wurde kurzfristig ein Ersatzmann gesucht.

 

 

 

 

 

 

 


In den 1950er Jahren war Averbakh auch mehrfach Sparringspartner von Mikhail Botvinnik und spielte gegen ihn Trainingswettkämpfe als Vorbereitung auf Botvinniks WM-Kämpfe.

Zu Averbakhs internationalen Turniererfolgen gehören Siege und geteilte erste Plätze bei den Turnieren in Dresden 1956, Djakarta 1956, Adelaide 1960, Wien 1961, Moskau 1962, Bukarest 1971, Polanica-Zdró, und Manila 1979.

Yury Averbkah 1963 in Beverwijk | Foto: Durch National Archiv

Als Nationalspieler gewann Yury Averbakh mit der UdSSR-Mannschaft unter anderem die Mannschaftseuropameisterschaften 1957 in Baden (Österreich) und 1965 in Hamburg. Für die UdSSR-Olympiamannschaft wurde Averbkah jedoch nie nominiert, da es in der UdSSR zu viele erstklassige Spieler gab, die noch besser waren.

Averbakhs beste Elozahl nach deren Einführung 1966 betrug 2550 im Jahr 1971. Seinen Leistungszenit verzeichnetet Averbakh aber schon Mitte/Ende der 1950er Jahre. Der Statistiker Jeff Sonas sieht Averbakh bei seiner nachträglichen Ermittlung historischer Elozahlen in dieser Zeit auf Platz acht der Welt.

Yury Averbakh veröffentlichte zahlreiche Lehrbücher, insbesondere über das Endspiel. Er komponierte selber über 200 Endspielaufgaben. Bis in die 1980er Jahre war Yury Averbakh mit seinem Endspielbüchern die Koryphäe auf diesem Gebiet schlechthin. In der Königsindischen Verteidigung ist eine Variante nach ihm benannt.

Ab 1962 war Averbakh Herausgeber von Schachmaty w SSSR. Das Magazin hatte seine Redaktionsräume im Haus des Zentralschachklubs am Gogolevsky Boulevard. 

Kortschnoj, Petrosian und Averbakh bei der Vorbereitung auf das Kandidatenmatch Fischer-Petrosian, 1971 | Foto: Tass

Ab 1969 wirkte Averbakh auch als Schiedsrichter und leitete unter anderem die PCA-Weltmeisterschaft Kasparov gegen Short, London 1993. 

Von 1973 bis 1978 war Averbakh zudem der Präsident des UdSSR-Schachverbandes, nachdem er zuvor schon Mitglied des Präsidiums gewesen war. In diese Zeit fällt die Aufsehen erregende Flucht von Viktor Kortschnoj, der 1976 von einem Turnier nicht zurückkehrte. Im Sportkomitee der UdSSR hatte man als Reaktion eine kritische Erklärung vorbereitet, die Averbakh und fast alle sowjetische Spitzengroßmeister unterschrieben. Botvinnik und Gulko weigerten sich mit dem Hinweis, dass sie keine kollektiven Erklärungen unterschreiben würden. Karpov veröffentlichte eine eigene Erklärung und Bronstein ging nicht an sein Telefon.

In seiner Autobiografie "Centre-Stage and Behind the Scenes" berichtet Averbakh von vielen Begebenheiten "hinter den Kulissen". Er erwähnt auch ein Gespräch, das er mit Wolfgang Unzicker während der Europamannschaftsmeisterschaft 1977 in Moskau geführt hat. Unzicker, der ausgezeichnet Russisch sprach, erzählte dass sein verstorbener Vater zusammen mit Rudolf Hess die Schule besucht hatte. Auf dem Sterbebett musste der Richter Wolfgang Unzicker seinem Vater versprechen, dass er sich für die Entlassung von Hess einsetzten würde. Von Averbakh wollte Unzicker wissen, ob er dafür irgendwelche Chancen sähe. Averbakh sah keine Möglichkeit.

2020 ernannte die FIDE Yury Averbakh zu ihrem Ehrenmitglied.

Im folgenden Video zeigt Yury Averbakh, 94-jährig, die Endspielstudie von V. A. Korolkov, 
"Lelo", 1951 (1. Preis).


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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