12.01.2019 – Wenn es Vlastimil Hort, nicht gäbe, müsste man ihn erfinden. Der gebürtige Tscheche, frühere Weltmeisterschaftskandidat und kongenialer Partner von Helmut Pfleger beim Schach der Großmeister bereichert das deutsche Schach mit Witz, Sachverstand und unzähligen Geschichten. Heute feiert Vlastimil Hort seinen 75sten Geburtstag. | Zeichnung: Ottokar Masek
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Interview mit Vlastimil Hort zum 75sten Geburtstag
Lieber Vlastimil, du bist heute vor 75 Jahren geboren, herzlichen Glückwunsch. Deine Kindheit hast du in einen Land erlebt, dass nach dem Krieg kommunistisch regiert wurde. Hast du daran irgendwelche Erinnerungen, die haften geblieben sind?
Die Kommunisten haben dem tschechischen Volk viel Unheil gebracht. Sie konnten jedoch dem Einzelnen weder die Jugend nationalisieren noch seine Kindheit stehlen. Mir auch nicht!
Kannst du etwas über deine Eltern erzählen?
Mein Vater war sehr musikalisch – ein Autodidakt. Er spielte vier Instrumente und hatte fast das absolute musikalische Gehör. Beide meiner Eltern ließen mir viel Freiheit.
Stimmt es, dass du deutsche Vorfahren hast?
In diese Richtung habe ich geforscht, aber leider in den Annalen nichts gefunden. Was ich mit Sicherheit weiß, meine Großeltern väterlicherseits stammen aus dem kleinen Ort Selb im Sudetenland. Um Arbeit zu finden sind sie um 1910 nach Kladno, meinem späteren Geburtsort, umgesiedelt. Meine Großmutter sprach noch auf dem Sterbebett mit mir nur Deutsch. Ich schätze ich bin 1/16 deutsch.
Wie bist du zum Schach gekommen?
Durch Zufall! Mit fünfeinhalb kam ich mit hohen Fieber ins Krankenhaus – niemand fand heraus, was die Ursache dafür war. Ganze zweieinhalb Monate lag ich auf der Quarantänestation. Nur Ärzte und Krankenschwestern durften zu mir. Ich war ganz unglücklich, bis mir einer der Ärzte, Dr. Novak, die Grundzüge des Schachspiels beibrachte. Von da an wurde ich noch zusätzlich mit dem Schachfieber infiziert. Das bis heute anhält.
Gab es damals viel Schachliteratur, aus der man lernen konnte?
Nach dem Krieg gab es wenig von allem. Mein erstes Schachbuch war das Turnierbuch „Awro 1938“. Ich konnte alle Partien auswendig.
Sind dir besondere Ereignisse aus deiner Schach-Jugend in Erinnerung geblieben?
Ludek Pachmann wollte uns, die jungen Talente, unbedingt trainieren. Seine stark theoretisch ausgerichteten Seminare waren nicht nach meinem Geschmack. Nach meiner ersten und einzigen Teilnahme konzentrierte ich mich wieder auf mich selbst.
Wann wurdest du Nationalspieler?
1960 bei der Schacholympiade in Leipzig. Ich kam einige Male als zweiter Reservespieler zum Einsatz – mit gutem Ergebnis.
Den Haag 1961 - Juniorenweltmeisterschaft. In der Vorrunde bin ich schon rausgefallen, durfte dann aber nicht in der B-Gruppe spielen. Warum? Der CSSR-Sportverband sparte die Devisen.
Du bist Robert Fischer mehrfach begegnet. Wie war er so?
Über Bobby Fischer habe ich auch bei Chessbase viele unbekannte Anekdoten zum Besten gegeben. Drei Wörter noch dazu – Genial, aber wahnsinnig. Und ein viertes Wörtchen: Unvergesslich!
Wer war für dich die größte Schachpersönlichkeit, der du begegnet bist?
Ohne nachdenken zu müssen – Paul Keres.
Wie kam die Verbindung zu Porz und Wilfried Hilgert zustande?
Durch Prago-Sport. Ich wurde einfach, so wie viele andere Sportler auch, in den Westen verkauft.
Was hat dich zur Übersiedlung nach Deutschland motiviert?
Die bedeutendste Rolle dabei spielte der Einmarsch der sowjetischen Truppen in Prag 1968. Zu dieser Zeit war ich emotional noch nicht bereit, weil ich auf die Volljährigkeit meines Sohnes wartete. 1985 ging es dann ruckzuck. Nach dem Interzonenturnier in Tunis bestieg ich das Flugzeug der Lufthansa Richtung Frankfurt und bat in Deutschland um Politisches Asyl.
Wie kam es zu der Verbindung zu Helmut Pfleger und zu den Fernsehauftritten?
„Schach der Großmeister“ lief gerade ein Jahr, da hatte Dr. Claus Spahn vom WDR einen guten Riecher – mit meinem Prager Akzent war ich wohl eine gute Ergänzung zu Helmut Pflegers bayerischem.
Wie viele Jahre habt Ihr beim Schach der Großmeister mitgemacht? Warum habt ihr damit aufgehört?
Bei den Schachfans war es eine beliebte Sendung und ich war sehr gerne mit dabei. Genau 22 Jahre. Es gab zwei Gründe für die Einstellung – Dr. Spahn wollte die Sendung nur bis zu seinem 65. Lebensjahr machen und der damalige WDR-Intendant hatte zu Schach keine Beziehung.
Wann und wie hast du dein erzählerisches und humoristisches Talent entdeckt.
Ich versuche in jeder Lebenslage den Humor einzuschalten. Mein Musterbeispiel dafür ist immer der brave Soldat Schwejk. Humor kann viele brenzlige Situationen entkräften und das Lachen ist gut gegen allerhand Wehwehchen. Meine Empfehlung - jeder UNO-Delegierte sollte, bevor er mit seiner Rede beginnt, einen Witz aus seinem Land erzählen…
Wie viele Bücher hast du bisher veröffentlicht und ist noch mit weiteren Büchern zu rechnen?
Die genaue Zahl weiß ich nicht – alle sind inzwischen vergriffen. Aktuell schreibe ich an meinen Schach-Anekdoten. Die magische Zahl 64 ist bald erreicht. Viele meiner Schach-Fans warten schon darauf.
Du spielst gerne Schach 960, warum?
Keine Theorie! Kreativität pur! Der letzte WM-Wettkampf wäre sicherlich so auch anders verlaufen – weniger Remisen!
Was sagst du zu dem Wettkampf Carlsen gegen Caruana?
Die ersten zwölf klassischen Partien waren von hoher Qualität. Bei den bestehenden Regeln könnte es natürlich durchaus passieren, dass von den beiden Finalisten einer sich die Krone aufsetzen kann, ohne eine einzige Partie gewonnen zu haben. Diese Vorstellung ist wirklich grotesk! Die Regeln müssen unbedingt geändert werden. Sonst drehen sich alle verstorbenen Weltmeister noch unruhig im Grab herum.
Was könnte die FIDE besser machen?
Die neuen IM und GM Titelträger sollten nicht nur die ElO-Punkte im Visier haben. Schach ist doch mehr als nur Sport – es hat eine lange Kulturgeschichte. Etwas davon sollten die Bewerber unbedingt wissen müssen und sich einer Prüfung dazu unterziehen. Bei Nichtbestehen sollte die FIDE-Prüfung selbstverständlich wiederholt werden können.
Hast du eine Anekdote aus deinem Schachleben, die dich heute noch amüsiert?
Ja, eine meiner lustigsten Erinnerungen ist „Tapp, Tapp aus dem Jenseits“
Im mazedonischen Skopje gab es 1972 nicht nur eine gelungene Schach-Olympiade, sondern kurz davor im Stadttheater auch ein interessantes Schachturnier. Draußen sommerliche Rekordtemperaturen, drinnen im Saal eine noch größere Hitze. Zahlreiche Zuschauer waren gekommen, die, besonders während der Zeitnot, mit ihren Lieblingsspielern mitfieberten. Vom Publikum waren wir Gott sei Dank durch einen tiefen Orchestergraben getrennt. Während des Schachturniers hatten dort auch weder Musiker noch Souffleusen Zutritt.
Der Schiedsrichter des Turniers war ein Kroate, der pensionierte IM Vladimir Vukovic(1898-1975). Er war mir durch seine Artikel in Sachovski Glasnik (herausgegeben in Zagreb) kein Unbekannter, außerdem hatte er auch über einen längeren Zeitraum mit Aljechin einen regen Briefwechsel geführt.
In unserem Turnier lief alles glatt, so dass Vukovic nicht viel zu tun hatte. So genoss er wegen der unerträglichen Hitze die Zeit während der Partien lieber im Schaukelstuhl. In schöner Regelmäßigkeit war er, bevor es zu den Zeitnöten kam, bereits in seine Träume weggenickt. Seine beiden Assistenten, die ihm das Nickerchen gönnten, passten derweil auf die Bretter in Zeitnöten auf. Perfekte Aufgabenteilung!
Vor uns die Zeitnotphase, die Nerven lagen blank. Plötzlich ein Paukenschlag. Schachmoderatoren benutzen gerne die Metapher „Ein Blitz, wie aus heiterem Himmel!“ War eine Bombe eingeschlagen?
Der schlafende Schiedsrichter hatte sich verdammt nah an den Orchestergraben geschaukelt und war mit einem ohrenbetäubenden Lärm darin verschwunden. Die Zuschauer in den ersten Reihen hatten den Unfall mit eigenen Augen mit angesehen. Keiner jedoch hatte den Mut, sich über die Brüstung zu lehnen, um sich das Ausmaß des Unglücks anzuschauen. Im ganzen Theater herrschte eine Grabesstille.
Plötzlich, wie aus dem Jenseits, hörte man ein leises Tapp, Tapp, Tapp. Auf der kleinen Stiege des Orchestergrabens erschien die uns wohlbekannte Gestalt. Lediglich ein Kratzer auf der Wange bewies, dass er der Unterwelt einen Besuch abgestattet hatte. Sein Schaukelstuhl hatte den freien Fall natürlich nicht überlebt.
Kein „Super-Stuntman“ hätte so geschickt und weich fallen können, wie er. Hatte die Schachgöttin Caissa ihre Finger im Spiel?
Ein Blick zurück – was würdest du am liebsten vergessen?
Meinen Wettkampf mit Spassky.
Kandidatenwettkampf Spassky-Hort, 1977 | Foto: Skaksamband Island
Ein Blick nach vorn …
… ich hoffe, dass die Mutter Natur mich noch lange Zeit am Schachbrett sitzen lässt.
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