Zehn Jahre Houdini

von Stephan Oliver Platz
02.06.2020 – Schachengines sind Programme mit Charakter. Jede Engine hat ihre eigene Spielweise und deshalb macht es Sinn, mit unterschiedlichen Engines zu analysieren. So machen es auch die Großmeister und holen damit das Maximum aus ihren Analysen. Stephan-Oliver Platz stellt anlässlich des 10. Geburtstages die Entwicklungsgeschichte von Houdini vor.
Die Nutzungsrechte von ChessBase an der Software Stockfish stehen unter den Lizenzbedingungen der GPL-3.0. ChessBase hat sich mit dem Team von Stockfish geeinigt, das Produkt für einen Zeitraum bis zum 7. November 2023 nicht mehr zu vertreiben.

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Die neue Version 18 bietet völlig neue Möglichkeiten für Schachtraining und Analyse: Stilanalyse von Spielern, Suche nach strategischen Themen, Zugriff auf 6 Mrd. LiChess-Partien, Download von chess.com mit eingebauter API, Spielervorbereitung durch Abgleich mit LiChess-Partien, eingebaute Cloud-Engine u.v.m..

10 Jahre Houdini

„Willkommen auf der Homepage des Schachprogramms Houdini“, so hieß zum ersten Mal im Mai 2010, als der Programmierer Robert Houdart die erste Version seines neuen Schachprogramms kostenlos zum Download anbot. Noch wusste niemand, dass Houdini nur sieben Monate später Rybka als Nr. 1 der Welt ablösen und mehrere Jahre lang selbst das Computerschach dominieren würde. Wie stark war Houdini 1 und worin bestanden seine besonderen Qualitäten? Wie wurde das Programm weiterentwickelt und was macht es für die Schachanalyse so besonders wertvoll? Anlässlich des zehnten Jahrestages möchte ich auf diese Fragen eingehen und natürlich auch Houdini's Abschneiden in Computerturnieren betrachten.

Houdini, der Entfesselungskünstler

Mitte Mai 2010 hatte der Belgier Robert Houdart die erste Version seines Schachprogramms fertiggestellt. Nun galt es, einen Namen dafür zu finden. Die Wahl fiel auf „Houdini“, sicherlich nicht ohne Grund. Zunächst fällt auf, dass die ersten vier Buchstaben mit dem Nachnamen des Programmierers übereinstimmen. Warum wurde daraus schließlich „Houdini“? Robert Houdart schrieb auf seiner Homepage dazu folgendes: „Der Name 'Houdini' wurde gewählt wegen der Hartnäckigkeit des Programms in schwierigen Stellungen und seiner Fähigkeit, sich zäh zu verteidigen und so manchmal gerade noch mit einem Remis zu entschlüpfen. Gleichzeitig wird Houdini seinen Gegnern die gleichen Fluchtwege abschneiden, wenn er die bessere Stellung hat.“ (a)

Harry Houdini lautete der Künstlername eines amerikanischen Entfesselungs- und Zauberkünstlers ungarischer Herkunft. Mit bürgerlichem Namen hieß er Erik Weisz und lebte von 1874 bis 1926. Als er vier Jahre alt war, verließ seine Familie Österreich-Ungarn und wanderte in die USA aus. In dem ihm gewidmeten Wikipedia-Artikel heißt es zu seinen Entfesselungskunststücken: „Neu an Houdinis Show war, dass er tatsächlich aus jeder ihm zur Verfügung gestellten Fessel entkommen konnte und sich zu Werbezwecken unter Testbedingungen nackt von erfahrenen Polizisten fesseln ließ.“ Er soll sogar in der Lage gewesen sein, aus ihm von der Polizei angelegten Handschellen zu entschlüpfen. Nach und nach nahmen seine Kunststücke immer groteskere Formen an: Er befreite sich sogar unter Wasser und später auch aus einer Zwangsjacke, „kopfüber an Wolkenkratzern aufgehängt“. (b) Das sind durchaus bemerkenswerte Fähigkeiten, welche wir, auf das Schachspiel übertragen, sehr wohl in dem nach Houdini benannten Schachprogramm vorfinden. Was nicht weiter verwundert, denn ohne erfindungsreiche Verteidigungskraft kann es auch kein menschlicher Schachspieler bis an die Weltspitze schaffen. Als besonders hartnäckige Verteidiger galten u. a. die Weltmeister Steinitz, Lasker, Capablanca, Botwinnik, Smyslow, Petrosjan und Karpow.

Wie stark war Houdini 1?

Da Houdini 1 in keiner ELO-Rangliste zu finden war, veranstaltete ich selbst einen kleinen Testwettkampf über 20 Partien zwischen dieser ersten Houdini-Version und dem ein halbes Jahr später erschienenen Schachprogramm Critter 0.90 des slowakischen Programmierers Richard Vida. Zugrundegelegt wurde die bis einschließlich 2019 übliche CCRL-Bedenkzeit von 4 Minuten für je 40 Züge (64-bit, 1CPU). Das Endergebnis lautete 5:3 bei 12 Remisen zugunsten von Houdini 1. Da Critter 0.90 auf 64-bit mit einem Prozessor eine ELO Zahl von 3049 hat, ergab die ELO-Auswertung für Houdini 1 eine ELO-Zahl von 3083, gemessen am CCRL-Standard 40/4. Das liegt im Bereich von Rybka 3, der auf 3078 ELO kommt. Natürlich müssten deutlich mehr Testpartien gespielt werden, aber auf ein paar ELO rauf oder runter kommt es hier nicht an. Ich wollte nur überprüfen, ob die erste Version von Houdini tatsächlich schon außerordentlich stark war. Der kleine Testwettkampf gegen Critter bestätigte jedenfalls diese Annahme.

Anderssen und Morphy lassen grüßen

Erstaunt musste ich feststellen, dass in der Tat bereits die erste Houdini-Version über außerordentliche Fähigkeiten verfügte und einen Spielstil pflegte, der an die besten Zeiten von Anderssen und Morphy erinnert. Sehen wir uns zu diesem Zweck die siebte Wettkampfpartie zwischen Houdini und Critter an. Nach 29 Zügen stand Houdini vor einem drohenden Matt, das nur unter Damenopfer zu parieren war. Doch innerhalb von nur fünf Zügen wand sich der große Entfesselungskünstler nicht nur aus allen Schwierigkeiten heraus, sondern drehte den Spieß sogar um. Nach weiteren spektakulären Opfern musste Critter im 55. Zuge die Segel streichen:
 

 
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1.Nc3 c5 2.e4 d6 3.Nf3 Nf6 4.d4 cxd4 5.Nxd4 a6 6.Be3 e5 7.Nb3 Be6 8.f3 Be7 9.Qd2 Nbd7 10.g4! Diese scharfe Variante der sizilianischen Partie lässt einen spannenden Kampf erwarten. h6 11.0-0-0 b5 12.a3 Die Theorie empfiehlt 12.Kb1 oder 12.h4 12...Qc7 13.h4 Nb6 14.Bxb6 Qxb6 15.Kb1 Rb8 16.Be2 Rc8 Folgerichtig wäre 16...b4 , sonst wäre der Turm besser gleich nach c8 gegangen. 17.Nc1 Qb7 18.N1a2 Rc5 19.Rdg1 Bf8 19...g6!? 20.g5 hxg5 21.hxg5 Rxh1 22.Rxh1 Nh5= 20.g5 Nh5 21.Nb4 Nf4 22.Nd3 Nxd3 23.Bxd3 b4 24.axb4 Qxb4 25.Bxa6 Qb6 26.Be2 Ra5 27.b3 Qb4 28.Qd3 Wahrscheinlich ist 28.Rd1 besser. 28...Be7? Hier versäumt Critter eine große Chance. Zwar bringt 28...Qa3 nichts ein wegen 29.Na4 Be7 30.Qc3!= Rxa4? 31.Bb5+! aber 28...d5! war stark mit dem Plan, den Läufer f8 über c5 nach d4 zu bringen. Nach 29.Nxd5 29.exd5? Bf5! 30.Ne4 30.Qxf5 Qxc3-+ 30...Bxe4 31.fxe4 Bc5-+ 29.Nb5? d4! 30.Kb2 Bd7-+ 29...Bxd5 30.exd5 Bc5 hat Weiß nichts besseres als mit 31.Rg4 Bd4 32.Rxd4 die Qualität herzugeben, um den gefährlichen Läufer loszuwerden. 29.gxh6! Ein starker Zug, der wie ein Versehen aussieht. Qa3 Wie soll Weiß jetzt das auf a1 drohende Matt abwehren? Wird sich der große Entfesselungskünstler Houdini aus dieser misslichen Lage herauswinden können? 30.Qb5+! Ein hübsches, aber auch notwendiges Damenopfer, das die Mattdrohung pariert und Weiß dank des bald auf g7 schlagenden Bauern genügend Gegenspiel einbringt. Stattdessen wäre jetzt 30.Na4? nicht mehr gut wegen 0-0! 31.Rxg7+ oder 31.hxg7 Rb8 mit der Drohung T oder Dxa4! 31...Kh8 32.Qc3 Rxa4!-+ 30...Bd7 Nach 30...Rxb5 31.Bxb5+ Kd8 31...Kf8? 32.hxg7+± 32.hxg7 Rg8 33.h5 Bxb3! 34.h6! 34.cxb3? Qxb3+ 35.Kc1 Qxc3+ 36.Kd1 Qb3+ 34...Kc7 35.Be8! steht das Spiel gleich, z. B. Bc4 35...Rxe8? 36.Nb5+ 36.h7 Rxe8 37.g8Q Qb4+ 38.Kc1! Qxc3 39.Qxe8 Qa1+ 40.Kd2 Qd4+ und gibt ewiges Schach. 31.Qxa5! Statt dieses zweiten Damenopfers hätte Weiß auch 31.Qb8+ Bd8 32.Na4 versuchen können, aber nach g6! steht eher Schwarz besser, z. B. 33.c3 Bxa4 34.bxa4 Qxa4 34...Rxa4? 35.Bb5+ 35.Kc1 Rxh6 36.Kd2!∞ 36.Qxd6? Qa1+ 37.Kc2 Ra2+ 38.Kd3 Qb2-+ 31...Qxa5 32.hxg7 Rg8 33.h5! Houdini setzt noch ein Springeropfer obendrauf. Die Alternative bestand in 33.Kb2 d5! 34.Ra1! fatal wäre 34.Nxd5? Ba3+ 35.Kb1 Be6 36.Nf6+ Kd8 37.Rd1+ 37.Nxg8? Qc3 37...Kc7 38.Rd3 Ra8! 39.g8Q Bf8-+ 34...Qc5 35.Rhg1∞ 33...Qxc3 34.h6 Innerhalb von nur fünf Zügen hat sich die Lage vollkommen gedreht: Die beiden verbundenen weißen Freibauern sehen sehr bedrohlich aus. Wie soll Schwarz jetzt h6-h7 verhindern? Bf5! Critter findet die einzige Verteidigung. Der Läufer geht zwar verloren, macht aber seinem König das Feld d7 frei, so dass der schwarze Turm anschließend nach a8 oder b8 ziehen kann. 35.exf5 Nach 35.Bb5+ Kd8 36.exf5 Kc7! 37.h7 Ra8 38.Ba4 Rxa4! 39.bxa4 Qb4+ 40.Kc1 Qf4+ hat Schwarz ein ewiges Schach: 41.Kd1 Qd4+ 42.Ke2 Qc4+! 43.Kf2 Qd4+ 44.Kg3 Qf4+ 45.Kh3 Qxf3+ 46.Kh2 Qf2+ 47.Rg2 Qh4+ 48.Kg1 Qe1+ usw. 35...Kd7 36.Rg4! Nach 36.h7 kommt Schwarz wie in der eben untersuchten Variante zu einem ewigen Schach: Ra8! 37.Bb5+ Kc7 38.Ba4 Rxa4! 39.bxa4 Qb4+ usw. 36...Bf6? Der Verlustzug. Nur durch 36...Rb8! 37.g8Q Rxb3+! konnte sich Schwarz retten: 38.cxb3 Qxb3+ 39.Kc1 Qc3+ 40.Kd1 Qa1+! 41.Kc2 41.Kd2 Qa5+ 41...Qa2+! 42.Kd3 Qa3+ 43.Kd2 Qa5+! 44.Ke3 Qc5+ 45.Kd3 Qa3+ , und auch in dieser Variante kommt Weiß nicht aus dem ewigen Schach heraus. 37.Bb5+! Ke7 38.h7 Ra8 Critter hat sich anscheinend raffiniert verteidigt, denn es droht ein Matt auf a1, das nur durch Lb5-a4 oder Tg4-a4 zu parieren ist. 39.g8N+! Ein wichtiger Zwischenzug und zugleich der einzige, der den weißen Vorteil festhält. Nach dem zu erwartenden 39.Ba4 könnte sich Schwarz spektakulär retten: Bxg7! 40.Rxg7 Rxa4! 41.bxa4 Qb4+ 42.Kc1 Qf4+ 43.Kb2 43.Kd1? Qxf3+ 43...Qb4+ mit ewigem Schach Schwächer als der Textzug ist auch 39.Ra4 Rxa4 40.g8N+ Kf8 41.bxa4 Bh8 42.f6 d5!∞ 39...Kd8 Weiß gewinnt auch nach 39...Kf8 40.Ba4 Bh8 41.f6!+- 40.Ba4 Bh8 41.Nh6! Qxf3 42.Rhg1 Ke7 43.Rc4 Qb7 Falls 43...e4 , so 44.Rc7+! Kf6 44...Kd8? 45.Rd7+ 45.Ng4+ Kxf5 oder 45...Kg5 46.Ne5+ 46.Rxf7+ mit Damengewinn. 44.Ng8+ Kd8 45.f6! 45.Bc6? taugt nichts wegen Qa7! 46.Bxa8 Qxg1+ 45...d5 46.Ne7!? Wieder bevorzugt Houdini ein spektakuläres Opfer anstatt solide mit 46.Rd1+- fortzusetzen. 46...dxc4 Glänzend geht es weiter nach 46...Bxf6 47.Nxd5! Qxd5 48.Rg8+ Ke7 49.Rc7+ Ke6 49...Kd6? 50.Rd7+ 50.Rc6+ Qxc6 50...Kf5? 51.Rxf6+! Kxf6 52.h8Q+ 50...Ke7? 51.Rxa8+- 51.Bxc6 Ra6 52.Be4+- 47.Rd1+ Kc7 48.Rd7+ Kb6 49.Rxb7+ Kxb7 50.Bc6+ Kb8 51.Bxa8 Kxa8 52.Ng8 Obwohl Weiß jetzt nur noch einen einzigen Bauern mehr hat, ist das Endspiel rettungslos gewonnen. c3 Nach 52...cxb3 entscheidet 53.cxb3 Kb7 54.Kc2 Kb6 55.Kd3 Kc5 56.Ke4 Kd6 57.b4+- 53.b4 e4 53...Kb7 54.Ka2 e4 55.Kb3+- 54.Kc1! Kb7 55.Kd1 Kc6 und zugleich aufgegeben. Es könnte noch folgen: 56.Ke2 Kb5 57.Ke3 Kxb4 58.Nh6! Bxf6 59.Nxf7 Ka3 60.Kxe4 Kb2 61.Kd3 Bg7 62.h8Q Bxh8 63.Nxh8 Ka3 64.Kxc3 und gewinnt. 1–0
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Houdini 1 64-bit3083Critter 0.90 64-bit30491–02020B90Testwettkampf 40/47

Das Geheimnis von Houdini's Stärke

Zu den Ursprüngen des Programms wird gemunkelt, dass sich Robert Houdart vor allem an dem freien und quelloffenen Programm RobboLito orientierte. Er selbst gab auf seiner Homepage an, dass er viele Ideen der freien OpenSource-Programme IPPOLIT/RobboLito, Stockfish und Crafty verwendete. (c)  So erklärt sich wohl auch die von Anfang an sehr hohe Spielstärke. Dass Robert Houdart seinem neuen Geisteskind zusätzliche Gaben verlieh, davon kann man sich mit Hilfe eines kleinen Tests selbst überzeugen:

(Weiß am Zuge)

 
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Weiß kann nicht gewinnen: 1.Be1 Kb5 2.Bf2 Kc6 3.Kg5 Kd7 4.Kxg6 Kc8! 5.Kxf5 Auch wenn Weiß dem schwarzen König den Weg nach b8 abschneidet, kommt er nicht weiter, z. B. 5.Bg3 f4! 6.Bxf4 Kd7 7.Kf5 Kc8 8.Ke6 Kd8 9.Kd6 Kc8! 10.Ke6 Kd8= 5...Kb8 6.Ke6 Ka8 7.Kd7 Kb8 8.Bg3+ Ka8 und Weiß kann nur patt-, aber nicht mattsetzen.
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Weiß-Schwarz- Teststellung, Weiß am Zuge

In dieser von Fernschach-Großmeister Arno Nickel angegebenen Stellung (d) zeigt in der Analyse RobboLito 0.085g3 eine Bewertung von + 4.26 zugunsten von Weiß (38 Halbzüge Suchtiefe), während Houdini 1 sofort erkennt, dass diese Stellung ausgeglichen ist (+ 0.03). Das ist auch ganz richtig, denn wenn Schwarz sich um seine Bauern auf dem Königsflügel gar nicht kümmert, sondern einfach mit seinem König über b5, c6 und d7 nach c8 zieht, kommt Weiß nie über ein Patt hinaus, wovon man sich durch Ausprobieren leicht selbst überzeugen kann. An diesem Beispiel erkennt man, dass bereits die erste Houdini-Version ohne Tablebases dieses schwierige Endspiel beherrschte.

Computerwissenschaftler und Schachspieler

Robert Houdart ist Jahrgang 1968 und hat eine FIDE-ELO-Zahl von 2101. (e) Von Beruf ist er Computerwissenschaftler und professioneller Software-Entwickler. (f) Beste Voraussetzungen also, ein Schachprogramm immer weiter zu optimieren. Die beharrliche Weiterentwicklung von Houdini 1 trug schon bald reiche Früchte: Die zwei Monate später, im Juli 2010 erschienene Version Houdini 1.03a brachte es in der CCRL 40/4-Liste bereits auf 3116 ELO-Punkte (64-bit, 1CPU), während der letzte kostenlos erhältliche Houdini 1.5a vom Januar 2011 mit 3170 noch einmal satte 54 ELO-Punkte zulegte. Zum Vergleich: Die stärkste Rybka-Version 4.1 hatte eine ELO-Zahl von 3108. Die von da an kommerziellen Houdini-Version 2, 3 und 4 steigerten sich weiter auf 3202, 3217 bzw. 3240 ELO-Punkte. In den dreieinhalb Jahren zwischen Mai 2010 (Houdini 1) und November 2013 (Houdini 4) konnte Robert Houdart damit Houdini von schätzungsweise 3083 ELO auf 3240 ELO verbessern (64-bit, 1CPU). Das ist ein Plus von fast 160 ELO-Punkten. Auf vier Prozessoren (4CPU) erreichte Houdini 4 sogar 3332 ELO. (g)

Viele zusätzliche Optionen

Neben einer Steigerung der Spielstärke stattete Robert Houdart sein Programm  mit zusätzlichen Leistungsmerkmalen aus. Immerhin konnten bereits bei Houdini 1 die Anzahl der Prozessoren, die sogenannte Split Depth (Suchtiefe, ab der die Berechnungen über zwei oder mehr Prozessoren laufen), Ponder (Rechnen während der Gegner am Zug ist) und die Hashgröße eingestellt werden. In den Folgeversionen kamen nach und nach weitere Optionen hinzu. So können seit Houdini 1.03 bei der Analyse von Stellungen mehrere Varianten gleichzeitig angezeigt werden (Multi-PV). Mit der Version 1.5 wurden erstmals Endspieltabellen (Tablebases) eingebunden. Um unnötige Remisen gegen schwächere Gegner zu vermeiden, fügte Robert Houdart seinem Programm außerdem einen sogenannten Contempt-Faktor hinzu, der bei Analysen standardmäßig deaktiviert wird. Dies ist wichtig, um trotz eingestellten Contempts objektive Stellungseinschätzungen zu erhalten. Trotz etwas schlechterer Stellung wird jedoch gegen schwächere Gegner weitergespielt, was naturgemäß zu einer niedrigeren Remisquote führt. Alle diese Verbesserungen führten das Programm im Computerschach innerhalb von nur sieben Monaten an die Weltspitze.

Houdini, die neue Nr. 1

Seit 2011 gelten die TCEC-Turniere als die eigentlichen Königsmacher im Computerschach. (h) Die ICGA (International Computer Games Association) hatte sich mit der umstrittenen Disqualifikation des bis dahin stärksten Schachprogramms Rybka sozusagen selbst aus dem Spiel genommen, da Wettbewerbe ohne die besten Programme sich in der Öffentlichkeit kaum noch als Computerweltmeisterschaften verkaufen lassen. Das erinnert ein wenig an die Situation der FIDE-Weltmeister im Vergleich mit den „klassischen“ Weltmeistern Kasparow und Kramnik während der Jahre 1993 bis 2006, wobei natürlich hinzugefügt werden muss, dass der Stellenwert des menschlichen Weltmeisters in der Schachwelt naturgemäß viel höher eingeschätzt wird. Jedenfalls gelang es Houdini von Anfang an, sich in den TCEC-Computerturnieren gegen die weltbesten Schachprogramme duchzusetzen.

Der Wert der TCEC-Wettbewerbe wird noch dadurch gesteigert, dass alle teilnehmenden Programme auf identischer Hardware laufen und nach mehreren Vorrunden die beiden stärksten in einem sogenannten „Superfinale“ gegeneinander antreten. Dabei spielt jeder der beiden Teilnehmer dieselben Eröffnungsstellungen zweimal, und zwar einmal mit Weiß und einmal mit Schwarz. Das trägt natürlich dazu bei, die Chancen gerechter zu verteilen.

„Season 1“, welche von Dezember 2010 bis Februar 2011 ausgetragen wurde, gewann Houdini 1.5a im Superfinale überlegen gegen Rybka 4 (+ 12, - 5, = 23).

„Season 2“ (Februar bis April 2011) gewann wiederum Houdini 1.5a. Im Superfinale hielt sich Rybka 4.1 etwas besser als seine Vorgängerversion. Das Endergebnis lautete +9, -5, =26 für Houdini.

„Season 3“ wurde nicht zu Ende gespielt, daher kein TCEC-Sieger 2012.

„Season 4“ (Januar bis Mai 2013) gewann Houdini 3 im Superfinale gegen Stockfish 250413 (+6, -4, =38)

Das lange Warten auf Houdini 5

Man sieht es schon an dem knappen Sieg über Stockfish vom Mai 2013, dass die Konkurrenz es nach und nach schaffte, näher an Houdini heranzurücken. In den nächsten TCEC-Turnieren dominierten denn auch Komodo und Stockfish. Komodo gewann Season 5, 7 und 8, während Stockfish Season 6 für sich entscheiden konnte. Ein Grund hierfür ist darin zu sehen, dass Robert Houdart seit der Veröffentlichung von Houdini 4 im November 2013 keine neuere Programmversion mehr herausbrachte. Erst drei Jahre später, im November 2016, erschien Houdini 5, und der schaffte es denn auch gleich ins Superfinale von Season 9, in dem er gegen Stockfish 8 mit +8, -17, =75 unterlag. Den bislang letzten TCEC-Sieg schaffte die neue Version Houdini 6.03 in der von Oktober bis Dezember 2017 ausgetragenen Season 10. Im Superfinale setzte sich Houdini gegen Komodo durch (+15, -9, =76).

Die letzte Houdini-Version

Houdini 6, der TCEC-Sieger von Season 10 und Zweitplazierte von Season 11 ist noch einmal um etwa 200 ELO-Punkte stärker als Houdini 4 vom November 2013. Diese Spielstärke dürfte auf lange Zeit hinaus kaum noch Wünsche offen lassen. Wird es dennoch irgendwann einen Houdini 7 geben? Auf meine Anfrage hin teilte mir Robert Houdart mit, dass er seit Oktober 2017 an ganz anderen Projekten arbeitet und sich aktuell nicht mit Schachprogrammierung beschäftigt. Damit wird die aktuelle Houdini-Version wohl auf absehbare Zeit die vorerst letzte bleiben.

Houdini's größte Stärke

Houdini's größte Stärke war und ist die Stellungsbewertung, welche nicht nur im praktischen Spiel, sondern auch bei der Analyse von ausschlaggebender Bedeutung ist. Der Fernschachgroßmeister Arno Nickel schrieb in seinem sehr lesenswerten Artikel „Die schöne neue Welt der Schachengines“ über Robert Houdart und sein Programm Houdini folgendes:

„Besonders stolz ist er auf seine (Stellungs-)Bewertungsfunktion, die in der Tat die moderateste – und oft vielleicht auch realistischste – zu sein scheint. Daneben verfügt Houdini über eine sehr intelligente und effiziente Suchfunktion, die es der Engine ermöglicht, häufiger und schneller als andere Programme starke positionelle Fortsetzungen zu finden.“ (i)

Nicht ohne Grund war und ist Houdini daher gerade bei Fernschachspielern sehr beliebt, wo es darum geht, komplizierte Positionen besonders gründlich zu analysieren. Ohne eine richtige und objektive Einschätzung der Stellung kann in der Tat kein Analytiker auskommen. Damit ist und bleibt Houdini auch heute noch ein unentbehrliches Analysewerkzeug.

Dem Programmierer Robert Houdart kann man zu 10 Jahren Houdini nur herzlich gratulieren und hoffen, dass er vielleicht doch eines Tages die Entwicklung fortsetzen und irgendwann die Schachwelt mit Houdini 7 überraschen wird. Es wäre auch wünschenswert, wenn er auf seiner Homepage einige der älteren Houdini-Versionen zum Download freigeben würde. Im Augenblick ist dort nämlich nur Houdini 1.5a zu finden.

Den stärksten Houdini (Version 6) gibt es in komfortabler Ausstattung im ChessBase Shop.

Houdini 6 macht dort weiter, wo sein Vorgänger aufgehört hat: die neue Version legt bei der Spielstärke noch einmal 60 Elo-Punkte oben drauf. Damit ist Houdini wieder das beste Schachprogramm, das es derzeit auf dem Markt gibt.

Oder zum Vergleich:

Fritz, genau jenes Schachprogramm, das seit über 25 Jahren (!) die gesamte Schachwelt fasziniert: Siege gegen Garry Kasparov und den damaligen Weltmeister Vladimir Kramnik, innovative Trainingsmethoden für Amateure & Profis, fast 20 Jahre Internetschach auf dem Fritz-Server u.v.m.

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und brandneu

Gleich zweimal gewann Komodo im vergangenen Jahr den Weltmeistertitel und darf sich "2019 World Computer Chess Champion" und "2019 World Chess Software Champion" nennen. Und der aktuelle Komodo 14 ist noch einmal deutlich gegenüber seinem Vorgänger verbessert.

Quellen und Anmerkungen:

(a) So wurde Houdini 1 zum ersten Mal der Öffentlichkeit vorgestellt:

https://web.archive.org/web/20100519120411/http://www.cruxis.com/chess/houdini.htm

Zur Namenswahl heißt es im englischen Originaltext:

„The name 'Houdini' was chosen because of the engine's tenacity in difficult positions and its ability to defend stubbornly and escape with a draw – sometimes by the narrowest of margins. At the same time Houdini will deny its opponents the same escape routes when it has the better position.“

(b) Hier ist der Link zum Wikipedia-Artikel über Harry Houdini alias Erik Weisz:

https://de.wikipedia.org/wiki/Harry_Houdini

(c) Im englischen Originaltext lautet die Passage folgendermaßen:

„Without many ideas from the excellent open source chess engines Ippolito/Robbolito, Stockfish and Crafty (in that order), Houdini would not nearly be as strong as it is now.“

https://web.archive.org/web/20100519120411/http://www.cruxis.com/chess/houdini.htm

(d) Arno Nickel, „Die schöne neue Welt der Schachengines“, veröffentlicht in der Zeitschrift „Schach“, Ausgabe vom März 2012, S. 45

(e) http://ratings.fide.com/card.phtml?event=202185

(f) https://www.chessprogramming.org/Robert_Houdart

(g) In den 40/40-Ranglisten wurde die frühere Houdini-Version 1.03a nicht getestet, in 40/4 aber schon, so dass sich die ELO-Zahlen in diesem Artikel auf die mit einer Bedenkeit von 4 Minuten für je 40 Züge ermittelten ELO-Zahlen beziehen (64-bit, 1CPU). Mit 4 Prozessoren (4CPU) sind die ELO-Zahlen entsprechend höher. Bei Houdini 6 z. B. wären das 3517 ELO (4CPU) gegenüber 3444 bzw. 3445 (1CPU).

 Leider wird die bewährte 40/4-Bedenkzeit von den CCRL-Testern seit einigen Monaten nicht mehr verwendet. Stattdessen spielen sie jetzt Blitzpartien mit 2 Minuten für die gesamte Partie + 1 Sekunde/Zug auf schnelleren Rechnern. Die letzten archivierten 40/4-Ranglisten, welche ich finden konnte, stammen vom Oktober bzw. November 2019:

https://web.archive.org/web/20191029004707/https://ccrl.chessdom.com/ccrl/404/rating_list_all.html

https://web.archive.org/web/20191121115328/https://ccrl.chessdom.com/ccrl/404/cgi/compare_engines.cgi?class=Single-CPU+engines&print=Rating+list&print=Results+table&print=LOS+table&table_size=12&cross_tables_for_best_versions_only=1

(h) TCEC steht für „Thoresen Chess Engines Competition“ oder neuerdings „Top Chess Engine Championship“

https://en.wikipedia.org/wiki/Top_Chess_Engine_Championship

(i) Arno Nickel, „Die schöne neue Welt der Schachengines“,veröffentlicht in der Zeitschrift "Schach", Ausgabe vom Februar 2012, S. 61

 


Stephan Oliver Platz (Jahrgang 1963) ist ein leidenschaftlicher Sammler von Schachbüchern und spielt seit Jahrzehnten erfolgreich in der mittelfränkischen Bezirksliga. Der ehemalige Musiker und Kabarettist arbeitet als freier Journalist und Autor in Hilpoltstein und Berlin.

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echtjetzt echtjetzt 30.09.2024 11:22
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valet valet 03.06.2020 01:36
Danke für den tollen Artikel...
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